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Terrorismus, Fundamentalismus, Islam, Kopftuchträgerinnen ...

Neue Feindbilder und wie ihnen zu begegnen ist

10 Thesen von Horst Bethge*

1.Gegenwärtig erleben wir, wie Politiker verschiedener Couleur und die Massenmedien neue Feindbilder massiv in den Köpfen der Bürger zu verankern versuchen: Terroristen, Fundamentalisten, ihre vermeintlichen Helfer, ja, alle Muslime und sogar Kopftuchträgerinnen heißen die neuen Feindbilder. Muslime stehen dabei unter Generalverdacht. Eine Welt- Religionskriegs-Hysterie wird erzeugt.

Da stoßen CDU/CSU eine neue Patriotismus - Debatte an: "In dieser Zeit der Globalisierung verspüren viele Menschen, Heimat zu haben und für sich eine Identität sicherzustellen"...."Ausländer, die hier leben, (sollen sich) zu unserer christlich-humanistischen Tradition bekennen" (CDU- Generalsekretär Laurenz Meyer, Hamb. Abendblatt (HA), 30. 11. 04). Angela Merkel: "Migranten seien willkommen, wenn sie Gesetze respektieren, Deutsch lernen und keine Parallelgesellschaften ins Leben rufen" (HA, 25. 11. 04). "Wieviel Anatolien verträgt Europa?", fragt Helmut Schmidt (HA, 24. 11. 04), und bedient die "Angst vor ungesteuerter Zuwanderung und vor kultureller Überfremdung."...Es sei "einvernehmliche Begrenzung der Zuwanderung aus anderen kulturellen Welten geboten" (H. Schmidt in "Die Zeit", 25. 11. 04). Es ginge um "die Verteidigung der christlichen Prägung unseres Landes" (E. Stoiber in "Die Zeit", 25. 11. 04). Da wird die "deutsche Leitkultur" beschworen, alles Fremde in die Nähe der Terroranschläge vom 11. 9. gerückt, Fragen der Religion, des Beitritts der Türkei, der Zuwanderungs- und Flüchtlingspolitik vermengt - und zur Begründung aller möglichen friedens- und demokratiefeindlichen Politikkonzepte benutzt. Von "fremd" zu "gefährlich" sei es "im Kopfe nicht weit und im Bauch schon gar nicht", schreibt F. Müntefering zu recht. Das wissen die Wahlkämpfer in den anderen Parteien. Gründe genug, dass die Friedensbewegung ernsthaft berät, was dagegen zu tun sei.

2. In einer ersten Welle der Hysterie nach dem 11. 9. waren direkt Betroffene bekanntlich PädagogInnen, die die Bush- Politik kritisierten, und arabische Studenten und Arbeitnehmer. Und alle Demokraten, weil Schily ein ganzes Bündel schon vorher ausgearbeiteter Gesetzesveränderungen zum Abbau demokratischer Rechte im Eiltempo verabschieden ließ.

Vier PädagogInnen waren es, die erst suspendiert, dann umgesetzt wurden, weil sie in der damaligen Diskussion mit Schülern die "uneingeschränkte Solidarität mit der amerikanischen Regierung" (G. Schröder) nicht mitmachten und vor einer Kriegspolitik als Lösung politischer Probleme warnten (Bernhard Nolz (Siegen) ist das bekannteste Beispiel, aber es gab auch drei sächsische KollegInnen). Vergessen sind auch die zahlreich betroffenen arabischen StudentInnen, die durch die "Rasterfahndung" herausgefiltert wurden (in Hamburg sind das alleine an der Uni 140!), um "Schläfer" zu finden, und die entlassenen Flughafenarbeiter mit arabischem Migrationshintergrund. Schon in dieser ersten hysterischen Welle haben sich Gewerkschaften, Bürgerrechtsorganisationen und z. T. auch Friedensgruppen schwer getan, öffentlichen Protest und Solidarität zu organisieren. Die Kriegsführungs- und Besatzungspolitik der USA im Irak haben zwar die Kritik an dieser imperialen Politik verstärkt- geblieben aber ist eine diffuse Unsicherheit oder Fremdheit gegenüber dem Islam. Viele sehen in ihm eo ipso eine Bedrohung des inneren und äußeren Friedens. Das wird durch die offizielle Politik verstärkt. So bezeichnete Außenminister Fischer auf der Münchener Sicherheitskonferenz (Februar 2004) "den Dschihad- Terrorismus mit seiner totalitären Ideologie" als "größte Bedrohung für die globale Sicherheit der Menschheit". 14 % der Bundesbürger, so die letzte STERN- Umfrage (HA 25. 11. 04) sehen inzwischen in den Muslimen eine Bedrohung, 55 % sehen eine Bereicherung und Bedrohung zugleich.

3.Der "Kampf der Kulturen" (Huntington) im globalem Maßstab, vor allem der zwischen Islam und Christentum, und die Anerkennung und Durchsetzung der "deutschen Leitkultur" im Inneren sind die politischen Konzepte, die jetzt mit einem Bündel an Feindbildern durchgesetzt werden sollen. Beide sind in höchstem Maße friedensgefährdend - und das Gegenteil einer "Kultur des Friedens" (UNESCO), die jetzt eigentlich durchgesetzt werden müsste, wo sich die "Kultur des Krieges" gerade wieder im Irak desavouiert gezeigt hat.

4.Die von der US- Administration unter Bush nach dem 11. 9. ins Leben gerufene "Allianz zur Bekämpfung des Terrorismus", die auf dem "Kampf der Guten gegen die Bösen", gegen die "Achse des Bösen" aus "Schurkenstaaten" gründet, ist der gezielte Versuch, den "American way of life", den amerikanischen Imperialismus dauerhaft zu etablieren.

Die Folgen sind nicht nur der Afghanistan- und Irak- Krieg, sondern die Verschärfung des Israel- Palästina- Krieges, eine gigantische Aufrüstungsrunde und die Etablierung einer militärisch dominierten Konfliktlösungs-Politik anstelle einer völkerrechtlich bindenden UNO- Völkerrechtsordnung. Die massenhaft empfundene Perspektivlosigkeit in arabischen Ländern, aber auch in Afrika und Asien, ist das Problem. Die Zweifel an diesem Konzept wachsen, die Massenloyalität schwindet rapide. Auch in der Bevölkerung der BRD. Deshalb müssen neue Feinbilder her und neue Identifikationsmuster geboten werden. In USA und in der BRD bestehen sie aus zwei Mustern: die Guten sind die neuen "Patrioten", die eine christlich begründete Leitkultur vertreten, die Bösen sind die Muslime, die zu einer fremden islamischen Kultur gehören.

5."Wir müssen allen Versuchen zur Umwandlung des wirtschaftlich-sozialen und politischen Konflikts in einen religiösen entgegenwirken" (so der ägyptische Islamwissenschaftler Nasr Hamid Abu Zaid). Der moderne Kasino- Kapitalismus, für den die traditionellen Werte der Aufklärung, nämlich Gleichheit, Solidarität, Wohlstand für alle, hinderlich geworden sind, weshalb er sie umwertet, abbaut, braucht deshalb eine neue, andere Begründung für die Inwertnahme des gesamten gesellschaftlichen Lebens, um seine Akkumulationsschwierigkeiten beheben zu können. Deshalb wird Sicherheit nicht mehr als soziale Sicherheit, sondern als Sicherheit vor Fremden definiert.

Die latente und mit den Verwertungsschwierigkeiten des Kapitals zunehmende Statuspanik der saturierten Teile der Mittelklassen nährt Islamfurcht, Rassismus und bei einigen von ihnen Rechtradikalismus. Da historisch die offene Diktatur in Misskredit geraten ist, sollen totaler Markt plus neue Feindbilder die Herrschaft des Neoliberalismus dauerhaft sichern. Denn zur Zeit schwindet die Kohäsion in der Gesellschaft. Das Feindbild Islam soll die Klammer sein (dieser Mechanismus ist schon bei den Theoretikern des Neoliberalismus, F. Hayek und J. Buchanan nachzulesen).

6.Die Friedensbewegung muss offensiver dagegen halten: Eine andere Welt ist möglich! Die globalisierte, radikale Marktwirtschaft ist nicht ohne Alternative, eine kulturell, religiös und politisch plurale Welt wird von uns gewollt, eine multikulturelle, interkulturelle Gesellschaft. Der Rahmen des UN- Menschenrechtssystems muss konkretisiert, mit Leben erfüllt, nicht verlassen werden. Der einzig völkerrechtkonforme Weg zur Konfliktlösung ist der der Verhandlung, des Dialogs, der friedlichen Koexistenz unterschiedlicher politischer und kultureller Systeme, des Interessenausgleichs und der Überwindung einer ungerechten Welt- und Wirtschaftsordnung.

Das Konzept der friedlichen Koexistenz unterschiedlicher Systeme und die Etablierung gemeinsamer Sicherheitssysteme hat uns im "kalten Krieg" vor einem "heißen Krieg" bewahrt. Es basierte auf dem Prinzip des Dialogs mit Andersdenkenden. Das gilt es, dem "Kampf der Kulturen" entgegenzusetzen. Abzurüsten, um die angehäuften Destruktionsmittel zu eliminieren, politische Lösungen schrittweise zu entwickeln (dass militärische Mittel die Probleme nur verschärfen, nicht lösen, zeigen Afghanistan und Irak!)

7. Das gilt auch innergesellschaftlich: Zwar ist unsere Gesellschaft von den Traditionen des christlichen Abendlandes geprägt, es hat sich aber die Aufklärung, die Säkularisierung, eine linke und demokratische Bewegung entwickelt, die ebenso prägend waren und sind. Die Pluralisierung der Lebensstile, Weltanschauungen, Religionen sind die Folge. Die Trennung von Staat und (christlichen) Kirchen ist noch nicht ganz vollzogen. Ein sehr großer Bevölkerungsteil - nicht nur im Osten, sondern in allen Ballungsgebieten- gehört keiner Religion an. 40 Jahre gab es im Osten auch nicht-christliche Traditionen. Die Beschwörung einer "christlichen Leitkultur" bedeutet de-facto die Schließung der offenen, pluralistischen Gesellschaft, nicht nur für die Muslime.

Das trifft in den Kern unserer Grundrechtsordnung. Fundamentalistische Strömungen gibt es auch bei den Evangelikalen und Klerikalen oder orthodoxen Juden - und auch die Verfassungsfeinde in den Spitzen der Konzerne und Parteiführungen, die von einer Totalrevision des Grundgesetzes reden und träumen, sind hier zu nennen.

8. Integration setzt Integrationsbereitschaft auf allen Seiten voraus. Daran aber hat es vor allem die deutsche Politik seit Jahrzehnten fehlen lassen. "Wir wollten billige Arbeitskräfte, und gekommen sind Menschen", hieß es schon vor Jahren. Wohnungs-, Kultur- und Bildungspolitik haben eben nicht Integrationsmöglichkeiten geschaffen, sondern Ghettobildungen gefördert - mit allen sozial diskriminierenden Folgen.

Die PISA- Studien haben deutlich gemacht, dass Kinder mit Migrationshintergrund die schlechtesten Bildungschancen haben - nun schon in der 3. und 4. Generation. Und seit PISA kürzt man - wie eh und je- besonders bei Sprach- und Immigrantenförderung besonders. Ähnliches gilt auch bei Ausbildungs- und Arbeitsplätzen.

9.Religiöse Freiheit, Meinungsäußerungsfreiheit und Selbstbestimmung gehören zu unserer Grundrechtsordnung. Das schließt jegliche Diskriminierung aus.

Es ist noch nicht lange her, dass Diskriminierung nicht-christlicher oder geschiedener LehrerInnen erst überwunden werden musste. Die Berufsverbote sind noch nicht beendet, der Streit um Lebenkunde-Ethik-Religions- Unterricht in Brandenburg noch nicht entschieden. Plaketten- und Kruzifix-Streit gab es vor der jetzt aktuellen Debatte um den Islam. Die Friedensbewegung darf deshalb nicht nachlassen, sondern muss den Kampf um die Verwirklichung der Grundrechte für alle zu verstärken.

10. Das heißt konkret, dass die Friedensbewegung gerade heute den Dialog, den Diskurs, die Begegnung vor Ort forcieren muss, vor allem mit dem Islam, den Muslimen.

Dabei kann sie sich auf die zentrale Bedeutung, die der Frieden in den Religionen hat, stützen. Da hat sie Nachholbedarf, oft Unkenntnis - weshalb sich ihre Zurückhaltung erklärt. Das ist eine Erklärung, keine Entschuldigung. Da Feindbilder Rüstung begründen und krieg fördern, müssen wir die neuen Feindbilder bekämpfen, wo wir auf sie stoßen.

* Vorgetrage in einer Arbeitsgruppe beim 11. Friedenspolitischen Ratschlag an der Uni Kassel, 4./5. Dezember 2004

Im Anhang verweist der Autor auf zwei Stellungnahmen:
  1. Wider die Islamophobie - Terror hat keine Religion
    Ein Brief des Jüdischen Kulturvereins Berlin e.V. und eine Ansprache des Vorsitzenden des Muslimrats München
  2. Gesellschaftlicher Friede - nur mit den Muslimen, nicht gegen sie!
    Stellungnahme des Projekts "Christlich-islamische Friedensarbeit in Deutschland"



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