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Mandatsverlängerung bis 2005 für Afghanistan mit breiter Mehrheit zugestimmt

Militäreinsatz mit Routine beschlossen - Auszüge aus einer leidenschaftslosen Parlamentsdebatte

Unter Punkt 5a der Tagesordnung diskutierte der Bundestag am 30. September über die Fortsetzung des Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan. Dass dabei am Ende die Regierungsvorlage mit großer Mehrheit verabschiedet werden würde, galt als sicher, zumal die CDU/CSU im Vorfeld Zustimmung signalisierte. So kam es auch:
Für die Erneuerung des Mandats stimmten 509 von 560 Abgeordneten, dagegen 48. Drei enthielten sich.

Der Auswärtige Ausschuss und der Verteidigungsausschuss hatten am bereits einen Tag zuvor der weiteren deutschen Beteiligung an der NATO-geführten internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan bis zum 13. Oktober 2005 mit klarer Mehrheit zugestimmt. Dafür sprachen sich in beiden Ausschüssen SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen aus. Dagegen stimmte die FDP. Die überwältigende Mehrheit teilte die Begründung der Bundesregierung, durch das Engagement der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan sei es innerhalb von drei Jahren gelungen, die Weichen in Richtung Stabilisierung und Aufbau eines neuen, demokratischen Staatswesens zu stellen. Die Voraussetzungen seien geschaffen worden, dass das Land nicht erneut zu einem sichereren Hafen für internationale Terroristen werde. Ein großer Erfolg sei die Annahme einer neuen afghanischen Verfassung gewesen.

In einem Antrag "Für ein konsequentes Engagement in Afghanistan" (15/3801) teilt die CDU/CSU die Meinung der Bundesregierung: Sie halte es für erforderlich, das Mandat zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz in Afghanistan zu verlängern. Der Einsatz der Bundeswehr sei ein "unverzichtbarer Beitrag" im Kampf gegen den internationalen Terrorismus und zur Stabilisierung des Landes. Der Bundestag nehme weiterhin das Urteil der politischen und militärischen Führung der Bundeswehr zur Kenntnis, dass der Einsatz der deutschen Soldaten in Afghanistan, insbesondere der Einsatz der Regionalen Wiederaufbauteams in Kunduz und Feyzabad auch unter den schwieriger werdenden Bedingungen voll zu verantworten sei. Der Antrag wurde im Plenum des Bundestags abglehnt. Abgelehnt wurde auch ein Antrag (15/3712) der FDP. Die Liberalen hatten von der Bundesregierung gefordert, eine Trennung zwischen der Mission in Kabul und Umgebung einerseits und in Kunduz und Feyzabad andererseits vorzunehmen, da ein unterschiedliches Votum möglich sei. Die Liberalen forderten die Regierung weiter auf, zukünftig alles zu unterlassen, was die Möglichkeit einer Rechtsunsicherheit bei einem Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte beinhalten könnte, wie bei der Einsatzbildung in Faisabad geschehen. Sie begründen ihren Antrag damit, dass die Regierung ohne die erneute Befassung des Bundestages ein zweites so genanntes Provisional Reconstruction Team (PRT) in Faisabad eingerichtet habe. Dieses habe am 1. September offiziell seine Arbeit aufgenommen. Es bestünden erhebliche Zweifel, so die Liberalen, ob die Einrichtung eines PRT in Faisabad ebenfalls durch das vom Bundestag im Oktober 2003 erteilte Mandat abgedeckt sei.

Die Friedensbewegung reagierte mit harscher Kritik auf den Beschluss. Hier geht es zu zwei Erklärungen: "Fiasko nicht ausgeschlossen".

Im Folgenden dokumentieren wir Ausschnitte aus der Bundestagsdebatte. Und zwar in der Reihenfolge der Beiträge: Zwischenrufe und Beifallskundgebungen während der Reden haben wir nicht dokumentiert.


Dr. Peter Struck, Bundesminister der Verteidigung:

(...) Ich möchte das Parlament zunächst über den Anschlag informieren, dem unsere Soldaten im Wiederaufbauteam in Kunduz gestern Abend ausgesetzt waren. Bei diesem Anschlag wurden fünf Soldaten verletzt: drei deutsche und zwei Schweizer. Ein deutscher Oberfeldwebel erlitt schwere Verletzungen. Er ist noch in Kunduz operiert und heute über Termes nach Deutschland ausgeflogen worden und ist auf dem Weg zu uns. Sein Zustand ist stabil. Wir haben natürlich die Angehörigen der betroffenen Soldaten sowie die Militärattachés der anderen Nationen, die in Kunduz zusammen mit uns eingesetzt sind, verständigt.

Diesem Raketeneinschlag, aus dem diese Verletzungen resultierten, ging um 18.13 Uhr deutscher Zeit etwa 500 Meter nordwestlich unseres PRTs eine Explosion voraus. Es hat sich eine dritte Rakete gefunden, die abgeschossen wurde, die allerdings nicht explodiert ist und von uns entschärft worden ist.

Meine Damen und Herren, das bestätigt die Einschätzung, zu der wir in den zuständigen Ausschüssen insgesamt gekommen sind, dass im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen in Afghanistan, die am 9. Oktober dieses Jahres stattfinden, diejenigen, die gegen eine demokratische Entwicklung in Afghanistan sind, massiv gegen diejenigen vorgehen werden, die diese demokratische Entwicklung mittragen und stützen.

(...) Ich weiß - ich wende mich jetzt direkt an die Kolleginnen und Kollegen der FDP-Fraktion -, dass Sie das Mandat in Kabul zwar für richtig halten - wir sind in Kabul mit insgesamt 8 000 Soldatinnen und Soldaten aus 36 Staaten; davon stellt die Bundeswehr rund 2 000 -, dass Sie aber Probleme mit den Wiederaufbauteams in Kunduz und Faizabad haben. Ich bin dem Kollegen Leibrecht dankbar, der mich am Wochenende begleitet hat, um zu sehen, wie es in Faizabad und Kunduz aussieht, und möchte Sie alle herzlich bitten, auch die Fraktions- und Parteivorsitzenden, wenn es die Zeit erlaubt, unsere Soldaten dort zu besuchen. Für mich besteht kein Zweifel daran, dass es richtig ist, in Kunduz und Faizabad vertreten zu sein.

In beiden PRTs gibt es Multinationalität: in Kunduz aus Frankreich, Belgien, Ungarn, der Schweiz und Großbritannien. Die Niederlande waren dort vertreten und gehen jetzt aufgrund der Erfahrungen, die sie mit unserem Wiederaufbauteam gemacht haben, in ein eigenes Team in der Provinz Baghlan. Es gibt auch Multinationalität in Faizabad. Anfang nächsten Jahres werden jeweils 40 Soldaten sowohl aus Tschechien als auch aus Dänemark hinzukommen. Kroatien hat eine Beteiligung im zivilen Bereich angekündigt.

Ich möchte noch einmal betonen, dass wir die heute im Bundestag zu treffende Entscheidung über den Afghanistaneinsatz nicht als Routine ansehen sollten. Die gestrigen Erfahrungen zeigen, dass mit der Entscheidung, die wir jetzt treffen wollen, auch die Entscheidung über das Leben von deutschen Soldatinnen und Soldaten verbunden ist. Es ist kein Routineeinsatz, über den das Parlament zu entscheiden hat, sondern ein Einsatz, bei dem Soldaten gefährdet sind.

Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit gegen Anschläge, wie wir sie gestern erlebt haben; das sage ich als Verteidigungsminister. Wie soll man verhindern, dass von den Bergen in einigen tausend Metern Entfernung aus geschossen wird? Unsere Soldaten wissen das. Sie sind sich der Gefahrensituation in Afghanistan bewusst. (...)

Deutschland hat eine große Verantwortung für Afghanistan. In Deutschland wurden drei Konferenzen dazu durchgeführt. Es ist nun möglich, dass am 9. Oktober ein Präsident gewählt werden kann, und zwar auch von Frauen. Der Anteil der Frauen an den registrierten Wählern in Afghanistan beträgt 48 Prozent. Das ist ein großer Erfolg, den man nicht klein reden darf.

Ich bin froh und stolz darauf, dass die Bundeswehr zu diesem Erfolg wesentlich beigetragen hat. Ich denke, dass wir dieses Mandat verlängern sollten. Wir sollten die Aufgaben, die uns dort bevorstehen, ernst nehmen. Ich versichere, dass wir, wenn es nötig ist, bei der Ausstattung und Ausrüstung der dort eingesetzten Soldaten - Gleiches gilt für die Soldaten auf dem Balkan - Verbesserungen durchzuführen, dies selbstverständlich tun werden. Die Soldaten haben einen Anspruch darauf, das zu bekommen, was sie brauchen, um ihren Auftrag zu erfüllen. Dafür stehe ich als Verteidigungsminister und so wird es immer bleiben. (...)

Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU):

(...) Wer wollte bestreiten, dass es in unserem Land immer wieder Zweifel am Sinn des Engagements so fern der Heimat gibt? Wenn wir heute im Bundestag über die Verlängerung des Mandates entscheiden, dann müssen wir uns sehr ernsthaft die Frage nach dem Sinn stellen und beantworten. Ferner müssen wir die Frage beantworten, ob wir für die Sicherheit unserer Soldaten dort das Größtmögliche tun.

Unsere Soldaten sind in Afghanistan zum Schutz der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Bürger. Am 1. September 2004 erklärte der Chef des Bundesnachrichtendienstes, Hanning, dass die Terrorgefahr durch al-Qaida größer denn je sei; auch Einrichtungen in Deutschland seien gefährdet. Der EU-Koordinator für Antiterrormaßnahmen, de Vries, ließ am 23. Juni 2004 wissen, dass alle Länder in Europa, auch Deutschland, im Fadenkreuz der al-Qaida-Terrorkommandos stünden. Am Vortag bereits hatte der Generaldirektor der Internationalen Atomenergieorganisation, al-Baradei, erklärt, dass die Gefahr des Einsatzes einer "schmutzigen" Atombombe bei einem der nächsten Terrorakte größer sei als je zuvor.

Wir wissen, dass Afghanistan bis 2001 der Ausgangspunkt des islamistischen Terrors gewesen ist. In den Lagern im Land sind 20 000 Terroristen ausgebildet und in die Welt geschickt worden. Den Nah- und Fernkampf, den Umgang mit Sprengsätzen, militärische Strategien, den Umgang mit den Medien und dem Internet haben sie dort gelernt. Der tägliche Terror in der Welt, den wir heute erleben, hat seinen Ausgangspunkt in der Verbindung des totalitären Gottesstaates der Taliban mit al-Qaida. Würde sich die Staatengemeinschaft jetzt zurückziehen, so würden morgen die Taliban wiederkommen; so würden dort morgen neue Terrorcamps entstehen. Unsere Soldaten sind eben nicht aus einem idealistischen Gutmenschentum in Afghanistan; vielmehr sind sie dort in erster Linie für unsere Sicherheit. Wir sorgen für Sicherheit, damit die Terroristen und die Taliban nicht wieder zurückkommen können. Wir haben schon genügend Gefährder und Schläfer bei uns in Europa und wir wollen nicht, dass weitere ausgebildet werden und zu uns kommen.

(...) Wenn wir als CDU/CSU heute der Verlängerung des Mandats zustimmen, dann tun wir das nicht, weil wir mit allem einverstanden wären oder weil wir der Meinung wären, dass es dort keine Fehlentwicklungen gegeben hätte. Wir tun es, weil wir etwas für die Sicherheit unserer Bürger tun wollen. Aber die Fehlentwicklungen müssen wir hier auch benennen und es ist unsere Verantwortung als Opposition, darauf aufmerksam zu machen.

Eine der Fehlentwicklungen betrifft die Drogenthematik. Wir haben im Jahr 2003 eine Rekordernte von 3 600 Tonnen Rohopium gehabt; in diesem Jahr werden es wahrscheinlich 4 600 Tonnen sein, das wäre eine neue Rekordernte. Drogen aus Afghanistan überschwemmen den Markt in Europa. Politiker, Warlords, Personen, die jedenfalls indirekt durch die ISAF, durch unser Engagement, mit stabilisiert werden, verdienen daran. Das darf nicht so bleiben. Spätestens für die Zeit nach den Präsidentenwahlen brauchen wir ein glaubwürdiges Konzept. Herr Bundesminister, glauben Sie uns, wir werden das im nächsten Jahr ganz genau beobachten. Unsere Bürger haben ein Recht auf Sicherheit vor dem Terror aus Afghanistan; aber sie haben auch ein Recht darauf, dass nicht Drogen aus Afghanistan Tod für unsere Kinder bringen. Beides gehört zusammen und beides werden wir einfordern, wenn wir in einem Jahr zusammenkommen und über eine mögliche weitere Verlängerung sprechen werden.

Wir müssen uns ebenfalls fragen: Wie ist es mit der Sicherheit der Soldaten in Faizabad? Diese Frage haben wir, mein Kollege Christian Schmidt und ich, thematisiert, unmittelbar nachdem wir aus der Presse erfahren haben, dass Sie das Engagement der Bundeswehr nach Faizabad ausdehnen wollen.

Wir werden jetzt also mit etwa 100 Soldaten nach Faizabad gehen, einem Ort, zu dem man auf der Straße von Kunduz 14 Stunden braucht. Wir alle wissen, dass man nur unter Sichtbedingungen in Faizabad landen kann. Wie sieht es mit der Sicherheit im Winter aus, wenn die Straßen nicht mehr zugänglich sind? Ist das Lager mitten im Ort überhaupt gegen mögliche Terroristen zu schützen? Die Teilnehmer an der Reise mit dem Bundesminister, mit denen ich gesprochen habe, berichteten, dass auf den Straßen von Faizabad keine große Freundlichkeit geherrscht habe. Dort wird nicht gelächelt und gewunken, wie wir es aus Kabul gewohnt sind.

Die "Financial Times Deutschland" vom 17. September berichtete von einem Brief des Bürgermeisters und der Ältesten von Faizabad an den Gouverneur mit dem Ratschlag, die Bundeswehr solle ihr Lager lieber außerhalb der Stadt aufschlagen, damit die Soldaten nicht mit Frauen in Kontakt kämen. Man wünsche, dass keine Organisation, in der Bewaffnete arbeiteten, in der Stadt ihr Lager habe. Am Tag der Demonstration, am 17. September, haben wir doch erlebt, wie schnell sich dort eine explosive Stimmung aufbauen kann. Sind unsere Soldaten dort sicher? Wie sicher sind sie?

(...) wir werden alles tun, was für die Sicherheit der Soldaten notwendig ist. Schieben Sie aber bitte die Verantwortung nicht auf den Deutschen Bundestag! Sie tragen sie.

(...) Wenn der Bundesminister und der stellvertretende Generalinspekteur uns gestern im Ausschuss auf die wiederholte Nachfrage erklärt haben, wir könnten dieses Engagement militärisch verantworten, wenn auch der stellvertretende Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Ostermeier, mit dem ich heute Morgen noch einmal vor dem Hintergrund der Anschläge in Kunduz gesprochen habe, klar sagt, er glaube, dass unsere Leute dort gut ausgebildet seien, sodass man deren Einsatz verantworten könne, dann fällt es dem Deutschen Bundestag schwer, aus der Ferne zu einer anderen Analyse zu kommen.

Deswegen sagen wir ganz klar und deutlich: Das Engagement der Bundeswehr in Afghanistan ist richtig und notwendig, weil wir unser Land vor den Taliban und den Terroristen schützen wollen. Aber wir hoffen, dass die Fragen, die hinsichtlich der Sicherheit unserer Leute und hinsichtlich der Drogenproblematik aufgeworfen worden sind, gut beantwortet werden. Wir wünschen Ihnen, Herr Bundesminister, eine glückliche Hand. (...)

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

(...) Vor einem Jahr billigte der Bundestag das Vorhaben der Bundesregierung, in Nordostafghanistan, in der Großregion Kunduz, ein Wiederaufbauteam einzurichten. Dieses Konzept der Wiederaufbauteams war unverzichtbar, um eine Stabilisierung und Wahlen im ganzen Land überhaupt erst zu ermöglichen. Es war ein Pilotprojekt von ISAF und NATO und hat sich - das kann man jetzt ohne jede Übertreibung feststellen - als der richtige Weg bewährt. Inzwischen ist dieses Netz erheblich ausgeweitet worden. Die ganze Nordregion ist von diesem Netz erfasst. Letzte Lücke war die Region Faizabad.

Herr Pflüger, Sie haben eben zu Recht einige Fragen aufgeworfen; wir waren vor Ort und haben Auge in Auge mit den Offizieren gesprochen, ohne dass die Presse dabei war.

Es ist richtig, dass dies aus der Ferne fragwürdig erscheint. Aber wir haben uns vor Ort über die Stärke anderer Wiederaufbauteams, über die Verstärkungs- und Unterstützungsmöglichkeiten, über die nahe liegenden Evakuierungsmöglichkeiten sowie über die Bewertung von NATO und ISAF informiert. Die gewonnenen Erkenntnisse führten bei uns zu dem Schluss, dass dieser Einsatz verantwortbar ist.

Die Wiederaufbauteams sollen der Zentralregierung bei der Entwaffnung und beim Wiederaufbau der Polizei Rückendeckung geben. Sie sollen nicht, wie es in der Diskussion immer wieder durcheinander geworfen wird, direkten Schutz für Entwicklungshelfer und humanitäre Helfer bringen. Ihre Aufgaben sind viel breiter. Sie sollen Helfern Zuflucht bieten, aber natürlich keine Eskorte sein; das ist Unsinn. Deswegen geht viel Kritik völlig an der Sache vorbei.

Wir haben Kunduz im Januar und jetzt wieder besucht. So konnten wir feststellen, was sich augenfällig getan hat: Erstens hat sich die Bautätigkeit entwickelt, und zwar auch in Faizabad; man sieht schon jetzt nach den ersten Wochen, dass sich einiges tut. Zweitens spielt die Zentralregierung inzwischen eine viel ausgeprägtere Rolle. Diese Aufzählung ließe sich fortsetzen.

Herr Gerhardt, Sie sprachen von einer Nadel im Heuhaufen. Wenn man bei diesem Beispiel bleibt, dann handelt es sich eher um eine Nadel im Wollknäuel, mit dem sich einiges anstellen lässt.

Richtig bleibt der Kurs der internationalen Gemeinschaft, die schwachen afghanischen Staatsorgane zu unterstützen und ihre Fähigkeiten zu verbessern. Dazu bedarf es Klugheit, Geduld und Entschiedenheit. Dafür ist in der Tat ein stärkeres internationales Engagement dringend nötig. Wir können allerdings auch feststellen, dass die Bundesrepublik Deutschland hierbei vorbildlich ist. (...)

Dr. Werner Hoyer (FDP):

(...) Schon vor einem Jahr haben wir gesagt, dass wir die Ausweitung des Mandats auf Kunduz ablehnen, zu dem Einsatz in Kabul aber Ja sagen. Deswegen haben wir beantragt, dass hierüber getrennt abgestimmt wird. Das hat die Bundesregierung nicht ermöglicht. Das bedauern wir. Aus diesem Grunde haben wir unsere unterschiedliche Meinung zu den beiden Einsatzorten heute in einer Protokollerklärung deutlich gemacht.

In der Logik unseres Verhaltens liegt weder ein Abzug aus Kabul noch - das erst recht nicht - ein Im-Stich-Lassen der Menschen in Afghanistan.

Die Stabilisierung der Zentralregierung in Kabul ist nach wie vor dringend erforderlich. Die Ausweitung der Macht der Zentralgewalt auf die Provinzen und die militärische Absicherung des Wiederaufbaus setzen ein flächendeckendes Netz regionaler Wiederaufbauteams voraus, dessen Schaffung uns die Bundesregierung seit 18 Monaten immer wieder vorgaukelt.

Geradezu gebetsmühlenartig haben der Verteidigungs- und der Außenminister in den betreffenden Ausschüssen vorgetragen, dass in Zukunft noch einige andere Staaten ihre eigenen PRTs nach Afghanistan senden werden. Aber nichts ist geschehen. Der von mir wirklich sehr geschätzte NATO-Generalsekretär hat seine Reise durch die NATO-Hauptstädte geradezu wie ein Bittsteller angetreten und darum gebeten, dass weitere PRTs gestellt werden. Aber nichts ist geschehen. Deswegen ist der Versuch, ein solches Netzwerk herzustellen, in einem Flop geendet. Zwar war bereits die auf dem Istanbuler NATO-Gipfel getroffene Entscheidung, 10 000 Soldaten zur Verfügung zu stellen, für mich nicht ausreichend. Aber selbst diese Zahl ist bei weitem nicht erreicht worden.

Das ist eine schwere Niederlage für die deutsche Außenpolitik und eine große Blamage für die NATO. Der Außenminister macht sich ja immer auf gönnerhafte Weise Sorgen um die vermeintlich bedrohte, gute alte Tradition liberaler Außenpolitik. Als wir diese Politik allerdings betrieben haben, Herr Fischer, waren Sie davon nicht sehr begeistert; ebenso war auch Ihre Haltung zur Bundeswehr damals noch eine völlig andere.

(...) Warum sagen uns denn die Kolleginnen und Kollegen aus den Auswärtigen Ausschüssen anderer NATO- und EU-Länder, dass sie nicht im Traum daran denken, sich mit einem PRT zu beteiligen? Das tun sie, weil sie vom Konzept nicht überzeugt sind und weil sie die Risiken sehr hoch einschätzen.

Unsere heutige Entscheidung wäre eine andere, wenn die Bundesregierung glaubhaft hätte darstellen können, dass sie die Partner in EU und NATO auf ein gemeinsames PRT-Konzept einschwören kann.

(...) Machen wir uns nichts vor: Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ist ein langfristiger Einsatz. Wir reden dabei über sehr viele Jahre. Das sollte die Bundesregierung den Bürgerinnen und Bürgern klar sagen. Wenn man das tut, braucht man ein umfassendes und überzeugendes Konzept. Hierfür fehlen drei essenzielle Elemente: Erstens fehlen das internationale und insbesondere das westliche Einvernehmen über das Engagement einer sehr viel größeren Anzahl von Partnern bei den PRTs in einer wirklichen Netzwerkstruktur.

Zweitens fehlt das abgestimmte Zusammenwirken der Bundeswehr mit den zivilen Hilfsorganisationen.

Drittens fehlt eine überzeugende Vorstellung der internationalen Partner und der afghanischen Autoritäten davon, wie man mit dem Drogenthema umgehen will.

(...) Das deutsche PRT ist neben dem britischen PRT, das von der Terrorbekämfungsmission Enduring Freedom nun umfirmiert wurde, und demnächst dem niederländischen sowie anderen PRTs, die zur OEF gehören, ziemlich alleine. Die Nichtregierungsorganisationen haben nach wie vor ein sehr ambivalentes Verhältnis zur Präsenz der Bundeswehr. Für einige von ihnen sind die Soldaten nützliche Idioten, wenn es gefährlich wird. Für andere gilt, dass man sie lieber auf Distanz hält oder dass man, wie die Gesellschaft für bedrohte Völker das in einer Erklärung gestern getan hat, den Einsatz ausdrücklich als kontraproduktiv ablehnt.

Schließlich versteckt sich die Bundesregierung bei der Drogenbekämpfung hinter den britischen Partnern, deren Auftrag es ja ist, sich um die Drogenbekämpfung zu kümmern. Diese werden aber weniger und nicht stärker aktiv in dieser Frage und scheinen ihr Konzept noch einmal grundsätzlich überdenken zu müssen. Eine ernsthafte Drogenbekämpfung setzt die ernsthafte Auseinandersetzung mit den Drogenbaronen und den regionalen Machthabern voraus. Das sind die eigentlichen Machthaber dieses Landes und sie werden es vermutlich auch noch sein, wenn sie demnächst eine parlamentarische Basis haben. Was glauben Sie eigentlich, wer nächstes Jahr in das Parlament gewählt wird? Die Bilder von patrouillierenden Bundeswehrsoldaten vor blühenden Mohnfeldern, von denen 80 Prozent des in der Welt produzierten und in Köln, Frankfurt und Rostock verkauften Heroins kommen, werden die Glaubwürdigkeit jeder nationalen Drogenbekämpfungsstrategie auf Null bringen.

Zum Schluss ein Wort zur Bundeswehr. Die FDP lässt sich bei ihrer Unterstützung unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz von niemandem übertreffen. Dies gilt aber auch für unsere Sorge und Fürsorge, wenn wir, das Parlament, sie in einen gefährlichen Einsatz schicken. Dann tragen wir nämlich die Verantwortung dafür. Deshalb ist für die FDP glasklar: Vor der Erteilung des Mandats müssen wir uns, wie das heute hier geschieht, streiten. Wenn das Parlament entschieden hat, werden wir uns alle geschlossen hinter die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr stellen. (...)

Wir erkennen die Leistungen der Bundeswehr auch in Faizabad und in Kunduz an, Herr Bundesverteidigungsminister. Es gibt sehr viele Orte auf dieser Welt, an denen die Bundeswehr segensreich tätig werden könnte. Dort ist sie jedoch nicht. (...)

Deswegen müssen wir unseren Dank für das engagierte Handeln unserer Soldatinnen und Soldaten in Kunduz, in Faizabad und in Kabul mit einer Kritik an der Politik der Bundesregierung verbinden, die die Soldaten in einen Einsatz schickt, den wir nicht für richtig halten.

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen:

(...) Afghanistan steht wenige Tage vor den ersten freien Präsidentschaftswahlen am 9. Oktober 2004. Das klingt fast wie eine Selbstverständlichkeit. Diejenigen, die die Geschichte dieses Landes in den vergangenen drei Jahren kennen, wissen allerdings, welche enormen Leistungen das bedeutet. Diese Wahlen gründen auf einer Verfassung, die sich das afghanische Volk - die Vertreter aller Glaubensrichtungen, Stämme und ethnischen Gruppen - gegeben hat. Das ist eine zweite fast nicht für möglich gehaltene Realität. Das geschieht jetzt im ganzen Land.

Im Süden und im Südosten gibt es nach wie vor sehr große Probleme in den paschtunischen Gebieten. Aber, meine Damen und Herren von der FDP, niemand würde Herrn Karzai heute noch als Bürgermeister von Kabul bezeichnen. Auch das ist ein gewaltiger Fortschritt.

Vor drei Jahren wurde der Petersberg-Prozess auf den Weg gebracht. Sie sprechen immer von dem "Konzept". Ich kann nur sagen: Lest das "Konzept" doch nach!

Das Petersberg-Konzept, das damals unter der Leitung von Lakhdar Brahimi, dem Sondergesandten der Vereinten Nationen, mit den Vertretern der afghanischen Demokratie beschlossen wurde, unterstützt von der internationalen Staatengemeinschaft, wurde Stufe für Stufe auch dank der Sicherheitsfunktion umgesetzt, die unsere und verbündete Soldaten dabei geleistet haben, und zwar mit hohem Risiko und leider auch mit Opfern.

Die Umsetzung dieses Konzeptes kommt jetzt mit den Wahlen in eine entscheidende Phase. Der erste Schritt sind die Präsidentschaftswahlen. Der zweite Schritt - auch dieser ist alles andere als einfach zu erreichen; ich bin aber sicher, dass er wie alle anderen Schritte umgesetzt wird - sind die Parlamentswahlen. Genau das ist der Inhalt des Petersberg-Konzepts. Wir haben die Berlin-Konferenz einberufen, weil klar ist, dass mit den Wahlen der Wiederaufbau und die Stabilisierung noch nicht abgeschlossen sind.

(...) Es ist doch nicht so, dass in Kabul keine Warlords oder Dorgenbarone tätig wären, die für die Zustände verantwortlich sind, die wir Schritt für Schritt überwinden wollen, nämlich die Parzellierung des Landes und die Privatarmeen. All das gilt für Kabul ganz genauso. Sie können doch nicht bestreiten - ein Besuch in Kunduz macht das sofort und unmittelbar klar, das ist aber auch in Masar-i-Scharif und anderen Städten der Fall; lassen Sie sich das vom Bundesaußenminister mit drei Beamten in Herat mitteilen -, dass es wichtig ist, dort ein kleines amerikanisches PRT vor Ort zu haben. Wenn unsere Diplomaten verschiedene Male in Schwierigkeiten waren, so konnten sie sich letztendlich auf die vorzügliche Zusammenarbeit mit unseren amerikanischen Bündnispartnern verlassen. Es ist einfach nicht richtig, wenn Sie behaupten, dass die PRTs nichts bringen würden, sondern sie haben ganz entscheidend dazu beigetragen, dass Karzai heute eben nicht mehr nur Bürgermeister von Kabul ist, sondern sein Einfluss weit darüber hinausgeht.

Sie müssen doch die Entwicklungen in Herat und anderen Städten zur Kenntnis nehmen.

(...) Es ist ganz entscheidend, dass wir diesen Prozess jetzt voranbringen. Wir werden über den Abschluss des Petersberg-Prozesses hinaus nach den Wahlen präsent bleiben müssen. Auf die Drogenproblematik gehe ich gerne noch einmal ein. Kollege Pflüger, mit Blick auf die Debatte von vor einem Jahr warne ich vor Illusionen, muss aber gleich zu Beginn nochmals den Vorwurf zurückweisen, dass unsere britischen Freunde nicht aktiv und engagiert tätig wären. Klar ist auch: Wir können Fehler, wie sie etwa in Lateinamerika im so genannten Krieg gegen die Drogen gemacht wurden, nicht einfach blind wiederholen. Es ist ja nicht so, dass dies eine Erfolgsstrategie wäre.

Wir müssen - dieses Konzept steht dahinter - mit dem Polizeiaufbau weiterkommen. Der Polizeiaufbau - das ist ein weiteres Element der Provincial Reconstruction Teams - muss auch in den Provinzen verstärkt werden. Gerade in den Provinzen kommt es entscheidend darauf an, nicht nur den Aufbau der Polizei voranzutreiben, sondern auch die notwendigen Qualifikationen zu vermitteln. Hier wird eine enge Kooperation zwischen uns und Großbritannien von großer Bedeutung sein. Wir sind für den Polizeiaufbau zuständig und die Briten für die Drogenbekämpfung. Das muss in der Qualifizierung afghanischer Polizisten zusammengeführt werden, die aus vielerlei Gründen die Hauptarbeit bei der Drogenbekämpfung zu leisten haben.

Ein zweites Element sind die ökonomischen Alternativen. Machen wir uns doch nichts vor: Viele Familien sind vom Anbau von Schlafmohn finanziell abhängig. Sie werden daran festhalten, wenn die Alternative schlicht und einfach darin besteht, ansonsten kein Auskommen mehr für die Familie und damit keine Perspektive zu haben. Diese Erfahrung wird nicht nur in Afghanistan gemacht. Deswegen sind ökonomische Alternativen wie die Entwicklung einer legalen Ökonomie und einer Lebensperspektive für diese Menschen von entscheidender Bedeutung. Dies ist das zweite Element.

Das dritte Element ist das Ausgreifen der Zentralgewalt. Selbstverständlich bedarf es auch hier einer entsprechenden Transparenz und Kontrolle durch die internationale Staatengemeinschaft. Das vierte Element ist die internationale Kooperation der Anrainerländer und der Länder, durch die der Drogenhandel tatsächlich geführt wird.

(...) Wenn man diese vier Elemente zusammen betrachtet, meine Damen und Herren, wird doch klar, dass gerade die Soldaten der Bundeswehr in diesem gefahrvollen Einsatz herausragende Leistungen erbracht haben. Ich möchte aber auch die Entwicklungshelferinnen und -helfer und unsere Diplomaten hier nicht vergessen, die ebenfalls eine gefährliche und unverzichtbare Arbeit geleistet haben und in Zukunft leisten werden.

In der jetzigen entscheidenden Phase der Umsetzung dieses Konzeptes und bei allen Schwierigkeiten geht es mir, wenn ich auf Afghanistan schaue, jedes Mal so: Blicke ich voraus, sehe ich, so könnte man fast sagen, ein Gebirge von Problemen, das fast nicht zu überwinden zu sein scheint. Blicke ich jedoch zurück auf die erste Petersberg-Konferenz, sehe ich beeindruckende Fortschritte. Die Kürze der Zeit lässt es nicht zu, alle erfolgreichen Projekte aufzuzählen. Ich nenne als Beispiele nur die Schulprojekte und die Reintegration von Frauen und Mädchen.

Alle diese Erfolge waren nur möglich, weil wir uns engagiert haben. Wir kommen nun in die entscheidende Phase, die gefahrvoll sein wird, weil der Terrorismus genau jetzt versuchen wird, eine demokratische Legitimation zu verhindern. Aber wir müssen dennoch eines feststellen: Die Tatsache, dass sich über 10 Millionen Afghaninnen und Afghanen haben registrieren lassen, ist ein beeindruckendes Votum für die demokratische Erneuerung dieses Landes. (...)

Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU):

(...) Über welche Verantwortung reden wir hier? Wir reden als Abgeordnete des Deutschen Bundestages über die Verantwortung, die unsere Verfassung uns gibt. Wir reden über die Verantwortung, ob wir dem Parlamentsheer Bundeswehr für einen Einsatz, der nicht vom Parlament - dazu sind wir nicht in der Lage und das wollen wir auch gar nicht sein -, sondern von der Regierung ausgearbeitet und konzipiert wird, ein politisches Ja geben oder ob wir die politische Grundlinie infrage stellen.

Zur politischen Grundlinie ist hier bereits einiges gesagt worden. Der Kollege Pflüger hat ausführlich auf den Grund für den Einsatz in Afghanistan hingewiesen: Wir wollen vermeiden, dass der Terror in unser Land kommt, und ihn deshalb dort bekämpfen. Über diese politische Grundlinie haben wir heute mit zu entscheiden. Gerade für jemanden, der in der Verteidigungspolitik engagiert ist, liegt es nahe zu sagen: Wir müssten über mehr reden. Einige Kollegen, so auch der Kollege Hoyer von der FDP, haben diese Fragen nach dem Einsatz selbst schon angesprochen.

Nun kann ich mir auch vorstellen, dass man Fragen zum konkreten Einsatz stellen kann. Natürlich sind Faizabad betreffend Fragezeichen angebracht. Wir müssen davon ausgehen können, dass die Sicherheit unserer Soldaten optimal gewährleistet ist. Ein Wort dazu: Selbstverständlich wird es nicht möglich sein, einen absoluten Schutz für Soldaten sicherzustellen. Das bringen der Dienst und der Beruf mit sich, so wie es bei der Polizei und bei Katastrophenschutzorganisationen, aber auch bei Diplomaten der Fall ist. Nur, wenn dieser Dienst, den Soldaten tun, so gefährlich ist, dann haben sie einen Anspruch darauf, dass die vermeidbaren Risiken vermieden werden. Die Bundesregierung und die militärische Führung haben uns gesagt, dass das getan werde. Wir nehmen das zur Kenntnis. Wir können das nicht im Detail bewerten, genauso wenig, wie ich im Detail bewerten kann, ob ein PRT in Kunduz mit 110 oder besser mit 200 Soldaten ausgestattet sein sollte. Wir nehmen nur zur Kenntnis, dass der Verteidigungsminister sich selbst diese Frage gestellt und sie damit in die politische Debatte gebracht hat. Dann können wir auch erwarten, dass wir hierauf eine Antwort erhalten und - wenn es notwendig ist - einen entsprechenden Antrag vorgelegt bekommen.

Die politische Grundentscheidung, die wir heute zu treffen haben, betrifft die Verantwortung. Die Ausführungsentscheidung bleibt bei der Regierung und bei denen, die Verantwortung tragen. Dazu wünschen wir Ihnen aus der Sicht der Soldaten viel Glück. Allerdings sagen wir auch, was die politische Grundentscheidung betrifft: Wir müssen erwarten können, dass die Art und Weise der Auftragsausführung erfolgsorientiert ist. Das Drogenproblem ist angesprochen worden. Es drückt uns nicht nur hier in unseren Städten schwer genug. Wenn es uns nicht gelingt, diesen Staat ein Stück weit zu stabilisieren und zu verhindern, dass dessen Repräsentanten vom Drogenhandel profitieren, also die Finger derer, die dort agieren, klebrig sind, dann haben wir verloren. Deswegen muss auf die Drogenbekämpfung großer Wert gelegt werden.

Herr Bundesaußenminister, wir wissen alle, dass Drogenbekämpfung nicht dadurch erfolgen kann, dass man einfach einen Hebel umlegt. Drogenbekämpfung ist eine langwierige Aufgabe. Aber die Erfahrung in allen Drogenproduktionsländern zeigt uns, dass das Geld, das bei den Drogen produzierenden Bauern ankommt, nicht die Masse ist. Wenn wir das Geld, das in das Land fließt, einsetzen würden, um Entwicklungsprogramme für die Drogen produzierenden Bauern aufzulegen, dann würde sich die Einkommenssituation der Betroffenen sehr schnell verändern. Man muss oben beginnen.

Ich habe den Eindruck - darüber bin ich sehr froh -, dass ein gewisser Erfolg bei der Stabilisierung Afghanistans erzielt worden ist. Es trifft in der Tat nicht mehr zu, dass Herr Karzai nur der Bürgermeister von Kabul ist. Wir stellen fest, dass der Einfluss der Zentralregierung auf die Provinzen größer geworden ist. (...)

Unsere Soldaten sind aber auch in einer Situation, in der sie wissen müssen, dass die Verbündeten da sind. Ich glaube, wir werden im nächsten Jahr Fragen stellen müssen. Kollege Pflüger hat das angesprochen. Wie geht es mit einer engeren Abstimmung zwischen ISAF, also dem Mandat, in dessen Rahmen die Bundeswehr agiert, und OEF voran, der wirklichen Antiterrorbekämpfung, mit der angefangen wurde?

Wie kann das verknüpft werden? Was ist mit der Stabilität der Nachbarländer und deren Einflussnahme auf Afghanistan?

Wie können wir unseren Soldaten, denen wir alles Soldatenglück, viel Erfolg und Gesundheit wünschen, nicht nur vermitteln, dass ihr Einsatz sinnvoll ist, sondern auch, dass sie nicht alleine sind? Die Sorge, dass sich Teile der NATO nicht beteiligen, ist noch nicht ausgeräumt. Das wird auch hinsichtlich der Handlungsfähigkeit der NATO eine Rolle spielen. Insofern erwarten wir, dass unsere Regierung an diesem Thema intensiv arbeitet. (...)

Rainer Arnold (SPD):

(...)
Ich glaube, wir sollten noch einmal deutlich machen, was die Soldaten bei den PRTs tatsächlich tun. Sie nehmen Transmissionsaufgaben für die Zentralregierung wahr und unterstützen die Bildung von Netzwerken mit allen Akteuren in der Stadt, ob staatliche und nicht staatliche. Wie wir gehört haben, funktioniert dies sehr gut. Auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung leistet einen Beitrag, der den Menschen eine Zukunft bietet. Dazu zählt die Per-spektive, dass im nächsten Jahr 80 Prozent der Haushalte in Kunduz wieder Wasser haben werden. Die Behauptung, die Deutschen leisteten keinen Beitrag gegen den Drogenkampf, ist absurd. Wer die Drogen bekämpfen will, muss sicherlich auch militärisch robust und hart auftreten. Das ist bei den Briten der Fall und das muss auch die afghanische Polizei tun. Wer den Drogenanbau aber nachhaltig bekämpfen will, der muss den dort lebenden Menschen ökonomische Perspektiven geben. Wenn das BMZ eine Zuckerfabrik aufbaut und Saatgut an die Bauern verteilt, dann ist das also ein zentraler Bestandteil im Kampf gegen den Drogenanbau in Afghanistan.

Das PRT soll des Weiteren die Wahlen absichern.

Das sind die Aufgaben. Die Aufgabe ist nicht, durch massive militärische Präsenz in der Fläche Stabilität zu erzeugen. Afghanistan ist schließlich ein souveräner Staat und kein Protektorat. Wir haben dort eine unterstützende und keine lenkende Funktion.

An die Adresse der Kollegen von der FDP gerichtet: Die PRTs sind keine deutsche Idee gewesen. Sie gehen vielmehr auf einen Beschluss der NATO zurück. Die UNO hat wiederum beschlossen, das Mandat von Kabul auf die Provinzen auszudehnen. Ich finde es sehr bedauerlich und traurig, dass sich eine Partei mit Ihrer außenpolitischen Tradition von einem gemeinsamen Beschluss der Völkergemeinschaft auf diese Art und Weise verabschiedet.

Wir stimmen der Fortsetzung des Einsatzes der Bundeswehr in Kabul, Faizabad und Kunduz aus zwei Gründen zu. Der erste Grund ist: Wir stehen zu unserer humanitären Verantwortung. Es ist richtig, was der Außenminister gesagt hat. Die Deutschen haben auf der Konferenz auf dem Petersberg wichtige Impulse für den politischen Prozess gegeben. Wer dies tut, wird auch daran gemessen, ob er bereit ist, an der praktischen Implementierung und der Umsetzung vor Ort mitzuhelfen, auch wenn dafür große finanzielle und menschliche Anstrengungen notwendig sind. Der zweite Grund ist - ganz nüchtern betrachtet -: Wir engagieren uns dort auch aus europäischem und insbesondere deutschem Interesse. Die Menschen in Deutschland wollen nicht mehr zusehen, dass Afghanistan wieder ein Zufluchtsort für die Ausbildung von Terroristen wird, die uns dann in Europa bedrohen. Deshalb liegt es in unserem Interesse, dass der jetzt in Gang gesetzte Prozess in Afghanistan unumkehrbar bleibt.

Petra Pau (fraktionslos)[PDS]:

(...) Seit drei Jahren wird in schlechter Regelmäßigkeit das militärische Mandat der Bundeswehr für Afghanistan verlängert und erweitert. Anfangs war das noch ein brisanter Vorgang. Aber inzwischen scheint das für Rot-Grün und auch für die CDU/CSU kaum noch der Rede wert zu sein, im Gegensatz zur PDS im Bundestag.

Wir haben den Kriegseinsatz am Hindukusch stets abgelehnt und wir werden auch dieses Mal Nein sagen. Nun habe ich die Bundesregierung am 17. September dieses Jahres gefragt, wie viele militärische Auseinandersetzungen, Überfälle und Angriffe es in Afghanistan bisher im Jahr 2004 gegeben hat. Die erste Reaktion lautete, die vorgegebene Frist für die Beantwortung meiner Frage könne leider nicht eingehalten werden. Nachdem ich gemäß der Geschäftsordnung des Bundestages weiter auf eine Antwort vor der heutigen Abstimmung gedrängt hatte, bekam ich dann doch noch eine. Ich zitiere:

Kräfte der Anti-Terror-Koalition sind nach hiesigem Kenntnisstand von Januar 2004 bis heute landesweit in ca. 460 Vorfälle - darunter kleinere Schießereien bis mehrstündige Gefechte - ... verwickelt worden.

460 Vorfälle in achteinhalb Monaten! Das sind im Durchschnitt fast zwei Überfälle oder Angriffe täglich. Allein diese Zahl verbietet es, den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr als Normalität abzuhaken.

Außerdem hat mir das Verteidigungsministerium in seiner Antwort bestätigt: Auf den "Afghanistan-Karten der Vereinten Nationen wird fast die Hälfte des Landes als Gebiete mit mittlerem und höherem Risiko ausgewiesen", also als feindliche Umgebung. Der Kollege Nolting von der FDP meinte dieser Tage im Fernsehmagazin "Fakt", er habe das Gefühl, die Risiken werden von der Bundesregierung heruntergespielt, um so leichter die Zustimmung des Parlaments zu erhalten. Ich befürchte, er hat Recht. Die PDS im Bundestag hat mehrfach eine ehrliche Bestandsaufnahme gefordert - bislang vergebens. Aber sie ist überfällig.

Schließlich will ich noch einmal daran erinnern, mit welcher Begründung das militärische Afghanistanabenteuer begonnen wurde. Nach dem 11. September 2001 sollte Bin Laden gefangen und sollten Terrornetze zerschlagen werden. Nach über drei Jahren gehört zu einer kritischen Bestandsaufnahme auch eine Antwort auf die Frage, was aus diesem Vorhaben, dem angeblichen Grund des Einsatzes der Soldaten, geworden ist.

Nunmehr wollen Sie das Bundeswehrmandat für ein viertes Jahr beschließen. Nebenbei gesagt, das wird 310 Millionen Euro - das ist jedenfalls die offizielle Zahl - kosten. Die PDS im Bundestag hat schon zu Beginn des Afghanistaneinsatzes gewarnt: Der Kampf gegen den Terrorismus lässt sich gewinnen; ein Krieg gegen den Terror lässt sich nicht gewinnen. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD):

(...) Man schaue sich an, wie sich Afghanistan entwickelt hat. Man schaue sich den Weg an, der von den Afghanen selbst gewählt worden ist. Er wird im nächsten Frühjahr durch Kommunalwahlen und Nationalwahlen komplettiert werden. Solche Wahlen werden das erste Mal in der Geschichte dieses geschundenen Landes stattfinden. Dieses Land wurde von vielen immer nur als Opfer gesehen. Es ist von außen immer bedroht worden. Man hat von außen versucht, sich die Rohstoffe dieses Landes und die Produkte der Arbeit seiner Menschen - ihre Fähigkeiten sind ihr eigentlicher Schatz - anzueignen. Dieses Land wurde immer wieder fremdbestimmt.

Dieses Land hat zum ersten Mal in seiner Geschichte die Chance, selbstbestimmt in eine eigene, demokratische, friedliche Zukunft zu gehen. Deshalb bitten wir alle darum - auch die Mitglieder der FDP-Fraktion, die, wenn sie sich mit der Sache im Detail befassten, nicht zu ihrer, wie ich finde, falschen Entscheidung kämen -, dafür zu sorgen, dass Afghanistan auf seinem Weg voranschreiten kann.

Das geht nur, wenn der Deutsche Bundestag dem Antrag der Bundesregierung jetzt zustimmt. Unsere Verantwortung als demokratisch gewähltes Parlament besteht darin, mitzuhelfen, dass andere Demokratien in dieser Welt eine Chance haben, endlich das zu verwirklichen, was von den Menschen schon jahrzehntelang gefordert wird, nämlich den ersten Schritt in die Demokratie zu gehen. Am 9. Oktober werden in Afghanistan Präsidentschaftswahlen und im Frühjahr 2005 Parlamentswahlen abgehalten. Wir erwarten von allen, besonders von der FDP, dass sie diesem Weg zustimmen. Die SPD-Fraktion bittet darum.

Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU):

(...) Die Zustimmung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Antrag der Bundesregierung entspringt auch in diesem Jahr nicht einem Automatismus, sondern wir sind zu dieser Haltung nach einer sorgfältigen Abwägung gekommen. Wir sehen natürlich die nach wie vor bestehenden und sich zum Teil in jüngster Zeit leider sogar zuspitzenden Probleme in Afghanistan: Die zunehmenden terroristischen Anschläge, denen auch in diesen Stunden wieder Soldaten zum Opfer gefallen sind, die Rekordergebnisse bei Drogenanbau und -ernte sowie die nach wie vor problematische humanitäre und Menschenrechtslage in weiten Teilen des Landes sind angesprochen worden. Die entscheidende Frage, über die wir heute zu entscheiden haben, lautet ja nicht, ob in Afghanistan schon alles in Ordnung oder jedenfalls auf gutem Wege ist. Vorausgesetzt, dass für jeden verantwortungsvollen Politiker seit dem 11. September 2001 klar ist, dass wir ein Eigeninteresse an der positiven Entwicklung Afghanistans haben, lautet die entscheidende Frage vielmehr: Wird sich die Entwicklung in Afghanistan besser vollziehen, wenn unsere Soldaten im Land bleiben oder wenn wir uns zurückziehen? Es ist für uns nicht erkennbar, wie die Probleme auch nur ansatzweise dadurch gelöst würden, dass sich deutsche Soldaten zurückziehen.

Wir bedauern es sehr, dass es der Bundesregierung bisher nicht gelungen ist, noch mehr Partnerstaaten dazu zu bewegen, sich an PRTs zu beteiligen. In Richtung auf die FDP-Kollegen sage ich in diesem Zusammenhang aber auch: Wenn man das Konzept für richtig hält und nur bedauert, dass nicht mehr mitmachen, ist es doch völlig falsch, die Konsequenz zu ziehen, wir machen das, was wir für richtig halten, in Zukunft nicht mehr.

Zumal vor dem Hintergrund der nun anstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen wäre es, wie ich denke, das völlig falsche Signal, zu diesem Zeitpunkt den Einsatz abzubrechen. Auch angesichts der Terroranschläge dieser Tage kann unsere Antwort nur lauten: Wir weichen nicht dem Terror, wir lassen die Menschen Afghanistans in dieser Situation nicht allein, sondern stehen zu ihnen.

Dessen ungeachtet muss auch erwähnt werden, dass wir mit der Ausweitung des PRT-Konzeptes auf Faizabad sehr wohl Probleme haben. Dabei geht es nicht in erster Linie um die formaljuristische Frage, wie weit dieser Einsatz bisher durch das Mandat gedeckt war. Die Beratungen im entwicklungspolitischen Fachausschuss wie auch unsere fraktionsinternen Beratungen haben vielmehr unsere Bedenken, was die Sicherheit unserer Soldaten angeht, eher bestärkt als widerlegt. Wahr ist aber auch: Wir müssen uns hier auf das Urteil der politischen und militärischen Führung der Bundeswehr verlassen können.

Wir können allerdings nicht akzeptieren, dass in der Bundesregierung offenbar nach wie vor ein Gegeneinander von BMZ und dem Rest der Bundesregierung herrscht. Das ist für uns nicht zu akzeptieren.

Der eigentliche Sinn des PRT-Konzeptes besteht ja gerade darin, den zivilen Wiederaufbau militärisch abzusichern. Wo immer dieser zivile Wiederaufbau nicht stattfindet, wird auch die militärische Absicherung ad absurdum geführt. Deswegen ist es unverantwortlich und darüber hinaus auch sachlich falsch, wenn die Entwicklungshilfeministerin unter Bezugnahme auf die Entscheidung der Bundeswehr, nach Faizabad zu gehen, zunächst erklärt, sie habe für Entwicklungshilfemaßnahmen in Faizabad kein Geld. Das stimmt nicht. Afghanistan ist auch nicht der Ort, um partei- und regierungsinterne Scharmützel auszutragen. Wenn wir gute Ausübung der Regierungsgewalt von anderen fordern, müssen wir bei uns selber anfangen. In einer guten Regierung - das gilt auch für unsere - muss Teamgeist zwischen den beteiligten Ministerien herrschen. Deshalb fordern wir die Leitung des BMZ auf, endlich das Misstrauen gegen die von eigenen Parteifreunden geführte Bundeswehr zu überwinden und der eigenen Verantwortung in Afghanistan gerecht zu werden.

Wir haben unsere konkreten Forderungen in einem Antrag klar zum Ausdruck gebracht. Ich will hier nur noch einmal auf die Drogenproblematik zu sprechen kommen. Der Umstand, dass etwa die Hälfte des afghanischen Bruttosozialproduktes auf Drogenanbau und -handel basiert, darf uns alle nicht ruhen lassen. Wir können uns auch nicht auf den Hinweis zurückziehen, wir machten die Polizeiausbildung und ansonsten seien für die Drogenbekämpfung unsere britischen Partner zuständig. So notwendig es ist, durch unsere Entwicklungszusammenarbeit den Menschen vor Ort Einkommensalternativen zu bieten, was zu Recht angesprochen worden ist, so notwendig ist es auch, den Druck auf die afghanische Regierung dahin gehend zu verstärken, dass sie einen klaren Schnitt macht und sich noch stärker als bisher von den Warlords absetzt, deren politische Basis in dem wirtschaftlichen Gewinn aus dem Drogenhandel besteht. Man darf sich da nicht selbst etwas in die Tasche lügen und so tun, als seien die armen Bauern das Hauptproblem. Der politische Wille, das Drogenproblem zu lösen, muss auch bei den afghanischen Verantwortlichen in Kabul und darüber hinaus gestärkt werden.

Es bleibt aber dabei: Auch die Stärkung des politischen Willens der afghanischen Führung ist nicht dadurch zu erreichen, dass wir uns aus Kabul, Kunduz und Faizabad zurückziehen. Weil es aus unserer Sicht keine Alternative zur Verlängerung des Mandates einer deutschen Beteiligung am ISAF-Einsatz gibt, stimmen wir dem Antrag der Bundesregierung zu.


Quelle: www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/index.html


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