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"Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt diesen Einsatz ab"

Friedensbewegte hoffen auf große Koalition gegen den Afghanistan-Krieg. Grüne bleiben bei ihrem "Jein". Ein Gespräch mit Peter Strutynski *


Der Einsatz deutscher Truppen in Afghanistan wird laut Umfragen von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt. Der offene Protest hielt sich aber von Anfang an in Grenzen - anders als beim Irak-Krieg Anfang 2003. Woran liegt das, und wie kann die Friedensbewegung diesen Zustand ändern?

Im Oktober 2001 gab es immerhin eine Großdemonstration gegen den Afghanistan-Krieg in Berlin, ähnlich den Protesten zu Beginn des Irak-Krieges. Aber erfahrungsgemäß kann man nicht erwarten, daß solche politischen Aktivitäten über einen Zeitraum von sechs Jahren auf demselben Niveau andauern. Viele Menschen engagieren sich in bestimmten Situationen stärker und in anderen Situationen weniger stark. Insofern ist das nicht überraschend.

Vertreter der Friedensbewegung haben nun eine Kampagne mit dem Motto »Bundeswehr raus aus Afghanistan« beschlossen. Inwiefern haben sich die Erfolgschancen gerade jetzt erhöht?

Ausgangspunkt unserer Überlegungen war, daß nicht nur die Mehrheit der Bevölkerung den Afghanistan-Einsatz ablehnt, sondern der Widerspruch auch in den Reihen der Regierungskoalition lauter wird. Das hat sich bei der Abstimmung über den Einsatz von Bundeswehr-Tornados im März deutlich gezeigt. Eine erhebliche Anzahl von Abgeordneten aus allen Fraktionen - einschließlich SPD und CDU - hat gegen diesen Einsatz gestimmt. Die Ablehnung war so groß wie bisher bei keinem anderen Militäreinsatz im Ausland. Die öffentliche Meinung schlägt sich da durchaus nieder. Nehmen wir zum Beispiel die Fraktion der Grünen, die in diesem Punkt gespalten war, oder die 69 SPD-Abgeordneten, die den Einsatz entgegen ihrer Fraktionsdisziplin abgelehnt haben. So gesehen haben wir gute Chancen, daß eine Verlängerung des Mandats nicht mehr zustande kommt. Allerdings sind wir auch nicht aufs Parlament fixiert.

Welche Aktivitäten sind im Rahmen der Kampagne geplant?

So eine Kampagne muß man mit Leben füllen, das läßt sich nicht einfach beschließen. Der Protest gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan muß stärker werden, und wir müssen die politisch Verantwortlichen stärker erreichen als bisher. Wichtig ist auch die Aufklärung der Bevölkerung durch öffentliche Aktionen wie die geplante Demonstration am 15. September und den bewußt knapp gehaltenen Unterschriftenappell an die Abgeordneten des deutschen Bundestages, das Mandat nicht mehr zu verlängern und damit einen Truppenabzug zu ermöglichen. Darüber hinaus wollen wir einen internationalen Kongreß vorbereiten, der die Folgen des Militäreinsatzes und auch seine fehlenden völkerrechtlichen Grundlagen zum Thema hat.

An den bisherigen Koordinierungstreffen haben auch parteipolitisch gebundene Menschen teilgenommen, die sich in dieser Frage engagieren wollen. Inwiefern konnten sie für größere Teile ihrer Parteien sprechen?

Die Linke war durch Mitglieder und Bundestagsabgeordnete vertreten, die für den Großteil der Partei sprechen konnten. Die Abgeordneten der Linken haben ja geschlossen gegen den Tornado-Einsatz gestimmt, und von ihnen erwarte ich auch Geschlossenheit bei den Abstimmungen im Herbst. Darüber hinaus waren auch Mitglieder der Grünen bei unseren Koordinierungstreffen, die allerdings nicht offiziell ihre Partei vertraten, sondern die Friedensinitiative innerhalb der Grünen, die sich anläßlich des Tornado-Einsatzes gegründet hat. Man kann aber nicht sagen, daß die Grünen Bestandteil der Kampagne sind - ich würde mir zwar wünschen, daß sie insgesamt zur Friedensbewegung zurückkehren, aber ich habe da so meine Zweifel. Die Mehrheit der Grünen verfolgt eine ebenso interessante wie verwirrende Taktik.

Wie würden Sie die Taktik der Grünen beschreiben?

Nach allem, was ich bisher gehört und gelesen habe, werden sie im Herbst dem ISAF-Einsatz und damit auch dem Tornado-Einsatz zustimmen, die US-geführte Mission »Enduring Freedom« aber ablehnen. Einmal dafür, einmal dagegen. Wir müssen aber betonen, daß beide Mandate ineinander verschränkt sind - was man zum Beispiel daran sieht, daß es ein gemeinsames NATO-Kommando gibt. ISAF ist ein robuster »friedenserzwingender« Einsatz in ganz Afghanistan und unterscheidet sich in den militärischen Maßnahmen durch nichts von dem Einsatz, der unter dem Namen »Enduring Freedom« läuft.

Welche im Bundestag vertretenen Parteien wurden sonst noch zu den Koordinierungstreffen eingeladen?

Weder von der SPD noch von der FDP noch von der CDU/CSU hat sich jemand bei uns blicken lassen - das kann sich aber noch ändern. Eingeladen sind sie selbstverständlich, und der Aufruf, den wir in unserer bisherigen Zusammensetzung erarbeitet haben, wird jetzt breit gestreut. Parteien wie die Grünen, die bei uns bisher nur durch Einzelpersonen ohne Mandat vertreten waren, müssen auf dieser Grundlage entscheiden, ob sie offiziell etwas mit uns zu tun haben wollen oder nicht. Die Unterstützung der Linken haben wir bereits, aber es kommt jetzt darauf an, viel breitere Kreise zu mobilisieren, und ich meine nicht in erster Linie die Parteien. Vor allen Dingen müssen wir die eigene Klientel mobilisieren; die sozialen Initiativen und die Friedensbewegung. Und da sind wir auf einem sehr guten Weg. Die Resonanz auf unseren Aufruf ist groß - sowohl bei bundesweiten als auch bei lokalen Friedensinitiativen.

Die Befürworter des Afghanistan-Einsatzes werden unter anderem mit Bündnisverpflichtungen argumentieren. Wie stehen die bisherigen Träger der Kampagne zur Forderung nach dem Ende der deutschen NATO-Mitgliedschaft?

In der Friedensbewegung kann man über alles diskutieren - aktuell geht es aber nur um einen Aufruf zu einem ganz bestimmten Zweck: um die konkrete Forderung »Bundeswehr raus aus Afghanistan«. Dieser Anlaß muß im Mittelpunkt stehen, damit wir politischen Druck ausüben können. Die Mehrheit der Bevölkerung, auf die es ankommt, lehnt diesen Einsatz schließlich aus ganz unterschiedlichen Gründen ab.

Interview: Claudia Wangerin

* Peter Strutynski ist Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag

** Vom 19. bis 22. Juli findet in Oberhof (Thüringen) unter dem Motto »Gegen den Terror des Krieges - Friede den Hütten« die erste Sommerakademie des Friedensratschlags statt, eines Zusammenschlusses zahlreicher Friedensinitiativen und Einzelpersonen. Inhaltliche Schwerpunkte werden die Kriege im Irak und in Afghanistan sowie möglicherweise bevorstehende Militärinterventionen im Iran, im Sudan und in Somalia bilden.

Aus: junge Welt, 4. Juli 2007 (Beilage)



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