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Beendet den Krieg im Nahen Osten!

Friedensbewegung appelliert an Israel, die Palästinenser und die internationale Öffentlichkeit - Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag

Mit eindringlichen Worten wendet sich der Bundesausschuss Friedensratschlag heute in einer Erklärung an die Konfliktparteien im Nahen Osten und an die internationale Öffentlichkeit:
Beendet den Krieg! Brecht aus der Gewaltspirale aus!

Die Zuspitzung der Situation im Nahen Osten ist nicht nur eine Folge der seit 14 Monaten andauernden "Intifada", des offenen Aufstands der Palästinenser gegen die als Besatzer empfundenen israelischen Sicherheitskräfte in den besetzten Gebieten. Die Gewalteskalation ist auch eine Folge der Politik der harten Faust des israelischen Premierministers Ariel Scharon. Scharon hat vom ersten Tag seiner Regierung an keinen Zweifel daran gelassen, dass er alle militärischen Machtmittel einsetzen würde, um die israelischen Ansprüche auf die jüdischen Siedlungen im Gazastreifen und im Westjordanland, auf die Verkehrsverbindungen zwischen den Siedlungen und auf die Oberhoheit über ganz Jerusalem durchzusetzen.

Die Ursachen für den Nahostkonflikt und damit letztlich auch für die gegenwärtige Gewalteskalation liegen aber tiefer. Sie liegen in Fehlentwicklungen, die zum Teil weit in die Geschichte der israelischen Staatsgründung hinein reichen, und in den vertanen Chancen der letzten Jahre. Israel hatte seine Sicherheit stets auf militärische Stärke gegründet und mit einer Expansionspolitik versucht diesen Status zu sichern. Durch die Besetzung dieser Gebiete und die Errichtung jüdischer Siedlungen hatte sich die Lage weiter verschärft. Bei den vertriebenen Palästinensern, die teilweise seit Jahrzehnten in Flüchtlingslagern leben, wuchs der Hass auf die israelische Besatzungsmacht von Jahr zu Jahr. Aus diesem Potenzial lassen sich immer wieder "Kämpfer für die Befreiung Palästinas" rekrutieren, die dann mit Anschlägen oder Selbstmordattentaten gegen Israel vorgehen. Wenn die israelische Armee darauf wiederum mit militärischen Mitteln antwortet, so dreht sie weiter an der Schraube der Gewalt, denn mit jedem Militärschlag wächst auch der Hass auf die Besatzer und die Bereitschaft zu weiteren Racheakten.

Vor wenigen Tagen haben 114 Staaten bei einer Konferenz der Unterzeichnerstaaten der Genfer Konventionen in Genf in einer Deklaration Israel ermahnt, dass die Bestimmungen der Genfer Konventionen zum Schutz der Zivilbevölkerung auch in den von Israel besetzten Gebieten einschließlich Ostjerusalem gelten. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson, erklärte auf der Konferenz: "Weder die israelische Politik der gezielten Ermordung palästinensischer Zivilisten noch Angriffe von Palästinensern auf israelische Zivilisten stehen im Einklang mit dem internationalen humanitären Recht." Insbesondere sei der Ausbau israelischer Siedlungen in den besetzten Gebieten ein Verstoß gegen die vierte Genfer Konvention. "Diese Siedlungen sind ein Katalysator für Gewalt geworden", sagte Robinson.

Nach Überzeugung der israelischen und der palästinensischen Friedensbewegung - die in ihren Gesellschaften zur Zeit einen sehr schweren Stand haben - kann der Krieg nur beendet werden, wenn beide Seiten aus der Gewaltspirale ausbrechen. Es ist ein schwerwiegender historischer Fehler von Scharon, wenn er die Autonomiebehörde und Arafat persönlich für die palästinensischen Attentate verantwortlich macht und den Krieg gegen sie ausdehnt. Damit schwächt er nur die Kräfte, die noch am ehesten einen mäßigenden Einfluss auf gewaltbereite Palästinenser haben. Sollten die israelischen Angriffe auf das Zentrum der Autonomiebehörde fortgesetzt werden, so stehen ein Bürgerkrieg in Palästina und möglicherweise ein großer internationaler Konflikt im Nahen Osten bevor.

In Übereinstimmung mit den friedensorientierten Stimmen auf israelischer und palästinensischer Seite - mit denen wir vor 10 Tagen in Kassel zusammengetroffen waren - fordern wir als erste Maßnahmen
  • den sofortigen Rückzug des israelischen Militärs aus den besetzten Gebieten,
  • die Einstellung der Luftangriffe auf palästinensische Einrichtungen,
  • die Wiederaufnahme der israelisch-palästinensischen Verhandlungen,
  • die Zulassung internationaler Beobachter unter Oberhoheit der Vereinten Nationen,
  • die Zusicherung an die Autonomiebehörde, sich wieder frei bewegen zu dürfen,
  • die Wiedereröffnung des palästinensischen Flughafens in Gaza.
Wir weisen darauf hin, dass es sich hierbei nicht um Zugeständnisse oder einseitige Verzichtsmaßnahmen Israels handelt, sondern um die Herstellung normaler Beziehungen im Verhältnis zweier souveräner Partner. Auch die längerfristigen Forderungen der israelischen Friedensbewegung bedeuten keine "Kompromisse" oder Gnadenbeweise Israels, sondern berücksichtigen nur das natürliche Recht der Palästinenser auf ein menschenwürdiges Leben und auf Heimat. Zu diesen längerfristigen Forderungen gehören
  • das Recht auf einen eigenen palästinensischen Staat mit Ostjerusalem als Hauptstadt,
  • die Räumung der israelischen Siedlungen auf dem Territorium des Palästinenserstaates,
  • die Anerkennung des Prinzips eines Rückkehrrechts vertriebener Palästinenser.
Soll der Nahe Osten nicht im Inferno eines allgemeinen Krieges und Bürgerkriegs versinken, müssen den Menschen in Palästina endlich Perspektiven auf eine gleichberechtigte Existenz eröffnet werden. Von unserer Regierung erwarten wir mehr diplomatischen Druck auf Israel, eine friedensorientierte Politik einzuschlagen. Gerade als deutsche Friedensbewegung, die sich der besonderen Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk bewusst ist, setzen wir uns sowohl für das Existenzrecht Israels ein als auch für die Lebens- und Menschenrechte der Palästinenser. Wer Terror und Hass unter den Palästinensern besiegen will, muss den Menschen geben, was ihnen zusteht: Land und Frieden.

Der Bundesausschuss Friedensratschlag ruft die Gruppen der Friedensbewegung dazu auf, in den nächsten Tagen und Wochen schwerpunktmäßig Veranstaltungen zur Situation im Nahen Osten durchzuführen. Die Friedensbewegung darf nicht schweigen, wenn das Menschenrecht auf Leben von israelischem Militär und von palästinensischen Attentätern zerstört wird.

Kassel, 14. Dezember 2001
Bundesausschuss Friedensratschlag
Dr. Peter Strutynski (Sprecher)


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