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Berliner Montagsdemo – ein Feedback an Diether Dehm ...

... und andere linke Vertreter einer "solidarischen Intervention"


Vor einigen Wochen haben äußerst umstrittene "Montagsdemos" die Friedensbewegung und Teile der Linkspartei ins Schleudern gebracht. Sind das Veranstaltungen von Rechten, Neonazis und sog. Querfrontlern? Oder versammeln sich da naive, unpolitische (oder "apolitische", wie es manchmal heißt) Menschen aus Sorge um den Frieden, die offen für die Friedensbewegung sind? Der linke Bundestagsabgeordnete Diether Dehm hielt auf einer der letzten Montagsdemos in Berlin sogar eine Rede. Maya Mosler-Cohen und Volkhard Mosler waren dabei und haben aufgeschrieben, was sich so alles bei dieser Kundgebung tat - vor allem was gesprochen wurde. Wir denken, dass deren Bericht den Charakter der angeblich so "offenen" Montagsdemos gründlich demaskiert. Wir haben darüber hinaus den Eindruck, dass die etwas aufgeregte Diskussion über das Phänomen Montagsdemos und "neue Friedensbewegung" allmählich abklingen darf.


Lieber Genosse,
wir haben 1978/79 zusammen in Frankfurt „Rock gegen Rechts“ aufgebaut und die NPD erfolgreich aus Frankfurt vertrieben, 2011/12 haben wir zusammen die Nazis aus Dresden vertrieben. Vor diesem Hintergrund möchten wir Dir als teilnehmende Beobachter der Berliner Montagskundgebung vom 9. Juni, auf der Du aufgetreten bist, ein kritisches Feedback geben. Um es vorweg zu nehmen: wir möchten Dich als langjährigen Weggefährten im Kampf gegen Faschismus und rechte Ideologen dringend bitten, Deine Haltung gegenüber den Montagskundgebungen zu überdenken.

Wir haben an der Kundgebung teilgenommen, um uns selbst ein Bild von ihrem Charakter zumachen. Deine Argumente auf der Bühne gegen die Nürnberger Rassengesetze und gegen Antisemitismus, gegen die Deutsche Bank als kriegstreibende Kraft, gegen den (deutschen) Faschismus und seine Verbrechen gegen das griechische Volk teilen wir.

Doch Dein Beitrag stand nicht allein. Er war eingerahmt in eine Rede des Veranstalters Lars Märholz, in der er sich gegen Faschismus von links wandte und die Rede eines Heiko Schrang, der sich am jüdischen Finanzkapital abarbeitete. Was uns besorgt, ist Deine Bereitschaft auf einer Kundgebung zu sprechen, auf der durch die Veranstalter selbst antisemitischen Argumenten Vorschub geleistet wurde.

Unmittelbar vor Dir hatte der Anmelder und Sprecher der Montagskundgebungen Lars Mährholz eine längere Rede mit dem Schwerpunkt Faschismus gehalten („Reden wir mal über FASCHISMUS“!). Das erste was ihm dazu einfiel, war die Kritik der Ex-Grünenvorsitzenden Jutta Ditfurth an den Montagskundgebungen! Sie habe „Jagd auf eine Minderheit“ gemacht. Niemand habe auf den Montagskundgebungen „gegen eine Gruppe von Menschen gehetzt! Ganz anders als du und deine Gefolgsleute gegen uns, gegen uns alle.“. Solche „Hetzkampagnen gegen Minderheiten“ komme ihm „auf fatale Weise bekannt vor,“ denn davon habe er „in der Geschichte schon gelesen.“

Jutta Ditfurths Kritik an einzelnen Sprechern und Vertretern der Montagskundgebungen in die Nähe faschistischer Hetzkampagnen gegen Minderheiten zu rücken, wie es Mährholz hier tat, hättest Du nicht unwidersprochen hinnehmen dürfen, ganz gleich wie man zu Jutta Ditfurth sonst stehen mag.

Dann kam Mährholz auf ein weiteres Thema zu sprechen: „Die USA machen WIEDER (Großschreibung im von Mährholz editierten Text) Geschäfte mit Faschisten in Europa!“ Und er fährt fort: „Auch das kennen wir aus der deutschen Geschichte“. Weiter unten fragt er dann, wie man das „System“ nennen solle, welches von den Banken kontrolliert werde, ob „wir nicht in einem Banken-Faschismus ... leben?“ Mährholz belässt es wohlweislich stets bei solchen Andeutungen. Bei seiner Rede auf der Berliner Kundgebung vom 12. Mai hatte er dazu aufgerufen, mal unter der Bank „Warburg“ zu googeln. Dort findet man, dass diese („jüdische“) Bank Hitlers Krieg und die bolschewistische Weltrevolution finanziert habe. Mährholz wird das weit von sich weisen. Natürlich sagt man so etwas heutzutage nicht mehr. Aber warum redet er überhaupt von einer Bank „Warburg“, die auf Platz 73 der Rangliste deutscher Banken steht und nicht - wie Du - von der Deutschen Bank (Platz 1)? Der von ihm geschätzter Autor und Redner Heiko Schrang, der nach Dir sprach, hat in seinem Buch „Die Jahrhundertlüge“ dazu ein ganzes Kapitel („Wer finanzierte die Nazis und den zweiten Weltkrieg?“) geschrieben.

An die Bundesregierung stellte Mährholz die rhetorische Frage, wovor sie denn „solche Angst“ habe. Die Antwort gab er selbst: „Zu enden wie J.F.K., Herrhausen, Barschel, Rohwedder und viele weitere!“ Auch hier wieder nur Andeutungen, die meisten Zuhörer werden nicht verstanden haben, was Mährholz hier meint, was der Mord an Kennedy 1963 in Texas mit dem an Herrhausen 1989 in Bad Homburg gemein heben soll. Die Antwort findet man bei Heiko Schrang, der eine geheime, von jüdischen Bankiers gegründete Weltregierung („Illuminaten“) am Werk sieht, die missliebige Personen ausschaltet lässt.

Ditfurths so genannte „Minderheitenhetze“, „die Geschäfte der USA mit Faschisten in Europa“ und ein „Bankenfaschismus“, in dem wir angeblich lebten - das fiel Mährholz zum Thema „Faschismus“ ein. Er hat Deine Ausführungen zum historischen Faschismus vollständig konterkariert. Am Ende seiner Rede forderte Mährholz die Zuhörer auf, sich Flugblätter am Lautsprecherwagen zu holen. Am Wagen wurden zwei Flugblätter ausgegeben, ein blaues und ein gelbes. Das blaue war eine Werbung für die Montagsmahnwachen. Darin übrigens kein Wort über die Ukraine, über die aktuelle Kriegsgefahr, stattdessen die Forderung nach „Völkerverständigung“ und einem „Nachhaltigen Geldsystem“. Und unter der Überschrift „Wir sind das Volk“ heißt es: „Wir dulden keine Rechts- oder Linksextremisten.“

Das andere, gelbe Flugblatt, ein mehrseitiges Faltblatt, ist überschrieben mit „Warum unser Geldsystem nicht funktioniert“. Darin wird gefordert, dass das Zinssystem abgeschafft werden müsste, weil es angeblich „die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher mache.“ Die Nazis nannten das „Abschaffung der Zinsknechtschaft“. Am Ende des Flugblatts wird ohne Quellenangabe ein angebliches Zitat vom „Gründer der Rothschild-Dynastie“ Mayer Amschel Bauer angeführt, das diesen als gesetzlosen Betrüger ausweist. Wir waren ziemlich sauer, als wir das Rothschild-Zitat sahen. Wir hatten gerade zuvor den Stolperstein für den in Auschwitz ermordeten Großvater aufgesucht. Rechts von uns stand ein Mann, der stolz seine Unterarmtätowierung präsentierte. „Walhalla“ stand da in altdeutscher Frakturschrift. Links neben uns standen ein paar Männer mit Strohhüten, die Putin auf Plakaten verehrten. Wir sprachen die Gruppe an, warum auf dem Flyer ausgerechnet ein jüdischer Bankier zitiert würde. Ein nicht zur Gruppe dazugehörige Mann in weißem Hemd sprang ein und meinte, dass es doch kein Antisemitismus sei, bloß weil ein jüdischen Bankier zitiert werde.

Nachdem Du mit Deinem Vortrag geendet hattest, kam der Mann im weißen Hemd auf uns zu und sagte: „Haben sie zugehört, was Herr Dehm gesagt hat? Haben sie das gehört! Hier sind keine Antisemiten.“ So wirkte Deine Rede auf ihn, nämlich als Freispruch für den Veranstalter Mährholz, der solchen antisemitischen Schmutz verteilen lässt.

Nach Dir sprach der Immobilienhändler Heiko Schrang, den Mährholz schon zum wiederholten Mal als Redner angefordert hat. Schrang ist Autor des antisemitischen Machwerks „Die Jahrhundertlüge“. Von ihm stammt auch der von Mährholz vorgetragene Satz, dass die amerikanische Zentralbank FED „für alle Kriege der letzten hundert Jahre“ verantwortlich sei. Dieses Mal war es allerdings nicht die Rothschild-Bank, sondern die Bank Goldman Sachs, die für das jüdische Finanzkapital herhalten musste. Dabei verwendete Schrang – nicht ungeschickt – die Methode der Verkehrung. Er beginnt: „Goldmann Sachs regiert die Welt.“ Er unterbricht sich und zitiert einen imaginären Ankläger: „Moment mal, Goldman Sachs war doch eine jüdischen Bank. Das ist Antisemitismus. Rote Karte! Wenn Du weiterredest wirst Du verhaftet, kommst Du ins Gefängnis.“ Das hinderte Schrang aber nicht daran weiter zu reden. „Goldman Sachs - ganz gefährlich – ist Mitbegründerin der FED mit den Rothschilds zusammen. Antisemitismus!“ Aber „immer mehr Menschen in Deutschland erwachen,“ ließen sich nicht mehr einschüchtern. Schrang zählt dann die Vorwürfe gegen ihn und seine „Wahrheitssucher“ auf: „Esoteriker, braune Nazis... Krebs, Aids, Rechtsradikalismus, Antisemitismus, alle solche Blätter würden „abgeschnitten“, aber das nütze nichts mehr, es wüchsen immer neue Blätter nach. Schrang sagt dann noch etwas Ungeheuerliches, es geht im Schwall seiner predigtartigen Rede fast unter: „Wir haben alle mehr Gemeinsames als uns Trennendes, egal wer wir sind, selbst wenn er seine Frau schlägt, was wirklich nicht gut ist.“ (!!!) Damit müsse man aber umgehen „wie mit einem Buch: die schlechten Seiten schlägt man um, auf die guten konzentriert man sich.“ Die eigene Frau schlagen – eine schlechte Buchseite, die man „einfach umschlägt,“ also ignoriert??? Ich stelle mir unter einer Friedensbewegung etwas Anderes vor, auch im Umgang mit geschlagenen Frauen.

Dann sagt Schrang noch, dass es „völlig belanglos sei, ob jemand König oder Bettelmann in seinem Leben gewesen sei.“ Die große Volksgemeinschaft ist geistig hergestellt, von schlagenden Ehemännern über Bettelleute bis zum König, „uns verbindet mehr als uns trennt.“

Während Schrang redete, verteilten zwei junge Männer zu Flugzeugen gefaltete Flyer „Aktion blauer Punkt“. Darin wird erklärt, dass die BRD kein Staat sei. Deutschland sei „nach dem Waffenstillstand 1945 ... ab 1949 einer geistigen Besetzung unterworfen“ und habe einen Anspruch auf „Wiederherstellung der Grenzen von 1937.“ Die Tatsache, dass solche Flugblätter auf einer „Friedenskundgebung“ ungehindert verteilt werden können, sollte Dir zu denken geben.

Ach ja, der Mann mit der „Walhalla“ – Tätowierung hat geklatscht, als Du ausführtest, Du habest Dich für Deinen verstorbenen Vater vor einem Jahr in Griechenland für die Gräueltaten der Wehrmacht entschuldigt. Mährholz weiß, wie wichtig Auftritte von Linken wie Dir für das Überleben seiner so genannten Friedensbewegung 2014 ist. Ich sage bewusst „so genannte“, weil die Führung dieser Bewegung bei Mährholz und dessen zumindest in Teilen esoterisch-faschistischen Freunden liegt.

In einem Interview fragt Ken Jebsen Mährholz, wie im Berliner Orga-Team Entscheidungen gefällt würden: „Im Zweifelsfall bestimme ich“ antwortete Mährholz und grenzte sich damit von den basisdemokratischen Strukturen der Occupy-Bewegung ab. („Da wurde zwei Stunden darüber diskutiert, was es zum Frühstück gibt“) ,Er und sein Berliner Orga-Team haben sich in Wiesbaden, Erfurt und wahrscheinlich noch in weiteren Städten dafür eingesetzt, dass die Administratoren der örtlichen Webseiten und Anmelder der Kundgebungen von Rechten besetzt werden. In München verteilt ein Gruppe von Nazis ungehindert Flugblätter auf der Montagskundgebung, die Baseler Montagswache wirbt auf einem Video mit einer Schrifttafel: „Wir müsse es den Rothschilds sagen, das mit dem Krieg wird nix.“ Und es ist zu befürchten, dass die für Juli angekündigte bundesweite Kundgebung der „Friedensbewegung 2014“ von der Rechten bundesweit als Chance gesehen wird.

Nach unserer Einschätzung der Berliner Kundgebung waren etwa ein Drittel der Anwesenden aus dem Umfeld von AFD und noch weiter rechts. Woran wir das erkennen? An T-Shirts, Tattoos und vor allem am frenetischen Beifall, den Heiko Schrang für seine krypto-antisemitischen Ausfälle von einem Teil des Publikums erhielt. Längst sind die Montagskundgebungen in Berlin und auch in anderen Städten ein Sammelpunkt für alle mögliche „neurechte “, rassistische und faschistische Gruppierungen geworden. Schon jetzt ist das ein Erfolg für diese, es ist ihnen – nicht zuletzt mit Hilfe linker Redner - gelungen ein Stück aus der gesellschaftlichen Isolation, in der sie sich in Deutschland immer noch befinden, herauszukommen.

Es ist ein Irrtum, wenn Du von den Montagskundgebungen als einer „neuen Friedensbewegung“ sprichst. Mährholz hat wiederholt gesagt, dass es ihm „nicht in erster Linie darum (gehe), einen Krieg zu verhindern,“ sondern das „System“ abzuschaffen, das für die Kriege verantwortlich sei. Das klingt vernünftig und vor allem klingt es links. Aber er meint nicht den Kapitalismus in Gestalt den modernen Imperialismus, sondern das „Geldsystem“, das sich wiederum unter der Kontrolle einer internationalen Finanzclique meist jüdischer Herkunft befindet. Und der bekennende Buddhist Heiko Schrang sagt und schreibt: „Kämpfen sie nicht gegen den Krieg, stellen sie den Frieden für sich selbst her ... Wenn jeder Einzelne der Millionen Demonstranten weltweit nur einem Menschen verziehen hätte, mit dem er einen Konflikt hat, wäre mehr für den Frieden erreicht.“ Und : „Wenn Sie sich ändern, ändert sich automatisch die Welt ... um sie herum.“ Ganz in diesem Sinn prangt auf der Bühne ein großes rotes Herz und Schrang forderte alle auf, sich gegenseitig die Hände zu reichen.“ Der Charakter der Veranstaltung trägt über weite Strecken eher den einer religiösen Zeremonie als den einer politischen Kundgebung.

Der „Antifaschismus“ eines Lars Mährholz ist verlogen, die antisemitischen Verschwörungstheorien eines Heiko Schrang kaum verdeckt. So richtig Dein Beitrag auch war, im Konzert mit anderen Reden werden solche Auftritt zum (linken) Feigenblatt für rechte Politik. Kein Wunder, dass Dir ein Jürgen Elsässer jetzt enthusiastisch zuruft: „Herzlich Willkommen bei den Montagsdemos, lieber Diether.“ Ja, Mährholz hat sich wiederholt und lautstark von Antisemitismus und Rechtsextremismus distanziert. Aber er hat im gleichen Atemzug auch gesagt: „Ich distanziere mich auch von den Autofahrern ... und von allen distanziere ich mich von denen, die mich ständig auffordern, mich von irgendetwas zu distanzieren.“ So demonstriert er dem Publikum, was er von der Distanziererei hält, nämlich nichts. Im Blog von Jürgen Elsässer schrieb ein „Onkel Jupp“ zum Auftritt Elsässers auf einer Montagskundgebung in Erfurt: „Die Dödel mit Hitlergruß am Rande, sind nicht gerade hilfreich ... Dass sie nicht begreifen, dass sie angesichts der Bemühungen, links und rechts zu überbrücken, sich ausmachen wie mittelalterliche Vollidioten.“ Die Klügeren unter ihnen haben längst kapiert, wie wertvoll Auftritte von Linken für ihre Sache ist.

Wir brauchen eine neue Friedensbewegung, die sich vor allem gegen die Bundesregierung, gegen die EU- und Nato-Osterweiterung richten muss. Der Beschluss des Berliner Parteitags der LINKEN zur Ukraine enthält hierfür wichtige Orientierungshilfen.

Wir stimmen mit dem Parteivorstand der LINKEN überein, dass wir keine Bündnisse mit „Rechtspopulisten, Nationalisten, Verschwörungstheoretikern und Antisemiten schließen, die die Sorge vor Krieg und Eskalation zum Anlass nehmen, um auf "Montagsmahnwachen" oder "Montagsdemonstrationen" rechtspopulistische Welterklärungsmuster ... salonfähig zu machen.“

Wir können die Menschen, die aus Sorge um den Frieden zu den Demonstrationen kommen, nur dann für eine linke Antwort gewinnen, wenn wir die rechten und reaktionären Versatzstücke in den Äußerungen führender Personen aus der „Montagsmahnwachen“-Bewegung offen kritisieren. Das wäre allerdings auch keine „solidarische Intervention mehr sondern eine kritische und sie führte ganz sicher auch zum politischen Bruch mit dem heimlichen Diktator der Bewegung Mährholz.

Mit besorgten Grüßen, Frankfurt am 16. Juni 2014
Maya Mosler-Cohen
Volkhard Mosler



ANHANG:

Was macht den Charakter der Montagskundgebungen aus?

Von Volkhard Mosler

Meine Aussage, dass mindestens ein Drittel der Teilnehmer/innen der Berliner Montagskundgebung Rechte sind, wird durch die Untersuchung der TU-Berlin bestätigt. Ein Drittel von den Befragten (34 Prozent), die geantwortet haben, stimmten zu, dass Deutschland "einen Führer haben sollte, der ... zum Wohle aller mit starker Hand regiert." 64 Prozent stimmten dieser Aussage "teilweise" zu. Die Validität jeder Umfrage steht und fällt mir ihrer Repräsentativität. Eine zentrale Voraussetzung der "Validität" einer Umfrage ist, dass sie Aussagekraft über die Grundgesamtheit einer Gruppe von Menschen zulässt, deren Einstellungen untersucht werden sollen. Da aber nur ein Drittel der Befragten überhaupt geantwortet hat, stellt sich die Frage, ob die zwei Drittel Nicht-Teilnehmer "zufällig" nicht teilnahmen, oder absichtlich nicht, sozusagen mit einem systemischen Motiv. Ich vermute sehr, dass ein Teil der Rechten unter den Befragten absichtlich nicht teilgenommen hat, weil sie wussten, dass damit der Ruf der Bewegung als "weder links noch rechts" gefährdet würde. Mährholz hatte ja über Wochen gegen die angebliche Hetze gegen seine Bewegung agitiert. Als Prinz Chaos (Forian Kirner) Ende April das erste Mal in Berlin ans Mikro trat und u. a. Putins homophobe Politik scharf kritisierte, wurde er von Zwischenrufen unterbrochen und konnte kaum weiterreden. Da sprang Mährholz auf die Bühne und rief die Zwischenrufer zur Ordnung, man solle es doch begrüßen, wenn ein Linker wie Prinz Chaos, der sich um 180 Grad gewendet habe, hier auftrete. Kurz: ein großer Teil der Teilnehmer/innen dürfte sich zum Zeitpunkt der Befragung Mitte Mai darüber ziemlich klar gewesen sein, dass Mährholz ein doppeltes Spiel treibt, dass er und seine Freunde im Schafspelz daherkommen müssen.

Zur Dialektik von Führung und Bewegung

Ein wichtiges Kriterium zur politischen Beurteilung einer Bewegung ist die spezifische Dialektik von Führung und Basis. Ich will das an zwei Extrembeispielen verdeutlichen. Die Berliner SA bestand 1932 zu 81 Prozent aus Arbeitern und Arbeitslosen mit einer stark antikapitalistischen Grundeinstellung. Kein vernünftiger Sozialwissenschaftler käme nun auf die Idee, den politischen Charakter der SA durch die Einstellung ihrer Mitgliederbasis zu definieren, eben weil die SA durch das Führerprinzip geprägt war. Es gab andere soziale Bewegungen wie Occupy, die sich nicht einmal einen gewählten Sprecherrat leisten, weil sie jede Art von Führung ablehnen. Je passiver, willenloser die Basis einer Bewegung, desto stärker bestimmt die Führung einer Bewegung deren Charakter. Deshalb sind auch alle Vergleich mit Occupy (dort hätte es auch rechte Verschwörungstheoretiker gegeben), jede große Bewegung habe auch reaktionäre Elemente usw., falsch. In der Bewegung der neuen Montagskundgebungen haben die Teilnehmer/innen überhaupt keine Möglichkeit, aktiv zu werden, Einfluss zu nehmen. Sie kommen, hören zu und gehen wieder nach Hause. Das war`s! Ich habe Mährholz den "heimlichen Diktator" der Bewegung genannt. Dagegen sagen andere, es gebe inzwischen ein regelmäßig tagende Gruppe von 30 Menschen, die die Kundgebungen vorbereiteten. Mich würde interessieren, ob diese Gruppe auch bestimmt, dass immer nur Mährholz die Berliner Kundgebungen moderiert, warum nicht mal Prinz Chaos?! Außerdem interessiert es mich sehr, ob die Gruppe auch Zugang zu der Verwaltung und Korrespondenz zwischen der Berliner Leitung und den inzwischen über 100 örtlichen Montagskundgebungen oder -initiativen hat. Und wenn die Gruppe der 30 Zugriff auf die Redner/innen und Musiker/innen hat, die in Berlin auftreten dürfen, warum passiert es dann, dass so ein reaktionäres Typ wie Heiko Schrang eine buddhistisch-religiös gefärbten, faschistoide Predigten wie am 9. Juni halten kann. Da gib es einen offen Brief von Pedram Shayar und Florian Kirner gegen den Auftritt von Elsässer in Erfurt. Elsässer trat trotzdem in Erfurt auf und er war auch danach noch vom Karlsruher Orga-Team eingeladen dort zu sprechen. Ich halte Schrang für viel weiter rechts als Elsässer, dem ich immer noch unterstelle, dass er vieles aus taktischer Erwägung sagt, nicht weil er es wirklich glaubt. (Kann mich auch irren). Da wird im Brief von einem angeblichen "humanitären Grundkonsens" gesprochen, der für die Kundgebungen gelte. Das mag gut für die Beruhigung des eigenen linken Gewissens sein, die Geltung eines solchen Konsens lässt sich weder mit dem Auftritt von Schrang noch mit dem von Elsässer vereinbaren. Weder Erfurt noch Karlsruhe wurden von der Liste der Veranstalter gestrichen. Mir zeigt das, dass diese Bewegung zu 99 Prozent durch ihre grundreaktionäre Führung und nicht durch die nach wie vor weitgehend unbekannten Erwartungen ihrer gewöhnlichen Teilnehmer/innen geprägt ist. Die Dialektik von Führung und Basis ist bei den Montagskundgebungen durch eine autoriäre Führung geprägt und nicht durch eine sich artikulierende, räsonierende Basis.

Frankfurt/M.. 16.6.2014

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