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Wie wieder mehr werden?

Vor den Ostermärschen 2015: Fünf Thesen zur Stärkung der deutschen Friedensbewegung

Von Karl-Heinz Peil *

1. Die Zusammenarbeit in der Friedensbewegung kann und muss verbessert werden.

Die deutsche Friedensbewegung war in der letzten Zeit weniger in ihrer Gesamtheit, als vielmehr durch den »Friedenswinter« in den Medien präsent. Dieser war ein Versuch, angesichts realer friedenspolitischer Zuspitzungen der Notwendigkeit wirksamer Kampagnen gerecht zu werden. Bei den traditionellen Strukturen der Friedensbewegung fand der »Friedenswinter« aber aus unterschiedlichen Gründen keine Zustimmung. Sowohl der »Bundesausschuss Friedensratschlag« als auch die »Kooperation für den Frieden« lehnten eine Beteiligung ab. Bei der letztgenannten Dachorganisation gab es sogar eine ausgeprägte Polarisierung von Befürwortern und Gegnern, d.h. eine wechselseitige Blockade. Auf der »Friedenswinter«-Aktionskonferenz am 14. März wurde nun die Fortsetzung der Kampagne bis zum 10. Mai beschlossen, von dem eine überregionale bzw. (je nach Lesart) bundesweite Demonstration anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus in Berlin stattfinden soll. Wie es danach weitergeht, ist derzeit noch offen. Insgesamt gesehen hat sich der »Friedenswinter« als temporäre Struktur von wichtigen Teilen der Friedensbewegung als nicht hilfreich erwiesen. Die in diesem Kontext erfolgten Debatten haben die eigentlich notwendige Außenwirkung massiv behindert. Natürlich ist dafür auch die von außen geschürte Kampagne in bezug auf angeblich oder tatsächlich nicht erfolgte Abgrenzungen gegen rechts verantwortlich, die sich vor allem auf die am »Friedenswinter« beteiligten örtlichen Mahnwachen bezieht.

Zumindest bei den anstehenden Ostermärschen ist aber die übergreifende Struktur der »Friedenswinter«-Kampagne überflüssig und eher kontraproduktiv. Deshalb sollten bei weiteren bundesweiten Aktionen nach dem 10. Mai wieder die gewachsenen Strukturen der deutschen Friedensbewegung mit der Kooperation für den Frieden und dem Bundesausschuss Friedensratschlag maßgebend sein.

Nach den Ostermärschen und den Aktionen zum 8. Mai steht im August der 70. Jahrestag der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki an. Im Kampf für ein atomwaffenfreies Deutschland und weltweite atomare Abrüstung gibt es bereits eine langjährige Kampagne (atomwaffenfrei.jetzt), die im kleineren Aktivenkreis diesen Jahrestag vorbereitet und auf die gesamte Breite der Friedensbewegung angewiesen ist. Schließlich ist die Atomkriegsgefahr derzeit durch die Neuauflage des Ost-West-Konfliktes um die Ukraine so hoch wie nie zuvor seit Ende des Kalten Krieges.

Zum jährlichen Antikriegstag am 1. September – der traditionell auch im gewerkschaftlichen Umfeld stark verankert ist – kann auf die aktuell in den Gewerkschaften wiederbelebte Debatte zur Rüstungskonversion zurückgegriffen werden. Eine große Rolle spielen hierbei vorhandene Anträge zum nächsten IG-Metall-Kongress im Spätherbst.

Gedenktage wie diese sind deshalb gute Anlässe, die in der Vergangenheit erfolgte kampagnenbezogene Zusammenarbeit der Friedensbewegungsstrukturen wieder aufzugreifen und darüber hinausgehend zu optimieren.


2. Die Vernetzung mit anderen sozialen Bewegungen und Initiativen kann stark ausgebaut werden.

Die Mobilisierungsschwäche der Friedensbewegung erfordert nicht nur ein Hinterfragen eigener Strukturen und Aktionsformen. Lohnenswert ist ein Blick auf die Teilnehmerzahlen von Demonstrationen aus anderen Anlässen. So haben zahlreiche Umweltverbände am 17. Januar in Berlin etwa 50.000 Teilnehmer aus ganz Deutschland mobilisiert, um gegen Tierfabriken, Gentechnik und TTIP bzw. für eine Agrarwende zu demonstrieren. Ebenso sind die regionalen Teilnehmerzahlen der Demonstrationen gegen Pegida beachtlich. Dies zeigt, dass eine Massenmobilisierung erheblich einfacher ist, wenn sich persönliche Betroffenheit mit der konkreten Wahrnehmung politischer Gegner verbindet.

Im Kampf gegen das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP geht es im Kern um die Verhinderung von Demokratieabbau, z.B. bei notwendigen Umweltverträglichkeitsprüfungen, weshalb vor allem Umweltaktivisten alarmiert sind. Es gilt aber auch klarzumachen, dass dahinter die gemeinsame Strategie von USA und EU steht, den weltwirtschaftlich sich abzeichnenden Bedeutungsverlust gegenüber den BRICS-Staaten mit einer »Wirtschafts-NATO« aufzuhalten.


3. Die Entwicklung von Medienkompetenz ist eine zunehmende Herausforderung.

Trotz der zunehmenden Relevanz von Onlinemedien haben immer noch die Printmedien vorrangige Bedeutung. Hier muss man sich damit auseinandersetzen, dass diejenigen, die für Friedensaktionen zu mobilisieren sind, primär immer noch zur Leserschaft der vormalig linken Tageszeitung Frankfurter Rundschau oder der pseudolinken Tageszeitung taz gehören. Beide Blätter haben sich in den zurückliegenden Monaten auch vehement darum bemüht, die Debatte um den »Friedenswinter« als Spaltpilz für die Friedensbewegung zu instrumentalisieren.

Die Wahl von »Lügenpresse« zum Unwort des Jahres 2014 hat sicher dazu beigetragen, der notwendigen Kritik an der deutschen Medienlandschaft die Spitze zu nehmen. Albrecht Müller als verantwortlicher Betreiber des Internetportals Nachdenkseiten hat dazu den Vorschlag gemacht, anstelle des aus guten Gründen abzulehnenden Wortes »Lügenpresse« von »Kampfpresse« oder auch von »Kampagnenjournalismus« zu sprechen.

Beim letzten Friedenspolitischen Ratschlag in Kassel gab es im Rahmen einer Podiumsdiskussion konkrete Vorschläge zum Umgang mit den Medien in bezug auf Onlineblogs und klassische Leserbriefe in den Printmedien, die immer noch eine wichtige Rolle spielen. Letztlich geht es darum, ein Modell einzufordern, wie es die »öffentlich-rechtlichen« Rundfunk- und Fernsehsender gemäß ihrem verfassungsmäßigen Auftrag darstellen müssten. Denn auch Internetbeiträge kosten Geld. Qualifizierter und unabhängiger Journalismus ist nur jenseits von politischer Einflussnahme und frei von wirtschaftlichen Zwängen möglich.


4. Alle Aktivitäten und Aktionsformen sollten auf den Prüfstand.

Bei Streitfragen darüber, ob ein »Mehr« an Friedensaktionen möglich ist oder nur ein nicht zielführender Aktionismus, spielt auch die notwendige Diskussion über die Sinnhaftigkeit von Aktionsformen eine Rolle. Seit einigen Jahren kursiert der Begriff »Latschdemo« in der Kommunikation linker Aktivisten. Nun ist durchaus zu hinterfragen, inwieweit klassische Protestformen noch zeitgemäß sind, vor allem deshalb, weil heutzutage Massenmedien im Unterschied zu früher nicht nur die Anzahl von Demonstrations­teilnehmern kleinrechnen, sondern selbst bei Großdemonstrationen eine Berichterstattung immer häufiger völlig unterschlagen. Sehr populäre Straßenaktionen sind heute Flashmobs, die aber in bezug auf Breitenwirkung keine Alternative zu klassischen Demos sind und eher den Bedürfnissen nach spontanen Aktionen mit den Mobilisierungspotentialen in sozialen Netzwerken entspringen.


5. Neue Kampagnenfähigkeit erfordert vor allem neue Friedensaktivisten.

Zweifellos gehört die Altersstruktur in der Friedensbewegung zu deren größten Problemen. Die Ursachen der stark zugenommenen Protestaktionen – auch in der politischen Bandbreite im rechten Spektrum – beruhen auf den zu recht wahrgenommenen Krisensymptomen. Die Frage ist dabei: Führt dieses zum Verständnis der wahren Ursachen – gegen die es zu kämpfen gilt – oder zur Manipulation von Wahrnehmungen. Am deutlichsten zeigt sich dieses bei dem notwendigen Schutz von Menschen, die von Krieg, Übergriffen und Diskriminierungen betroffen sind, was im rechtspopulistischen Spektrum mit »Flüchtlingsströmen« umschrieben wird. Damit werden Ressentiments und Rassismus gefördert, anstelle einer notwendigen Aufklärung und Debatte über die Verantwortung der deutschen Politik für deren Entwicklungen.

* Der Autor ist Mitglied des Bundesausschusses Friedensratschlag und verantwortlicher Redakteur der Zweimonatszeitschrift Friedensjournal. Eine umfassendere Fassung des Beitrages findet sich unter www.friedensratschlag.de

* Aus: junge Welt, Samstag, 21. März 2015


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