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Noch ein langer Ritt in der "stilleren" Heide

Sachsen-anhaltische Initiative wehrt sich weiter gegen Militär in der Altmark / Besuch von Friedensreitern

Von Hendrik Lasch, Colbitz *

In der Wittstock-Ruppiner Heide wird es nach Bürgerprotesten kein Bombodrom geben. Anhaltenden Widerstand gegen das Militär leistet auch eine Initiative in der Altmark – bislang indes mit weniger Erfolg. Jetzt besuchten Friedensreiter die stillere Heide.

Die moralische Aufbauhilfe kommt auf Pferden daher. »Wir reiten gern zu Gruppen, die Rückenstärkung gebrauchen können«, sagt Schulamit Weil. Die junge Frau sitzt auf einem Gehöft in Lindhorst, einem Dorf am Rand der Colbitz-Letzlinger Heide. Auf einer Weide hinter den Häusern werden Pferde gesattelt, Zelte verpackt und Weidezäune eingerollt. Was aussieht wie ein erholsamer Urlaubs-Ausritt in die Wälder der Altmark, hat indes einen tieferen Sinn, den das Transparent am Sattel eines Pferdes andeutet: »Ein kluger Kopf«, steht darauf, »trägt keinen Stahlhelm.«

Die Menschen, die sich in Lindhorst in den Sattel schwingen, sind Friedensreiter. Schon seit 1984, erzählt Weil, werben sie alljährlich im Sommer für eine friedlichere Welt. Entstanden ist die Tradition in Stukenbrock, wo ein berüchtigtes Kriegsgefangenenlager stand und wo sich die Aktion »Blumen für Stukenbrock« für »Frieden zwischen den Menschen und Frieden zwischen den Völkern« einsetzt. Friedensritte gab es seither an den unterschiedlichsten Orten in der Bundesrepublik: an Flugplätzen und Militärbasen, neben Atomlagern und an Gentechnik-Feldern. In der Colbitz-Letzlinger Heide sind die Friedensreiter nach zwei Besuchen in den 90er Jahren schon zum dritten Mal. Ein Grund: Der »Motivationsschub«, den die Frauen und Männer im Sattel bringen wollen.

Sehr viel Kraft für 192 Friedenswege

In der Altmark ist der Rückenwind willkommen. »Viele verzweifeln an dem langen Weg«, sagt Christel Spenn. Sie arbeitet in der Initiative »Offene Heide«, die sich gegen einen militärischen Übungsplatz in den Wäldern zwischen den Heidedörfern Colbitz und Letzlingen zur Wehr setzt. Monatlich lädt die Gruppe zu sogenannten Friedenswegen, mit denen der Protest an die Schlagbäume und Zäune des Militärgeländes getragen werden soll. Der Besuch der Reiter ist die 192. dieser Veranstaltungen – eine Zahl, die von enormer Ausdauer zeugt und nur ahnen lässt, wie viel Kraft und Energie die Aktivisten aufwenden mussten: Die Friedenswege, sagt Spehn, müssen vorbereitet und angemeldet, der monatliche Heidebrief geschrieben werden. Viel Arbeit für eine Gruppe, die nur ein paar Dutzend aktive Mitstreiter zählt.

Erfolg hat die Mühsal bisher nicht gezeitigt. Die Bundeswehr »sitzt hier fest«, sagt Bernd Luge, der in einem Dort am Rand der Heide mit dem Kettenrasseln und Kanonendonner der sowjetischen Panzer aufwuchs. Zuvor hatte in dem Gelände Hitlers Wehrmacht 1935 eine 30 Kilometer lange Schießbahn eingerichtet, um Geschütze wie die »Dicke Bertha« zu testen. Viel, das hat Luge bei früheren heimlichen Besuchen in dem Gelände gesehen, haben die Militärs nicht von den Wäldern aus Buchen und Eichen übrig gelassen.

Als die Rote Armee Anfang der 90er Jahre abzog, hofften daher viele, dass endlich auch in den Wäldern der Altmark wieder Frieden einzieht. Der Widerstand gegen eine fortgesetzte militärische Nutzung der Heide war zunächst groß. Er regte sich in umliegenden Gemeinden ebenso wie im Landtag. CDU-Minister plädierten für eine zivile Nutzung, die SPD lud zu Demonstrationen. Freilich: An der Bundeswehr und Bundesregierung prallten derlei Wünsche ab. 1997 stimmte die rot-grüne Landesregierung dem »Heide-Kompromiss« zu, in dem lediglich für den Südteil der Heide ein Abzug des Militärs festgelegt wurde – ab 2006. Selbst davon rückte das Land seither wieder ab. Auf absehbare Zeit wird daher nördlich einer Verbindungsstraße, die kürzlich in der Heide eröffnet wurde, mit Lasergeräten das Panzerschießen geübt. Auf einem anderen Teil des Platzes trainieren Spezialkommandos den Umgang mit Terroristen und Demonstranten. Es gebe, sagt Luge, dazu »ein christliches und ein muslimisches Dorf mit Minarett«. Aber auch eine U-Bahnstation soll auf dem Gelände für Übungszwecke eingerichtet worden sein.

Anstoß an den Kriegsübungen nimmt in der Region freilich kaum noch jemand, seufzt Luge. Nicht einmal der Umstand, dass auf dem von einer Tochter des Rheinmetall-Konzerns betriebenen Übungsplatz statt versprochener 2000 Arbeitsplätze nur etwa 150 entstanden, die zumeist eher schlecht bezahlt sind, bringt die Altmärker in Rage. Entstanden sei höchstens Neid auf das Dorf Letzlingen, wo es »nur noch einen einzigen Arbeitslosen gibt«, und Reue über früheren, vermeintlich schädlichen Protest. Die Militärs, sagt Luge, hätten es verstanden, Wohlwollen zu erzeugen, etwa, indem sie sich in Eltern- und Gemeinderäten engagieren oder als Bürgermeister amtieren.

Emsig ist auch die Bürgerinitiative; von einer derart festen Verwurzelung in den Dörfern rund um den Übungsplatz kann sie freilich nur träumen. Es gebe versteckten Zuspruch, sagt Luge; zu den Friedenswegen aber kommen nur 50 bis 70 Menschen, viele davon nicht mehr die Jüngsten. Massenproteste mit Unterstützung durch Landesminister und eine Regierungspartei wie in der Wittstock-Ruppiner Heide, wo die Luftwaffe den Abwurf von Bomben trainieren wollte, hat es in der stilleren der beiden Heiden seit Jahren nicht mehr gegeben.

Ein Erfolg wie im benachbarten Brandenburg, wo die Bundeswehr nun auf das Bombodrom verzichten muss, ist daher in der Altmark nicht absehbar. Die Aktivisten der »Offenen Heide« freuen sich über die Niederlage der Militärs in der »Freien Heide« – und fürchten, um in deren Sprachgebrauch zu bleiben, zugleich »Kollateralschäden«: verstärkte Aktivitäten in der Altmark. Flüge von Tornados, berichtet Luge, habe es im vorigen Jahr bereits gegeben.

Dass freilich Fluglärm den erlahmten Widerstand in der Region wieder anfachen könnte, glaubt man in der »Offenen Heide« nicht so recht. Man müsse sich über die künftige Strategie Gedanken machen, fordert daher Christel Spenn: »Wir müssen uns darüber klar werden, wie wir weitermachen wollen.« Im Februar steht der 200. Friedensweg an. Die Veranstaltungen sind regelmäßig Anlass für Scharmützel mit Feldjägern und Wachleuten, die zunehmend aggressiv auftreten. Sie finden zudem Beachtung bei Engagierten und Interessierten. Spenn überlegt allerdings, ob es nicht sinnvoller wäre, die aufwendigen Friedenswege seltener durchzuführen und sich statt dessen tiefgründiger mit verschiedenen Themen zu befassen. Zudem müsse man sich noch enger mit anderen Initiativen vernetzen: »Die Arbeit reibt uns auf, und wir werden schließlich nicht mehr.«

Streuselkuchen und Nachwuchssorgen

Solche Überlegungen dürften für Debatten sorgen in der Initiative, deren Mitglieder sich aus verschiedensten Motiven engagieren: die Ablehnung alles Militärischen, Gerechtigkeitsempfinden, die Liebe zur Natur in der Heide, die als Flora-Fauna-Habitat ausgewiesen ist. Nachdenken müsse man auch darüber, wie neue, jüngere Mitstreiter gewonnen werden können, heißt es. Ihre eigenen Kinder seien als Jugendliche bei einem der beiden damaligen Friedensritte dabeigewesen, sagt Spenn: »Sie haben gute Erinnerungen an das solidarische Miteinander« und wohl auch an das Abenteuer des Campierens auf Bauernhöfen und an Kirchen, wo dampfende Suppe und Streuselkuchen warteten. Beim Friedensritt 2009 indes sind sie nicht dabei. Die heute 24-jährige Tochter »findet nicht, dass das Unsinn ist, was ich mache«, betont Spenn. In den Sattel aber zog es die junge Frau auch nicht.

Vielleicht vermitteln die Friedensreiter ein paar Ideen. Bei diesen, sagt Schulamit Weil, sind zum Teil die Kinder von Frauen dabei, die den Ritt 1984 mitbegründeten. Zudem ist zu hoffen, dass die ins Auge fallende Aktion zu Pferde wieder mehr Aufmerksamkeit auf den Protest in der »stilleren« Heide lenkt. Bei einem Zwischenstopp in Magdeburg habe eine Frau den Friedensreitern für ihr Engagement kurz, aber herzlich gedankt, sagt Weil. Der Vorfall hat sie augenscheinlich besonders gerührt. Der Grund: Der Sohn jener Passantin sei in Afghanistan gefallen.

* Aus: Neues Deutschland, 24. Juli 2009


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