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"Ja zu Europa - Nein zu dieser EU-Verfassung!"

"Bundesregierung schönt, lügt und verschweigt" - Erklärung aus der Friedensbewegung - Attac kündigt "Erklärung von Intellektuellen" an

Am 9. Mai 2005 gaben unabhängig voneinander Attac und der Bundesausschuss Friedensratschlag Mitteilungen über die EU-Verfassung an die Medien weiter. Wir dokumentieren im Folgenden die beiden Pressemitteilungen, die im Übrigen ein gutes Echo in den überregionalen Medien fanden. Die "Erklärung der Intellektuellen", die am 10. Mai in der Frankfurter Rundschau und im Neuen Deutschland als Anzeige erscheint, finden Sie hier: Europa: Nein zu diesem EU-Verfassungsvertrag.



Aufruf von Intellektuellen gegen die EU-Verfassung

Pressekonferenz von Attac Deutschland und Frankreich zur Bundestagsabstimmung am Donnerstag, 12. Mai, in Berlin

Berlin 09.05.2005 "Nein zu diesem EU-Verfassungsvertrag - Ja zu einem sozialen, demokratischen und friedlichen Europa": Unter diesem Motto haben sich auf Initiative von Mitgliedern des Wissenschaftlichen Beirats von Attac 188 Intellektuelle und politisch Aktive aus Deutschland öffentlich gegen den EU- Verfassungsvertrag ausgesprochen. Der Aufruf, der morgen (10. Mai) als Anzeige in der Frankfurter Rundschau und im Neuen Deutschland erscheinen und parallel im Internet publiziert wird, liefert konkrete Belege dafür, dass der Vertragsentwurf die EU auf eine neoliberale Politik festlegt, die Militarisierung vorantreibt, die sozialen Grundrechte nicht stärkt und das Demokratiedefizit nicht abbaut.

Zu den ErstunterzeichnerInnen gehören u.a. die ProfessorInnen Elmar Altvater, Christoph Butterwegge, Hans-Peter Dürr, Ulrich Duchrow, Heide Gerstenberger, Joachim Hirsch, Jörg Huffschmid, Ingrid Lohmann, Birgit Mahnkopf, Mohssen Massarrat, Wolf-Dieter Narr, Noman Peach, Herbert Schui und Bodo Zeuner. Sie kommen zu dem Schluss: "Es wäre für die demokratische Entwicklung in Europa fatal, wenn diese Verfassung angenommen würde. Sie ist weder zukunftsoffen noch zukunftsfähig." Der Text des Aufrufs und die Liste der ErstunterzeicherInnen findet sich hier. Ab morgen besteht unter www.attac.de die Möglichkeit, den Aufruf online zu unterzeichnen.

Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz am Tag der Bundestagsentscheidung über den Vertrag stellen Mitglieder von Attac Deutschland und Attac Frankreich ihre Kritik am Verfassungsentwurf sowie die Alternativen für den Fall eines NON in Frankreich vor. Die Pressekonferenz findet statt

* am Donnerstag, 12. Mai 2005, um 11 Uhr
* im Hotel Albrechtshof, Albrechtstraße 8, Berlin-Mitte (direkt nördlich vom S-Bahnhof Friedrichstraße)
* TeilnehmerInnen:
  • Jean-Pierre Beauvais, Mitglied im Verwaltungsrat von Attac Frankreich und aktiv in der Kampagne zum NON;
  • Prof. Jörg Huffschmid, Mitglied im Wiss. Beirat von Attac Deutschland, Universität Bremen, Memo-Gruppe, Erstunterzeichner des Aufrufs;
  • Peter Wahl und Stephan Lindner, Mitglieder im Koordinierungskreis von Attac Deutschland und in Deutschland und Frankreich gegen die Verfassung aktiv.
Zudem sind für den 12. Mai in Bundestagsnähe Aktionen geplant, die deutlich machen, dass die erwartete 99- prozentige Zustimmung im Bundestag keineswegs der Meinung der Bevölkerung entspricht, die über die Verfassung weder korrekt informiert noch befragt wurde.


Ja zu Europa - Nein zu dieser EU-Verfassung!

Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag
  • EU-Verfassungsvertrag wird ratifiziert
  • Bundesregierung schönt, lügt und verschweigt
  • Bundestag statt Bevölkerung
  • In Frankreich haben Demokratie und Transparenz gesiegt
  • Friedensbewegung mit bundesweiten Protesten
Kassel, 9. Mai - Am kommenden Donnerstag (12. Mai) wird der Deutsche Bundestag den vorliegenden EU-Verfassungsentwurf mit überwältigender Mehrheit aller Fraktionen ratifizieren und dies als bedeutenden Schritt zur politischen Integration Europas abfeiern. Die Friedensbewegung teilt weder die EUphorie der politischen Klasse noch ihre Zuversicht, damit das gut zwei Wochen später stattfindende Referendum in Frankreich in ihrem Sinn positiv beeinflussen zu können.

Am Vorabend der Bundestagssitzung werden in zahlreichen Städten in Deutschland Aktionen und Informationsveranstaltungen stattfinden, mit denen Organisationen und Gruppen der Friedens- und globalisierungskritischen Bewegung (z.B. Attac) über die Inhalte des EU-Verfassungsvertrags aufklären. Denn hier liegt der gößte Skandal der "Informationspolitik" von Bundesregierung und Parteien: Eine wirkliche Information über den Gehalt der EU-Verfassung wurde bisher systematisch verweigert und durch schönfärberische Beschwichtigungen ersetzt.

Die Bundesregierung schönt, lügt und verschweigt

Die Info-Kampagne der Bundesregierung redet die Verfassung schön, indem sie die "Glanzlichter" der Verfassung herausstellt, die Charta der Grundrechte. Doch braucht es dazu keine neue Verfassung. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland enthält - wie die Verfassungen der meisten anderen Staaten auch - einen ähnlichen Grund- und Menschenrechtskatalog. Was hier als Fortschritt gefeiert wird, ist also schon längst kodifiziertes Recht.

Die Info-Kampagne der Bundesregierung lügt, wenn etwa behauptet wird, eine Ablehnung der Verfassung durch das Plebiszit in einem beliebigen EU-Land oder durch das Verfehlen einer qualifizierten Mehrheit in einem Ratifizierungsorgan (in der Regel das Parlament) würde die Einheit der EU gefährden. In Wahrheit behalten im Falle des Scheiterns dieser Verfassung alle bisher geschlossenen EU-Verträge ihre Gültigkeit; der überwiegende Teil dessen, was in der Verfassung, die ja ein "Verfassungsvertrag" ist, kodifiziert werden soll, ist also bereits geltendes EU-Recht und bleibt das auch. Weitere Integrationsschritte sind auf dem normalen Weg der Vereinbarung durch den Europäischen Rat jederzeit möglich. Der Verfassungsentwurf selbst müsste dann allerdings überarbeitet und neu diskutiert werden.

Die Info-Kampagne der Bundesregierung verschweigt hartnäckig, dass die EU-Verfassung einen umfangreichen Teil enthält, der die Militarisierung der EU regelt. Die Bestimmungen der Art. I-41 oder III-309 ff finden in den Hochglanzprospekten der Regierung keinen Platz. Dabei hätte die Bundesregierung allen Grund gehabt, gerade darüber zu informieren, sind doch die Bestimmungen zur Außen- und Sicherheitspolitik das wirklich Neue im EU-Vertragssystem.

Politische Klasse fördert "Eurosklerose"

Besonders empörend ist die Weigerung der etablierten Parteien, eine Volksabstimmung über die EU-Verfassung zuzulassen. Gerade wenn landauf landab beklagt wird, dass in der Bevölkerung der europäische Einigungsgedanke unterentwickelt ist, die Institutionen der EU für viele Menschen "weit weg" und "anonym" sind und eine Identifikation der Bürger/innen mit Europa nicht in Sicht ist, wäre es gut gewesen, eine öffentliche Debatte über den Verfassungsvertrag in Gang zu setzen. Denn nur wer über grundlegende Weichenstellungen der europäischen Politik mitentscheiden kann, entwickelt auch ein Interesse für Europa. Diese Chance ist verspielt worden. Die Parteien im Bundestag geben sich gegenseitig die Schuld, dass es nicht zu einem Plebiszit in Deutschland kam - in Wirklichkeit haben sie das - aus Angst vor den Wählern - gar nicht gewollt. Die politische Klasse darf sich dann aber auch nicht wundern, wenn die Eurosklerose weiter voranschreitet.

Frankreich ist den anderen Weg gegangen und lässt ein Referendum über die EU-Verfassung zu; es wird am 29. Mai stattfinden. Wie auch immer es ausgehen wird: Demokratie und Transparenz haben heute schon gewonnen. Die Intensität, mit der die Franzosen über die Verfassung und die europäischen Institutionen diskutieren, zeigt, dass sich die Bürgerinnen und Bürger für Europa interessieren und engagieren, wenn man ihnen die Möglichkeit gibt, über den Kurs Europas auch mit zu entscheiden. Und in dieser Diskussion bleibt nichts ausgespart: Hier geht es um den in der EU-Verfassung verankerten Geist des Neoliberalismus, der aus sozialen Gründen von vielen Menschen kritisiert wird, und es geht um die Militarisierungstendenzen (Aufrüstungsverpflichtung, weltweite Kriegseinsätze usw.), die von vielen Menschen abgelehnt werden.

Attac und Friedensbewegung werden hier zu Lande in ihren Aktivitäten gegen diese Verfassung nicht nachlassen. Anlässlich der Ratifizierung im Bundestag am 12. Mai ruft der Bundesausschuss Friedensratschlag bundesweit zu vielfältigen dezentralen Aktionen am Vorabend, also am Mittwoch, 11. Mai, auf. Dabei soll verdeutlicht werden, dass die erwartete 99-prozentige Zustimmung im Bundestag keineswegs die Meinungen in der Bevölkerung repräsentiert. Verfassungskritiker werden auch am Tag der Ratifizierung vor dem Reichstag in Berlin mit Aktionen ihre Kritik artikulieren.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)


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