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Zweierlei Querfront

Debattenbeitrag: Die Abgrenzung von falschen Friedensfreunden und Rechtsesoterikern darf nicht in den Armen von Kriegstreibern und NATO-Apologeten enden

Von Leander Sukov *

Der Aufruf zu einer »Mahnwache für den Frieden« im vergangenen Jahr verortete den Grund für die Kriege dieser Welt bei der Federal Reserve Bank in den USA. Eigene Machtinteressen Deutschlands oder der EU gab es demnach nicht, nur das »raffende Kapital« jenseits des Atlantik war schuld. Jutta Ditfurth und andere erkannten darin antisemitische Codes. Ohne Frage wurden aber durch die Mahnwachen auch Menschen erreicht, die schlicht Angst vor einem Krieg in Europa haben. Oftmals kaum politisiert, haben sie nur wenig Möglichkeiten, falsche Parolen und Ziele zu erkennen, wenn diese codiert sind. Recherchen über Redner und Organisatoren – vor allem solche, die betonten, der Unterschied zwischen links und rechts spiele heute gar keine Rolle – zeigten aber: Das war auf eine Querfront angelegt. Seitdem sehen sich Kriegsgegner bundesweit mit dem Versuch konfrontiert, die Friedensbewegung von rechts zu vereinnahmen und dabei möglichst viele Linke zu umarmen.

In einigen Fällen ist es gelungen, die Melange aus Rechten und Linken verschiedener Farbgebung aufzubrechen. Wenn es gelänge, die rechten Teile der Friedensbewegung endgültig abzusprengen, könnten sich zeitweilige Teilnehmer der Montagsmahnwachen auch bei den »Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes« (Pegida) wiederfinden. Überschneidungen mit den »Engagierten Demokraten gegen die Amerikanisierung Europas« (Endgame) sind bekannt. Dass es auch Schnittmengen mit extremen Rechten gibt, ist spätestens seit der nicht unterbrochenen Rede eines Holocaustleugners klar, der bei »Endgame« in Halle Horst Mahler zum Freiheitshelden stilisieren konnte. Auf der Website NrhZ.de, die in fröhlicher Selbstüberschätzung behauptet, eine Art Nachfolgerin der Neuen Rheinischen Zeitung zu sein, haben Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann (auch bekannt durch den Verein »Arbeiterfotografie«) anlässlich der Endgame-Parade in Hannover »entlarvt«, dass Jutta Ditfurth und andere Kritiker »Handlanger des US-Imperialismus« seien. Die Querfront reicht bis in Kreise und Publikationen, die von Linken weithin akzeptiert sind. Propagandisten der rechten und oft antisemitischen Welterklärung haben die Mahnwachen genutzt, um ihr Potential zu vergrößern. Der Berliner Versammlungsleiter Lars Mährholz gab sich arglos, Jürgen Elsässer, auf dessen Internetseiten leicht zu recherchieren ist, wie gern er zum Beispiel gegen Roma und Schwule hetzt, konnte sich als Friedensfreund in Szene setzen und Andreas Popp seine Popularität als »Geldsystemkritiker« erhöhen. »Zinsknechtschaft« und die Mär vom »raffenden und schaffenden Kapital«, wenn auch verbrämt, haben Einzug gehalten in die traditionelle Friedensbewegung. Distanzierungen der Mahnwachenprotagonisten von Elsässer verhinderten nicht, dass wenig später eine Rednerin aus ihrem Spektrum auf derselben Bühne stand wie der neurechte Publizist.

Der politische Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Monty Schädel, der zunächst auf Dialog und Zusammenarbeit im »Friedenswinter« setzte und möglichst viele durch die Mahnwachen frisch politisierte Menschen mitnehmen wollte, mahnte inzwischen in Interviews mit taz und junge Welt, das Tischtuch zu zerschneiden.

Was für die Rechtsesoteriker, Reichsbürger und Geldmystiker gilt, gilt allerdings auch für die andere Seite. Schon zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat ein Teil der »Antideutschen« den »Clash of Civilisations« zu seinem Leitbild erhoben. Geblieben sind den Apologeten transatlantischer Freundschaft und ständiger Bejahung von Völkerrechtsverstößen und Kriegseinsätzen die intellektuelle Eitelkeit, die aus ihren Verlautbarungen trieft, und der Zynismus gegenüber den Opfern imperialistischer Kriegsführung sowie die Heldenverehrung für die NATO.

Was nicht von ihnen herausgegeben wird, ist des völkischen Teufels: Die junge Welt gilt ihnen als nationalbolschewistisch, und selbst die Jungle World ist ihnen zu milde, Springers Welt hingegen oft wohlgelitten. Für die Solidarität von Linken in Deutschland mit dem in der Tat heroischen Kampf der kurdischen Volks- und Frauenselbstverteidigungskräfte in Kobani hatten Bahamas und Jungle World nur Überheblichkeit und intellektuelle Rechthaberei übrig.

Um Personen zu diskreditieren, ist ein Teil der »Antideutschen« auch bereit, den Faschismusbegriff zu verwässern. Das zeigen Postings, die den Linken-Bundestagsabgeordneten Diether Dehm schon mal in die Nähe des Nationalsozialismus rücken. Da wird dann jeder, der sich zu einem Engagement für die Mahnwachen hinreißen ließ, ganz unabhängig von seiner sonstigen politischen Positionierung, zum Querfrontler. Das trifft den Liedermacher Prinz Chaos II ebenso wie seinen Kollegen Konstantin Wecker – dem man eine Nähe einfach unterschob – und andere Künstler. Man schießt mit Schrot und hofft, es würden auch die Richtigen getroffen. Den Rest nimmt man als Kollateralschaden in Kauf. So wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Das ist eine bewusste und gewollte Politik: Man will nicht überzeugen und »heilen«, sondern die Linke insgesamt schädigen.

Die Querfront aus NATO-Freunden, Zivilisationsfaschisten und gutgläubigen Linken – die es hier wie dort gibt – unterscheidet eines wesentlich von der anderen, völkischen Querfront: Sie will nicht umarmen. Sie will spalten und dadurch schwächen. Ihre Grundposition ist neoliberal und pro-kapitalistisch. Die andere, die nationale Querfront, die Alexander Dugin und anderen Theoretikern extremistischer Konservativität zugewandte, will vereinnahmen. Sie braucht die Vergrößerung, und greift über die nationalstaatlichen Grenzen, wie das Petersburger Treffen von über hundert rechtsextremen oder nationalkonservativen Parteien zeigt. Sie ist damit die gefährlichere Querfront. Bekämpfen aber muss eine Linke, die weder im Reformismus noch im Nationalbolschewismus landen will, beide Querfronten.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 15. April 2015


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