"Dem Militär-Industrie-Komplex in die Suppe spucken"
Friedensbewegung gegen Sicherheitskonferenz in Berlin
Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag
-
Ein Hauch von "Münchner Sicherheitskonferenz" in Berlin
- NATO-Erweiterung und Erhöhung des Afghanistaneinsatzes als Themen
- Rüstungsindustrie beim "Networking" mit Militär und Politik
- Innenminister Schäuble spricht zum "islamistischen Terrorismus"
- Im Fokus: "Unbemannte Systeme"
- Begleitaktionen der Friedensbewegung
Kassel/Berlin, 8. September 2008 - Anlässlich der 5.
Handelsblatt-Konferenz zur "Sicherheitspolitik und
Verteidigungsindustrie", die am 9. und 10. September in Berlin
stattfindet, erklärten für den Bundesausschusses Friedensratschlag Peter
Strutynski und Elke Zwinge-Makamizile:
Zum fünften Mal veranstaltet die angesehene Wirtschaftszeitung
"Handelsblatt" in Berlin eine Konferenz zu aktuellen Problemen der
Sicherheitspolitik. Daran nehmen hochkarätige Vertreter (so gut wie
keine Vertreterinnen) aus deutscher und internationaler Politik und
interessierter Wirtschaft teil. Die Liste der Referenten und
Podiumsteilnehmer liest sich fast wie ein "Who is Who?" der
Rüstungslobby. Das vorliegende Programm erweckt den Eindruck, als handle
es sich bei dieser Konferenz um eine Berliner Ausgabe der "Münchner
Sicherheitskonferenz", die 2008 zum letzten Mal unter Horst Teltschik in
München stattfand und ab 2009 unter neuer Leitung vermutlich in Berlin
stattfinden wird.
Worum es auf der Konferenz im vornehmen Sofitel Berlin Schweizerhof
geht, hat Verteidigungsminister Franz Josef Jung in seinem Grußwort
dankenswerterweise klar benannt: Das "Programm (umfasst) die
unterschiedlichen Ebenen und Aspekte von Sicherheit: international und
national, EU und NATO, Homeland Security, Terrorismusbekämpfung sowie
Rüstungskooperation." Dass es sich dabei um eine ergebnisoffene
Konferenz handelt, auf der Standpunkte und Meinungen lediglich
ausgetauscht werden, sondern dass die Verbesserung der Schlagkraft der
Bundeswehr (und natürlich auch der NATO) dabei im Zentrum steht, geht
ebenfalls eindeutig aus dem Grußwort des Ministers hervor: "Erfolge in
diesen Bereichen gründen sich neben politischen Mitteln auch auf eine
hochwertige technische Ausstattung. Nur durch sie können wir
verantworten, unsere Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätze zu
schicken."
Auch im Einladungstext der Veranstalter wird die Intention der Konferenz
deutlich benannt: "Es gilt nun eine Perspektive für neue potenzielle
Mitgliedsländer (der NATO, Anm. P.S.) zu entwickeln und zeitgleich
Antworten für Konfliktregionen, speziell für Afghanistan, zu finden."
Angesichts der Gästeliste und der eingeladenen Referenten fällt es nicht
schwer, die "Antworten" auf die selbst gestellten Fragen zu erraten. Am
ersten Tage sprechen ausschließlich Politiker, die den Einsatz der
internationalen Besatzungstruppen in Afghanistan erhöhen und deren
Schlagkraft verbessern wollen. Zu den Rednern zählen:
Verteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung, der afghanische
Außenminister Dr. Rangin Dadfar-Spanta, der stellvertretender
NATO-Generalsekretär Claudio Bisogniero sowie die Verteidigungsminister
aus der Türkei (Vecdi Gönül), Pakistan (Kamran Rasool) und Kanada (Peter
MacKay).
Als einzige Frau in dieser Runde dabei: die
Verteidigungsministerin Norwegens, Anne-Grete Strøm-Erichsen. Sie hat
sich aus Sicht der deutschen Rüstungsindustrie besonders verdient
gemacht, als sie 2007 eine Vereinbarung mit Eurofighter Jagdflugzeug
GmbH abschloss, wonach die norwegische Seite sich über zwei Jahre mit
bis zu 75 Millionen EURO pro Jahr an der Rüstungskooperation beteiligt.
Weitere Rüstungsunternehmen wie Krauss-Maffei Wegmann (Kassel/München),
Rohde & Schwarz (München) oder die Lürssen Werft (Bremen) werden in den
Diskussionsrunden zu Themen wie "Die Verteidigungsindustrie --
Stellenwert, Akzeptanz und Unterstützung in Deutschland" oder
"Streitkräfte im Einsatz: Unterstützung durch Staat und Industrie"
mitmischen und sich als "zuverlässige" Partner bei der weiteren
Aufrüstung von Bundeswehr, NATO und Europäischer Union darstellen. Als
Schwerpunkt der diesjährigen Konferenz, die von einer Art Rüstungsmesse
begleitet wird, werden "Unbemannte Systeme" vorgestellt. "Unbemannte
Systeme" bilden nach Einschätzung von Fachkreisen einen enormen
"Innovationsschub" auf dem Gebiet der Militärtechnologie.
Nicht fehlen darf im Zeichen des weltweiten "Krieges gegen den Terror"
auch das Thema "Innere Sicherheit" oder auch "Homeland Security". Dass
zu diesem Thema der prominenteste Vertreter eines harten Kurses der
Militarisierung der Inneren Sicherheit sprechen wird, nämlich
Innenminister Wolfgang Schäuble, unterstreicht die eindeutige
Ausrichtung der Konferenz. Auch in diesem Panel ist die Industrie zur
Stelle, um mit ihren "Produkten" die europäischen Abschottungstendenzen
gegen unliebsame Immigration zu unterstützen. So spricht etwa ein
Vertreter des Rüstungsunternehmens Thales (eine deutsche Tochter des
französischen Rüstungsgiganten Thales) über "Maritime Sicherheit als
Eckpfeiler eines umfassenden Homeland Security Ansatzes".
Die Friedensbewegung wendet sich gegen diese Zusammenkunft von
(Militär-)Politik und Rüstungsindustrie aus denselben Gründen, wie sie
die Münchner Sicherheitskonferenz kritisiert hat: Es ist ein Treffen,
auf dem der militärisch-industrielle Komplex Gelegenheit erhält, seine
Lobbyarbeit in Berlin und Brüssel zu erhöhen. Treffend hat dies Ingo
Bormann, Dezernatsleiter "Auslandseinsätze" im Heeresführungskommando
zum Ausdruck gebracht, als er die Konferenz mit den Worten empfahl:
"Eine exzellente Mischung aus Information und Diskussion verbunden mit
ausgezeichneten Networking-Möglichkeiten."
Genau das ist der springende Punkt: Ein solches "Networking" aus
Politik, Industrie und Militär verträgt sich nicht mit einem zivilen
demokratischen Gemeinwesen. Es verträgt sich in diesem konkreten Fall
auch nicht mit dem Wunsch der Bevölkerungsmehrheit, den Afghanistankrieg
zu beenden (die Konferenz berät über dessen "Optimierung"). Und es
verträgt sich nicht mit der Entwicklung einer auf Entspannung und
Kooperation orientierten Politik gegenüber dem neu entdeckten Feindbild
Russland, wenn die Konferenz auf die Erweiterung der NATO um "neue
potenzielle Mitgliedsländer" orientiert. Nach Lage der Dinge kann damit
zur Zeit nur die unkluge und höchst gefährliche Aufnahme der Ukraine und
Georgiens gemeint sein.
Gruppen der Berliner Friedensbewegung werden die Konferenz kritisch
begleiten. Am Dienstag um 8.30 Uhr werden die Tagungsteilnehmer/innen
vor dem Sofitel Schweizerhof (Budapester Str. 25) "begrüßt". Um
15 Uhr wird es am Wittenbergplatz (Südseite/KaDeWe) eine Kundgebung mit
Dr. Seltsam geben; daran schließt sich gegen 16 Uhr ein Rundgang vom
Wittenbergplatz zum Tagungshotel und wieder zurück an. Von 19.30 bis
21.30 Uhr schließlich protestieren die FriedensaktivistInnen mit einer
Mahnwache vor dem Berliner "Wasserwerk", wo die Konferenz zu einem
"Dinner" geladen ist. (Hier wird übrigens Wolfgang Ischinger, der neue
Leiter der "Münchener Sicherheitskonferenz" ein Dinner-Speech halten.)
Ob die Friedensbewegung hierzu oder zum Mittagessen geladen wird, das
der Rüstungskonzern Thales den Teilnehmern spendiert, ist zu bezweifeln.
Die Furcht der Veranstalter dürfte doch zu groß sein, dass ihnen dabei
in die Suppe gespuckt wird.
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Elke Zwinge-Makamizile, Berlin
Peter Strutynski, Kassel (Sprecher)
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