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Kriegsgegner zeigen Flagge

Nach der Trauerfeier mit Bundeskanzlerin und Verteidigungsminister: Das Friedensforum Bremervörde demonstriert weiter für einen Truppenabzug aus Afghanistan

Von André Lenthe *

Präsenz zeigen, Gespräche führen«, so beschreibt Hermann König die augenblickliche Hauptaufgabe des Friedensforums Bremervörde. Seit dem Tod von drei Bundeswehrsoldaten am Karfreitag versucht die niedersächsische Friedensgruppe verstärkt, mit den Menschen vor Ort in Kontakt zu kommen. »Wir wollen nicht nur mahnend auf die toten Bundeswehrsoldaten hinweisen, sondern immer auch der afghanischen Opfer dieses Krieges gedenken«, erklärt König. Was in der Berichterstattung hierzulande unterging: An jenem 2. April waren auch sechs afghanische Soldaten erschossen worden - von ihren deutschen Verbündeten.

Die getöteten Fallschirmjäger waren am Bundeswehrstützpunkt Seedorf bei Bremervörde stationiert und erst vor wenigen Wochen nach Afghanistan geschickt worden. Beim Verabschiedungsappell hatte das Friedensforum gegen den Einsatz am Hindukusch protestiert und die Soldaten aufgefordert, nicht in den Krieg zu ziehen (jW berichtete). »Damals wurden wir ausgelacht, und uns wurde von einigen Soldaten der Stinkefinger gezeigt«, erinnert sich der Bundestagsabgeordnete Herbert Behrens (Die Linke). »In der Folge gab es drei öffentliche Protestaktionen, und man merkt, daß sich in den Köpfen der Menschen etwas bewegt«

Jeweils sonntags protestieren die Friedensaktivisten im Zentrum von Zeven und Bremervörde. Sie sammeln Unterschriften für die »Fuldaer Erklärung«, mit der die Forderung nach einem Truppenabzug aus Afghanistan bekräftigt wird. Die Menschen machen sich Gedanken über den Kriegseinsatz am Hindukusch und stellen zunehmend häufiger kritische Fragen, konstatiert König. Dies sei beachtlich, da viele in der Region wirtschaftlich vom Armeestützpunkt profitieren oder familiäre Kontakte in die Kaserne bestehen. »Die Verbindungen zum Militär sind hier besonders fest«, so König. Die selbsternannten Helfer in Uniform organisieren Ferienprogramme mit Jugendlichen, Kompanien gehen Patenschaften mit den Orten in der Region ein. »Der CDU-Bürgermeister von Bremervörde rief die Bevölkerung seiner Stadt auf, Heimatkisten für die Soldaten der Patenkompanie zu packen«, beschreibt Friedensaktivist König die politisch desolate Situation.

»Wir müssen jetzt dafür sorgen, daß immer mehr Nein zu dem völkerrechtswidrigen Krieg sagen und keine weiteren Soldaten nach Afghanistan geschickt werden«, erklärte einer der Teilnehmer des jüngsten Sonntagsprotests gegenüber jW. Eine Forderung, die auch von Herbert Behrens geteilt wird. Der Parlamentarier bezweifelt, daß schwere Kampfpanzer, mehr Kriegsmaterial und ein Strategiewechsel, wie von der Bundesregierung gefordert, dazu führen würden, daß keine deutschen Soldaten mehr in Afghanistan ums Leben kommen. »Mit diesen Forderungen lügen sich die Kriegsbefürworter aus ihrer Verantwortung«, betont der Bundestagsabgeordnete. »Schritt für Schritt werden Ursache und Begründung für den Militäreinsatz - das Land befrieden und wieder aufbauen, Schulen und Brunnen bauen -außer Dienst gestellt.« Der Linke-Politiker kritisiert Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) scharf, wenn dieser sagt, der Krieg könne jetzt Krieg genannt werden. »Gleichzeitig verschweigt er den Verfassungsbruch, den ein Kriegseinsatz der Bundeswehr bedeutet.«

Eine Aktion anläßlich der zentralen Trauerfeier am vergangenen Freitag für die drei in Afghanistan getöteten Soldaten, mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Verteidigungsminister zu Guttenberg, mußte an den Ortsrand von Selsingen verlegt werden und wurde von den Medien fast totgeschwiegen. Zu groß schien die Gefahr, zur Zielscheibe aufgebrachter Soldaten oder Bürger zu werden. Dennoch wird der Protest als Erfolg gewertet. »Mit unserer kleinen Aktion erklärten sich viele Menschen aus der Region solidarisch«, erklärt König. Es sei gelungen, bei dem ganzen Spektakel auch an die afghanischen Opfer von Krieg und Zerstörung zu erinnern.

* Aus: junge Welt, 13. April 2010

Dokumentiert:

Rede des Bundestagsabgeordneten Herbert Behrens (Die Linke) aus Osterholz-Scharmbeck auf der Friedenskundgebung am Sonntag in Bremervörde

Wer jetzt nach Aufrüstung in Afghanistan ruft, nimmt noch mehr tote Soldaten der Bundeswehr billigend in Kauf. Schwere Kampfpanzer, mehr Kriegsmaterial, ein Strategiewechsel und eine Ausbildung, die Kriegseinsätze der Bundeswehr möglich machen, würden verhindern, daß Bundeswehrsoldaten zu Tode kommen oder afghanische Soldaten von ihren Verbündeten erschossen werden. Das behaupten aktive und pensionierte Militärs, Politiker von CDU, FDP, SPD, aber auch der Grünen und selbst der vermeintliche Anwalt der Soldaten, der künftige Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus.

Mit diesen Forderungen lügen sich die Kriegsbefürworter aus ihrer Verantwortung. Sie haben im Dezember 2009 zum achten Mal den Bundeswehreinsatz in Afghanistan verlängert. Sie haben im Februar 2010 die deutschen Truppen um 850 auf 5350 Soldaten erhöht (das sind fast 20 Prozent). Einen angeblichen Strategiewechsel sollte es geben. Mehr Aufbau statt töten und zerstören sollte es geben. Wir haben in den Bundestagsdebatten versucht, den Befürwortern mit Augenzeugenberichten den Wahnsinn ihrer Entscheidung zu verdeutlichen. Vergeblich.

Von zu Guttenberg sagt, der Krieg sollte jetzt Krieg genannt werden. Er verschweigt den Verfassungsbruch, den ein Kriegseinsatz der Bundeswehr bedeutete.

Bei dem Militärspektakel in Seedorf, mit dem die erste von vier Gruppen Fallschirmjägern in den Krieg geschickt wurden, sagte der Kommandeur der Division Spezielle Operationen, Hans-Werner Fritz, nach monatelanger »harter Arbeit« seien die Soldaten professionell ausgebildet worden, »um bestmöglich vorbereitet in den Einsatz zu gehen«. Hat er die jungen Leute und die Öffentlichkeit belogen?

Wahrscheinlich 140 Zivilisten wurden bei einem gezielten Bombenabwurf bei Kundus getötet. Auch hier: vertuschen, verschweigen und Verantwortung abschieben.

Schritt für Schritt werden Ursache und Begründungen für den Militäreinsatz in Afghanistan - das Land befrieden und wieder aufbauen, Schulen und Brunnen bauen - außer Dienst gestellt. Der Krieg emanzipiert sich von den Zivilisten, die ihn möglich machten, und kommt zu sich selbst mit allen Konsequenzen: Kriege (ver-)brauchen mehr Menschen und mehr Material, machen Rüstungskonzerne reich und sichern Herrschaft.

Die Opfer dieser Kriegstreiberei: Tote Zivilisten und Soldaten, zerstörte zivile Strukturen. Wer das weiterhin tut, der nimmt noch mehr tote Bundeswehrsoldaten billigend in Kauf! Nicht sie stellen sich schützend vor die Soldaten, sondern ver ..., verdrücken sich.

Die Mehrheit der Bundesbürger hat diese militärische Sackgasse erkannt, will Menschenleben schützen und den Bundeswehreinsatz in Afghanistan beenden. Eine Mehrheit im Bundestag mißachtet diesen Willen seit Jahren. Schluß damit! Wir fordern den Abzug der Bundeswehr noch in diesem Jahr, damit ein ziviler Aufbau Afghanistans möglich wird.




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