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Bundestag stimmt mit überwältigender Mehrheit für die Verlängerung des Afghanistaneinsatzes

Friedensbewegung fordert: Bundeswehreinsatz beenden! Im Wortlaut die Presseerklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag

Am Donnerstag, dem 28. September 2006, hat der Bundestag der erweiterten Fortsetzung des Afghanistan-Einsatzes zugestimmt. Mit Ja haben 492 Abgeordnete, mit Nein 71 Abgeordnete gestimmt, 9 enthielten sich ihrer Stimme. Die Bundesregierung hatte dem Parlament einen Antrag vorgelegt, in dem sie die Zustimmung des Bundestages für eine Fortsetzung bis zum 13. Oktober 2007 beantragt.
Der Gegenantrag der Linksfraktion wurde abgelehnt.
Nachfolgend dokumentieren wir eine Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag, die sich sehr kritisch mit dem Entsendebeschluss auseinandersetzt. Sie war vor der Abstimmung im Bundestag veröffentlicht worden. Mit der Prognose, dass "annähernd 90 Prozent der Abgeordneten" dem Antrag der Bundesregierung zustimmen würden, lag die Erklärung nicht ganz daneben: 86 Prozent stimmten mit ja, 12 Prozent mit Nein (knapp 2 Prozent enthielten sich).



5 Jahre Krieg in Afghanistan - 5 Gründe für einen Abzug der Bundeswehr

Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag
  • Einsatzbeschlüsse "am laufenden Band"
  • Bundesregierung schönt die Lage
  • Menschenrechtssituation anhaltend schlecht
  • Einsatzgebiet ist ganz Afghanistan
  • Vermischung von UN-Mandat und Kampfeinsatz: Was treibt das KSK?
  • Hohe Kosten des Krieges
Kassel, 28. September - Heute wird der Deutsche Bundestag zum sechsten Mal in Folge den Bundeswehreinsatz in Afghanistan um ein weiteres Jahr verlängern. Der entsprechende Antrag der Bundesregierung wird voraussichtlich mit einer sehr großen Mehrheit von annähernd 90 Prozent der Abgeordneten abgenickt. In derselben Sitzung wird die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes im Sudan im Rahmen von UNMIS beschlossen. Vor einer Woche stimmte das Parlament der Entsendung eines größeren Marineverbands vor die Küsten des Libanon zu. Mittlerweile gehört die Entsendung von Soldaten in alle Welt zum Routinegeschäft der Abgeordneten - Einsatzbeschlüsse werden am laufenden Band produziert.

Gegen die fünfjährige Präsenz der Bundeswehr in Afghanistan und gegen die vorgesehene Verlängerung des Einsatzmandats lassen sich nach Ansicht des Bundesausschusses Friedensratschlag fünf Gründe ins Feld führen:
  1. Die Verlängerung des Einsatzes beruht auf falschen Voraussetzungen. Wider besseres Wissen schreibt die Bundesregierung in ihrem Antrag: "Durch das Engagement der internationalen Gemeinschaft ist es gelungen, in Afghanistan eine auf demokratischen Grundsätzen basierende politische Ordnung zu etablieren ..." (Bundestags-DS 16/2573, S. 2) Ein nüchterner Blick in die afghanische Realität zeigt, dass heute Afghanistan von demokratischen Verhältnissen ähnlich weit entfernt ist wie vor fünf Jahren. In den meisten Regionen regieren Warlords und Drogenbarone. Die Autorität der afghanischen Regierung reicht kaum über die Grenzen der Hauptstadt Kabul hinaus. Dass gerade in diesem Jahr Gewalt, Terror und Drogenhandel in Afghanistan so stark zugenommen haben, zeigt die Erfolglosigkeit der unter UNO-Flagge operierenden, von der NATO geführten Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF). Nach Presseberichten von heute klärte der deutsche Botschafter in Kabul, Hans-Ulrich Seidt, den Auswärtigen Ausschuss des Bundestages gestern unter strengster Geheimhaltung über die wahre Gefährdungslage in Afghanistan auf. Es könne zur "Katastrophe" kommen, soll er laut Teilnehmern der Sitzung gewarnt haben. Insbesondere der Süden Afghanistans sei von den NATO-Soldaten militärisch nicht zu gewinnen.
  2. Die Menschenrechtssituation hat sich nicht entscheidend verbessert. Berichte von amnesty international und Human Rights Watch zeigen, dass die Sicherheit der Menschen vor kriminellen oder terroristischen Angriffen genauso wenig gestärkt wurde wie die Rechte der Frauen und Mädchen. Die Situation hat sich nach Ansicht der afghanischen Frauenministerin Massouda Jallal in weiten Teilen des Landes sogar noch verschlechtert. Erst am Montag ist die höchste Vertreterin des afghanischen Frauenministeriums in der Provinz Kandahar bei einem Anschlag getötet worden. Andauernde Enthüllungen über die Misshandlung von Gefangenen durch US-Truppen tragen ebenfalls nicht dazu bei, in der afghanischen Gesellschaft den Respekt vor der universellen Gültigkeit der Menschenrechte zu erhöhen.
  3. Die Bundeswehr hat neben der Übernahme des Regionbalkommandos Nord in Mazar-e Sharif ihr Einsatzgebiet inzwischen auf ganz Afghanistan ausgedehnt, und zwar "bei Bedarf" und "zeitlich und im Umfang begrenzt". Den "Bedarf" definiert der NATO-Stab, der den ISAF-Einsatz befehligt. Der NATO-Rat hat heute in Brüssel beschlossen, die "Tätigkeit" von ISAF auch auf den heiß umkämpften Osten des Landes einschließlich des afghanisch-pakistanischen Grenzgebiets auszudehnen. Damit wächst, wie Verteidigungsminister Jung verschiedentlich eingestanden hat, das Risiko, auch in größere Kampfhandlungen verwickelt zu werden. Darüber hinaus wird es immer wahrscheinlicher, dass die Bundeswehr explizit auch zur militärischen Bekämpfung des Schlafmohnanbaus herangezogen wird, obwohl dies das bisherige Mandat ausdrücklich ausschließt. Alle bisherigen Erfahrungen (z.B. aus Kolumbien) zeigen, dass der Kampf gegen die Produktion von und den Handel mit Opium militärisch nicht zu gewinnen ist.
  4. Ein besonders heikler Punkt ist die Vermischung zweier ursprünglich getrennter militärischer Missionen in Afghanistan: das UN-mandatierte ISAF und der von den USA 2001 begonnene Krieg "Enduring Freedom". Seit fünf Jahren kämpfen - mit zeitweiligen Unterbrechungen - Einheiten der deutschen Spezialtruppe KSK (Kommando Spezialkräfte) in Afghanistan Seite an Seite mit US-amerikanischen und britischen Kampftruppen. Die Bundesregierung weigert sich beharrlich, über die Aktivitäten des KSK Auskunft zu geben. Das Parlament und erst recht die Öffentlichkeit wissen nicht, in welche Kriegshandlungen diese Sondereinheiten verwickelt sind. Für Spekulationen, wonach deutsche Soldaten auch an Kriegsverbrechen, das heißt an groben Verstößen gegen die Genfer Konventionen beteiligt seien, trägt also allein die Bundesregierung die Verantwortung. Auch der heute verabschiedete Einsatzbeschluss schweigt sich über das Mandat für die deutschen Elitekämpfer aus. Fetszustellen ist, dass durch die bewusste Vermischung von UN-Mandat und Kriegseinsatz die UN-Truppe ISAF zur Kriegspartei wird. Deutschland wird sich darauf einstellen müssen, Objekt gegnerischer Angriffe zu werden.
  5. Der Afghanistan-Einsatz verschlingt in nur einem Jahr 460 Mio. Euro. Der Gesamtbetrag für die "Verteidigung" Deutschlands am Hindukusch hat die Zwei-Milliarden-Grenze weit überschritten. Damit gibt Deutschland für einen zweifelhaften Militäreinsatz ein Vielfaches von dem aus, was in dringend notwendige zivile Hilfsprojekte geflossen ist oder noch fließen wird.
Fazit: Deutschland sollte sich so schnell wie möglich aus dem militärischen Teil des Afghanistan-Engagements zurückziehen. Ein erster Schritt wäre der sofortige Abzug der KSK-Truppe. Deutschland wäre gut beraten, in den Gebieten, wo dies möglich ist, humanitäre, wirtschaftliche und soziale Projekte einschließlich eines anreizbezogenen Ersatzes von Schlafmohnanbau zu fördern. Eine Aufstockung der Mittel wäre bei gleichzeitigem Herunterfahren des Militäreinsatzes kein Problem.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)


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