Bundeswehr in Afghanistan: "Bitte nicht nur Freizeitfotos!"
Ein ganz seltener Fall: Friedensbewegung schreibt an die BILD-Zeitung
Das dürfte nicht alle Tage vorkommen: Dass eine Friedensorganisation sich mit einem Offenen Brief an die "Bild"-Zeitung wendet und dabei die Redaktion keineswegs mit Kritik überzieht, sondern sie sogar ermutigt, in ihrer Berichterstattung fortzufahren. Geschehen am 30. Oktober 2006. Anlass: Die Veröffentlichung der Totenkopf-Skandalfotos von Bundeswehrsoldaten in Afghanistan (vgl. "Empörung über Totenschädel-Skandal"). Absender: Der Bundesausschuss Friedensratschlag. Wir dokumentieren im Folgenden dessen Presseerklärung und den angehängten Brief an die BILD-Redaktion und werden selbstverständlich auch die Antwort der Zeitung - falls es eine gibt - dokumentieren.
Keine Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes
Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag
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"Enduring Freedom" beenden
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KSK aus Afghanistan zurückziehen
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Friedensbewegung schreibt an "Bild"-Zeitung
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Aktionstage vor Bundestagsentscheidung
Kassel, 30. Oktober - Nach einer Klausurtagung des Bundesausschusses
Friedensratschlag am Wochenende in Kassel erklärte dessen Sprecher Peter
Strutynski:
Am selben Tag, an dem der Totenkopf-Skandal der Bundeswehr in
Afghanistan öffentlich wurde, beschloss die Bundesregierung, den Einsatz
des Kommandos Spezialkräfe (KSK) im Rahmen des Kriegseinsatzes "Enduring
Freedom" unter US-Führung um ein Jahr zu verlängern. Am 9. November soll
nun der Bundestag dieses Mandat formell beschließen.
Dem KSK, das seit fünf Jahren in und um Afghanistan mit geheimen
Spezialeinsätzen beauftragt ist, wird schon seit langem vorgeworfen,
sich an Kriegsoperationen zu beteiligen, die gegen das humanitäre
Kriegsvölkerrecht verstoßen könnten. Der ebenfalls vor wenigen Tagen
bekannt gewordene "Fall Kurnaz" (KSK soll an der Misshandlung des
Deutsch-Türken Murat Kurnaz beteiligt gewesen sein) könnte auch wieder
nur die Spitze des berühmten Eisbergs darstellen. Anstatt verwertbare
Ergebnisse der eingeleiteten Untersuchungen der "Vorkommnisse"
abzuwarten und den Bundeswehreinsatz zumindest so lange zu unterbrechen,
ging das Kabinett einfach zur Tagesordnung über und verlängerte den
Kampfeinsatz der "Elitetruppe". Damit ist auch deutlich, wer letztlich
die Verantwortung für die (vielen) "Einzelfälle" trägt, die jetzt so
lauthals beklagt werden: Es sind die Politiker, die junge Soldaten in
einen Krieg schicken, in dem sie nichts zu suchen haben und dem sie in
keiner Weise gewachsen sind.
Der Bundesausschuss Friedensratschlag hat sich heute erstmals mit einem
Offenen Brief an die "Bild"-Zeitung gewandt und deren Chefredaktion
aufgefordert, nicht nur Freizeitfotos der Soldaten zu veröffentlichen,
sondern auch Bilder, die sie bei ihrer "Arbeit" zeigen. Der Kriegsalltag
und das tödliche Geschäft, das die Truppe in Afghanistan betreibt,
könnten noch wesentlich grausamere Bilder zutage fördern als die
schändlichen Totenkopf-Fotos. (Siehe den Brief im Anhang unten.)
Die Friedensbewegung ist aufgerufen, in den kommenden Tagen mit
vielfältigen Aktionen über die Auslandseinsätze der Bundeswehr zu
informieren und die Abgeordneten des Bundestags aufzufordern, sich einer
Verlängerung des Kriegseinsatzes im Rahmen von Enduring Freedom zu
widersetzen. An den Aktionstagen am 4. und/oder 8. November sollen
überall im Land Veranstalungen (Info-Stände, Besuche bei Abgeordneten)
stattfinden, mit denen für eine Beendigung des Kriegseinsatzes in
Afghanistan geworben werden soll. Damit soll gleichzeitig die gesamte
Neuausrichtung der Bundeswehr auf eine weltweit operierende
Einsatzarmee, wie sie jetzt im "Weißbuch" vorgenommen wurde, in Frage
gestellt werden.
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski, Kassel
Anhang: Brief an die "Bild"-Redaktion
An die Redaktion der Bild-Zeitung
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir danken Ihnen für die Dokumentation der Skandalfotos [über die
obszönen Totenschändungen durch Bundeswehrsoldaten in] aus Afghanistan.
Die große Zahl dieser Fotos - die nach Ihren Angaben offenbar in die
Hunderte geht - zeigt deutlich, dass es sich keinesfalls um Einzelfälle
handelt.
Viel wurde in Ihrem Blatt und in anderen Medien über die Ursachen
solcher Entgleisungen bei deutschen Eliteeinheiten diskutiert: Mangelt
es den jungen Männer an Ausbildung oder verrohen Soldaten zwangsläufig
im Krieg, so eine häufige Frage.
Eine Frage wurde erstaunlicher Weise nicht gestellt: Wenn die Soldaten
schon in ihrer Freizeit eine solche Verachtung für die einheimische
Bevölkerung an den Tag legen, wie mögen sie dann bei ihrer täglichen
Arbeit mit ihr umgehen?
Wir möchten Sie daher bitten, ihre guten Kontakte zur Truppe zu nutzen,
um auch in das Treiben unserer Soldaten im Dienst etwas Licht zu bringen.
Über die Schändung toter Afghanen dürfen wir den Umgang unserer Soldaten
mit den lebenden nicht vergessen. Bis zu 80 afghanische Zivilisten, die
allein in der letzten Woche von Nato-Truppen getötet wurden, mahnen uns.
Mit freundlichen Grüßen,
Peter Strutynski
Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag
Kassel, 30. Oktober 2006
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