"Es ist jetzt Zeit, dem Militäreinsatz ein Ende zu setzen"
Friedensbewegung appelliert noch einmal an die Abgeordneten - Argumente gegen Tornadoeinsatz zeigen Wirkung
Einen Tag vor der Abstimmung im Deutschen Bundestag über den Tornadoeinsatz in Afghanistan appellierte die Friedensbewegung noch einmal an die Abgeordneten mit NEIN zu stimmen.
Wir dokumentieren stellvertretend eine Presseerklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag sowie ein e-mail des "Aachener Friedenspreises e.V."
Argumente zeigen Wirkung
Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag
Kassel, 8. März - Zur morgigen Abstimmung im Bundestag über den Tornadoeinsatz erklärt der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag:
Die Argumente, die gegen einen Einsatz der Tornado-Aufklärungsflugzeuge in Afghanistan sprechen, zeigen Wirkung. Erstmals könnte die Zahl der Nein-Stimmen gegen einen Auslandseinsatz der Bundeswehr die magische Grenze von 100 überschreiten. Widerspruch gegen den
Antrag der Bundesregierung regt sich in allen Fraktionen. Damit wird der Bundestag aber noch längst nicht Anschluss gefunden haben an die Meinung der Wähler. Verschiedene Umfragen der letzten Wochen haben gezeigt, dass die Bürger/innen hier zu Lande überwiegend den Tornadoeinsatz ablehnen.
Es sei dahin gestellt, ob die Kampagne der Friedensbewegung - sie hat in den letzten Tagen per e-mail, Brief, Fax und Hausbesuchen Druck auf die Abgeordneten gemacht - gegriffen hat. Die Argumente, die gegen den Einsatz sprechen, kommen nicht nur aus der Friedensbewegung, sondern auch von Wissenschaftlern und humanitären Einrichtungen. Zuletzt hat der Vorsitzende der Kinderhilfe Afghanistan, Reinhard Erös, in einem viel beachteten Beitrag in der Süddeutschen Zeitung (2. März) darauf hingewiesen, dass die Tornados das Gegenteil von dem erreichen werden, was ihnen zugedacht ist: Statt mehr Schutz für die alliierten Truppen erwartet er noch mehr asymmetrische Angriffe der Taliban.
Deutschland, so betont der Bundesausschuss Friedensratschlag noch einmal in einem Appell an den Bundestag, läuft mit dem Tornadoeinsatz Gefahr, sich noch mehr in den US-geführten schmutzigen Krieg in Afghanistan zu verstricken und schließlich Opfer der "Irakisierung" Afghanistans zu werden. Der ehrenwerte Anspruch, den zivilen Wiederaufbau im vom langjährigen Krieg geschundenen Land zu organisieren, wird mit der Ausweitung des Kampfauftrags der Bundeswehr vollends aufgegeben.
Außer wohl klingenden Phrasen über die Erfolge, die das fünfeinhalbjährige Afghanistan-Engagement angeblich gebracht hätte, hat die Bundesregierung bisher keine schlüssigen Belege liefern können. Sieht man sich die eingesetzten Mittel ein, so wird klar, warum der Wiederaufbau nicht gelingen kann. Seit 2002 wurden in Afghanistan 85 Mrd. Dollar für Militärmaßnahmen, dagegen nur 7,5 Mrd. Dollar für den zivilen Wiederaufbau eingesetzt. Und auch diese Mittel konzentrierten sich fast ausschließlich auf die Haputstadt Kabul und vernachlässigten vor allem die Paschtunengebiete. Die Opiumproduktion steigt mit jedem Jahr Krieg weiter an: Seit 2001 hat sie sich verzehnfacht. Afghanistan ist der weltgrößte Rauschgiftproduzent. Die Ausweitung des Krieges wird kein anderes Ergebnis haben als der Krieg der Sowjetarmee in den 80er Jahren: Sie mussten - trotz überlegenem Einsatz von modernen Waffen und Luftaufklärung! - sich schließlich geschlagen aus Afghanistan zurückziehen und den Taliban das Feld überlassen.
Und noch eines sollten die Bundestagsabgeordneten bedenken: Es gibt zwischen Afghanistan-Einsatz, dem Irakkrieg und einem für möglich gehaltenen US-Krieg gegen Iran vielfache Zusammenhänge gibt. So haben soeben Großbritannien und Dänemark angekündigt, ihre Truppen aus dem Irak abzuziehen um sie zur Verstärkung nach Afghanistan zu entsenden. Auch der US-Truppenaufmarsch im Persischen Golf zielt auf den Kriegsschauplatz im Mittleren Osten und in Zentralasien. Es wäre nach Ansicht vieler Experten naiv zu glauben, die USA könnten eine dritte Front, nun gegen Iran, ohne Unterstützung der anderen NATO-Staaten eröffnen. Deutschland wäre - auch mit der Marine vor den Küsten Libanons - in jedem Fall mitten drin. Alle beschwichtigenden Bekundungen, die Iran-Krise mit diplomatischen Mitteln zu lösen, könnten sich bald in Luft auflösen.
Die Friedensbewegung freut sich nicht nur über das geschlossene Nein der Linksfraktion, sondern auch über jede Nein-Stimme aus den anderen Oppositionsparteien sowie aus dem Regierungslager. Vielleicht ist die Abstimmung am 9. März ein erster Schritt zu einem Umdenken in Sachen Militäreinsätze.
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)
Für ein Ende des Militäreinsatzes in Afghanistan
Der "Aachener Friedenspreis e.V." hat am 8. März 2007 per E-Mail alle Abgeordneten des Bundestages aufgefordert, dem Militäreinsatz in Afghanistan ein Ende zu setzen.
Seit über fünf Jahren ist die Bundeswehr in Afghanistan im Einsatz, sowohl im Rahmen der ISAF-Mission als auch im Rahmen der Operation »Enduring Freedom«. Afghanistan ist seitdem nicht friedlicher geworden, was Kritiker nicht überrascht. Im Gegenteil. Das zunächst auf Kabul und nur wenige Teile des Landes vorgesehene militärische Engagement wird immer mehr ausgeweitet, ISAF und »Enduring Freedom« vermischen sich immer mehr. Um die erstarkten Taliban zu bekämpfen, spricht die NATO offen von einer ISAF-Frühjahrsoffensive im Süden des Landes.
Mit einer Entsendung deutscher Aufklärungstornados würde die Bundeswehr aktiv in Kampfeinsätze eingebunden. Die erfaßten Zieldaten dienen als Grundlage für Bombenangriffe. Auch die US-geführte Operation »Enduring Freedom« wird hierauf zurückgreifen können.
Wer dem zustimmen will, wird auch die Frage beantworten müssen, wie deutsche Tornado-Besatzungen auch nur mit halbwegs hinreichender Sicherheit die in kleinen Gruppen in schwer zugänglichen Felsregionen operierenden Aufständischen von unbeteiligten Zivilisten unterscheiden wollen? Die Berghütte eines Ziegenhirten von dem Unterschlupf eines Guerillakämpfers? Die Schmuggelkarawane mit Zedernholz oder Drogen nach Pakistan von dem Nachschubtransport mit leichten Waffen? Und wie erst soll diese Unterscheidung funktionieren, wenn die Aufständischen sich unter die Bevölkerung in den Dörfern und Weilern mischen? Hier sind wohl die berüchtigten »Kollateralschäden« absolut vorprogrammiert und das dann letztlich nicht durch »menschliches Versagen«, sondern durch das Versagen der Politik!
Wer diesem Einsatz zustimmt, nimmt implizit in Kauf, daß deutsche Soldaten sich mitschuldig machen an tödlichen Angriffen auf die afghanische Zivilbevölkerung – mit allen Konsequenzen die das wiederum für die Sicherheit der Bundeswehrangehörigen in Afghanistan hat. Hier werden wissentlich Leben und Gesundheit deutscher Soldaten aufs Spiel gesetzt für eine falsch verstandene Bündnistreue und die bedingungslose Fortführung einer längst als verfehlt erkannten Militärstrategie der USA und der NATO!
Erst vor wenigen Tagen – am 14. Februar – erschien in London eine 200 Seiten starke Studie der hoch angesehenen britischen Expertengruppe »Senlis Council« zur Situation in Afghanistan. Dieses internationale Forum aus Wissenschaftlern, Experten und Nichtregierungsorganisationen berät die UNO und die EU in Fragen der Drogenpolitik. Zu seinem »Rat der Weisen« zählt die langjährige Präsidentin des Deutschen Bundestages, Rita Süssmuth. Das Ergebnis der Studie unter dem Titel »Dem Aufstand in Afghanistan begegnen – Freunde verlieren und Feinde aufbauen« ist für die Befürworter des Militäreinsatzes in Afghanistan niederschmetternd. »Wir gewinnen die Schlachten, aber wir verlieren den Krieg«, sagte die Gründungsvorsitzende des »Senlis Council«, Norine MacDonald. (...)
Es ist jetzt Zeit, dem Militäreinsatz ein Ende zu setzen und über eine neue Afghanistan-Strategie mit allen politischen und diplomatischen Mitteln nachzudenken. Der seit über fünf Jahren andauernde Krieg führt zunehmend zu einem zweiten Irak und muß umgehend beendet werden. (...)
Aus: junge Welt, 9. März 2007 (Rubrik "Abgeschrieben")
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