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Friedensbewegung fordert sofortigen Stopp des Kriegs

Der Bundesausschuss Friedensratschlag tagte in Kassel - Die DFG-VK in Münster

Am Wochenende vom 3. auf den 4. November 2001 tagte eine Reihe von Parteigremien der Grünen und der SPD auf Länderebene, die sich kritisch mit dem Krieg in Afghanistan und der Haltung der Bundesrepublik auseinandersetzten. Knappe Abtimmungen für oder gegen eine Beendigung der Bombardierungen bestimmten deren Verlauf. Auch die Synode der EKD befasst sich auf ihrer Jahrestagung, die am 4. November begann, mit Terrorismus und Krieg. Über Ergebnisse werden wir berichten.
Die Friedensbewegung knüpft an den zunehmenden gesellschaftlichen Protesten gegen den Krieg an und reklamiert selbstbewusst eine zunehmende Akzeptanz ihrer Anti-Kriegs-Haltung in der Öffentlichkeit. Wir dokumentieren im Folgenden die Presseerklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag vom 4. November sowie eine Pressemitteilung des Bundeskongresses der DFG-VK, der ebenfalls am Wochenende tagte:


Bundesausschuss Friedensratschlag
Presseerklärung, 4. November 2001


Friedensbewegung: Den Krieg sofort beenden!
Bundesausschuss Friedensratschlag ruft zu neuen Protesten auf


Am Sonntag tagte der Bundesausschuss Friedensratschlag in Kassel, um die Lage nach den Terroranschlägen vom 11. September und nach vier Wochen Krieg gegen Afghanistan zu beraten. Die Ergebnisse sind - kurz zusammengefasst - die folgenden:
  1. Der Krieg gegen Afghanistan übertrifft unsere schlimmsten Befürchtungen: Er trifft Unschuldige und ist dem Kampf gegen den Terrorismus hinderlich.
  2. In der Bevölkerung unseres Landes wachsen Kritik und Skepsis über die Kriegsführung. Es gibt keine Mehrheit für eine direkte Beteiligung der Bundeswehr am Krieg.
  3. Die Friedensbewegung bereitet für die kommenden zwei Wochen dezentrale, lokale und regionale Aktionen, Mahnwachen, Demonstrationen und Kundgebungen vor. Höhepunkt wird der 17. November sein, der Tag, an dem der muslimische Fastenmonat Ramadan beginnt.
Afghanistan helfen, nicht bombardieren

Nach Auffassung der Friedensbewegung hat der seit vier Wochen andauernde amerikanisch-britische Krieg gegen Afghanistan nichts, aber auch gar nichts mit der notwendigen Bekämpfung des Terrorismus zu tun. Die Wucht der Militärschläge, der täglich gestiegene Einsatz von Bomben und Raketen und die Flächenbombardements im Norden Afghanistans in den letzten Tagen haben zwar zu Zerstörungen großen Ausmaßes beigetragen, ansonsten aber die offiziellen militärischen Ziele des Krieges weit verfehlt: Weder konnte auch nur einer der namhaften Führer der Terrororganisation von Bin Laden dingfest gemacht werden, noch wurde die Herrschaft des Taliban-Regimes ernsthaft erschüttert oder auch nur nennenswert geschwächt.

Demgegenüber hat sich wieder einmal auf tragische Weise bestätigt, dass Krieg zuallererst diejenigen trifft, die vor ihm geschützt werden sollten: Kinder, Frauen und hilfsbedürftige Menschen. Auch wenn keine verlässlichen Zahlen über die zivilen Opfer des anglo-amerikanischen Feldzugs vorliegen, so konnten einzelne Berichte über zerstörte Dörfer, Wohnhäuser, Krankenhäuser und andere Einrichtungen - darunter auch von internationalen Hilfsorganisationen - doch bestätigt werden: Die Zahl der zivilen Todesopfer geht in die Hunderte, die der Verletzten in die Tausende, die Zerstörungen ziviler Einrichtungen sind immens. Bereits die Androhung von Militärschlägen vor dem 7. Oktober und dann erst Recht die beginnenden Bombardierungen haben riesige Fluchtbewegungen ausgelöst. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sind mittlerweile über drei Millionen Menschen in benachbarte Länder geflohen oder in Afghanistan auf der Flucht. Bei Einbruch des afghanischen Winters, so warnt die UN-Kinderhilfsorganisation UNICEF, sind mindestens 100.000 Kinder akut vom Hungertod bedroht, falls keine Hilfe kommt.

Kritik am Krieg wächst

In dieser Situation ruft die Friedensbewegung noch einmal mit Nachdruck dazu auf, den unmenschlichen Krieg gegen Afghanistan sofort zu stoppen.
Die Bundesregierung muss sich aus der unseligen Komplizenschaft mit der US-Kriegspolitik herauslösen. Das Kanzlerwort von der "uneingeschränkten" Solidarität und der "vorbehaltlosen" Unterstützung der Militäraktionen war eine der größten außenpolitischen Fehlleistungen der rot-grünen Regierungskoalition. Solidarität mit den Opfern des Terrors kann doch nicht darin bestehen, einen zerstörerischen Krieg gegen ein ganzes Land zu unterstützen. Solidarität mit den Opfern des Terrorismus muss zuallererst heißen, den weltweiten Kampf gegen den Terror mit zivilen, rechtsstaatlichen und politischen Mitteln, also mit Polizei, Gerichtsbarkeit (einschließlich internationaler Gerichte) und internationaler politischer Kooperation zu führen. Die wirklichen Täter der Terroranschläge müssen überführt, nach rechtsstaatlichen Regeln verurteilt und bestraft werden. Der Krieg gegen Afghanistan bestraft unschuldige Menschen und lässt die Täter unbehelligt.

Der Bundesausschuss Friedensratschlag stellt fest, dass der Krieg gegen Afghanistan in der Bevölkerung auf immer weniger Unterstützung stößt. Die kritischen Stimmen aus den Gewerkschaften und Kirchen, von Schriftstellern und Künstlern sowie aus den Parteien werden immer lauter. Selbst im Bundeskabinett melden sich die ersten abweichenden Meinungen zu Wort. Auch weltweit nehmen die Stellungnahmen gegen den Krieg und die Proteste zu. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, forderte die USA vor wenigen Tagen erstmals auf, den Krieg zu beenden, damit die drohende humanitäre Katastrophe noch verhindert werde.

Aktionen der Friedensbewegung

Die Friedensbewegung wird in den kommenden Tagen, insbesondere in der Woche vom 10. bis 17. November ihre Proteste gegen den Krieg verstärken. Am 9. und 10. November wird sich die Friedensbewegung mit eigenen Beiträgen an den internationalen Protesttagen gegen die neoliberale Globalisierung und für eine solidarische Welt beteiligen. Dabei wird es regional zu Demonstrationen und Kundgebungen kommen. Am 17. November sollen ebenfalls dezentral im ganzen Land Aktionen und Kundgebungen stattfinden, die wir zusammen mit unseren Mitbürgern muslimischen Glaubens durchführen wollen.

Unabhängig von diesen Terminen wird die Friedensbewegung auf die Straße gehen, wenn der Bundestag über eine direkte Kriegsbeteiligung beschließen sollte. Die Friedensorganisationen und -initiativen, die schon die bundesweiten Demonstrationen am 13. Oktober veranstaltet haben, haben sich darauf verständigt, solche Proteste im ganzen Land am Vorabend der entsprechenden Bundestagssitzung durchzuführen.

Unser Widerstand gegen den Krieg richtet sich dabei vor allem auch an die Adresse der Bundesregierung:
  • Kehrt um!
  • Zeigt Respekt vor dem Leben!
  • Zeigt Respekt vor den religiösen Gefühlen der islamischen Welt, die am 17. November den heiligen Fastenmonat Ramadan beginnen wird!
  • Drängt die Regierungen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens, den Krieg zu beenden!
  • Keine Beteiligung der Bundeswehr am Krieg in Afghanistan!
  • Unterstützt die humanitäre Hilfe von UNICEF, UNHCR, Ärzte ohne Grenzen, Rotem Kreuz und Rotem Halbmond und anderer Hilfsorganisationen, damit sie ihre Tätigkeit wieder ungehindert aufnehmen können!

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag: Dr. Peter Strutynski (Sprecher)
Kassel, Frankfurt a.M., Berlin, Hamburg, den 4. November 2001


DFG-VK Presseinformation
Delegierte unterstützen türkische Kriegsdienstverweigerer
Bundeskongress der DFG-VK fordert sofortigen Waffenstillstand in Afghanistan


Münster. Der 13. Bundeskongress der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) setzt sich für einen sofortigen Stopp der militärischen Handlungen in Afghanistan und die Aufnahme politischer Verhandlungen ein.

Bundessprecher Jürgen Grässlin fasste auf dem Bundeskongress, der vom 02. bis 04. November unter dem Motto "Schritte zur Abrüstung – jetzt!" in Münster stattfand, zusammen, wovor Pazifisten und Pazifistinnen von Anfang an warnten: "Dieser Krieg ist ein Angriff auf die Zivilbevölkerung. Er zerstört nicht die Kommandostrukturen einer Terrororganisation, sondern die Lebensgrundlagen eines der ärmsten Länder der Erde."

Mit großer Mehrheit verabschiedeten die Delegierten folgende Forderungen an die Bundesregierung:
  • sofortige Einstellung jeglicher Form von Unterstützung für diesen Krieg und insbesondere kein Einsatz von Bundeswehrsoldaten
  • die Bundesregierung soll sich gegenüber der US-Regierung für einen sofortigen Stopp der Angriffe einsetzen
  • Bereitstellung von finanziellen Mitteln für die humanitäre Hilfe in Afghanistan
"Wir brauchen eine sofortige Umkehr in der Außen- und Sicherheitspolitik in Richtung Abrüstung", fordert Bundessprecher Jürgen Grässlin. Folgende "Schritte zur Abrüstung" (vgl. www.schritte-zur-abruestung.de) seien nun erst recht erforderlich:
    li> Stopp aller Rüstungsexporte
  • Ende des Umbaus der Bundeswehr zur Interventionsarmee
  • schrittweise, dauerhafte Verringerung der Rüstungsausgaben zu Gunsten sozialer Sicherheit und ziviler Konfliktbearbeitung
  • nennenswerte Reduzierung der Personalstärke der Bundeswehr und die ersatzlose Abschaffung der Wehrpflicht
  • Abschaffung aller Massenvernichtungswaffen
In einer weiteren Resolution fordern die Delegierten Solidarität mit den türkisch-kurdischen Kriegsdienstverweigerern Erdem Yalcinkaya, Mehmet Tarhan sowie Sedat Baydemir. Baydemir lebt derzeit in Deutschland und ist von der Abschiebung bedroht. Derzeit beschäftigt sich der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages mit seinem Fall. Die DFG-VK fordert die sofortige Gewährung von dauerhaftem Asyl. Yalcinkaya und Tarhan, die sich beide in der Türkei aufhalten, erklärten dort Ende Oktober ihre Kriegsdienstverweigerung. Die DFG-VK fordert die türkische Regierung auf, die Kriegsdienstverweigerung endlich als grundlegendes Menschenrecht anzuerkennen.

Bei den Vorstandswahlen bestätigten die Delegierten in Münster mit großer Mehrheit die Bundessprecher Jürgen Grässlin, Kai-Uwe Dosch sowie Erwin Eisenhardt. Neu in den BundesprecherInnenkreis gewählt wurden Wolfgang Menzel (Freiburg) und Robert Hülsbusch (Nottuln).

Velbert, den 04.11.2001
Michael Gerhardt, M.A.
Pressereferent der DFG-VK


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