Justiz drangsaliert Atomwaffengegner
Friedensaktivist wehrt sich gegen Strafbefehl wegen Aufforderung zu Sitzblockaden am Fliegerhorst Büchel
Von Michael Merz *
Für sein Engagement gegen Atomkraft und Nuklearwaffen hat Hermann Theisen schon mehrfach den Arm des Gesetzes zu spüren bekommen. Nun ist es wieder soweit. Theisen verteilte Flugblätter, die zur Sitzblockade des Fliegerhorstes Büchel Anfang August (jW berichtete) aufriefen. Hier werden, so sind sich nicht nur Friedensaktivisten sicher, unter strengster Geheimhaltung die letzten amerikanischen Atomwaffen auf deutschem Boden gelagert.
Vor dem Haupttor des Stützpunktes wurde der Flugblattverteiler am 22. Mai vertrieben. Die Bundeswehr erstattete Anzeige wegen Hausfriedensbruchs, die Polizei erteilte Platzverweise. Zwei Tage später stand Theisen mit den Flugblättern vor dem Bahnhof Koblenz. Ein Staatsanwalt gesellte sich dazu, erkannte im »Aufruf zu gewaltfreien Aktionstagen in der Eifel« sofort »Gefahr in Verzug« und ließ 125 Flugblätter beschlagnahmen.
Doch damit nicht genug. Die Rechnung erhielt Theisen Anfang August per Strafbefehl vom Amtsgericht Koblenz. 600 Euro soll er für das Verbreiten von Schriften zahlen, die angeblich zu einer rechtswidrigen Tat auffordern. Alternativ kann er auch einen Tag im Knast absitzen. Theisen erhob Einspruch. Die Staatsanwaltschaft Koblenz teilte auf jW-Nachfrage mit, der zuständige Richter des Amtsgerichts Koblenz werde einen Termin zur öffentlichen Hauptverhandlung bestimmen – sofern der Einspruch zulässig sei.
»Das ist Realsatire«, ärgert sich Theisen. Ihm kommt das wohlbekannt vor. Schon vor 26 Jahren, 1987, hat er Flugblätter mit ähnlichem Inhalt verteilt. Die Reaktion der Justiz war zunächst vergleichbar. Damals hatte Theisen zur Blockade der Raketenbasis Pydna bei Hasselbach aufgerufen. Sein Fall ging durch mehrere Instanzen. 1995 urteilte das Bundesverfassungsgericht in der sogenannten Sitzblockadeentscheidung, daß solche Protestaktionen nicht als Nötigung ausgelegt werden können. Es folgte der Freispruch für den heute 49jährigen Heidelberger, 1996 wurde er deshalb für zwei Tage Erzwingungshaft mit 40 D-Mark entschädigt. Doch für die Koblenzer Richter hat das heute keine Bedeutung mehr. »Sie verwiesen mich auf die sogenannte Zweite-Reihe-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, nach der gewaltfreie Sitzblockaden nun doch wieder strafbar sein können, wenn sie den Verkehr behindern«, erläuterte Theisen im Gespräch mit jW. Nach Rechtsprechung des BGH ist nämlich eine Sitzblockade immer dann strafbar, wenn sich dadurch ein Verkehrsstau bildet. Und der sei vor dem Kasernentor in Büchel zu erwarten gewesen. Auch das Verfassungsgericht bestätigte die »Zweite-Reihe-Rechtsprechung« des BGH. Dabei ging es um eine Sitzblockade kurz vor dem Irak-Krieg im März 2004. Am US-Luftwaffenstützpunkt Frankfurt am Main blockierten rund 40 Menschen die Zufahrtsstraße zur Wohnsiedlung Gateway Gardens. Als sich die Autos in mehreren Reihen stauten, schleppten Polizisten die Blockierer weg.
Für den Aktivisten Theisen geht es in der juristischen Auseinandersetzung um Grundrechte: »Keine Justizbehörde hat auch nur ansatzweise den Artikel fünf zur Meinungsfreiheit in Betracht gezogen.«
* Aus: junge Welt, Samstag, 17. August 2013
»Juristen kommen auf merkwürdige Konstruktionen«
Früher galt »psychischer Druck« durch Sitzblockaden als »Gewalt«. Heute ist es die ominöse »Zweite Reihe«. Gespräch mit Hermann Theisen **
Der Sozialpädagoge Hermann Theisen versteht sich als »radikaler Antimilitarist«. Er wurde jetzt wegen Flugblattverteilens zu 600 Euro Strafe verurteilt.
Als hartnäckiger Flugblattverteiler haben Sie sich schon öfter bei der Justiz unbeliebt gemacht. Jetzt hat Sie das Amtsgericht Koblenz zu 600 Euro Strafe verdonnert, weil Sie zu Gewaltaktionen gegen den Atomwaffen-Stützpunkt Büchel aufgerufen haben. Stimmt das so?
Nein, ich habe nicht zu Gewalt, sondern zu Sitzblockaden aufgerufen.
Aber die Justiz sieht das anders.
Sie wertet das als Nötigung – was aber voraussetzt, daß Gewalt angewandt werden sollte. In Gerichten wird seit Jahrzehnten darum gestritten, ob dieser Begriff auch für Blockaden zutrifft.
In den 80er Jahren hatten Staatsanwälte und Gerichte es schon als »Gewalt« verstanden, wenn per Sitzblockade psychischer Druck auf andere ausgeübt wird. Das hat das Bundesverfassungsgericht (BverfG) schließlich als rechtswidrig verworfen. Die Folge war, daß mehrere tausend Demonstranten, die wegen Sitzblockaden verurteilt worden waren, im nachhinein freigesprochen werden mußten. sie bekamen sogar Haftentschädigung. Jetzt hat die Justiz eine Ersatzkonstruktion gefunden: die »Zweite Reihe«.
Was versteht man darunter?
Der Bundesgerichtshof (BGH) ist mittlerweile der Auffassung, daß es keine Gewalt im Sinne des Nötigungsparagraphen ist, wenn durch eine Sitzblockade ein einzelnes Bundeswehrfahrzeug aufgehalten wird. Wenn sich aber hinter diesem Fahrzeug ein Stau bildet, dann soll es sich um Gewalt handeln.
Wer denkt sich so etwas Lustiges aus?
Juristen kommen mitunter auf merkwürdige Konstruktionen. Wenn man sich die Rechtsprechung zum Nötigungsparagraphen anschaut, fällt auf, daß der Ball immer wieder zwischen BVerfG und BGH hin- und herfliegt. Im Moment ist eben die »Zweite-Reihe-Rechtsprechung« angesagt. Mit Hilfe dieser Konstruktion hätten sich die Tausende von Strafverfolgten, die ich erwähnte, dann doch wieder strafbar gemacht.
Sie haben schon in den 80er Jahren wegen Flugblattverteilens Ärger bekommen mit der Justiz – was treibt Sie an, es immer wieder zu versuchen?
Ich bin durch die damalige Stimmung in Westdeutschland geprägt: Die Drohung eines Atomkrieges, Nachrüstung mit atomar bestückten Pershing-Raketen, die Nuklearkatastrophen von Three Miles Island und Tschernobyl usw. Schon damals habe ich an gewaltfreien Aktionen teilgenommen, das Verfassen und Verteilen von Flugblättern ist mir seitdem vertraut. Es gibt viele andere Themen, bei denen ich mich auch engagieren könnte – Dritte Welt etwa, Globalisierung oder Umwelt. Ich habe mich nun mal auf Rüstung und Rüstungsexporte konzentriert.
Wie oft standen Sie vor Gericht?
Schätzungsweise 15 bis 20mal. Ich habe immer wieder erlebt, daß die Verfahren am Ende entweder eingestellt wurden oder daß ich freigesprochen wurde. Drei Haftstrafen gab es, zwei wurden wieder aufgehoben.
Im Grunde ging es bei den Dingen, die mir angelastet wurden, um Aufrufe zum Ungehorsam. Die sind aber schon seit Jahrzehnten Kampfmittel der außerparlamentarischen Bewegung – ich erinnere nur an 86/87, als die damals angesetzte Volkszählung bundesweit boykottiert wurde.
Bis heute ist es so, daß die unteren Gerichtsinstanzen dazu neigen, die im Grundgesetz festgeschriebenden Freiheitsrechte zu vernachlässigen. Das wird dann meist von den oberen Instanzen korrigiert.
Hat Ihr Friedensengagement zu Konflikten am Arbeitsplatz geführt oder gar im persönlichen Bereich?
Mir ist oft geraten worden, ich solle vorsichtig sein, es drohten Nachteile. Das hat sich aber so nicht bestätigt, in den vergangenen 25 Jahren hatte ich nur drei Mal Probleme – z. B., weil ich kein Einreisevisum in die USA bekam.
Im Beruf habe ich keine Schwierigkeiten. Ich arbeite seit 18 Jahren als Sozialpädagoge im öffentlichen Dienst in einer Klinik. Lediglich bei der Einstellung bat mich die Personalabteilung, einen Blick in das erwähnte Strafurteil nehmen zu dürfen.
Pazifismus kann sich aus vielen geistigen Quellen speisen: Religion, kommunistische Überzeugung, Angst vor der ökologischen Katastrophe – was ist es bei Ihnen?
Einen Anstoß hat sicher gegeben, daß mein Vater in der französischen Fremdenlegion war, eingesetzt in Indochina. Seine Erzählungen haben mich so geprägt, daß ich mich heute als radikalen Antimilitaristen bezeichne.
Interview: Peter Wolter
** Aus: junge Welt, Samstag, 17. August 2013
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