Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Streitfrage: Wie provokativ darf antimilitaristischer Protest sein?

Beiträge von Jürgen Grässlin und Eugen Januschke (beide DFG-VK) sowie Stellungnahmen dazu von Braun, Marischka und Strutynski

Vor einer Woche brachte das "Neue Deutschland" unter der Rubrik "Debatte" zwei Beiträge aus den Reihen der DFG-VK, die sich mit der Berechtigung besonders provokativer Aktionsformen der antimilitaristischen Bewegung befassten. Die DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft–Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen) war zuvor schwer unter Beschuss geraten. Anlass war die Aktion "Feste feiern, wie Sie fallen" des Berliner Landesverbandes. Momentan wird gegen ihn strafrechtlich vorgegangen. Dabei war es zu einer Zusammenarbeit eines DFG-VK-Sprechers und den ermittelnden Behörden gekommen. Da die DFG-VK-Aktion auch außerhalb der Organisation für Diskussionsstoff sorgte, wurde die Debatte nun fortgesetzt.

Im Folgenden dokumentieren wir also

Weg der Gewaltfreiheit ist alternativlos

Von Jürgen Grässlin

Vorbei sind die Zeiten, da im Rahmen der deutsch-deutschen Wiedervereinigung und der Auflösung der Warschauer Vertragsorganisation die lang ersehnte Friedensdividende greifbar nahe schien. Unverblümt agiert die NATO als Militärbündnis zur Durchsetzung militärischer, wirtschaftlicher und politischer Interessen. Alle Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg über Bord werfend, erklärte Verteidigungsminister Peter Struck, Deutschland werde am Hindukusch verteidigt. Dort töten deutsche Soldaten bei kriegerischen Auseinandersetzungen Menschen - militante, bewaffnete Kämpfer der Taliban und unbewaffnete Männer, Frauen und Kinder. Bundeswehrsoldaten, die im sogenannten Krieg gegen Terror sterben, werden von der Propagandamaschinerie des Bundesverteidigungsministeriums zu Vaterlandshelden stilisiert. Zugleich beliefert die deutsche Rüstungsindustrie legal kriegsführende Staaten und menschenrechtsverletzende Regime mit Kriegswaffen.

Angesichts dieser Entwicklung stellen sich für die Friedensbewegung alte Fragen neu: Wie provokativ muss heute der Protest sein, um wirksam zu werden? Wollen wir Bewusstsein verändern oder parlamentarische Mehrheiten gewinnen? Wie staatstreu sind wir? Ist Subversion und Konspiration erlaubt oder notwendig?

Fragen wie diese sind nicht neu, doch führen sie die Friedens- und die Anti-Kriegs-Bewegung im aktuellen Spannungsfeld zunehmend in die Kontroverse. Beim gemeinsamen Widerstand gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm und den NATO-Gipfel in Straßburg und Kehl sind die Konfliktlinien deutlicher als bisher zutage getreten.

Meine Straßburger Erfahrungen sind leider bleibend: Die aggressiv auftretende Staatsmacht, allen voran auf französischer Seite, und gewaltbereite Aktivist/innen innerhalb des »Schwarzen Blocks« hinterließen eine Spur der Verwüstung. Selbst gegen friedliche Demonstrant/innen gingen Sicherheitskräfte gewaltsam vor, Häuser brannten, Fahrzeuge und Geschäfte wurden demoliert. Mit mehreren Friedensfreund/innen verließ ich das Stadtzentrum. Mitdemonstrant/innen äußerten ihren Entschluss, zukünftig an keinerlei »Friedensprotesten« mehr teilzunehmen.

Wenig hilfreich bis kontraproduktiv empfinde ich Aktionen, die ohne Konsens im eigenen Verband durchgeführt werden. Als solche stufen viele DFG-VK-Mitglieder die Aktion »Tag Y« unseres Berliner Landesverbands ein. Mit Schweinsmaske wurde Schampussaufen anlässlich des Todes von Bundeswehrsoldaten angekündigt. Wer so agiert, schreckt um der puren Provokation willen viele Menschen ab, die der Friedens- und Anti-Kriegs-Bewegung wohlgesonnen sind. Wenigstens wurde die Aktion letztlich als klar satirische vor dem Haus der Wirtschaft durchgeführt.

Der Tag-Y-Kampagne vorausgegangen war der Eklat um das Plakat »Schritt zur Abrüstung. Wieder einer weniger« von bamm.de. Bundeswehrsoldaten trugen den Sarg eines getöteten Kameraden. Unter dem Motto »Die Bundeswehr auf dem richtigen Weg« stand auf der gemeinsam mit dem DFG-VK-Landesverband betriebenen Homepage: »Wir begrüßen diese konkrete Maßnahme, den Umfang der Bundeswehr nach und nach zu reduzieren.« Ein Plakat wie dieses lässt das Menschenbild der Urheber erahnen.

In unserem Verband haben sich Pazifist/innen und Antimilitarist/innen zusammengefunden, die sich mit den Mitteln des gewaltfreien Widerstandes aktiv für Frieden und für eine Bundesrepublik ohne Armee und Rüstungsindustrie einsetzen. Gesetzesübertretungen im Rahmen des zivilen Ungehorsams schließen wir nicht aus. Wir zeigen uns solidarisch mit verfolgten gewaltlosen Aktivist/innen. Allerdings bekennen wir uns bei all unseren Aktionen mit unserem Namen zu unseren Handlungen und stehen zu den sich für uns ergebenden Folgen - auch vor Gericht. Nur so können wir Bündnisse innerhalb der sozialen Bewegung schmieden, darüber hinaus mit Gewerkschaften, mit Kirchen und friedensbewegten Menschen in Parteien. Allen voran aber müssen wir mit uns selbst ins Reine kommen. Wir müssen vergleichsweise ineffiziente Strukturen überdenken, uns innerhalb der äußerst breiten Palette der Aktionsformen auf diejenigen einigen, die von uns mitgetragen werden.

Unterbleibt dies, scheuen wir weiterhin die offene Diskussion über unser Gewalt- und Staatsverständnis, dann bleiben wir weiterhin weit hinter unseren Möglichkeiten zurück, zerfleischen uns womöglich wegen Aktionen Einzelner und schöpfen unser Mobilisierungspotential nicht im Mindesten aus.

Meines Erachtens wäre die Zeit günstiger denn je, diesen politischen Wandel zu Abrüstung und Entmilitarisierung zu erzwingen. Laut repräsentativen Umfragen lehnen zwischen 60 und 80 Prozent der Bevölkerung den Afghanistan-Einsatz ab. Auch bei anderen friedenspolitischen Fragestellungen, exemplarisch sei auf die Forderung des Abzugs der in Büchel stationierten US-amerikanischen Atomwaffen verwiesen, bestehen reelle Chancen, in absehbarer Zukunft friedenspolitische Erfolge verbuchen zu können.

Sobald es uns als Friedens- und Anti-Kriegs-Bewegung gemeinsam gelingt, mittels Aktionen zivilen Ungehorsams dem Rüstungs- und Militärdesaster entgegenzutreten, in breit getragenen Bündnissen Druckkampagnen umzusetzen und Menschen wieder massenhaft auf die Straße zu mobilisieren und damit wahlentscheidend werden zu lassen, werden aus den Meinungsmehrheiten heutiger Umfragen unumgänglich auch parlamentarische Entscheidungsmehrheiten. Dann wird jedwede Bundesregierung nicht umhin kommen, Geld in Gesundheit und Bildung statt in die Bundeswehr zu investieren, die Armee aus Afghanistan abzuziehen, Rüstungsexporte in Krisen- und Kriegsgebiete zu untersagen - oder sie wird Bundesregierung gewesen sein.

Zweifelsohne ist das Ziel einer Bundesrepublik, ja einer Welt ohne Waffen und Militär Vision. Doch die Geschichte lehrt uns: Aus Visionen können konkrete Utopien werden, aus konkreten Utopien realpolitische Umsetzungen. Doch wollen wir erfolgreich sein, ist der Weg des gewaltfreien Widerstands zum Erreichen des demokratischen Wandels alternativlos.

Jürgen Grässlin, 1957 geboren, ist Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) und Vorsitzender des RüstungsinformationsBüros (RIP e. V.). Er ist Autor kritischer Sachbücher über Rüstungsexport-, Wirtschafts- und Militärpolitik, darunter »Linzenz zum Töten? Wie die Bundeswehr zur internationalen Eingreiftruppe gemacht wird«.


Verachtung des Krieges bewusst machen

Von Eugen Januschke

Wir sind im Jahre neun des Afghanistankrieges. Trotz einer robusten Mehrheit für den Frieden bei Meinungsumfragen in Deutschland ist es AntimilitaristInnen und Friedensbewegten bisher nicht gelungen, das Töten von Menschen in Afghanistan durch deutsche Soldaten zu beenden. Im Gegenteil. Anfang September letzten Jahres haben deutsche Soldaten das erste große Massaker mit über hundert Toten in Kundus angestiftet. Doch reine Frustration über den mangelnden Erfolg der bisherigen Formen des Antikriegsprotestes wäre kein guter Grund, einfach nur zu immer provokativeren Formen des Protestes zu greifen. Vielmehr muss überlegt werden, was die richten Themen und Zeitpunkte sind, damit ein provokanter Protest seine spezifische Wirkung entfalten kann.

Ein mögliches und immer wichtigeres Thema ist der Kult um den toten Bundeswehrsoldaten. Dieser wurde in den letzten Monaten stark ausgeweitet und offensichtlich in einer Weise inszeniert, der die Weiterführung des Krieges legitimieren soll. Dies machen unter anderem die Ansprachen des Verteidigungsministers deutlich, der bei den Trauerfeierlichkeiten einen Heldenkult stiftet und Durchhalteparolen verbreitet. Dabei setzt sich dieser Kult, wie beim Ehrenmal in Berlin und den Trauerzeremonien zu sehen, aus verschiedenen symbolischen Elementen zusammen. Deren inhaltliche Analyse ist zweifellos notwendig, um ihre den Krieg legitimierende Funktion offen zu legen und damit zu untergraben. Aber auch gezielte Provokationen bieten hier die Möglichkeit einzugreifen.

Zwei Voraussetzungen, warum gerade bei diesem Thema gerade provokant-symbolische Aktionen sinnvoll sind, seien genannt: Der politische Gegner arbeitet selbst mit einer symbolischen Ebene und die Symbolik hat sich noch nicht verfestigt. Die PolitikerInnen haben lange gezögert, die in Afghanistan zu Tode gekommenen Bundeswehrsoldaten offensiv zu thematisieren. Und die Unsicherheit in den Worten und Gesten war bei ihren Reden auf den letzten Trauerfeiern für Soldaten immer noch offensichtlich.

Provokative antimilitaristische Aktionen können versuchen, die Schaffung zusätzlicher Legitimität für den Krieg durch diesen Kult zu behindern. Hierzu können beispielsweise die vom politischen Gegner eingesetzten Symbole umgewertet oder zusätzliche symbolische Elemente eingeschleust werden. So wurde im Aufruf zum »Tag Y« proklamierte Freude über den Tod von Bundeswehrsoldaten als Mittel gewählt. Damit sollte die Instrumentalisierung dieser Toten und der proklamierten Trauer um diese als Legitimation für weitere Kriegführung behindert werden.

Die Gefahr eines solchen Eingriffes liegt aus antimilitaristischer Perspektive u. a. darin, dass die Provokation dem politischen Gegner möglicherweise hilft, seine Symbolik zu optimieren. Auch könnte die Verfestigung der Symbolik entgegen der antimilitaristischen Absicht begünstigt werden. Provokativer antimilitaristischer Protest muss aber nicht nur seine Wirksamkeit reflektieren, sondern auch die Legitimität und Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel. Da das Ziel die Beendigung eines laufenden Kriegseinsatzes ist, bei dem nicht nur Bundeswehrsoldaten sterben, sondern weit mehr Menschen durch sie getötet werden, scheinen weit reichende Mittel im Protest gerechtfertigt.

Allerdings verstärkt sich mit dem provokativen Charakter des Protestes auch dessen Vermittlungsproblem. Jenseits der inhaltlichen Lächerlichkeit der juristischen Verfolgung als »Volksverhetzung«, drückt sich im Vorwurf der »Menschenverachtung« eine Grenze aus, an der sich provokativer antimilitaristischer Protest abzuarbeiten hat. Wie skandalisiert man diesen menschenverachtenden Krieg Deutschlands in Afghanistan in einem provokanten Protest? In der Logik des oben aufgezeigten heißt dies, die »Menschenverachtung« des Krieges hierher zu holen, um sie sichtbar und spürbar zu machen. Leider scheint für viele Menschen diese »Menschenverachtung« des Krieges in Afghanistan weit weg zu sein. Selbst schockierende Berichte über das, was in Afghanistan passiert, erreichen oft keine Mobilisierung von Menschen, um sich gegen diesen Krieg zu engagieren, der auch in ihrem Namen geführt wird. Ein Ziel von provokanten Aktionen kann sein, die »Menschenverachtung« durch eine Abwandlung und Zuspitzung in die Lebenswirklichkeit der Menschen hier in Deutschland zu versetzen.

Erinnert sei hierzu an eine Aktion im Sommer 1968 in München. Dabei wurde die öffentliche Verbrennung eines Hundes auf dem Marienplatz angekündigt. Diese Ankündigung der Hundeverbrennung führte zu heftigen Protesten. In der Argumentation der Aktion war klar, dass diese Empörung doch eigentlich der Verbrennung und Tötung von Menschen in Vietnam durch Napalm-Bomben gelten sollte. Die Ankündigung der Hundeverbrennung holte etwas von der »Menschenverachtung« des Krieges aus Vietnam nach Deutschland. Mit der provozierten Reaktion lies sich argumentieren, dass der Krieg in Vietnam gegen Menschen eigentlich ungleich mehr Proteste hervorrufen sollte als die Ankündigung der Verbrennung eines Hundes in München.

Ein Erfolg der provokanten »Schampus«-Aktion könnte zum Beispiel daran liegen, dass, wenn nicht schon die Masse der Bevölkerung, so doch zumindest die Mehrheit der Friedensbewegung diesen Schluss der Aktion nachvollzieht: Deutschland ist im Krieg, und die Aktionsmethoden der Friedensbewegung aus den 1980er-Jahre-Friedenszeiten müssen den veränderten Umständen angepasst werden.

Die Vermittlungsfrage stellt wohl die größte Herausforderung für provokanten antimilitaristischen Protest dar. Um als Provokation ernst genommen zu werden, darf sie nicht zu Durchsichtig sein. Ob dabei die Zuspitzung der Provokation selbst im nachtäglichen Erklären für alle prinzipiell Wohlgesonnenen verstehbar und akzeptabel wird, ist durchaus eine Frage, die sich provokanter antimilitaristischer Protest stellen muss.

Dr. Eugen Januschke, Jahrgang 1967, ist Diplom-Mathematiker und promovierter Semiotiker. Er beschäftigt sich seit 1992 mit antimilitaristischen Themen und ist seit 2001 DFG-VK-Mitglied. Inhaltliche Schwerpunkte sind im Moment das neue Ehrenmal der Bundeswehr und der Kult um den toten Soldaten.

* Diese beiden Beiträge erschienen am 21. Mai 2010 in "Neues Deutschland".


Stellungnahmen aus der Friedensbewegung zu den beiden Artikeln **

Rote Linien des Protestes

Von Christoph Marischka

Die Feste feiern, wie Sie fallen« ist zuallererst ein sehr gelungener Wortwitz. Die ganze Aktion war somit von Vornherein ironisch konotiert und als Satire erkennbar. Diese lebt davon, dass rote Linien überschritten werden. Ganz anders verhält es sich bei der Zusammenarbeit mit Repressionsbehörden durch die Mitglieder eines Verbandes oder einer Bewegung. Hier gibt es rote Linien, die nicht überschritten werden dürfen, weil sonst die Zusammenarbeit, das Vertrauen, nachhaltig gestört werden. Die Weitergabe von Namen und Adressen in vorauseilendem Gehorsam an die Staatsanwaltschaft ist eine solche Grenzüberschreitung, die sich vom Geiste der – wenn auch kritischen – Solidarität verabschiedet hat und damit von dem, was eine Bewegung zusammenhält und ihr Kraft gibt.

Und diese Kraft braucht die Friedens- und antimilitaristische Bewegung, denn sie ist minoritär und befindet sich im Widerspruch zu dieser Zeit und der Politik dieses Staates, die die roten Linien durch populistische Meinungsmache und Gesetze definieren. Insofern gehört die Grenzüberschreitung zu unserem Widerstand. Oder sollen wir schweigen, wenn beim nächsten Krieg das Märchen vom friedensstiftenden Soldaten wieder verfängt und eine Mehrheit der Bevölkerung hinter diesem steht, wenn eine Schaffung einer parlamentarischen Mehrheit gegen den Krieg noch unerreichbarer scheint?

Hier ist jetzt nicht das vermummte Steineschmeißen gemeint, das in Straßburg tatsächlich zu tiefen Rissen in der Bewegung geführt hat, als Wunde weiter klafft und von einigen in eine Analogie zur gegenwärtigen Ausein-andersetzung in der DFG-VK gebracht wurde. Wir reden hier von einem Flugblatt. Die Staatsanwaltschaft belegt dieses mit dem lächerlichen Vorwurf der »Volksverhetzung«, zieht sozusagen die rote Linie enger, und schon ziehen die ersten ihren Kopf eilig aus der Schlinge, um auf andere zu zeigen.

Etwas anderes ist die Kritik – oder der Vorwurf –, dass dieses Flugblatt menschenverachtend sei. Diese solidarische Kritik steht der Friedensbewegung gut zu Gesicht, denn die Achtung vor dem Menschen ist eine wesentliche Triebfeder ihres antimilitaristischen Engagements. Und nur sie kann diese Debatte ernsthaft führen, weil sie dabei nicht im Verdacht steht, mit zweierlei Maß zu messen und den um ein Vielfaches menschenverachtenderen Charakter des Krieges und des Imperialismus nicht nur erkannt, sondern auch zum Anlass für ihre – manchmal durchaus schmerzhafte – Positionierung gemacht hat. Sie sollte sich dabei nicht von dem nationalistischen Getöse der »Bild«-Zeitung und dem Säbelrasseln der Repressionsorgane beeinflussen lassen. Die Stärke einer Bewegung definiert sich dadurch und wächst damit, dass solche Debatten (und das gilt für die Frage der Aktionsformen insgesamt) kontrovers UND autonom geführt werden.

Christoph Marischka, Jahrgang 1979, ist Friedensaktivist aus Tübingen. Er ist Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung und arbeitet dort zu den Themen Innere Sicherheit, europäische Migration und der Rolle von Zivilisten in neuen Kriegen.


Unvermittelbare Provokation

Von Peter Strutynski

Mir scheint, dass beide vertretenen Ansichten [die von Grässlin und Januschke] haarscharf an der entscheidenden Frage vorbeigeschlittert sind: Wie kann der Mehrheitswille der Bevölkerung, den Afghanistankrieg zu beenden und die Truppen sofort zurückzuziehen, in politischen Druck auf Regierung und Bundestag umgesetzt werden?

Jürgen Grässlin, dessen fundamental-pazifistische Überzeugung außer Frage steht, macht einen Fehler: Sein Plädoyer für »Gewaltfreiheit« suggeriert, dass das von ihm kritisierte provokative Schampus-Saufen irgendetwas mit »Gewalt« zu tun haben könnte. Das ist mitnichten der Fall. Die Aktion der Berlin-Brandenburger Gruppe der DFG-VK tut doch niemandem etwas zu Leide und zerstört auch keine Sachgüter, sondern bleibt auf der ganzen Linie »gewaltfrei«. Sie kann dennoch falsch sein.

Sein Kontrahent, Dr. Eugen Januschke, verteidigt nicht etwa die inkriminierte Aktion (er kritisiert sie auch nicht), sondern führt den Leser auf eine andere Spur. Die Massenproteste der 80er Jahre hätten ihre Berechtigung gehabt, denn damals lebten wir in »Friedenszeiten« (nun ja, wir befanden uns im Kalten Krieg, Herr Januschke!). Heute jedoch herrsche »Krieg«, folglich müssten die Methoden der Friedensbewegung an die »veränderten Umstände angepasst« werden. Was das bedeutet, darüber schweigt sich der Autor aus.

Das Problem der Friedensbewegung scheint mir indessen heute zu sein, dass die Aussage, Deutschland befinde sich im Krieg, zwar richtig ist, aber nur einen Teil der politischen und gesellschaftlichen Realität in unserem Land erfasst. Der Krieg in Afghanistan ist nicht nur weit weg, er beeinträchtigt auch nicht das Denken und Fühlen der Menschen in ihrem Alltag. Dies wird auch nicht dadurch erreicht, dass die Friedensbewegung auf Teufel komm raus den Menschen Betroffenheit einbläuen will – noch dazu mit einer Aktionsform, die eher dem Repertoire des satirischen Kabaretts oder Theaters, nicht aber dem einer politischen Bewegung entnommen ist. Es macht eben einen Unterschied, ob ein Berliner Ensemble oder irgendein Aktionstheater den Tod deutscher Soldaten am Hindukusch künstlerisch verfremdet und dem Publikum vorsetzt (und zwar nicht nur hinter Theatermauern, sondern auch im öffentlichen Raum), oder ob Aktivisten der Friedensbewegung theatralisch dilettieren.

Hinzu kommt, und darin ist Grässlin absolut zuzustimmen, dass mit dem Tod von Menschen weder propagandistisches Schindluder (siehe die Inszenierung der Regierungs-Trauerfeiern) noch menschenverachtender Zynismus getrieben werden darf. Treten wir nicht auch dafür ein, dass selbst Mördern und Gewaltverbrechern ihre Menschenwürde nicht genommen werden dürfe? Soll das für Soldaten nicht gelten?

Es gibt für die Friedensbewegung keine »Abkürzungen« zum notwendigen Massenprotest der Bevölkerung gegen den Afghanistan-Krieg. Am ungeeignetsten scheinen mir nicht vermittelbare Provokationen und dadurch ausgelöste Fehden innerhalb des antimilitaristischen Lagers zu sein.

Dr. Peter Strutynski, 1945 geboren, ist Politikwissenschaftler an der Universität Kassel, Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag und Mitherausgeber der Marxistischen Blätter. Er ist seit etwa 30 Jahren in der Friedensbewegung aktiv und leitet die Arbeitsgruppe Friedensforschung an der Universität Kassel, die jährlich den Friedenspolitischen Ratschlag veranstaltet.


Anerkennung der Vielfalt

Von Reiner Braun

Um es eingangs zu sagen: Eine Zusammenarbeit mit den Repressionsorganen unseres Staates zuungunsten von Betroffenen kann es für soziale Bewegungen nicht geben. Wir verfügen über genügend juristische Kompetenz und Sachverstand, um auch diese Auseinandersetzung erfolgreich zu führen. Konfliktfrei ist dieses nicht, aber alternativlos.

Es geht bei den zurzeit diskutierten Konflikten aber meiner Meinung nach um weit mehr. Es geht um die Kultur unserer politischen Arbeit unter Bedingungen, die Erfolge so unsagbar schwer erreichbar machen. Dies gilt besonders im Handeln gegen den Krieg in Afghanistan.

Vor allem die mangelnde Mobilisierungsfähigkeit führt zu einem berechtigten Nachdenken über die Fragen, wie können wir schneller, ideenreicher und erfolgreicher die vorhandenen Meinungsmehrheit zu einer bewusst handelnde breiten Bewegung entwickeln. Über vielfältige neue und andere Formen der Bewusstseinsbildung und des »Wachrüttelns« wird vielerorts nachgedacht. Dies ist auch dringend notwendig.

Es ist sicher keine Lösung, wenn immer die gleichen, weniger werdenden Menschen immer engerer politischer Couleur immer wieder (bundesweite) Aktionen vorbereiten, zu denen absehbar wenig/weniger Menschen (auch aus den vorbereitenden Organisationen) kommen, und sie sich anschließend einer Reflexion dieses unbefriedigenden Zustandes verweigern. Das Nachdenken über neue – auch provokante und zugespitzte Aktionsformen – geschieht aber nicht in einem luftleeren Raum, sondern ist ohne ein Verständnis von Ziel und Zweck der Aktion nicht hilfreich. Ziel muss es sein, mehr Menschen für den Frieden zu mobilisieren und ein positives, attraktives Bild der Friedensbewegung in der Öffentlichkeit zu kreieren. Wir sind auch Sympathieträger für eine friedliche Welt und wollen mit unserem Handeln diese »bessere Welt« auch ein Stück vorleben und vorzeigen.

Die Menschen nicht dort abzuholen, wo sie im Denken und Handeln stehen, führt zu unverantwortlichem Sektierertum. Aber es gilt ebenso: Bewusstsein ist nichts Statisches und kann im Prozess und in Vorbereitung von Aktionen vielfältig verändert werden. Kriterium ist auch nicht das Bewusstsein des letzten kleinbürgerlich (aufgehetzten) »Bild«-Zeitungslesers. Provokationen und Zuspitzungen sind dabei notwendig, Regelverletzungen können durchaus sinnvoll sein.

Es bleibt aber immer die zu überprüfende und vorher intensiv und offen zu diskutierende Frage: Trägt die geplante gewaltfreie Aktionsform dazu bei, unserem Ziel näher zu kommen, mehr Menschen zu erreichen, Sympathie und Unterstützung zu schaffen? Und stehe ich eine Auseinandersetzung gegen die politische Reaktion und ihren Medien auch offensiv und erfolgreich durch? Diese Fragen können unter uns durchaus kontrovers beantwortet werden, aber sie müssen gestellt werden und nicht nur unter Gleichgesinnten. Aus diesen Gründen hatte ich immer Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Aktion der Berliner DFG-VK.

Zur politischen Kultur der Friedensbewegung gehört auch, dass wir anerkennen, dass es eine große Breite und Vielfalt in ihr gibt. Und zur Friedensbewegung unseres Landes gehören für mich viel mehr soziale Kräfte und Personen als die, die durch den Bundesausschuss Friedensratschlag und die Kooperation für den Frieden repräsentiert werden. Dies gilt sowohl nach »Rechts« in Richtung von Menschen aus der Sozialdemokratie und Grünen, Kirchen und Gewerkschaften, als auch für den antikapitalistischen und autonomen Bereich. Mich verbindet mit denen in der Ablehnung von Kriegen und Gewalt, teilweise auch nur in Einzelfragen, viel mehr als mit der herrschenden Politik der NATO-Staaten. Ihre unterschiedlichen Aktionsformen sind notwendig und sinnvoll.

Diese Kräfte zu bündeln, u. a. im Kampf gegen den Krieg gegen Afghanistan oder für eine Welt ohne Atomwaffen, ist eine bleibende Aufgabe. Eine Kultur des Verständnisses und der Kooperation unter Anerkennung der Vielfalt ist dafür unersetzlich.

Wir müssen noch einiges lernen.

Reiner Braun, Jahrgang 1952, ist Geschäftsführer der deutschen Sektion der Organisation Internationale Juristen gegen Nuklearwaffen (IALANA) und einer der Sprecher der Kooperation für den Frieden.

** Diese drei Stellungnahmen erschienen am 28. Mai 2010 im "Neuen Deutschland"




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