Opfer gegen Oberst
Entschädigungsforderungen vier Jahre nach Bombenangriff bei Kundus vor Verhandlung. Erster Zivilprozeß um von Bundeswehroffizier ausgelöstes Massaker beginnt
Von Frank Brendle *
Rund vier Jahre nach dem Luftangriff von Kundus prüft das Landgericht Bonn Entschädigungsforderungen von Opfern – den Hinterbliebenen der dabei Getöteten und den damals Verletzten. Sie selbst werden aber am ersten – und bislang einzigen – Prozeßtag, dem heutigen Mittwoch, nicht angehört. Bis zu 142 Menschen waren am 4. September 2009 ums Leben gekommen, nachdem der deutsche Oberst Georg Klein zwei US-amerikanischen Bomberpiloten den Befehl erteilt hatte, eine Menschenansammlung rund um zwei Tanklaster anzugreifen. Die Lkw waren von Aufständischen entführt worden, dann aber im Fluß Kundus steckengeblieben. Die Bewohner umliegender Dörfer waren gekommen, um Benzin abzufüllen. Dann trafen sie die Bomben.
Es war der folgenschwerste Angriff, den ein deutscher Offizier bislang im Afghanistan-Krieg befohlen hatte. »Da sind klare Worte angebracht: Es war ein Massaker, und es war ein Kriegsverbrechen der Bundeswehr«, so Mani Stenner vom Netzwerk Friedenskooperative, das gemeinsam mit linken Gruppen am Mittwoch zu einer Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude aufruft.
Völkerrechtsjuristen wie der Berliner Anwalt Wolfgang Kaleck teilen diese Ansicht. Denn die Mehrzahl der Opfer von Kundus waren Zivilisten. Oberst Klein wußte das oder hätte es zumindest wissen können. Das ISAF-Kommando übte damals deutliche Kritik an der Bundeswehr, weil sie die eigenen Einsatzrichtlinien mißachtet hatte. Klein hatte nicht nur auf eine Aufklärung verzichtet, sondern den US-Piloten wahrheitswidrig erklärt, von der Menschenmenge gehe eine unmittelbare Gefahr aus. Mehrere Vorschläge der Piloten, zur Abschreckung zunächst einen Tiefflug durchzuführen, lehnte Klein ab. Es sollte ohne Vorwarnung bombardiert werden. Erst nach drei Monaten rückte die Bundesregierung von der Behauptung ab, die meisten Opfer seien Taliban gewesen. Der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) gab zu, der Angriff sei »militärisch nicht angemessen« gewesen. Dennoch wurde Klein im vergangenen Frühjahr zum Brigadegeneral befördert. Ein Strafverfahren gegen ihn hatte die Bundesanwaltschaft bereits im Frühjahr 2010 wieder eingestellt. Klein habe sich auf einen Informanten verlassen, der ihm die Szenerie falsch beschrieben habe, und habe nicht wissen können, daß derart viele Zivilisten vor Ort waren. Damit liege kein Verstoß gegen das Völkerstrafgesetzbuch vor. Die Einstellungsverfügung ist im einzelnen allerdings nicht nachprüfbar, weil sie als geheime Verschlußsache eingestuft ist.
Eine Niederlage für die Bundeswehr war es dagegen, daß das Landgericht Bonn im März dieses Jahres entschied, die zivilrechtliche Entschädigungsklage für zulässig zu erklären. Schuldhaftes Verhalten der Bundeswehr könne sehr wohl Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche von Afghanen begründen. Am Mittwoch beginnt die Beweisaufnahme. Konkret geht es um zwei Opfer, die vom Bremer Rechtsanwalt Karim Popal vertreten werden: Einen Bauern, der seine zwei Söhne im Alter von acht und zwölf Jahren verloren hatte, und eine Frau, deren Mann ums Leben kam und die heute nicht weiß, wie sie ihre sechs Kinder ernähren soll. Diese beiden Kläger verlangen 40000 bzw. 50000 Euro Schadenersatz. Die Bundeswehr hatte von sich aus 90 Opfern Zahlungen von je 5000 Dollar angeboten, ohne eine Rechtspflicht anzuerkennen.
Fürs erste hat das Gericht nur einen einzigen Prozeßtag angesetzt. Es will die Videoaufnahmen der US-Kampfjets sowie den Funkverkehr zwischen den Piloten und dem deutschen Fliegerleitoffizier auswerten. Ein Sprecher des Gerichts erklärte auf jW-Anfrage, erst danach werde entschieden, »ob es eines weiteren Verhandlungstages und eventuell der Fortsetzung der Beweisaufnahme bedarf«. Denn weitergehen wird der Prozeß nur, wenn das Gericht im Bombardement einen Verstoß gegen die Genfer Konvention erkennt, insbesondere gegen die Pflicht zum Schutz der Zivilbevölkerung. Ob es dazu schon vorab eine Einschätzung gibt, ließ der Gerichtssprecher offen
* Aus: junge Welt, Mittwoch, 30. Oktober 2013
Protestaktionen vor dem Bonner Landgericht anlässlich des Kundus-Prozesses:
Antikriegsgruppen fordern Entschädigung und Gerechtigkeit für die Hinterbliebenen des Kundus-Massakers
Pressemitteilung vom 30.10.2013 des Bonn-Kölner Antikriegsbündnisses
Im Verfahren vor dem Bonner Landgericht mit der
Beweisaufnahme zur Aufklärung des am 4. September 2009
vom damaligen Bundeswehroberst Klein befohlenen Bombardements
von etwa 140 Zivilisten sehen Friedens- und Antikriegsgruppen
eine große Chance.
Mit dem Prozess werde das von der Bundesregierung auferlegte
Schweigen um das Kriegsverbrechen der Bundeswehr durchbrochen und
die Fakten kämen auf den Tisch.
Mehr als 100 Menschen nahmen an der Kundgebung anlässlich des
Prozessauftaktes teil. Sie forderten Entschädigung und
Gerechtigkeit für die Hinterbliebenen des tödlichen Luftangriffes
und kritisierten vehement die frühzeitige Einstellung des
strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen den Verantwortlichen
durch die Bundeswaltschaft.
Simon Ernst von der ver.di-Jugend, der die Kundgebung angemeldet
hatte, betont:
"Mit der Kundgebung vor dem Landgericht haben wir deutlich gemacht,
dass die Bundesregierung den blutigen Krieg 'am Hindukusch' nicht
in unserem Namen führt.
Jung und alt, deutschstämmige und Migranten haben mit ihren
Transparenten und Redebeiträgen gezeigt, dass die Zeit für die
Bundeswehr in Afghanistan abgelaufen ist.
Die grausamen Videoaufnahmen des Bombardements selbst, die heute
zum ersten Mal vor den Augen Welt gezeigt wurden, sprechen eine
deutliche Sprache: Wer wissentlich hunderte Menschen bombardieren
lässt, gehört auf die Anklagebank. Wir fordern daher auch die Strafverfolgung von deutschen Kriegsverbrechern wie General Klein!"
Mit Blick auf die Fortsetzung des Kundus-Prozesses sagt
Simon Ernst: "Wir werden als Bündnis auch beraten, wie unser
Anti-Kriegs-Protest beim nächsten Verhandlungstag am 11. Dezember
aussehen wird. Mit der Kundgebung heute waren wir sehr zufrieden!"
Jetzt werde sich hoffentlich auch justitiabel herausstellen,
so Philipp Ingenleuf vom Netzwerk Friedenskooperative:
"Der Luftangriff von Kundus war ein Kriegsverbrechen.
Die Zivilisten vor Ort wurden unnötig und ohne zu erkennende
Gefahr für NATO-Soldaten bombardiert und ermordet.
Selbst das fünfmalige Nachfragen und Zweifeln des Kampfpiloten
veranlasste den damaligen Oberst Georg Klein nicht dazu,
vom Einsatz tödlicher Gewalt abzurücken.
Die Hinterbliebenen müssen entschädigt werden, die Deutsche
Regierung darf sich nicht ihrer Verantwortung entziehen."
Das Bündnis zieht eine katastrophale Bilanz des Afghanistankrieges,
in dem das Kundus-Massaker einen traurigen Höhepunkt darstelle und
wie kaum ein anderes Ereignis für das Scheitern der westlichen
Intervention stehe. Auch nach über 12 Jahren hätten sich Frauen- und Menschenrechte nicht verbessert, Krieg und Elend blieben der Alltag für die Zivilbevölkerung.
Auch die Afghanin Wahida Kabir, Komission für Frieden und
Freiheit, betonte dies in ihrem Redebeitrag:
"Krieg hat noch nie dazu geführt, dass Frauen oder Menschenrechte
wieder hergestellt werden. Krieg hat zur Folge, dass die
Schwächeren der Gesellschaft, sprich Frauen und Kinder, zu
Opfern werden. Dieses Schicksal erleiden seit 35 Jahren die
Afghanen".
Schon für den 30. November sind weitere Protestaktionen angekündigt. Es wird eine Demonstration sowie ein öffentliches Tribunal in Köln geben. Beginn des Demonstrationszuges ist um 11:30 Uhr am Friedensplatz, Köln.
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