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"Fette Hunde" und arme Schweine

Afghanistan als Thriller in der ARD

Von René Heilig *

Am Sonntagabend waren im »Tatort« die Kölner Kommissare Schenk und Ballauf dran. Sie fahndeten nach Quote. Der Krimi »Fette Hunde« um einen toten afghanischen Drogenkurier und elende Bundeswehrsoldaten lockte mehr als acht Millionen Deutsche vor den Fernseher. Das ist ein Marktanteil von 24,4 Prozent.

Immer wieder tauchen in Sebastian Brandts Vorstellung Hunde mit blutigen Schnauzen auf, Hunde die sich in Afghanistan über Leichen erschossener Soldaten oder Zivilisten hergemacht haben. Ein Bild, das wohl jeder kennt, der einmal in einem Kriegsgebiet war. Doch die Träume des Bundeswehroffiziers sind mehr, sie verweisen auf Traumata, die viele Soldaten nach Hause einschleppen. Der Krimi konnte einen entsetzen. Er zeigte, was Krieg aus Menschen machen kann: physische und psychische Wracks, arme Schweine eben.

Auch Verteidigungsminister Thomas de Maizière sieht das offenbar so. Der »Bild«-Zeitung sagte er: »Auch wenn in dem ›Tatort‹ vieles eher unrealistisch ist, so geht der Einsatz in Afghanistan doch an keinem unserer Soldaten spurlos vorüber.« Dann aber wurde der Minister und CDU-Mann dreist, denn er bezieht die Bürger ein, macht sie mitverantwortlich für den Kriegswahn. Die Soldaten, so sagte de Maizière, »geben für uns dort sehr viel, manche alles. Das sollte der deutschen Bevölkerung immer wertschätzend bewusst sein.«

2011 ließen sich 922 Bundeswehr-Soldaten wegen sogenannter posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) behandeln. Die Zahl schönt die Realität.

Die TU Dresden hat zusammen mit dem Psychotraumazentrum der Bundeswehr neue Erkenntnisse zu traumatischen Ereignissen bei im Ausland eingesetzten Soldaten veröffentlicht. Danach berichteten 49,2 Prozent aller im Ausland eingesetzten Soldaten vom mindestens einem, 13 Prozent von mehr als drei traumatischen Ereignissen. Kampftruppen am Einsatzort Kundus, wo der deutsche Befehlshaber vor drei Jahren mit einem Bombardement mehr als 100 Mensch verbrannte, hatten das höchste Risiko. Doch nur jeder zweite Betroffene hat professionelle Hilfe aufgesucht. Die vorgelegte Statistik sagt: Nach der Rückkehr vom Einsatz erkranken rund 300 von je 10 000 Soldaten pro Jahr. Jeder zweite PTBS-Fall bleibt unerkannt und unbehandelt.

In letzter Zeit sind neue Gefahren entstanden, denen sich die Besatzer, aber auch die nach Afghanistan geschickten Polizeiausbilder stellen müssen. Afghanische »Kameraden« feuern auf sie. Seit Januar wurden so mindestens 45 NATO-Soldaten getötet. Auch Bundeswehrsoldaten sind schon auf diese Weise umgekommen.

Aus den Vorkommnissen ziehen die NATO und das Oberkommando der US-amerikanischen Spezialkräfte nun Konsequenzen: Für mindestens einen Monat stoppten sie die Ausbildung von Teilen der afghanischen Sicherheitskräfte.

Derzeit bilden westliche Einheiten 25 000 Soldaten und 4000 Polizisten aus. Bislang verfügt Afghanistan über 350 000 Polizisten und Soldaten.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 04. September 2012


Mit Hunden gegen Taliban

Tschechische Soldaten verweigern Einsatzbefehl in Afghanistan

Von Jindra Kolar, Prag **


Zwei Hundeführern der tschechischen Armee drohen fünf Jahre Haft. Sie hatten sich in Afghanistan geweigert, mit einer Fallschirmjägereinheit auf Taliban-Jagd zu gehen. Es wäre das erste Mal, dass tschechische Afghanistansoldaten wegen Befehlsverweigerung verurteilt würden.

Vor dem Kreisgericht Liberec (Reichenberg) müssen sich zwei Angehörige des tschechischen Afghanistankommandos wegen »Befehlsverweigerung im Kriegsfall « verantworten. Die beiden Mitglieder einer in der afghanischen Provinz Logar stationierten Hundestaffel hatten sich geweigert, an Patrouillengängen einer Fallschirmjägerbrigade teilzunehmen. Der jetzt vor dem Kreisgericht zu verhandelnde Fall liegt schon einige Monate zurück.

Die beiden Soldaten, die normalerweise in der Veterinärdienstlichen Einheit in Grabstejn ihren Dienst versehen, waren zu einem Wiederaufbauteam in der afghanischen Provinz kommandiert worden. Dort durchsuchten sie mit ihren speziell ausgebildeten Hunden Gebäude und Fahrzeuge nach eventuell gelagertem Sprengstoff und Explosivwaffen, bevor die Wiederaufbautrupps mit einer Rekonstruktion der Gebäude begannen. Im Mai dieses Jahres sollten sie an der Offensive Thunder Spring in Mohammad Agha teilnehmen. Im Rahmen der Aktionen gegen die Taliban sollten sie mit ihren Hunden Häuser durchkämmen und nach Sprengfallen suchen. Als sie jedoch den Befehl erhielten, sich auch an nächtlichen Patrouillen zu beteiligen, verweigerten sie die Ausführung. »Es gibt keinen universellen Soldaten«, erklärte Hundeführer Martin Nyvlt vor Gericht. »Wenn ich Fallschirmjäger hätte werden wollen, hätte ich mich zu dieser Einheit gemeldet. Ich bin jedoch Hundeführer und habe andere Aufgaben als die kämpfende Truppe«. Mit schweren oder auch nur Infanteriewaffen ausgerüstet Patrouille zu gehen und sich im Häuserkampf zu beweisen, sei Aufgabe der Fallschirmjäger, nicht seine, sagte er.

Als er zu einem Team der Fallschirmjäger auf Patrouille befohlen wurde, seien sie bald in einen Hinterhalt geraten und er hätte vorgehen müssen, erklärte Oberfeldwebel Nyvlt. In diesem Moment habe er jedoch gemerkt, dass dies nicht seiner Ausbildung entsprach und er habe in einer sicheren Position verharrt. Sein Vorgesetzter befahl ihm dann, zum Fahrzeugkonvoi zurückzukehren und dort das weitere Geschehen abzuwarten. Nach der Verweigerung des Oberfeldwebels Nyvlt wurde Hundeführer Petr Bosuk ins Team befohlen. Bosuk verweigerte den Befehl, an einer Straßensperre mit seinem Hund heranfahrende Autos zu kontrollieren. »Dazu bin ich nicht ausgebildet«, erklärte der Hundeführer.

Vor einer Militäruntersuchungskommission wurden beide Soldaten zunächst als unschuldig befunden. Das Gericht in Liberec ist jedoch angehalten, beide Fälle erneut zu prüfen. »Wir werden eine Menge Zeugen hören müssen«, erklärte Richter Lukas Korpas der Zeitung »Mlada fronta dnes«. Für den Fall einer Verurteilung droht den beiden Soldaten je eine fünfjährige Haftstrafe. Es wäre das erste Mal, dass innerhalb der tschechischen Isaf-Truppe Soldaten wegen Befehlsverweigerung zu Haftstrafen verurteilt würden.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 4. September 2012


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