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Das 21. Jahrhundert neu beginnen

Von Christine Buchholz *

Das 21. Jahrhundert hat begonnen mit dem ersten imperialistischen Krieg des 21. Jahrhunderts. Der so genannte „Krieg gegen den Terror“ ist ein Synonym für:
  • Die Globalstrategie der USA und damit die Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens. Die Konturen der US-Globalstrategie hatten die Neokonservativen ausführlich in dem Dokument Rebuilding America's Defenses vom September 2000 niedergeschrieben. Unter anderem wird dort auch eine aggressive Politik gegenüber dem Irak und eine umfassende Neuorientierung der US-Sicherheitspolitik, die sich am Ziel der Umsetzung amerikanischer Hegemonialansprüche zu orientiert entwickelt.
  • Die Aufteilung der Einflusssphären Afrikas. Ehemalige Kolonialstaaten Europas handeln teilweise gemeinsam mit den USA gegen China und Indien, teilweise auch gegen die USA. Ausdruck dieses verstärkten Interesses ist die Bildung des AFRICOM, eines neuen Einsatzkommandos der USA für Afrika, die EU-Afrika-Strategie und das verstärkte militärische Eingreifen in Afrika. Eine treibende Rolle spielt auch hier die Bundesregierung, die Afrika – mit der Unterstützung deutscher Wirtschaftsverbände – auch während ihrer G8-Präsidentschaft zu einem Schwerpunktthema gemacht hat.
  • Die Stärkung der EU im globalen Machtkampf. Dabei ist der Reformvertrag, der nach dem Scheitern des Verfassungsvertrags dessen Inhalte umsetzen soll, ein zentrales Moment.
  • Die Durchsetzung der strategischen Wirtschaftsinteressen der großen Industrienationen und die totale Entgrenzung des Kapitalismus. Ein "Investitionsschutzabkommen", das unter maßgeblicher deutscher Beteiligung zustande gekommen ist, ermöglicht hundertprozentigen Firmenbesitz von Ausländern, Schutz vor Enteignung, Steuerbefreiung in den ersten acht Jahren, Zollreduzierung und hundertprozentigen Gewinntransfer ins Ausland. Die Bundesagentur für Außenwirtschaft schreibt: "Afghanistan kann als eine der offensten Volkswirtschaften überhaupt, auf jeden Fall aber als die offenste Volkswirtschaft der Region bezeichnet werden. Handelsbeschränkungen und Subventionen sind praktisch nicht existent, und die afghanische Regierung zeigt sich sehr aufgeschlossen für Investitionen im Land."
Aber ich will nicht nur über die Stärken, sondern auch über die Schwachstellen der imperialistischen Staaten reden.

Die Antiterrorkrieger haben mehrere Probleme. Ihr Krieg ist nicht beliebt. Widerstand regt sich in Lateinamerika, im Irak, in Afghanistan, in Afrika und Europa. Auch wenn uns die Farbe der Fahnen nicht immer gefallen mag, unter denen der Widerstand stattfindet.

Dazu sagt Malalai Joya, eine junge Kriegsgegnerin, die wegen ihrer Kritik an der Karsai-Regierung als Abgeordnete des afghanischen Parlaments suspendiert wurde:
„Zweifellos braucht Afghanistan internationale Unterstützung, um auf den richtigen Weg zu gelangen und den eigenen Wiederaufbau zu beginnen, aber wir wollen keine Besatzung. Die Afghanen blicken auf eine lange Geschichte des Widerstands gegen ausländische Invasoren zurück. Heute stehen eindeutig Invasoren in Afghanistan und die ausländischen Truppen spielen mit dem Schicksal des afghanisc hen Volks und opfern es für ihre eigenen Interessen.
Die Geschichte beweist, dass keine Nation eine andere befreien kann. Es ist die Pflicht unseres eigenen Volkes und liegt in seiner Verantwortung, für seine Freiheit zu kämpfen und Demokratie herbeizuführen. Die Menschen anderer Länder können uns dabei nur eine helfende Hand reichen.“


Parallel zum Kasseler Friedensratschlag haben sich in London 1200 Delegierte aus vielen Ländern zu einer internationalen Anti-Kriegs-Konferenz versammelt. In den USA, in Canada, in Großbritannien – überall wo sich die Regierungen im Krieg befinden, ist die Friedensbewegung auf der Straße.

Der Widerstand in Irak und Afghanistan und die weltweite Antikriegsbewegung haben dazu beigetrage n, dass die von Bush zusammengetrommelte „Koalition der Willigen“ erheblich ins Taumeln geraten ist: Immer weitere Staaten haben sich aus der Kriegskoalition verabschiedet und ihre Truppen zurück gezogen. Jüngstes Beispiel ist die neue Regierung Australiens, die im Wahlkampf den Abzug der Soldaten aus dem Irak angekündigt hat.

Die USA bekommen zudem Rekrutierungsschwierigkeiten und im zunehmenden Maße wehren sich Veteranen. Neulich verweigerten sogar hunderte Diplomaten im US-Außenministerium gegen eine Zwangsversetzung in den Irak. Ein Einsatz im Irak sei eine „potentielle Todesstrafe“.

Aber auch in anderen Ländern wehren sich Menschen gegen die modernen Kolonialisten. Das Weltsozialforum in Nairobi hat ein Schlaglicht darauf gerichtet, dass auch die Menschen auf dem afrikanischen Kontinent nicht nur Opfer, sondern auch Handelnde sind. Ihnen sollte unsere Unterstützung gelten. Nicht zu unterschätzen ist der nachhaltige Erfolg der Referenden in den Niederlanden und Frankreich gegen die EU-Verfassung, die Mobilisierung gegen die G8-Gipfel 2005 in Gleneagles und 2007 in Heiligendamm.

Für uns stellt sich die Frage, wie wir diese Schwächen verstärken und ausnutzen können und so unseren Beitrag dazu leisten, das globale Kräftegleichgewicht zuungunsten der imperialistischen Staaten zu verschieben.

Ich schlage zwei strategische Schwerpunkte vor:

1) Afghanistan als zentrales Projekt der herrschenden Klasse in Deutschland zum zentralen Projekt der Friedensbewegung machen.

Der ehemalige Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Lothar Rühl, wirbt in der Zeitschrift Strategie und Taktik für den Afghanistaneinsatz:
  1. Die Verteidigung der deutschen Sicherheitsinteressen sei nur im euro-atlantischen Bündnis möglich.
  2. Die deutsche Beteiligung sei ein „ziviles Gegenstück“ zu der Kriegsführung der USA.
  3. Er entspricht der herausgehobenen Rolle, die Deutschland inzwischen auf der internationalen Bühne spielt und spielen soll.
  4. Die wirtschaftlichen Interessen, speziell die Transportwege in der Luft und zur See, sowie der Zugang zu Rohstoffen sollen g esichert werden.
  5. Gerade weil die Situation seit 2003 schlechter wird, kann man sich jetzt nicht aus der Verantwortung stehlen.
Unterstützt wird diese Position von Positions- und Diskussionspapieren der SPD-nahen Stiftung Politik und Wissenschaft, die der Bundesregierung empfiehlt, die Bedeutung des ISAF-Einsatzes stärker herauszuarbeiten, die notwendigen Aufgaben des OEF-Einsatzes in Afghanistan ISAF zuzuordnen, und einen Afghanistankoordinator der Bundesregierung zu benennen, um die offenkundigen Schwierigkeiten (zunehmende Distanz der Bündnispartner in Afghanistan, Versagen der Hilfsprojekte, zunehmende Eskalation der Gewalt, etc.) in den Griff zu bekommen.

Wir sollten dagegen betonen, das s der Abzug der Bundeswehr die Voraussetzung für Frieden in Afghanistan ist und dass wir konsequent gegen die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen mit Krieg sind. Wir wollen nicht, dass die „Sicherheit“ der deutschen Wirtschaftsinteressen am Hindukusch oder am Horn von Afrika auf Kosten der Menschen hier und dort verteidigt werden.

Wir weisen auch die Vorstellung zurück, dass Deutschland das „zivile Gegenstück“ zum „Cowboy-Imperialismus“ der USA sei. Unter der Federführung der NATO und der USA ist Deutschland Teil des Antiterrorkrieges und damit genauso verantwortlich für tote Zivilisten in Afghanistan. Wir haben immer betont, dass es keine Trennung von ISAF und OEF gibt.

Kriege werden immer mit „guten“ Argumenten begründet. Der „humanitäre Interventionismus“ ist eine Reaktion auf die Kriegsablehnung in der Bev ölkerung. Er hat nichts zu tun mit dem Bedürfnis der Menschen in den Krisenregionen. Wie Vertreter von Hilfsorganisationen bestätigen, ist das Konzept zivil-militärischer Kooperation grundfalsch, weil es Hilfe instrumentalisiert für die militärischen Interessen der Interventionsmächte, somit die Neutralität von Hilfe unterminiert und die Ablehnung der Hilfsorganisationen schürt.

Während Jugoslawien der Tabubruch mit dem Anti-Kriegs-Konsens der Nachkriegszeit war, soll Afghanistan das erste Erfolgsmodell für den humanitären Interventionismus der Deutschen werden.

Aber dieser Krieg kann kein Erfolg werden, da die Zivilbevölkerung Afghanistans leidet.

Der Abzug wäre eine Niederlage für die Großmachtambitionen Deutschlands, eine Niederlage für den US-Imperialismus und eine wichtige Voraussetzung für Frieden in Afghanistan.

2) Nein zum EU-Reformvertrag

Der EU-Reformvertrag, der im Oktober in Lissabon verabschiedet wurde, ist die Fortsetzung des neoliberalen Kurses, von Demokratieabbau und Militarisierung in Europa.

Er beinhaltet eine Aufrüstungsverpflichtung, die Einrichtung einer Rüstungsagentur und die Aufhebung des Verbots der Verwendung von EU-Haushaltsmitteln für militärische Zwecke.

Eine zentrale Rolle spielt auch hier die Bundesregierung, die mit der Beschaffung neuer Fregatten für die Bundesw ehr sowie der Weltraumrüstung mit den Aufklärungssatelliten SARLUPE die Militarisierung der EU und die Stärkung der deutschen Rolle darin betreibt.

Am 12. Dezember wird es eine Regierungserklärung zum Ratifizierungsverfahren geben.

Die Europäische LINKE hat sich eindeutig gegen den Reformvertrag gestellt, auch die Bundestagsfraktion der LINKEN hat einstimmig Nein zum Vertrag gesagt. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass dieser Vertrag genauso scheitert wie die Verfassung.

Fazit

Die Gründung der LINKEN ist ein Fortschritt, ebenso ist die Bundestagsfraktion der LINKEN wichtig für die Verbreiterung der Positionen der Friedensbewegung. Aber eins ist klar: Ihre Positionen kann die Friedensbewegung nur dann durchsetzen, wenn sie in der Lage ist, eigenständig starken öffentli chen Druck zu entfalten. Und nur eine starke Friedensbewegung kann den Einfluss auf die LINKE und andere Parteien nehmen, wenn sie sich dem Druck der Medien, des politischen Establishments etc. zu beugen drohen, wie es bei den Grünen zu beobachten war.

Für uns als Antikriegs- und Friedensbewegung heißt „Neu beginnen im 21. Jahrhundert“, Teil der globalen Antikriegsbewegung zu sein, die Kräfte in Deutschland zu sammeln und neue Verbündete zu gewinnen. In der Kampagne gegen den Afghanistankrieg war unsere Stärke die Offenheit und die Schärfe der politischen Positionierung gegenüber beiden Bundeswehrmandaten. Wenn wir hier anknüpfen, können wir unseren Beitrag dazu leisten, dass das 21. Jahrhundert unser ist und nicht das der Antiterrorkrieger.

* Christine Buchholz ist Mitglied im geschäftsführenden Parteivorstand der Partei DIE LINKE und dort zuständig für Frieden und Abrüstung

Beitrag beim Abschlusspodium des 14. Friedenspolitischen Ratschlags in der Uni Kassel am 1./2. Dezember 2007



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