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Warum keinen Sonderparteitag einberufen?

Der Afghanistan-Krieg und die Grünen

Ein Kommentar von Uli Cremer *

Im April 2007 hatte sich der Länderrat der Grünen in Sachen Afghanistan mit großer Mehrheit hinter den deutschen Beitrag zum ISAF-Kriegseinsatz gestellt. Dieser erfolgt seit Frühjahr bekanntlich inklusive deutscher Tornados. Dem entsprechenden Bundestagsbeschluss gab gleichfalls eine Mehrheit der grünen Bundestagsfraktion ihren Segen. 38 Kreisverbände finden das nach wie vor nicht in Ordnung und fordern die Einberufung eines Sonderparteitags - 44 Kreisverbandsbeschlüsse müssen vorliegen. Listig bietet der Bundesvorstand einen "Sonder-Länderrat" an, der in der bekannten Zusammensetzung natürlich den alten Beschluss bestätigen würde. Damit wären die Abgeordneten voll auf Parteilinie, wenn sie im Bundestag wieder der Verlängerung des ISAF-Kriegseinsatzes zustimmten. Nachdem die Afghanistan-Entscheidungen für 2007 gefallen wären, könnte der turnusmäßige Parteitag im November dann eine politisch irrelevante Nachlese betreiben. So weit, so schlecht.

Was aber wäre, käme es tatsächlich zum Sonderparteitag? Nur dort könnte es andere Mehrheiten geben. Zum einen würde der 2005 vorgenommene grüne Positionswechsel in Sachen Operation Enduring Freedom (OEF) bestätigt. Obwohl das grüne Nein dazu ein wenig nach Bauernopfer riecht, ist diese Forderung natürlich richtig und unterstützenswert. Zwar bliebe ein deutscher Ausstieg aus OEF ohne militärische Konsequenzen, denn kein Soldat und kein Gerät würden abgezogen. Andererseits hätte das politische Signal seinen Wert, weil Deutschland in einen Konflikt mit den USA geraten würde. Das könnte die Debatte in anderen NATO-Ländern anheizen und einen Domino-Effekt auslösen. Im Ergebnis würde die US-Koalition der Willigen zu einer Potemkinschen Koalition degradiert.

Beim ISAF-Einsatz gibt es drei mögliche Beschlussvarianten. Die erste würde wie gehabt den Militäreinsatz samt Tornados im Kleingedruckten befürworten und festhalten: "Uns geht es nicht um das ob einer militärischen Komponente, sondern um das wie ..."

Die zweite Variante ist vom grünen Landesverband in Nordrhein-Westfalen gerade im Juni beschlossen worden. Sie vernebelt mehr als sie klärt: ISAF-Militär im Norden ja, im Süden aber nein, auch keine Tornados. Zentral ist die Auffassung, "dass ein sofortiger Abzug der internationalen Truppen... keine Lösung darstellt". Übersetzt: Fortsetzung des ISAF-Militäreinsatzes. Zwar "nicht auf unbestimmte Dauer" - aber das will so generell auch niemand im Regierungslager. Da jedoch de facto kein Abzugsdatum genannt wird, ist die Verweildauer der Bundeswehr in Afghanistan - auch nach dieser grünen Beschlusslage - unbestimmt. Es ist nur eine scheinbare Relativierung dieser Grundposition, wenn von einem "Zeitfenster für einen Kurswechsel" die Rede ist, das "nicht ewig offen bleiben" wird. Das Zeitfenster wird ebenfalls nicht näher definiert, bleibt also unbestimmt.

Die dritte Variante würde den Abzug der ISAF-Truppen und damit auch der Bundeswehr aus Afghanistan sowie die Ausarbeitung einer Exit-Strategie verlangen. Nur diese Position ist politisch konsistent und alternativ zur Regierungsposition. Sie erkennt die Tatsache an, dass die afghanischen Aufständischen, von denen die ausländischen Truppen bekämpft werden, nicht zwischen den verschiedenen Einsätzen unterscheiden - sie berücksichtigt, dass die Militär-Geschwister OEF und ISAF eng verwoben sind, sie macht Schluss mit der Legende, es gäbe zwei ISAF-Einsätze, einen guten (deutschen) im Norden und einen schlechten (angelsächsischen) im Süden. Denn in der Realität ist der ISAF-Einsatz ein gesamtafghanischer, der gemeinsam von der NATO beschlossen ist und einem gemeinsamen Oberbefehl unterliegt. Nicht zuletzt würde die dritte Position davon ausgehen, dass der Tornado-Einsatz integraler Bestandteil von ISAF sei und nicht etwa nur wegen der Zuarbeit für Enduring Freedom abzulehnen wäre.

Nur der Kurs auf einen klaren Exit-Beschluss verliehe einem grünen Sonderparteitag am 15. September einen Sinn. Sonst ist es besser, an diesem Tag mit der Friedensbewegung in Berlin für eben diese Forderungen zu demonstrieren.

Vielleicht sorgt die Bundesregierung im Herbst für mehr Klarheit bei den Grünen, indem sie die Tornado-Verlängerung in den allgemeinen ISAF-Beschluss integriert. Dann ist der grünen Rosinenpickerei ein Ende gesetzt: Entweder stimmt man dann für den Kriegseinsatz und übernimmt die Mitverantwortung für alle unschönen Aspekte des Krieges. Oder es gibt eine friedenspolitische Kehrtwende und die grünen Parlamentarier verlangen den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan.

* Uli Cremer, Hamburg, Grüne Friedensinitiative

Aus: Freitag 26, 29. Juni 2007



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