Erfolg durch neue Aktionsformen
Der Ökonom und Aktivist Sol Trumbo Vila über die Entwicklung sozialer Bewegungen in Europa
Sol Trumbo Vila (30) hat seine
politischen Wurzeln in der spanischen
Empörten-Bewegung. Inzwischen arbeitet er in Amsterdam für das Transnational Institut und ist dort für ein Projekt verantwortlich, das den europaweiten Widerstand
gegen die Sparpolitik stärken soll.
Mit ihm sprach Stephan Lindner über Möglichkeiten für größeren
gemeinsamen Protest in Europa.
Warum gibt es noch keine stärkere
europäische Bewegung gegen
die Austeritätspolitik?
Viele wünschen sich mehr europäische
Handlungsfähigkeit, wissen
aber nicht, wie das zu erreichen
ist. Ich sehe vor allem zwei
große Herausforderungen: Die eine
ist die nationale Spaltung, denn
in allen Ländern haben wir unterschiedliche
Traditionen, Probleme
anzugehen. Wir sind es gewohnt,
vor allem auf nationaler Ebene zu
handeln. Und die zweite ist die
Spaltung zwischen Gewerkschaften,
zivilgesellschaftlichen Organisationen
und neuen sozialen Bewegungen.
Auch hier hat jede
Gruppe unterschiedliche Diskurse,
Ideologien und Herangehensweisen.
Wie kann es Fortschritte geben?
Die Möglichkeiten gemeinsamer
Handlungsfähigkeit wachsen.
Denn immer mehr Akteure sehen,
dass sie ohne diese an Macht verlieren.
Und es gibt bereits Fortschritte.
Zum letzten EU-Frühjahrsgipfel
gab es den Aufruf »Für
einen Europäischen Frühling«,
den mehr als 60 Organisationen
aus 13 Ländern unterstützten. Wir
waren mit Aktionen sowohl in
Brüssel präsent als auch dezentral
in vielen anderen Städten.
Auf welche Themen müssen die
Protestbewegungen bei ihren Aktionen
aufmerksam machen, um
die Spaltung zwischen Kern und
Peripherie in der Eurozone zu
überwinden?
Wir sollten vor allem über die Rolle
des Finanzsektors reden und
seine Macht, die politische Agenda
zu beeinflussen. Occupy Wallstreet
hat es sehr gut geschafft, klarzumachen,
dass die Wallstreet der
Gegner ist und ihr Einfluss das
Problem. In Europa ist es das Gleiche.
Wir müssen der historischen
Entwicklung der Krise folgen, in
der alle europäischen Regierungen
ihre Finanzsektoren retteten, wofür
sie enorme Schulden aufgenommen
haben. Deshalb gibt es
jetzt die gewaltigen öffentlichen
Schulden und Defizite und nicht,
weil es einen zu großen öffentlichen
Sektor gibt.
Wie sollte vorgegangen werden?
Ein sehr wichtiger Beitrag der
neuen Bewegungen sind die neuen
Aktionsformen. Plätze besetzen
und offene Versammlungen abhalten,
das schafft neue Räume für
Diskussion frei von traditionellen
Strukturen und Hierarchien. Außerdem
können durch neue kreative
Aktionsformen wie Umzingeln
des Kongresses in Spanien oder
Blockupy in Deutschland neue Akteure
geschaffen werden. Dabei
kommen Individuen und Organisationen
mit ganz unterschiedlichen
Hintergründen für einige
Schlüsselthemen zusammen, um
eine neue Macht aufzubauen, die
den gemeinsamen Gegner konfrontiert.
Denn wir können nur gewinnen,
wenn es gelingt, eine neue
Kraft zu schaffen, die tatsächlich
eine Auswirkung auf das tägliche
Funktionieren unseres gemeinsamen
Gegners hat.
Aber in den neuen Bewegungen
gibt es auch eine Menge Skepsis
gegenüber Gewerkschaften und
Organisationen der Zivilgesellschaft.
Ist die nicht berechtigt?
Natürlich gibt es das, aber neue
soziale Bewegungen sollten ihre
Kritik aus einer Position der eigenen
Stärke äußern. Ein sehr gutes
Beispiel dafür ist Spanien. Als Gewerkschaften
nach einer Allianz mit anderen Bewegungen riefen,
reservierten sie die Führungsrolle
für sich. Die neuen sozialen Bewegungen
agierten daraufhin eigenständig
und schufen selbst einen
neuen Akteur, die Bürgerfluten.
Die sind jetzt in der Lage, bei
der Mobilisierung mit den Gewerkschaften
in einen Wettbewerb
zu treten. Gewerkschaften fingen
daraufhin an, das neue Machtgleichgewicht
anzuerkennen.
Welche Sozialproteste stehen an
und werden sie eine europäische
Dimension haben?
Es gibt eine europaweite Mobilisierung
für den 1. Juni ausgehend von Portugal. Das zeigt das neue
Niveau der Zusammenarbeit in Europa. Bewegungen schauen
nicht mehr nur auf ihr eigenes
Land. Deshalb wird am 1. Juni
nicht nur in Frankfurt bei Blockupy
protestiert, sondern auch in
vielen anderen europäischen Städten. Das Motto ist: »Völker
vereint gegen die Troika!«
Mehr Informationen zu den anstehenden Aktionstagen unter:
www.foraeuropeanspring.org
* Aus: neues deutschland, Freitag, 17. Mai 2013
Zur Seite "Soziale Bewegungen"
Zurück zur Homepage