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Die Rebellen von Schnöggersburg

In der Colbitz-Letzlinger Heide steht der 250. Friedensweg bevor

Von Hendrik Lasch, Dolle *

Seit 1993 wehrt sich eine Friedensinitiative in der Altmark gegen die militärische Nutzung der Colbitz-Letzlinger Heide. Zu Ostern laden die beharrlichen Pazifisten bereits zum 250. Friedensweg.

Im Nachhinein ist es ein wenig schade, dass Phil Collins ausgerechnet am 4. September 1994 im Niedersachsenstadion von Hannover spielte. Von Haldensleben aus ist das nicht weit, und deshalb hatte Helmut Adolf eine Karte für diese Station der »Both Sides of the World«-Tour des Ex-Schlagzeugers von Genesis gekauft und war aus seiner Heimatstadt nördlich von Magdeburg in Richtung Niedersachsen gefahren. Tags zuvor hatte Collins dort bereits ein erstes Konzert gegeben, aber Adolf hatte den Termin am Sonntag vorgezogen – und damit, wie sich 20 Jahre später erweist, eine bedauerliche Lücke gerissen. Wenn am kommenden Ostermontag 2014 die Initiative »Offene Heide« zum 250. Friedensweg gegen die militärische Nutzung der Colbitz-Letzlinger Heide lädt, blickt Adolf auf eine Bilanz zurück, die beinahe makellos ist – aber eben nur beinahe: Von diesen 250 Friedenswegen, die jeweils am ersten Sonntag eines jeden Monats stattfinden, hat er nur einen einzigen verpasst. Am 4. September 1994 war Musik ausnahmsweise wichtiger als Politik.

Freilich: Im September 1994 konnte keiner der Aktivisten auch nur ahnen, dass 100, 200 oder 250 Friedenswege nötig sein würden, um das Militär aus der Altmark zu vertreiben. Das hatte zwar die Schießbahnen schon fast seit Menschengedenken genutzt: Zunächst richtete Hitlers Wehrmacht im Jahr 1935 eine 30 Kilometer lange Schießbahn ein, um große, in Magdeburg produzierte Geschütze zu testen. Danach kamen sowjetische Truppen. Deren Abzug indes stand bevor. Als am 1. August 1993 aus einem Friedenscamp heraus der erste Friedensweg stattfand, bestand daher zumindest die vage Hoffnung, dass eine Übernahme des Areals durch die Bundeswehr verhindert werden könnte. »Wir strebten eine zivile Nutzung an«, erinnert sich Adolf: »Wir träumten von einem Naturpark.«

Wie gründlich der Traum platzte, zeigen Schilder wie das, neben dem Adolf zwei Jahrzehnte später steht. In regelmäßigen Abständen entlang der Bundesstraße 189 weisen sie auf einen militärischen Sperrbereich hin – einen, der es in sich hat. Die Bundeswehr, die das Areal knapp drei Wochen vor Adolfs Konzertbesuch bei Phil Collins übernommen hatte, betreibt hier das Gefechtsübungszentrum (GÜZ), in dem ihre Soldaten vor Auslandseinsätzen wie in Afghanistan den letzten Schliff erhalten. Um sie künftig auch auf völlig neue Kriegsszenarien vorbereiten zu können, entsteht im weitgehend entwaldeten Inneren der Heide die Übungsstadt »Schnöggersburg«. Auf 6,25 Quadratkilometern werden rund 500 Gebäude mit Kellern gebaut, in denen sich der Häuserkampf trainieren lässt. Dazu kommen unter anderem 20 Kilometer Straße samt Kanalisation, anderthalb Kilometer Fluss – und eine U-Bahn. »Es ist die einzige in Sachsen-Anhalt«, sagt der Eisenbahner Helmut Adolf bitter.

Der 55-Jährige und seine Mitstreiter halten das für pervers. Nicht, weil die U-Bahn ausgerechnet in der Altmark gegraben wird, in der so wenige Menschen wohnen wie nirgends in Sachsen-Anhalt, sondern weil die Bahnhöfe und Schächte dazu dienen sollen, für militärische Konflikte zu trainieren – Konflikte, die augenscheinlich nicht mehr auf Schlachtfeldern ausgetragen werden, sondern in dicht bewohnten Siedlungsgebieten. »Krieg beginnt hier«, ist auf Aufklebern zu lesen, die immer wieder an den Schildern und Schranken rund um den Übungsplatz auftauchen. Pazifismus ist ein wichtiges Motiv derjenigen, die regelmäßig bei den Friedenswegen mitlaufen. Dazu kommt eine Portion Heimatliebe, vor allem bei den Älteren, die unter dem Namen »Schnöggersburg« noch eine abgelegene Försterei kennen statt der Militärstadt. Zu den Aktivisten zählen zudem Naturschützer. In der Colbitz-Letzlinger Heide gab es einst prachtvolle Wälder aus Eichen und Buchen, von denen die Militärs freilich nicht viel übrig gelassen haben. Dazu kommen seltene Pflanzen und Tiere. Und unter dem Heidesand erstreckt sich ein riesiges Reservoir mit bestem Trinkwasser.

Für Helmut Adolf, der schon als Kind den Geschützdonner vom Übungsplatz anhören musste, ist Friedensliebe das wichtigste Motiv, sich für eine »Offene Heide« zu engagieren. Anders als manche Mitstreiter, die aus der kirchlichen Friedensbewegung in der DDR kommen, hat er drei Jahre in der Nationalen Volksarmee gedient – unter der Prämisse, den Frieden in einem atomar hochgerüsteten Mitteleuropa zu sichern. Das aber sei »mehr Friedhofsruhe als wirklicher Frieden« gewesen, sagt er heute. Nach dem Ende der DDR sah er eine Gelegenheit, die militärischen Arsenale abzubauen und einer anderen Art Friedenspolitik zum Durchbruch zu verhelfen. Von der Bundesrepublik als einer kernwaffenfreien Zone und von Blockfreiheit war die Rede, und vor der Haustür sollte der Anfang gemacht werden: Armeen sollten in der Colbitz-Letzlinger Heide nichts mehr zu suchen haben.

In den 90er Jahren war das noch ein populäres Anliegen. Zu den Friedenswegen kamen mehrere hundert Menschen. CDU-Minister plädierten mit pathetischen Worten für eine zivile Nutzung, die SPD lud zu Demonstrationen. »Das war ein großer Strom«, sagt Adolf im Rückblick, »da ließ sich noch leicht mitlaufen.« Seither hat sich allerdings der Wind gedreht. 1997 stimmte die rot-grüne Landesregierung unter Reinhard Höppner dem »Heidekompromiss« zu, in dem lediglich für den Südteil der Heide ein Abzug des Militärs festgelegt wurde – ab 2006. »Das war der eigentliche Türöffner für die Bundeswehr«, sagt Adolf. Sie begann mit dem Aufbau eines Übungszentrums – und gab auch den südlichen Teil der Heide nicht mehr her. Während im Norden mit Lasergeräten das Panzerschießen geübt wird, präpariert man sich im Süden für die Verteidigung Deutschlands am Hindukusch.

Viel Gegenwehr muss die Bundeswehr nicht mehr befürchten. Landesregierung, Landräte und Bürgermeister schwören ihr inzwischen unverbrüchliche Treue – und verweisen zur Begründung gern auf Arbeitsplätze. Statt der einst versprochenen 2000 Jobs seien zwar nur rund 700 entstanden, sagt Adolf. In der strukturschwachen Region lässt sich damit freilich schon die Stimmung drehen. In Orten wie Letzlingen freut man sich zudem über Zuzug: die Familien von Offizieren oder von Beschäftigten einer Tochter des Rheinmetall-Konzerns, die den Übungsplatz betreibt, bringen Leben in den Ort. Zu den Friedenswegen kommen dagegen im Schnitt nur noch 50 Teilnehmer. Sinnbild dafür, wie sich die Stimmung im Land verändert hat, ist ein Vorfall vom Juni 2013. Damals sollte die »Offene Heide« vom Festumzug anlässlich des Sachsen-Anhalt-Tages in Gommern ausgeschlossen werden – weil sie, wie die Staatskanzlei damals schrieb, die Bundeswehr verunglimpft habe. Diese wiederum war beim Festumzug herzlich willkommen.

Helmut Adolf und seine Mitstreiter lassen sich davon nicht verdrießen. Sie treffen sich weiter an jedem ersten Sonntag im Monat zum Friedensweg; sie kooperieren mit ähnlichen Initiativen in der gesamten Bundesrepublik; und sie nehmen erfreut zur Kenntnis, dass sich auch Menschen aus ganz Deutschland zunehmend für die militärischen Aktivitäten in der Altmark zu interessieren beginnen. Im Sommer findet unter dem Slogan »War starts here« (Der Krieg beginnt hier) erneut ein großes Camp statt, das sich gegen die Militarisierung der deutschen Außenpolitik wendet und vor allem junge Aktivisten anzieht. Zwar macht man bei der »Offenen Heide« keinen Hehl daraus, dass man manche von deren Ansätzen und Positionen nicht teilt. Als 2013 in zeitlicher Nähe zum Camp ein Brandanschlag auf eine Bundeswehr-Kaserne in Havelberg verübt wurde, bei dem Fahrzeuge ausbrannten, stieß man sich an billigenden Äußerungen der Camp-Organisatoren. Sie hatten es in einer Erklärung als »nachvollziehbar« bezeichnet, dass Menschen »Abrüstung selbst in die Hand nehmen«. Bei der »Offenen Heide« war man nicht angetan. Die Bundeswehr, erwiderte einer der dortigen Aktivisten, werde neue Fahrzeuge erhalten: »Das ist reale Aufrüstung.« Zudem sei eine verstärkte Kriminalisierung eigenen Engagements zu befürchten.

Dennoch freut man sich bei der Initiative, dass es auch im Sommer 2014 wieder ein Camp geben soll, zu dem junge Aktivisten aus Berlin, Hamburg oder Stuttgart anreisen. Zuvor freilich wird am Ostermontag erst einmal der 250. Friedensweg begangen, ergänzt durch ein Fest in Wolmirstedt. Dort wird es auch Musik geben. Zwar spielt nicht Phil Collins, aber immerhin »Klaus der Geiger«, der zu den Ikonen der Friedensbewegung zählt und, wie es in der Einladung heißt, »seit 40 Jahren mit seiner Violine gegen Atomkraft und Kriege kämpft«. Für Helmut Adolf hat das einen großen Vorteil: Anders als 1994 kann er diesmal Musik hören, ohne den Friedensweg zu verpassen.

* Aus: neues deutschland, Montag, 14. April 2014


Aktionen für den Frieden

Ostermärsche kritisieren die EU – aber auch Russland

Von Aert van Riel


Hundert Jahre nach Beginn des Ersten Weltkrieges warnen Aktivisten der Friedensbewegung bei ihren diesjährigen Ostermärschen vor einer neuen Eskalation im Osten Europas. Ursache hierfür ist der Konflikt in der Ukraine. Das Netzwerk Friedenskooperative fordert eine »Mäßigung aller Seiten«, die Rückkehr zur Diplomatie und zivile Konfliktbearbeitung. Dieser Appell richtet sich sowohl an die russische und die ukrainische Regierung als auch an die EU und an die NATO. Das Netzwerk zeigte sich besorgt über die Zunahme gegenseitiger Feindschaft zwischen den bisherigen »Brudervölkern« in der Ukraine wie in Russland, die durch die jeweiligen Regierungen und Medien befeuert werde. Die Annexion der Halbinsel Krim durch Russland wird als völkerrechtswidrig kritisiert, zugleich habe aber auch die Europäische Union eine große Mitschuld an der Eskalation. »Seit der sukzessiven Erweiterung der EU und besonders der NATO auf dem vormaligen Einflussbereich Russlands wurde mutwillig versäumt, diese Machtverschiebungen halbwegs fair mit russischen Interessen abzugleichen«, heißt es.

Bei den zwischen Gründonnerstag und Ostermontag geplanten rund 80 Ostermarschaktionen werden aber auch andere Konflikte auf der Welt nicht vergessen. Die Aktivisten verlangen die Einstellung sämtlicher Waffenlieferungen nach Syrien, einen sofortigen Waffenstillstand und Verhandlungen, die eine Friedenslösung für alle beteiligten Gruppen bieten. Um den Konflikt in Afghanistan zu beenden, sollen alle ausländischen Truppen abgezogen und stattdessen zivile Hilfen für den Aufbau des Landes verstärkt werden.

Am Karfreitag startet der Ostermarsch Rhein/Ruhr mit Aktionen in Dortmund und Gronau, wo gegen die dortige Urananreicherungsanlage demonstriert wird. Beim Fliegerhorst der deutschen Luftwaffe im rheinland-pfälzischen Büchel will die Friedensbewegung ihre Sympathisanten am Ostermontag mit der Forderung nach einer atombombenfreien Welt mobilisieren. Der Protest richtet sich auch gegen die in Büchel gelagerten US-amerikanischen Atomwaffen.

Das Friedens-Netz Saar lädt für Ostersamstag zum Ostermarsch durch Saarbrücken ein. Die Aktivisten wollen, dass alle Auslandseinsätze der Bundeswehr gestoppt und Kampfdrohnen abgeschafft werden. Denn Drohneneinsätze seien völkerrechtswidrig. Deswegen müsse der US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz geschlossen werden. Der Stützpunkt spielt eine bedeutende Rolle im US-Drohnenkrieg.

(neues deutschland, Montag, 14. April 2014)




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