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Alle kamen - nur die Presse nicht

Der Pressespiegel zum 13. Friedenspolitischen Ratschlag fällt mager aus - Ganz im Gegensatz zum viel gelobten Kongress selbst

Die Qualität und Bedeutung des 13. Friedenspolitischen Ratschlags Anfang Dezember stand - wieder einmal - in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zur Resonanz in den überregionalen Medien. Die in Nordhessen und Südniedersachen weit verbreitete HNA (Hessisch-Niedersächsische Allgemeine) brachte sehr informativen Artikel (auf Seite 2!), der sich indes ausschließlich mit dem großartigen Vortrag von Rolf Verleger befasste ("Israel muss Besetzung aufgeben"). Ansonsten fand eine Berichterstattung "nur" in den einschlägigen linken Tageszeitungen statt. Nicht einmal die Frankfurter Rundschau, die in den vergangenen Jahren stets zumindest einen kleinen Artikel brachte, fühlte sich veranlasst Kassel zu erwähnen.
Im Folgenden dokumentieren wir die Artikel, die nach dem 13. "Ratschlag" (bisher) erschienen.
Im Vorfeld waren ebenfalls nur in der "jungen Welt" und im "Neuen Deutschland" Ankündigungen zu lesen gewesen, darunter ein längeres Interview mit einem "Ratschlags"-Verantwortlichen (siehe: "Merkel hat sich erstaunlich bockig gezeigt").



Warnung vor Interventionen

13. Friedensratschlag in Kassel: Weitere Destabilisierung meist Folge des militärischen Eingreifens von außen in Konflikte. Appell gegen Militarisierung der EU Von Reimar Paul *

Militärische Interventionen bleiben nach Ansicht der Friedensbewegung ein untaugliches Mittel zur Schlichtung oder gar Lösung von Konflikten. In den meisten Fällen hätten sich die Verhältnisse in den betroffenen Ländern durch militärisches Eingreifen von außen nicht nachhaltig gebessert, konstatierte der Friedensforscher und -aktivist Peter Strutynski am vergangenen Wochenende auf dem 13. Friedenspolitischen Ratschlag in Kassel. Im Gegenteil: Vielfach habe sich die Lage danach »desaströs entwickelt«. Beispiele dafür seien Somalia, der Balkan, Haiti, Afghanistan, der Irak, der Nahe Osten sowie die Demokratische Republik Kongo.

»Ignorieren? Intervenieren? Sich engagieren!«, lautete das Motto der zweitägigen Konferenz. Knapp 400 Menschen waren zu dem Treffen gekommen, das jedes Jahr im Dezember von der AG Friedensforschung an der Universität Kassel veranstaltet wird. Der exiliranische Autor Bahman Nirumand warnte eindringlich vor einem Krieg gegen den Iran. Ein Angriff auf das Land würde die gesamte iranische Gesellschaft fester zsammenschweißen und auch die Opposition auf die Linie des autoritären Mullah-Regimes bringen. So werde es keinen politischen Wandel geben. Zudem bestehe bei einem Krieg gegen den Iran die große Gefahr, daß die ganze Region explodiere.

Daß militärische Interventionen von außen in aller Regel gegen das Völkerrecht und insbesondere das in der UN-Charta verankerte Gewaltverbot verstoßen, betonte der Völkerrechtler und Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion Norman Paech. Dies gelte vor allem für die in der US-Militärdoktrin, aber auch von der Bundesregierung propagierte Politik, unliebsame Regimes mittels Interventionen zu stürzen und auf diese Weise vorgeblich Demokratie zu exportieren.

Eine gegenseitige Anerkennung des staatlichen Existenzrechtes sowie der jeweiligen Sicherheitsprobleme mahnten die Teilnehmer einer Podiumsdiskussion mit Blick auf den Nahost-Konflikt an. Nur so ließen sich die tief verwurzelten Feindbilder überwinden und ein dauerhafter Friede zwischen Israel und Palästina erreichen. Rolf Verleger, Mitglied im Direktorium des Zentralrats der Juden in Deutschland, ging in Kassel auf die Frage ein, ob Juden die israelische Politik kritisieren dürfen. »Das Gebot der Nächstenliebe ist der zentrale Kern der jüdischen Religion«, erklärte er. Angesichts des Unrechts, das den Palästinensern von israelischer Seite angetan werde, sei von Nächstenliebe nicht mehr viel zu erkennen. Israel habe aber eine moralische Korrektur dringend nötig, da das gewaltsame Vorgehen im Namen der Terrorbekämpfung tiefste Erbitterung bei der arabischen Bevölkerung hervorrufe und langfristig Israels Existenz gefährde.

In einem abschließenden Podiumsgespräch diskutierten Johannes Becker (Zentrum für Konfliktforschungen der Uni Marburg), Monika Knoche (Bundestagsabgeordnete Die Linke), der linke Europaabgeordnete Tobias Pflüger sowie Thomas Roithner vom Österreichischen Studienzentrum für Konfliktlösung über die Perspektiven der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Sie forderten einen Stopp der Militarisierung der EU. Vielmehr müsse die Staatengemeinschaft auf eine zivile Außenpolitik verpflichtet werden.

Aus: junge Welt, 5. Dezember 2006


"Rückzug aller deutschen Truppen"

Peter Strutynski über die Friedensbewegung und ihre künftigen Arbeitsschwerpunkte **

Sind Sie zufrieden mit der Beteiligung beim Ratschlag?

An beiden Tagen hatten wir knapp 400 Besucher aus 120 Städten der BRD und zudem Gäste aus den Niederlanden, Österreich und Schweden. Ich denke, damit können wir hoch zufrieden sein.

In Kassel wurden viele Themen diskutiert. Ist auch über die Friedenspolitik der Großen Koalition gesprochen worden?

Von Friedenspolitik kann da wirklich nicht die Rede sein. Nach einem Jahr Großer Koalition lässt sich sagen, dass diese im Kern den Kriegskurs der vorherigen rot-grünen Bundesregierung fortsetzt. Allerdings stellen wir eine Steigerung fest, die sich zunächst nur verbal äußert: So ist zum Beispiel davon die Rede, dass für »Freiheit und Menschenrechte notfalls auch Militäreinsätze« gerechtfertigt seien. Das halte ich für eine gefährliche Entwicklung.

Wie schätzen Sie den Kongo-Einsatz ein?

Meiner Ansicht nach hatte dieser Einsatz nur einen symbolischen Wert, und zwar in zweifacher Hinsicht: Zum einen als Beruhigungspille für die Weltöffentlichkeit, der vermittelt werden sollte »Wir tun ja was«, und zum anderen für die deutsche Bevölkerung, damit wir uns an Auslandseinsätze gewöhnen. Außerdem hatte dieser Einsatz einen praktischen Nutzen, er war ein Testfall für das Verbundsystem der europäischen Streitkräfte. Die konnten schon mal Krieg üben.

Sie sind zugleich Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, einem Netzwerk von Antikriegsinitiativen. Welche Aufgaben hat sich Friedensbewegung für das kommende Jahr gestellt?

Wir haben ein Sechs-Punkte-Papier verabschiedet, in dem die Arbeitsschwerpunkte für das nächste Jahr festgelegt werden. Das sind die Themen Militarisierung der EU, die deutsche Militarisierung, der Nahostkonflikt, der sogenannte Antiterrorkrieg, die Atomrüstung und das Völkerrecht. Daraus leiten sich die Aufgaben ab und wir müssen sehen, dass wir den hohen Anforderungen, die zum Beispiel durch die Übernahme der EU-Präsidentschaft der Bundesrepublik auf uns zukommen, gerecht werden.

Welche Aufgabe ist Ihrer Ansicht nach die Wichtigste?

Meiner Ansicht nach ist die Forderung nach dem Rückzug aller deutschen Truppen aus dem Ausland die vordringlichste Aufgabe.

Die Friedensbewegung hat bestimmte Höhepunkte im Jahr, etwa die Ostermärsche, den Hiroshima- Tag, aber ansonsten tritt sie in der Öffentlichkeit kaum in Erscheinung.

Das liegt daran, dass die Friedensbewegung vor allem vor Ort aktiv ist und nur bei großen Anlässen bundesweit zentrale Aktionen macht. Dieses Konzept hat sich in den letzten Jahren verstetigt, es gibt zum Beispiel am nächsten Wochenende zahlreiche Veranstaltungen im Rahmen des Tages der Menschenrechte. Da sind viele kleine Aktionen geplant, die natürlich nicht so ins Auge fallen wie etwa die große Demonstration in Berlin gegen den Irak-Krieg. Aber die angebliche Nicht-Existenz der Friedensbewegung hat auch damit zu tun, dass die Medien wenig über unsere Aktivitäten berichten, insbesondere die überregionalen Medien.

Die Fragen stelle Birgit Gärtner

** Aus: Neues Deutschland, 5. Dezember 2006


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