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Mit Halbmond und Kreuz gegen Terror

Christliche Minderheit in Ägypten verlangt Schutz vor Terror und klagt das Militär an

Von Juliane Schumacher, Kairo *

Kirchen in Flammen, Schüsse, Steine und Demonstrationen. Von den blutigen Zusammenstößen zwischen Kopten und radikalen Muslimen im Kairoer Arbeitervorort Imbaba bleiben 12 Tote und über 250 Verletzte. Gestern nun hieß es, der mutmaßliche Drahtzieher der tödlichen Gewalt sei festgenommen worden.

Am Samstagabend (7. Mai) waren mehrere hundert Salafisten, eine radikale Muslimgruppierung mit engen Verbindungen nach Saudi-Arabien, zur koptischen St.-Mina-Kirche in Imbaba gezogen, angestachelt offenbar von Gerüchten auf Twitter, dass dort eine zum Islam konvertierte Frau namens »Abeer« gegen ihren Willen festgehalten werde. Sie versuchten, in die Kirche einzudringen, Kopten eilten herbei, diese zu verteidigen. Schüsse krachen, Steine fliegen, Menschen fliehen, am Ende gehen die St.-Mina-Kirche und eine weiter in Flammen auf.

Es sind nicht die ersten Auseinandersetzungen zwischen Kopten, die rund zehn Prozent der ägyptischen Bevölkerung ausmachen, und radikalen Muslimen. Dieses Mal jedoch sind die Kopten entschlossen zu handeln.

Sonntagabend (8. Mai), etwa 10 000 haben sich vor dem Gebäude des staatlichen Rundfunks am Nilufer in Maspiro versammelt. Die breite Straße ist mit Stacheldraht und improvisierten Barrikaden abgesperrt, Freiwillige kontrollieren Ausweise und Taschen.

Direkt vor dem Fernsehgebäude drängen sich Männer und Frauen um eine improvisierte Bühne, viele halten Kreuze in die Höhe oder Plakate mit Halbmond und Kreuz, dem Zeichen für die Verbundenheit von Islam und Christentum. Sie singen, skandieren Slogans. »Muslime und Christen, Hand in Hand!«, »Die Menschen wollen, dass Tantawi (Mohammed Tantawi ist Vorsitzender des Obersten Rats der Streitkräfte – J. S.) geht!« »Das sind dieselben Sprüche, die wir auf dem Tahrir-Platz gerufen haben!« sagt Ahmed, ein junger Aktivist, erstaunt. Tatsächlich spielt der Konflikt mit den Salafisten nur eine geringe Rolle an diesem Abend – der Protest richtet sich vor allem gegen das Militär.

Die Kopten werfen dem Militärrat vor, die Konflikte bewusst eskalieren zu lassen. »Das ist ein abgekartetes Spiel zwischen dem Militär und den Muslimbrüdern«, sagt eine Frau Journalisten der Zeitung »Al-Ahram«. »Sie bringen die Menschen gegeneinander auf, hetzen gegen die Salafisten, so dass sie dann sagen können, ah, die Muslimbrüder sind dagegen ja ganz harmlos.«

Aber auch gegen die führenden Kopten richtet sich Unmut. Auch die, heißt es, würden immer nur reden. »Das hier ist alles noch Teil der Revolution«, sagt Magda, eine quirlige Frau mit hellbraun gefärbtem Haar. Sie ist Koptin und trägt ein Schild, das sie als Ordnerin ausweist, die ägyptische Flagge und das Zeichen der Kopten darauf. »Wir dürfen uns von solchen Radikalen nicht alles wieder kaputt machen lassen.«

Von der Bühne fordert jemand Freiheit für die Gefangenen und eine zivile Übergangsregierung. Die Protestierenden, aber auch zahlreiche Beobachter bleiben trotz aller Mühe ratlos. Fest steht: Niemand in der Politik will schuld sein an den Ereignissen in Imbaba. Der Militärrat ruft die Ägypter zur Geschlossenheit auf, macht Kräfte aus dem Ausland für die Ausschreitungen verantwortlich. Am Mittwoch verkündet er, der Drahtzieher der Unruhen sei gefasst worden. Doch Näheres erfährt man nicht.

Die Muslimbrüder verurteilen derweil die Angriffe auf die Kirchen. Eine Gruppierung der Salafisten wehrt sich öffentlich gegen die Vorwürfe, an den Ausschreitungen beteiligt gewesen zu sein, und meint, die Angriffe seien von Schlägertrupps ausgegangen, bezahlt von der ehemaligen Staatspartei. Die Anwohner von Imbaba und einige Augenzeugen schließen sich an mit der Aussage, die Angreifer seien nicht aus dem Viertel gewesen, es seien bewaffnete Männer von außerhalb darunter gewesen, einige wollen Offiziere der aufgelösten Sicherheitspolizei erkannt haben.

Ganz abwegig ist der Gedanke nicht: Als die Menschen nach der Revolution die Gebäude der Sicherheitspolizei stürmten, fanden sich dort Hinweise, dass diese tatsächlich für einige tödliche, angeblich »radikal-islamische« Anschläge verantwortlich war. Das allein, widersprechen in Foren im Netz viele Aktivisten, reiche aber nicht, die Ausschreitungen zu erklären. »Wir brauchen nicht für alles die Sicherheitspolizei«, schreibt eine Aktivistin auf Twitter. »Es gibt genug Idioten, die so etwas auch ohne Anleitung tun.«

* Aus: Neues Deutschland, 11. Mai 2011


Gewalt gegen Kopten

Ägypten: Tote und Verletzte bei Brandanschlag auf eine Kirche

Von Kristin Jankowski, Kairo **


Rund 2000 Menschen haben am Montag (9. Mai) in Kairo gegen Gewalt gegen die christliche Minderheit in Ägypten demonstriert. An der Aktion nahmen unter anderem die Nationale Vereinigung für den Wechsel (NAC) und die Bewegung 6. April teil. Zahlreiche Anwohner schlossen sich dem Marsch an. Immer wieder ertönten Rufe: »Christen und Muslime sind eins.«

Am Samstag war es in dem Kairoer Viertel Imbaba zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen gekommen. Dabei wurde eine koptische Kirche in Brand gesteckt. Am Montag erlag eine weitere Person ihren schweren Verletzungen. Damit erhöhte sich die Zahl der Todesopfer der Ausschreitungen vom Wochenende auf 13, rund 240 Menschen wurden verletzt.

Angeblich sollen es konservative Salafisten (dogmatische Minderheitenströmung des sunnitischen Islam, d. Red.) gewesen sein, die das Feuer gelegt haben. Kurz zuvor kursierte ein Gerücht, daß sich in der Kirche eine junge Frau befinden würde, die einen muslimischen Mann geheiratet habe und deshalb vom Christentum zum Islam konvertiert sei. Dem Gerücht zufolge war sie entführt worden und angeblich gegen ihren Willen in der Kirche eingesperrt.

Nach Medienberichten soll sich daraufhin ein Mob von Muslimen auf den Weg gemacht haben, die Frau zu befreien. Kopten, die rund zehn Prozent der Bevölkerung Ägyptens ausmachen, hätten sich schützend vor die Kirche gestellt. Kurze Zeit später begannen die Auseinandesetzungen. Steine flogen. Die Zeitung Daily News Egypt behauptet, daß der Gewaltausbruch rund fünf Stunden anhielt. Augenzeugen berichteten, daß sich auf dem Dach der Kirche Personen befanden, die nicht nur Molotowcocktails in die aufgebrachte Menge warfen, sondern auch geschossen haben sollen. Die Armee habe nicht eingegriffen. Die Anwesenheit der jungen Frau in der Kirche sei von religiösen Anwohnern nicht bestätigt worden, so Daily News Egypt.

Ein Angehöriger der ägyptischen Armee behauptete in der unabhängigen Zeitung Al-Masry Al-Youm, daß dem Militär Informationen über einen Plan vorliegen würden, einen Bürgerkrieg auszulösen. Gesteuert sei dieser Plan von der Nationaldemokratischen Partei (NDP) des gestürzten ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak. Mitte April hatte ein Gericht die Auflösung der Partei angeordnet. »Die Hände von Teufeln arbeiten im dunkeln, um die Stabilität und Geschlossenheit Ägyptens zu zerstören. Es sind die Überreste des ehemaligen Regimes«, heißt es in diesem Zusammenhang in einem Report der Al-Wafd Partei aus Alexandria.

Aus einem Bericht des Nationalen Rates für Menschenrechte (NCHR) geht hervor, daß die Angreifer auf die Kirche Schrotflinten, Messer und Molotowcocktails bei sich trugen. Die Polizei habe sie nicht aufgehalten. Weiter heißt es, daß die »Heilige-Maria«-Kirche in Brand gesetzt worden sei, ohne daß Sicherheitskräfte anwesend gewesen wären. Am Sonntag (8. Mai) hat das Militär seine Präsenz in Imbaba verstärkt. In dem Stadtteil befinden sich fünf koptische Kirchen.

Dennoch brachen erneut Auseinandersetzungen aus. Kopten hatten sich in der Nähe des Nils in Kairo Downtown versammelt. Sie wurden von einem aufgebrachten Mob attackiert. Wieder flogen Steine. Bei den Angreifern soll es sich erneut um Muslime gehandelt haben. Eine anwesende Einheit der Armee griff nicht ein. Am selben Tag verkündete jedoch die Militärpolizei, daß aufgrund des Gewaltausbruches in Imbaba 190 Personen festgenommen wurden. 23 weitere Verdächtige wurden am Montag verhaftet. Sie sollen vor ein Militärgericht gestellt werden. Der Generalstaatsanwalt ordnete inzwischen eine Untersuchung der Vorfälle in Imbaba an.

** Aus: junge Welt, 11. Mai 2011

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