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Lernprozesse im kurdischen Ökopark

Am Sozialforum des Nahen Ostens beteiligten sich Linke aus vielen westeuropäischen Ländern

Von Peter Nowak, Diyarbakir *

Im Sümerpark in Diyarbakir fand vergangene Woche das erste mesopotamische Sozialforum statt – mit Beteiligung aus vielen Ländern weit über die Türkei hinaus.

Im Garten laufen Hühner umher. Strom zum Brotbacken und zum Duschen liefert ein Sonnenkollektor. So ökologisch korrekt geht es zu im Sümerpark, der grünen Lunge von Diyarbakir. Die südostürkische Großstadt wird von der dort starken kurdischen Nationalbewegung Amed genannt. »Diesen Ökopark hätte ich eher in Freiburg als in Kurdistan erwartet«, meint Monika Hilpert erstaunt. Die Bremer Studentin hat fast eine Woche in dem Park gezeltet und wurde morgens von den Hühnern geweckt. Sie war Teilnehmerin des Internationalen Amed-Camps, an dem sich linke Gruppen und Einzelpersonen aus verschiedenen westeuropäischen Ländern beteiligt haben. Der Anteil der Teilnehmer aus Deutschland war besonders hoch.

Dieses Camp war Bestandteil des ersten Internationalen Sozialforums im Nahen Osten, das vom 26. bis 30. September in den verschiedenen Gebäuden im Sümerpark stattfand. Die meist mehrsprachigen Veranstaltungen deckten eine große thematische Bandbreite ab. Dort ging es unter anderem um das Recht auf Bildung, drohende Kriege um Energie und Wasser, den Zustand der Gewerkschaftsbewegung im Nahen Osten. Viele Diskussionen gab es um das Projekt des Demokratischen Kommunalismus, mit dem die kurdische Nationalbewegung die Demokratisierung der Gesellschaft voranbringen will. Es ist vom mexikanischen Zapatismus und den sozialistischen Rätevorstellungen beeinflusst und stieß auch bei den Linken aus Westeuropa auf großes Interesse.

Zahlreiche Arbeitsgruppen widmeten sich den Diskriminierungen und Verfolgungen, denen Menschen wegen ihrer geschlechtlichen Orientierung ausgesetzt sind. Im Workshop Gender-Trouble wurde an Hand von Fotos über den männlichen Blick in den Medien diskutiert. Organisiert wurde er von der Organisation Lambda, einer Vereinigung von Bi- und Homosexuellen und Transgender-Personen in der Türkei. Diese Themen spielen nicht nur auf dem Sozialforum eine wichtige Rolle. Ein Mitglied des türkischen Menschenrechtsvereins (IHD) berichtete in einer Arbeitsgruppe, dass bei ihren wöchentlichen Aktionen in Istanbul an unterschiedliche Opfer des Staatsterrorismus erinnert wird. Dazu gehören auch die Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung verschleppt und ermordet wurden. Ein aus Istanbul angereister Teilnehmer, der sich selbst als Anarchist bezeichnete, zeigte sich über die Themen und die Diskussionskultur positiv überrascht. Die kurdische Linke sei hier ein Vorreiter. Dort würden feministische Themenstellungen angesprochen, die in Teilen der türkischen Linken noch immer eine marginale Rolle spielen.

Auch viele westeuropäische Teilnehmer teilten das positive Urteil über das Sozialforum. Es sei gelungen, sich auch über kontroverse Themen in solidarischer Atmosphäre auszutauschen. Zu diesen strittigen Themen gehört die Positionierung im palästinensisch-israelischen Konflikt ebenso wie die Rolle von Führungspersönlichkeiten wie Abdullah Öcalan in der linken Bewegung.. Die westeuropäischen Campteilnehmer informierten mit Veranstaltungen und Filmen über ihre Arbeit. Eine Fotoausstellung dokumentierte die Höhepunkte der globalisierungskritischen Bewegung des letzten Jahrzehnts.

Auch nach dem Ende von Sozialforum und Camp bricht der Kontakt nicht ab. »In der nächsten Zeit werden wir besonders nach unseren kurdischen Freunden sehen«, meinte Jutta Sommerfeldt von der deutschen Camp-Vorbereitungsgruppe. Sie müssen nach der Abreise der auswärtigen Teilnehmer mit Repression rechnen. Schon vor Beginn des Sozialforums waren mehrere Organisatoren verhaftet worden. Überdies wird am Ausbau der politischen Kooperation gearbeitet. So haben kurdische, baskische und deutsche Jugendgruppen auf dem Camp beschlossen, im nächsten Jahr ein internationalistisches linkes Jugendcamp zu organisieren, zu dem auch Vertreter der zentral- und südamerikanischen Linken eingeladen werden. Schließlich soll das mesopotamische Sozialforum keine Eintagsfliege sein.

* Aus: Neues Deutschland, 6. Oktober 2009

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