Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Von wegen Abzug! Bundeswehr steigert Kampfkraft in Afghanistan

Friedensratschlag zur Afghanistandebatte

Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag
  • Bundesregierung legt Mogelpackung vor
  • Friedensbewegung für sofortigen und vollständigen Abzug
Kassel/Berlin, 15. Dezember 2011: Anlässlich der Vorlage des neuen Einsatzmandats für die Bundeswehr in Afghanistan und der Regierungserklärung von Außenminister Westerwelle erklären die Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag in einer Stellungnahme:

Aus dem groß angekündigten Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan bis 2014 ist schon heute ein Rohrkrepierer geworden. Das nun vorliegende Mandat [externer Link!] für die Kriegsverlängerung bis Anfang 2013 sieht eine winzig kleine Reduzierung des Bundeswehrkontingents um gerade einmal 100 Soldaten vor. Laut Antrag der Bundesregierung werden im kommenden Jahr "bis zu 4.900 Soldatinnen und Soldaten mit entsprechender Ausrüstung eingesetzt". Derzeit sind es noch 5.000 Soldaten. Optional wird in der Begründung des Antrags eine weitere Verkleinerung des Kontingents auf 4.400 Soldaten als Ziel genannt, allerdings nur, "soweit die Lage dies erlaubt". Wie nach einem solchen Trippelschritt ein Jahr später der Totalabzug (d.h. dann noch einmal 4.400 oder sogar 4.900 Soldaten) bewerkstelligt werden soll, wird wohl das Geheimnis der Bundesregierung bleiben.

Hinzu kommt etwas anderes: Der Abzug der 100 Soldaten soll durch "Auskämmen" erfolgen, d.h. ohne Substanz- bzw. Kampfkraftverlust. Außerdem ist die Bundesregierung bestrebt, im zweiten Halbjahr 2012 vier fabrikneue Kampfhubschrauber TIGER einsetzen zu wollen. Dies würde die Kampfkraft erheblich steigern. Mit anderen Worten: Der Krieg in Afghanistan wird mit verstärkten Mitteln fortgesetzt. Eine Ausstiegsperspektive ist nicht in Sicht. Der vorliegende Antrag ist eine Mogelpackung und dient lediglich der Beruhigung der Bevölkerung, die den Kriegseinsatz nach wie vor mehrheitlich ablehnt.

Die Regierungserklärung von Außenminister Westerwelle hat denn auch die Abzugsperspektive nicht weiter konkretisiert. Im Gegenteil: In Bezug auf die vor wenigen Tagen abgehaltene Bonner Konferenz sprach er davon, dass dort über das "Mögliche" gesprochen worden sei. Die Bundesregierung habe sich aber auf das "Machbare" einzustellen. Entsprechend vorsichtig geriet die Lageeinschätzung. Vor allem die Sicherheitslage dürfe nicht "schöngeredet" werden. Ob die erstmals seit Jahren rückläufige Zahl von Angriffen auf die NATO-Truppen tatsächlich schon eine "Trendumkehr" bedeutet, ließ Westerwelle offen. Es müsse weiter müsse mit "Rückschlägen" gerechnet werden: "Die Bedrohung ist nach wie vor real." Verteidigungsminister de Maizière wies in seiner Rede dankenswerterweise darauf hin, dass auch 2011 eine Zunahme der Anschläge und der zivilen Opfer zu beklagen sei.

Wie unter diesen Bedingungen ein weiterer Abzug der Bundeswehr möglich sein soll, bleibt schleierhaft. Der Rückzug war bisher immer mit der Kondition verbunden, dass die afghanischen Sicherheitskräfte für die Sicherheit des Landes selbst sorgen können. Schon heute, so verkündete Westerwelle, hätten diese Sicherheitskräfte mit 305.000 Mann ihre endgültige Sollstärke fast erreicht. Die Bundesregierung muss sich fragen lassen, warum dann die ISAF-Kräfte nicht in größerem Umfang abgezogen werden können. Vielleicht hat Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) in der Debatte schon die Antwort gegeben: Eine "verantwortbare Übergabe" an die afghanischen Streitkräfte habe "Vorrang" vor den "ehrgeizigen Zeitplänen" der Bundesregierung. De Maizière stellte den Abzug 2014 indirekt sogar ganz in Frage, als er darauf hinwies, dass niemand wissen könne, wie sich die Lage in zwei Jahren darstellen wird. Und mit seiner Bemerkung, es sei eben leichter, auf einen Baum zu klettern (sprich: den Krieg in Afghanistan zu beginnen) als wieder herunter zu steigen, deutete er an, dass die Bundeswehr auch über 2014 hinaus mit einem beträchtlichen Kontingent am Hindukusch bleiben wird.

Vollkommen ausgeklammert blieb in der Debatte die Situation in Pakistan. Das ist realitätsblind. Der unerklärte Krieg in Pakistan erfordert mittlerweile mehr Todesopfer als der Afghanistankrieg selbst. Wer die Sicherheitslage in Afghanistan analysiert, darf nicht von Pakistan schweigen.

Wenn alle Redner aus Regierungskoalition und Opposition in der Bundestagsdebatte beteuern, dass es für Afghanistan nur eine "politische Lösung" geben könne, dann müssen aus unserer Sicht dafür auch die Weichen gestellt werden. Eine "politische Lösung" verträgt sich nicht mit der Fortsetzung der militärischen Nicht-Lösung. Die Friedensbewegung antwortet daher auf die neuerliche Kriegsfortsetzung mit ihrer alten - aber nach wie vor richtigen - Forderung: Sofortiger, bedingungsloser und vollständiger Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Erst ohne Militär kann zivile Hilfe - die ebenfalls von allen Parteien versprochen wird - in größerem Umfang in Afghanistan geleistet werden. Ziviler Aufbau im Krieg ist eine Unmöglichkeit.

Der Bundesausschuss Friedensratschlag wird die Friedensbewegung zu verstärkten Aktivitäten für die Beendigung des Kriegseinsatzes auffordern. Anlass dazu wird die Bundestags-Abstimmung über das neuerliche Kriegsmandat Ende Januar 2012 sein.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken, Berlin
Peter Strutynski, Kassel

-----

Bundesausschuss Friedensratschlag
Germaniastrasse 14
34119 Kassel
Tel.: +49 (0)561 93717974
Website: http://www.ag-friedensforschung.de

Steuerabzugsfähige Spenden:
Friedensratschlag, Kt.Nr. 217001232
Kasseler Sparkasse (BLZ 52050353)


Zurück zur Afghanistan-Seite

Zur Bundeswehr-Seite

Zur Außenpolitik-Seite

Zur Presse-Seite

Zur Friedensbewegungs-Seite

Zur Friedensratschlags-Seite

Zurück zur Homepage