Friedensbewegung: Obama knickt ein
Stellungnahmen zur neuen Strategie des Weißen Hauses in Afghanistan - Aufruf an Bundestag: NEIN zur Verlängerung des Bundeswehreinsatzes
Im Folgenden dokumentieren wir vier Stellungnahmen aus der Friedensbewegung zur Rede des US-Präsidenten Barack Obama, worin er die neue Afghanistan-Strategie erläuterte. Die US-Strategie ist auch gut zusammengefasst in einem Fact Sheet, das wir hier dokumentiert haben: Die zukünftige Strategie für Afghanistan und Pakistan.
Obama auf dem falschen Dampfer - Friedensbewegung hält dagegen
Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag
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USA und NATO wollen Krieg in Afghanistan verschärfen
- Obamas Fehleinschätzungen
- Druck auf die NATO-Partner
- Friedensbewegung: Abzug besser heute als morgen
Kassel, 2. Dezember 2009 - Zur mit Spannung erwarteten Rede des
US-Präsidenten vor der Militär-Akademie West Point erklärte in einer
ersten Stellungnahme ein Sprecher des Bundesausschusses
Friedensratschlag, der US-Präsident befände sich mit seinem Kriegskurs
auf dem falschen Dampfer. Die Friedensbewegung werde ihren Protest gegen
den Krieg verstärken.
Der militärische Gehalt der Rede Obamas war erwartet worden: Die USA
werden im nächsten halben Jahr ihre Truppen um weitere 30.000 Soldaten
erhöhen. Nach der bereits erfolgten Truppenerhöhung im Frühjahr d.J. um
21.000 bedeutet dies, dass in der kurzen Amtszeit des neuen Präsidenten
sich die militärische Präsenz in Afghanistan verdoppelt hat. Der Krieg
am Hindukusch ist endgültig Obamas Krieg geworden.
Obama unterliegt einer gefährlichen Fehleinschätzung, wenn er sagt, der
Krieg in Afghanistan sei mit Vietnam nicht zu vergleichen, weil dieses
Mal erstens 43 Nationen als Verbündete der USA beteiligt seien und weil
zweitens kein breiter, in der Bevölkerung verankerter Widerstand
vorhanden sei ("we are not facing a broad-based popular insurgency").
Obama übersieht einmal, dass es unter den "Verbündeten" erste
Absetzbewegungen gibt (Japan, Kanada, Niederlande haben den Rückzug
ihrer Truppen bereits beschlossen). Zum anderen verkennt er die
Tatsache, dass sich der vielgestaltige Widerstand gegen die ausländische
Besatzung nicht nur auf Taliban- oder Al-Kaida-Kämpfern stützt, sondern
sich aus einer immer größeren Unzufriedenheit der Bevölkerung aller
Landesteile speist. Nach UN-Angaben gibt es über 2.000 bewaffnete
Widerstandsorganisationen. 80 Prozent des Landes sind - wieder - unter
der Kontrolle der Taliban.
Obama macht sich - und der US-Bevölkerung - auch etwas vor, wenn er die
Truppenverstärkung mit der Ankündigung verknüpft, die Kräfte ab 2011
wieder zu reduzieren. Wer glaubt, mit einer vorübergehenden Verschärfung
des Krieges den Widerstand brechen zu können, hat die afghanische
Wirklichkeit nicht erfasst. Denn bis dahin sind die afghanischen
Verbände weder in der gewünschten Zahl (von 400.000 Polizei- und
Armeekräften ist die Rede) noch in der erforderlichen Loyalität zur
Zentralregierung aufgebaut.
Die Entscheidung Obamas über die Truppenverstärkung war in den letzten
Wochen immer wieder verschoben worden. Dies hatte zwei Gründe:
Erstens gab es große Uneinigkeit zwischen den engsten politischen
Beratern des Präsidenten und dem Oberbefehlshaber der NATO-Truppen in
Afghanistan, General Stanley McChrystal. McChrystal hatte bereits vor
Monaten eine Aufstockung um 40.000 GIs verlangt. Dieses Vorpreschen der
militärischen Führung konnte die Administration nicht hinnehmen. Obama
stellte mit seinem "Kompromiss"-Ansatz klar, dass er die politischen
Entscheidungen trifft, die vom Militär ausgeführt werden und nicht
umgekehrt. In der Sache jedoch ist er vor den militärischen Ratgebern
eingeknickt. Denn die Erhöhung um 30.000 US-Soldaten soll ergänzt werden
durch Truppenverstärkungen der NATO-Partner in Höhe von 10.000 Soldaten.
Zweitens musste die US-Administration in der Zwischenzeit NATO-Partner
finden und überzeugen, mehr Truppen nach Afghanistan zu entsenden. Le
Monde berichtet, dass entsprechende Anfragen u.a. nach Frankreich
(1.500), Großbritannien (1.000), Italien (1.500) und Deutschland (2.000)
ergangen seien. NATO-Generalsekretär Rasmussen unterstützt diese
Forderungen.
Am Donnerstag entscheidet der Deutsche Bundestag über die Verlängerung
des Afghanistan-Mandats der Bundeswehr. An der Truppen-Obergrenze von
4.500 Soldaten wird diesmal nichts geändert. Die Bundesregierung
schweigt sich aber darüber aus, ob es konkrete Anforderungen aus
Washington oder dem NATO-Hauptquartier gibt. Sie verschiebt eine klare
Stellungnahme auf den Zeitpunkt der Internationalen
Afghanistan-Konferenz am 28. Januar 2010. Das ist eine pure
Hinhaltetaktik. Erst hieß es in Berlin, man warte die Entscheidung
Obamas ab. Jetzt wartet man bis zur Londoner Konferenz. Was soll sich an
der Lagebeurteilung Afghanistans in dieser Zeit verändert haben? Wir
glauben, dass die Bundesregierung Angst hat, in dieser Situation der
Bevölkerung reinen Wein einzuschenken. Nach dem Kundus-Massaker, dessen
Umfang nur scheibchenweise zugegeben wird, will man keine weitere Unruhe
im Land. Zumal die Umfragen und nicht zuletzt die Abstimmungsaktionen
der Friedensbewegung in den letzten Tagen gezeigt haben, dass eine
überwältigende Mehrheit der Bevölkerung dafür ist, dass die Bundeswehr
lieber heute als morgen aus Afghanistan abgezogen wird.
Die Friedensbewegung fordert den Bundestag auf, endlich Nein zu sagen
zur weiteren Verschärfung des Krieges. Wer meint, mit immer mehr Truppen
und immer mehr Gewalt den Konflikt einzudämmen, irrt gewaltig. Das
Gegenteil war bisher der Fall: Jede Truppenaufstockung hatte eine
Potenzierung des Widerstands und eine Ausweitung des Kriegsgebiets (vor
allem nach Pakistan) zur Folge. Daher sagen wir: Truppen raus aus
Afghanistan.
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski, Sprecher
Bundeswehroffiziere und –unteroffiziere des Arbeitskreises DARMSTÄDTER SIGNAL fordern Abzug ab 2010
Stralsund/Swisttal, 02.12.2009
P R E S S E M I T T E I L U N G
Der Krieg in Afghanistan dauert bereits länger als 8 Jahre. Nach wie vor fehlt ein politisches Gesamtkonzept für die Lösung der Probleme.
In 8 Jahren blieben die Ziele des militärischen Einsatzes unerfüllt:
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Es gibt keine stabile Staatlichkeit.
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Von demokratischen Verhältnissen in Afghanistan kann nicht die Rede sein.
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Terrorismus wurde nicht eingedämmt sondern befördert und verlagert.
Mit der ständigen Verlängerung und Ausweitung des Einsatzes der Bundeswehr machen Bundesregierung und Bundestag eine Politik gegen die Mehrheit der deutschen Bevölkerung.
Alle historischen und aktuellen Erfahrungen in Afghanistan besagen, es gibt keine militärische Lösung. Die Fortsetzung der militärischen Einsätze gefährdet unsere Sicherheit. Die in Afghanistan tätigen Hilfsorganisationen werden durch die Militäreinsätze nicht geschützt sondern gefährdet. Frieden schafft man nicht mit Gewalt.
Auf Grundlage der im Arbeitskreis DARMSTÄDTER SIGNAL – dem kritischen Forum für Staatsbürger in Uniform (Ak DS) – versammelten militärischen und politischen Kompetenz fordern wir die Bundesregierung und die Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf:
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Respektieren Sie den Mehrheitswillen der deutschen Bevölkerung und verweigern Sie einer Verlängerung des Mandates für den Einsatz der Bundeswehr Ihre Zustimmung.
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Folgen Sie dem Beispiel der NATO-Partner Kanada und Niederlande. Beginnen Sie 2010 mit dem Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan.
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Erarbeiten Sie auf der Grundlage einer realistischen Lagebeurteilung einen umfassenden Plan für die zivile Hilfe.
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Überprüfen Sie die Position der deutschen Außenpolitik zur Regierung Karsai.
Für des Vorstand:
Jörg Wiebach, Kapitänleutnant (Sprecher des Arbeitskreises DARMSTÄDTER SIGNAL)
Zivile Hilfe statt Krieg für Afghanistan
Abzug statt Mandatsverlängerung
IPPNW-Presseinfo vom 2.12.2009
Die Ärzteorganisation IPPNW lehnt die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (ISAF) ab. Frieden und Entwicklung ist nur mit dem Abzug aller ausländischen Militärs aus Afghanistan zu erreichen. Gleichzeitig muss die zivile Hilfe erheblich aufgestockt werden. Dem erwarteten militärischen Aufwand von rund 784,7 Millionen Euro für das Jahr 2010 stehen gerade einmal Mittel von 144 Millionen Euro für Stabilisierung und Entwicklung Afghanistans in diesem Jahr gegenüber. Zudem kritisiert die IPPNW die Strategie der zivil-militärischen Zusammenarbeit, die das Militär an erster Stelle führt und damit zivile Helfer sogar gefährdet.
Die Sicherung und der Ausbau der Gesundheitsversorgung der afghanischen Bevölkerung hat in den Plänen der Bundesregierung einen geringen Stellenwert. Laut Regierungsantrag soll der Wiederaufbauprozess "durch für die afghanische Bevölkerung besonders sichtbare Stabilisierungsprojekte in den Bereichen Infrastruktur, Basisgesundheit und Drogenbekämpfung" unterstützt werden. Das geht nach Ansicht der IPPNW an dem immensen Investitionsbedarf des Gesundheitssystems von Afghanistans weit vorbei. Die Ärzteorganisation fordert die Bundesregierung auf, die finanziellen Mittel zugunsten der zivilen Aufbauhilfe umzuschichten.
"Die medizinische Versorgung in Afghanistan nach acht Jahren Krieg ist verheerend. Rein statistisch kommen auf 10.000 Einwohner zwei Ärzte und 4,2 Krankenhausbetten. Real konzentrieren sich aber 80% der Ärzte, 60% der Krankenhausbetten und 40% der Apotheken in Kabul. Das bedeutet, dass etwa ein Drittel der Landbevölkerung keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung hat", erklärt die IPPNW-Vorsitzende Dr. Angelika Claußen. Knapp neun Millionen Menschen leiden an Hunger und Unterernährung. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist mit 46 Jahren um 20 Jahre kürzer als die in den Nachbarstaaten. Pro Monat ereignen sich ca. 100 zivile Unfälle durch Minen und Munitionsreste.
Aus Sicht der IPPNW bedarf es eines konkreten Abzugplanes. Die deutsche Regierung soll dem Beispiel der Niederlande und Kanadas folgen, die als NATO-Mitglieder ihren Abzug angekündigt haben. Ein Truppenabzug müsste verbunden werden mit der Vereinbarung, Wiederaufbauhilfe für das zerstörte Land zu leisten. Partner auf der afghanischen Seite könnte zum Beispiel die afghanische Friedens-Jirga sein.
Als Kriegsherr wird Obama scheitern
Bonn, 2.12.2009
Zur Rede des amerikanischen Präsidenten erklärt der Geschäftsführer
des Netzwerks Friedenskooperative, Manfred Stenner:
"Als Kriegsherr wird Obama scheitern. Der Surge, die massive
Aufstockung der Truppen und Verschärfung des Krieges gegen die
Taliban mit dem Ziel des baldigen siegreichen Abzugs ist pures
Wunschdenken.
Leider wird auch die wegweisende Kairoer Rede des Präsidenten über
die Annäherung und Kooperation mit der islamischen Welt durch das
jetzige Vorgehen völlig entwertet und konterkariert. Dieser Ansatz
war für mögliche Friedenslösungen mehr wert als hunderttausende
Truppen.
Ein Jahr nach Amtsantritt des Präsidenten ist das US-
Truppenkontingent in Afghanistan bereits nahezu doppelt so hoch wie
in der Bush-Ära, ohne dass militärische Erfolge eintraten. Die
Taliban und andere Widerstandsgruppen gegen die Besatzung wurden
eher gestärkt. Mehr vom Gleichen nützt da nichts.
Die angekündigte Offensive wird trotz gegenteiliger Rhetorik auch
mehr zivile Opfer bedeuten, der Hass auf "den Westen" wird steigen.
Fortschritte in Afghanistan werden sich letztlich nur mit
Verhandlungen erzielen lassen, verbunden mit massiver ziviler Hilfe
in enger Absprache mit der regionalen Bevölkerung.
Die Bundesrepublik darf dem Irrweg des zu frühen
Friedensnobelpreisträgers hier nicht folgen. Freundschaft zu den USA
muss bedeuten, auf der Afghanistankonferenz Ende Januar in London
auf eine zivile Strategie zu dringen."
Manfred Stenner
Geschäftsführer des Netzwerks Friedenskooperative
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