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"Neue Kriege in Sicht?"

Die Lage der Welt und die neue politische Regierungskonstellation hier zu Lande verheißen nichts Gutes - Zum "Friedenspolitischen Ratschlag" 2005

Das Motto des diesjährigen Friedenspolitischen Ratschlags, der vom 2. bis 4. Dezember an der Uni Kassel stattfindet, klingt düster. Lediglich das Fragezeichen gibt der leisen Hoffnung Ausdruck, dass es vielleicht doch nicht so schlimm kommen muss. Die Lage der Welt und die neue politische Regierungskonstellation hier zu Lande verheißen aber nichts Gutes. Der „Ratschlag“ findet nach der Wachablösung von Rot-Grün durch Schwarz-Rot statt - die problematischste von allen auf Grund des Wahlergebnisses möglichen Varianten. Denn damit wird nicht nur eine gewissermaßen „verschärfte“ Kontinuität in der Außen- und Sicherheitspolitik garantiert, hinzu kommt auch die faktische Außerkraftsetzung parlamentarischer Kontrolle durch die Opposition: Die hat nicht einmal mehr eine Sperrminorität gegen die verfassungsändernde Mehrheit des Bundestags.

In der deutschen Außenpolitik, die Weltmachtpolitik ist, bleibt sich also (fast) alles gleich, manches wird noch schlimmer: Die Umstrukturierung der Bundeswehr zu einer reinen Angriffs- und Interventionsarmee wird weitergehen, gleichgültig, ob der Nachfolger Strucks Jung, Pflüger oder Schäuble heißt. Die Militarisierung der EU wird – trotz gescheiterter EU-Verfassung - weiter voran getrieben und beschleunigt. Die Waffenbeschaffungsprogramme des Struck-Ministeriums werden fortgeschrieben (Motto: Wir beschaffen, was die Bundeswehr braucht und die Rüstungslobby fordert). Entsprechend wird auch der Anteil der investiven Ausgaben im Verteidigungsetat weiter erhöht; möglicherweise wird sogar die ab 2007 geplante Erhöhung des gesamten Rüstungsetats vorgezogen. Alles nach den Vorgaben des Bundesverbands der Deutschen Industrie, der im September 2003 ein Positionspapier „Streitkräfte und Industrie 2010“ vorgelegt hatte. Die deutsch/europäisch-amerikanische Achse wird ideologisch (gemeinsame „Werte“), weltpolitisch (the west against the rest) und militärisch (offenere Kriegsunterstützung) härter geschmiedet. Am 12. September, also lange vor der Wahl Merkels zur Kanzlerin, hat der US-Präsident in einem Telefongespräch seine Freude geäußert und seine Hoffnung auf eine sehr gute Zusammenarbeit ausgedrückt. Die deutsche (und europäische) Rüstungsexportpolitik wird noch schranken- und schamloser den Profitinteressen der beteiligten Unternehmen sowie den „nationalen Interessen“ untergeordnet (Schröder hoch zwei). Die zaghaften Versuche, die US-Regierung davon zu überzeugen, ihre Atomwaffen aus Deutschland abzuziehen, werden ganz eingestellt. Internationale Rüstungskontrollregime (ABM-Vertrag, Atomwaffensperrvertrag) werden an Bedeutung verlieren, möglicherweise wird eine Beteiligung am US-Raketenabwehrsystem angestrebt. Die Außenkontakte zu den konservativen bis reaktionären Regimes in einigen osteuropäischen (z.B. den baltischen und kaukasischen Staaten) werden vertieft. Die Entwicklungspolitik wird – auch wenn Wieczorek-Zeul ihr Ministeramt behält, noch stärker nach geostrategischen – und nicht auch nach humanitären – Gesichtspunkten gestaltet. Die Nahostpolitik wird noch enger an die harte Linie der israelischen Regierung angelehnt. Der „Kampf gegen den internationalen Terrorismus“ wird weiter ideologisiert (Feindbild Islam). Und zentrale Prinzipien des Völkerrechts, der Menschenrechte und der UN-Charta (z.B. Gewaltverbot) sowie des Grundgesetzes (Verbot des Angriffskrieges, Art. 26 GG) werden weiter zur Disposition gestellt und internationale Organisationen (UNO und Unterorganisationen, OSZE usw.) noch stärker für die eigenen „nationalen Interessen“ instrumentalisiert.

Kurz: Wir werden erfahren, dass die nicht gerade zurückhaltende Außen- und Sicherheitspolitik des Schröder-Fischer-Kabinetts noch längst nicht das Ende der imperial-nationalistischen Fahnenstange war. Doch das ist nur die eine Seite. Politik wird nicht nur von den Regierenden und dem Parlament verwaltet (in das übrigens eine starke friedensorientierte Fraktion eingezogen ist), sondern auch außerparlamentarisch beeinflusst. Politischem Druck von unten geht eine wissenschaftliche Analyse voraus. Dem Nachdenken über die Lage und Perspektive der Welt, der Positionsbestimmung friedenspolitischer Akteure in Wissenschaft, Politik und „Bewegung“ dient der kommende Friedensratschlag, der diesmal mit einem musikalischen Leckerbissen eröffnet wird: mit Konstantin Wecker.

Viel Besuch und noch mehr Diskussion wünscht sich
Peter Strutynski (AG Friedensforschung an der Uni Kassel)

Aus dem Editorial des "FriedensJournals" 5/2005 (erscheint Anfang 2005)

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