"Fiasko nicht ausgeschlossen"
Friedensbewegung kritisiert Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes
Am 30. September 2004 beschlos der Bundestag mit großer Mehrheit, die Mission der Bundeswehr in Afghanistan um ein weiteres Jahr zu verlängern. Aus der Friedensbewegung kam Kritik. Im Folgenden dokumentieren wir eine Erklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag und eine Mitteilung des Bonner Netzwerks Friedenskooperative vom selben Tag.
Presseerklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag:
Fiasko nicht ausgeschlossen - Kritik an Afghanistan-Einsatz
-
Kaum Fortschritte in Afghanistan
- Zivile Hilfsorganisationen gegen Militär
- Struck belügt sich selbst und die Öffentlichkeit
- "Multinationalität" ist Aufschneiderei
- Bundestag repräsentiert nicht Mehrheitsmeinung der Bevölkerung
Kassel, 30. September - Anlässlich der vom Bundestag beschlossenen
Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr gab der Sprecher
des Bundesausschusses Friedensratschlag folgende Erklärung ab:
Über 90 Prozent der Mitglieder des Bundestages haben heute für die
Verlängerung des Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan gestimmt. Die
kritischen Einwände, die diesmal nicht nur von den beiden
PDS-Abgeordneten, sondern auch von der FDP kamen, wurden von Vertretern
der Regierungskoalition und der CDU/CSU großsprecherisch weggewischt.
Dabei hat der Angriff auf das deutsche Kontingent in Kundus gestern
Abend noch einmal deutlich gemacht, dass die Fortschritte beim "Aufbau"
Afghanistans auch drei Jahre nach dem Krieg äußerst bescheiden sind:
-
Die Macht der afghanischen Zentralregierung geht nicht über die
Hauptstadt Kabul hinaus.
- In allen anderen Landesteilen herrschen regionale Warlords, die ihre
eigenen Interessen verfolgen und keinerlei Loyalität der
Zentralregierung gegenüber aufbringen. Auch Kundus und Feisabad sind
keine geschützten Oasen.
- Es ist Augenauswischerei, wenn Verteidigungsminister Struck immer
wieder betont, wie "beliebt" deutsche Soldaten bei der Bevölkerung in
Afghanistan seien. Sie mögen beliebt sein, sofern sie sich als
humanitäre Helfer betätigen. Dafür gibt es aber geeignetere
Hilfsorganisationen.
- Der militärische "Schutz" erweist sich in den Augen der meisten
Hilfsorganisationen als hinderlich. Soweit sie an Aufbauprogrammen
arbeiten können, brauchen sie kein Militär; wenn sie auf militärischen
Schutz angewiesen wären, können sie nicht mehr humanitär arbeiten.
Dieses Dilemma kann das Militär nicht aufheben, weil es selbst dafür
verantwortlich ist.
Der 12-monatige Einsatz der Bundeswehr kostet 310 Mio. EUR. Dieses Geld
wird zum Fenster hinausgeworfen. Es wäre besser angelegt in rein zivilen
Programmen zur Unterstützung sozialer, medizinischer, schulischer und
infrastruktureller Projekte. Fast alle zivilen Hilfsorganisationen
bezeichnen die sog. "zivil-militärische Zusammenarbeit" als kontraproduktiv.
Von Verteidigungsminister Struck ist zu verlangen, dass er die
Rückschläge der ISAF-Truppen in Afghanistan endlich zur Kenntnis nimmt
und nicht mit fortdauerndem Schönreden der Zustände sich selbst und die
Öffentlichkeit belügt. Die erbettelte Beteiligung von ein paar Dutzend
Soldaten und Zivilisten aus Dänemark, Tschechien und Kroation an der
Bundeswehrmission als "Multinationalität" zu bezeichnen, ist eine
Aufschneiderei, bei der selbst ein Don Quijote erblasst wäre.
Der Bundestag muss wissen, dass er der Verlängerung eines unsinnigen und
nicht ungefährlichen Militäreinsatzes zugestimmt hat. Für das Scheitern
der Mission trägt er allein die Verantwortung. Das Parlament
repräsentiert mit dieser Entscheidung längst nicht mehr die Meinung der
Mehrheit der Bevölkerung. Es vollzieht vielmehr den Willen der
politischen Klasse, die zunemend auf Militär, Intervention und Krieg
setzt, wo allein zivile Alternativen erfolgversprechend sind.
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)
PRESSEMITTEILUNG
Bonn 30. September 2004
Panzerlieferung an Irak: Anzeige gegen Bundesregierung erstattet
Verlängerung des Afghanistan-Mandats kritisiert
Mit einem Schreiben an Generalbundesanwalt Kay Nehm hat das Netzwerk
Friedenskooperative Strafanzeige gegen die Bundesregierung,
stellvertretend gegen Bundeskanzler Gerhard Schröder und
Au+enminister Joseph Fischer, wegen Beihilfe zu einem Angriffskrieg
gemäß § 80 Strafgesetzbuch erstattet.
Die vom Bundessicherheitsrat beschlossene Lieferung von 20 Fuchs-
Panzern an den Irak bedeute eine aktive Beteiligung an dem
offensichtlich noch nicht beendeten völkerrechtswidrigen
Angriffskrieg der USA und der "Koalition der Willigen“ gegen den
Irak, argumentieren der Pax Christi-Aktivist Martin Singe und der
Geschäftsführer Manfred Stenner für das Friedensnetzwerk.
Die geplante Handlung der Bundesregierung sei auch geeignet, "die
Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland“ (§ 80 StGB)
herbeizuführen, da die Panzerlieferung von der kriegerischen
Gegenseite als Kriegshandlung wahrgenommen werde. Auch Entführungen
oder Ermordungen deutscher StaatsbürgerInnen würden durch die
Panzerlieferung wahrscheinlicher.
Der Theologe Singe hatte bereits zu Beginn des Irakkrieges 2003 eine
von Nehm wegen einer angeblich "fehlenden Definition eines
Angriffskrieges im Völkerrecht“ zurückgewiesene Anzeige erstattet.
Diese Auffassung des – politisch weisungsgebundenen – obersten
Verbrechensbekämpfers weist das Netzwerk Friedenskooperative als
hanebüchen zurück. Das Netzwerk fordert ein Tätigwerden der
Generalbundesanwaltschaft "im Voraus“ mit dem Ziel, den Beschluss
zur Panzer-Lieferung aufzuheben.
Das Netzwerk betont auch die "eklatante Verletzung der rot-grünen
Rüstungsexport-Richtlinien“ durch den Panzer-Beschluss und äußert
sich verwundert über das weitgehende Schweigen der rot-grünen
Parlamentarier (außer Hans-Christian Ströbele, lieben Gruß) zu
Vorgängen, gegen die sie noch vor wenigen Jahren in der
Oppositionsrolle Seite an Seite mit der Friedensbewegung auf die
Barrikaden gegangen wären.
Die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes durch den Bundestag
bezeichnet die Friedenskooperative als schwerwiegenden Fehler.
Verschiedene Friedensorganisationen hatten im Vorfeld appelliert,
die Hilfe für Afghanistan auf zivile Mittel unter Federführung des
Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) zu
konzentrieren. Das Militär dagegen gefährde die nötige Neutralität
von Hilfsorganisationen und die zivilen Helfer, hieß es. Für die
Friedenskooperative bestätigt der Granatenbeschuss des Bundeswehr-
Stützpunktes in Kundus Bedenken, dass die militärische Präsenz
terroristische Gewalt eher anzieht als abschreckt.
Manfred Stenner
Geschäftsführer des Netzwerk Friedenskooperative
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