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Ostermarsch 2000 in Stuttgart

Rede von Bernd Riexinger (HBV-Bez. Stuttgart-Böblingen)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Friedensfreunde,
über 1 Jahr nach Beginn der Bombardierung von Jugoslawien und der ersten direkten Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an einem Krieg stellen wir fest, daß unsere schlimmsten Befürchtungen übertroffen wurden:
  • Im Kosovo wurde eine Vertreibung durch die andere abgelöst. Der Terror nimmt kein Ende. Seitdem die Kriegsflüchtlinge im vergangenen Sommer heimgekehrt sind, herrscht die Logik der Säuberung gegen verbliebene Serben und andere Bevölkerungsgruppen. Albaner, die sich dieser Politik widersetzen, werden ermordet oder geächtet. UN-Generalsekretär Kofi Annan musste Ende Dez. 99 einräumen, daß die Angriffe gegen Minderheiten im Kosovo nach wie vor das größte Problem darstellen. "Eine traurige Bilanz angesichts der Präsenz einer internationalen Truppe, die laut Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates den multieethnischen Charakter der Provinz wieder herstellen soll" schreibt Le Monde diplomatique.
  • Große Teile von Jugoslawien sind nach wie vor zerstört. Der Ökokrieg hat bleibende Spuren hinterlassen. Viele Brücken, Eisenbahnlinien und Fabriken sind nicht wieder aufgebaut. Die Bevölkerung leidet unter den Folgen des Krieges. Der zum Nationalist Milosevic ist immer noch an der Regierung.
  • Deshalb fordern wir sofortige Bezahlung von Reparationskosten, zum Wiederaufbau des Landes und Wiedergutmachung für die verursachten Schäden.
    Ein Jahr nach der schlimmsten Zäsur der deutschen Nachkriegspolitik, der erstmaligen direkten Beteiligung der Bundeswehr an Kriegseinsätzen, kommt nach und nach an die Öffentlichkeit, daß die NATO die Weltbevölkerung und die deutsche Regierung ihre Wähler systematisch fehl informiert und belogen haben, um den Krieg zu rechtfertigen.
    • Zum immer wieder behaupteten Völkermord im Kosovo schrieb die Newsweek am 22.Nov. 99 unter der Überschrift: Makabere Mathematik: Die Zahl der festgestellten Gräueltaten sinkt: Letzten April ließ das US Außenministerium verlauten, 500 000 ethnische Albaner seien im Kosovo verschwunden und man befürchte, sie könnten getötet worden sein. Einen Monat später behauptete Verteidigungsminister William Cohen gegenüber einem Fernsehjournalisten, "rund 100 000 junge Männer im wehrpflichtigen Alter" seien verschwunden und "könnten ermordet worden sein". Nach Ende des Krieges lagen die Nato Schätzungen der Zahl der von den Serben getöteten Albaner wesentlich niedriger, nämlich bei knapp 10.000. Nun ist selbst diese Zahl offenbar ein wenig übertrieben, obwohl von den Serben tatsächlich einige Gräueltaten begangen wurden." (Zitat Ende). Gefunden nach Angaben von Le Monde diplomatique wurden tatsächlich 2018 Leichen. Das sind immer noch 2018 zuviel, genauso wie jede begangene Grausamkeit, aber mit Völkermord hat das nichts zu tun.
    • Heute kommt immer mehr ans Licht, daß die diplomatischen Möglichkeiten nicht nur nicht ausgeschöpft wurden, sondern daß die amerikanische Diplomatie es bewußt auf diesen Krieg angelegt hat.
    • Die Desinformation der Bevölkerung umfasste gefälschte Videos, genauso wie die Angabe nicht stattgefundener Massaker oder des Planes Hufeisen, den es offensichtlich so nie gegeben hat. Zuerst wurde geleugnet, daß urangehärtete Munition eingesetzt wurde, jetzt hat die NATO eingeräumt, daß man 39.000 Granaten mit urangehärteter Munition verschossen habe. Diese Politik der Fehlinformation veranlasste selbst die FAZ - leider ein Jahr zu spät – zu folgendem Kommentar: "Scharping hat entweder die Informationen seines Ministeriums nicht richtig verstanden, oder er hat sie bewusst irreführend wiedergegeben. Wenn Scharping so weiter macht, kann man ihn bald mit jenem islamischen Till Eulenspiegel verwechseln, der einmal gefragt wird, wie alt er sei: "Vierzig Jahre, antwortet er. Darauf wird ihm vorgehalten, dass er vor drei Jahren schon einmal dasselbe geantwortet habe Ja, erwiderte er, ein Mann ein Wort!"
    Warum wird heute – wo die Tatsachen auf dem Tisch liegen – der Bevölkerung immer noch nicht die Wahrheit gesagt? Das wäre doch das Mindeste was wir in unserer hochgelobten Demokratie erwarten können.

    Dass in diesem Krieg zu keinem Zeitpunkt um Menschenrechte gegangen ist, muß allen klar werden, die kritisch verfolgen was seither passiert ist:
    • Die Menschenrechte gelten offensichtlich nicht für Alle. Für die Tschetschenen, deren Städte zu Schutt und Asche bombardiert wurden gelten andere Maßstäbe. Der Kriegstreiber Putin wird von Blair in allen Ehren freundlich empfangen und der BND leistete sogar für das russische Militär logistische Unterschützung.
    • Als in Mozambique die große Hochwasserkatastrophe war, schaute die deutsche Regierung erst einmal eine Woche zu bevor humanitäre Hilfe geleistet wurde. Tausende sind ertrunken, nur weil im südlichen Afrika keine 10 Hubschrauber vorhanden sind. Niemand kann uns erzählen, daß die Satellitenaufklärer der NATO die sich anbahnende Katastrophe nicht rechtzeitig erkannt hat..
    • Obwohl die Lage im Kosovo völlig unstabil ist und viele kundige Politiker vor einer Rückführung der Flüchtlinge warnen gibt es keinen Aufschub. Sogar die vertriebenen Romas, die um ihre Leben fürchten müssen, werden zwangsabgeschoben. Sie so humanitärer Einsatz aus?

    Anstatt die dringenden Mittel für die Beseitigung von Armut, Hunger, Unterernährung und wachsender Verelendung einzusetzen, strebt Außenminister Scharping den Umbau von einer Verteidigungs- in eine Angriffs- und Interventionsarmee an. Bereits während des Kosovo-Krieges hat Scharping dafür 20 Mrd. DM gefordert. International werden es mehrere hundert Milliarden sein. Er begründete diese Forderung mit der wachsenden internationaler Verantwortung deutscher Soldaten. Daß die Bundesregierung gleichzeitig mit ihrem Sparprogramm im sozialen Bereich kürzt, z.B. bei der Arbeitslosenhilfe, macht wieder einmal deutlich wer die Modernisierung bezahlen soll. Während die zur Behebung der Misere im Bildungsbereich dringend nötigen Mittel fehlen, wird die kostspielige Modernisierung der Bundeswehr öffentlich kaum in Zweifel gezogen. Auch hier gilt der alte Spruch: Für die Bildung tun se nix, für die Bildung sind se fix.

    Wir in den Gewerkschaften müssen immer wieder betonen, daß Rüstung von den Arbeitnehmer und ihren Familien bezahlt werden muß und daß es schon hundertmal erwiesen ist, daß Rüstung keine Arbeitsplätze schafft.

    Liebe Friedensfreunde,
    es reicht nicht aus, die Folgen und Erscheinungen der neuen Kriegs- und Militärpolitik zu kritisieren. Wir müssen auch deren Ursachen bekämpfen. Wir müssen begreifen, daß es bei der neuen NATO-Doktrin und neuen Militärpolitik darum geht:
    • Überall auf der Welt zu jeder Zeit interventionsfähig zu sein, unter der unangefochtenen Dominanz der USA
    • Die heraufziehenden regionalen Konflikte jederzeit kontrollieren und militärisch "beenden" zu können, vor allem dabei die militärische Kontrolle der strategischen Rohstoffe zu sichern

    Dabei ist meine zentrale These, daß die neoliberale Form der Globalisierung eine der zentralen Ursachen für die Zunahme von Kriegen und Bürgerkriegen ist, weil sie die Kluft zwischen Arm und Reich immer mehr vergrößert, dadurch den Zerfall gesellschaftlicher Ordnung in vielen Ländern der Welt beschleunigt und die sozialen Gegensätze verschärft. Viele dieser sozialen Gegensätze werden mit Waffengewalt ausgetragen. Erst kürzlich hat die UNO eine Studie veröffentlicht, nachdem 80% der Länder auf der Erde zu den Verlierern der Globalisierung gehören und heute ärmer als vor 10 Jahren sind. Sie kleidete diese Zahlen in den beschämenden Vergleich, daß die 200 reichsten Dollarmilliardäre der Welt mehr Geld zur Verfügung haben als über 50 % der Menschheit in den armen Ländern.

    Daß Menschen, die sozial verarmen, deklassiert und an den Rand gedrängt werden, leicht für nationale, religiöse und andere Demagogen gewonnen und in militärische Konflikte getrieben werden können ist in der Geschichte nichts Neues. Wer diese Konflikte militärisch lösen will anstatt die sozialen und ökonomischen Ursachen zu beseitigen, der fördert nicht den Frieden, im Gegenteil, der wird die Spirale des Krieges und der Gewalt nach oben drehen. Statt weitere Gelder für Aufrüstung zu fordern, würde es dem Frieden tausendmal mehr dienen, einen wachsenden Teil der Militärausgaben der NATO von 440 Mrd. Dollar jährlich, in die sozialen Brennpunkte dieser Welt zu lenken.

    Es ist fast unerträglich, wenn wir heute mit ansehen müssen. Daß als Folgen des Bürgerkrieges und der Aufrüstung in Äthiopien und Eritrea Millionen Menschen hungern, während die Hälfte der Nation wie gebannt auf die Entwicklung der Aktienkurse starrt. Frieden ohne soziale Gerechtigkeit wird es nicht geben. Deshalb müssen wir für beides kämpfen: Für Frieden und soziale Gerechtigkeit.

    Außerdem treten wir dafür ein, daß
    • Die schleichende Militarisierung der Außenpolitik und der Umbau der Bundeswehr zu einer interventionsfähigen Armee gestoppt wird
    • Die Bundesrepublik sich an das Völkerrecht und Grundgesetz hält
    • Abrüstung und Prävention und damit aktive Friedenspolitik betrieben wird
    • Krieg, Nationalismus, Imperialismus und Gewalt geächtet werden.

    Im aktuellen DGB-Grundsatzprogramm heißt es: "Soziale, ökonomische und ökologische Konflikte müssen auf zivilem Wege ohne militärische Gewalt gelöst werden." Dafür werden wir uns stark machen. Gewerkschaften und Friedensgruppen gemeinsam in der Friedensbewegung.

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