Ostermarsch 2000 in Nürnberg
Rede von Tanja Pavlov aus Belgrad
Der Inhalt meiner Rede wird sein:
Die Situation in Jugoslawien nach der Bombardierung und unser Kampf für
Demokratie. Aber vor allem möchte ich Sie grüßen und mich bedanken im Namen meiner Nicht-Regierungs-Organisation, daß ich bei dieser wichtigen
Veranstaltung dabei sein kann und da reden darf.
Die Gruppe 484, zu der ich gehöre, ist entstanden, um Flüchtlingen zu
helfen. Dabei geht es um Beratung in rechtlichen Fragen und um
psychosozialen Beistand. Und wir setzen all unsre Kraft ein für eine bessere, demokratischere Gesellschaft. Wir können aber nicht in Isolation arbeiten und etwas aufbauen und wir sind der festen Meinung, daß Stabilität, Prosperität und Demokratie für ganz Europa nur mit einem offenen, stabilen und demokratischen Jugoslawien verwirklicht sein kann. Deswegen ist es wichtig, daß wir unsere Erfahrungen austauschen und mit gemeinsamen Aktionen daran arbeiten, solche Katastrophen zu verhindern wie die, die uns betroffen hat.
Am 24. März 1999 hat die Nato unser souveränes Land Jugoslawien
angegriffen. Sie hat 10000 Angriffe geflogen, 2500 Raketen von Schiffen
abgeschossen, zig·-tausende von Tonnen Sprengstoff über das Land
verteilt.
Und warum?
sie wollten "helfen"! Sie wollten eine humanitäre Katastrophe im Kosovo
verhindern.
Und was kam dabei heraus?
Den tragischen Konvois der geflüchteten Albaner folgten tragische
Konvois von flüchtenden Serben. Von Juni 1999 bis heute sind ca. 300.000
Serben und Roma in andere Gebiete Serbiens geflohen. Auch weitere
Minderheiten, und es gibt eine ganze Anzahl, die im Kosovo leben, fühlen
sich jetzt bedroht und werden hinausgedrängt.
Kosovo ist zur Zeit physisch und ökonomisch am Boden. Viele alte Kirchen
und Baudenkmäler, ein kulturelles Erbe für unser aller Zivilisation sind
vernichtet.
Was am schlimmsten ist: Es wurde jede Möglichkeit für ein gemeinsames
Leben von Serben und Albanern für lange Zeit zerstört.
Die Regierungen hinter der NATO sagten uns: Der Angriff ist nicht gegen
die Zivilbevölkerung gerichtet, sondern gegen das Regime!
Entschuldigen Sie, aber wir mußten es sehr persönlich erleben, wie
unsere Häuser und unsere Arbeitsplätze bombardiert wurden, wie unsere
Ackerfelder zu Feldern wurden voll mit nicht explodierten Sprengbomben.
Und der südliche Teil unseres Landes verwandelte sich in ein Gebiet, wo
fremde Truppen regieren. Er wurde zum Sperrgebiet.
Heute leben an die 3 Millionen Menschen von 8 Millionen unter der
Armutsgrenze. Die Arbeitslosigkeit steht jetzt bei 33 %. Der
Durchschnittslohn beträgt 80 Deutsche Mark pro Monat. Es ist
unbegreiflich, wie die Menschen es schaffen zu leben und zu überleben.
Durch die Bombardierung wurden neben den Regierungsgebäuden eben auch
Wohnhäuser, Schulen, Kirchen, Kulturdenkmäler, Fabriken, Überlandstraßen
und die wichtigen Brücken zerstört.
Wir haben auf jeden Fall eine ökologische Katastrophe. Die NATO benutzte
Munition mit abgereichertem Uran. Tonnenweise wurden Giftstoffe aus
bombardierten Chemiefabriken freigesetzt und verseuchen Luft, Wasser und
Erde.
Und das Regime?
Das Regime ist das gleiche geblieben, mächtiger als je zuvor!
Es hat das Bombardement genutzt, um Druck auf die Bevölkerung zu
verstärken und seine Macht zu erhalten. Während der Bombardierung
herrschte Kriegsrecht, die Freiheit der Medien wurde von da an stark
eingeschränkt.
Es wurde ein neues Gesetz eingeführt, um den Universitäten die
Unabhängigkeit zu entziehen. Fast täglich finden jetzt Anklagen und
Verhandlungen statt, z.B. gegen Nebosja Ristic, Direktor des
unabhängigen Fernsehens in Sokobanja. Er wurde zu einem Jahr Gefängnis
verurteilt, weil er in seinem Fenster ein Transparent hängen hatte:
"Freie Medien aus Serbien", und das noch auf Englisch "Free Press made
in Serbia".
Die NATO! Wenn die erwartet, daß wir Jugoslawen uns bedanken? Wir werden
es nicht tun! Es reicht uns mit ihrer Hilfe. Wir haben genug davon.
Ich möchte jetzt am Beispiel der Arbeit unserer Organisation
beschreiben, was wir unter Hilfe verstehen.
Wir glauben, daß es keine Demokratie geben kann, ohne Zusammenarbeit mit
der einfachen Bevölkerung an der Basis.
Sogar während der Bombenangriffe war unser Haus offen für alle Menschen
verschiedener Herkunft. Wir haben Gruppen für Kinder und Erwachsene
organisiert, wo wir über ihre Sorgen und ihre Angst gesprochen haben und
haben nach Möglichkeiten gesucht, wie sie besser damit fertig werden
könnten. Wir haben damals auch über schöne Dinge gesprochen, gespielt,
Spaß gehabt, sind ins Theater und ins Kino gegangen, um den Menschen
Hilfe für Herz und Seele zu geben. Wir haben über Menschenrechte und
über Vorurteile gesprochen, über Gerüchte, die die Seele vergiften, über
demokratische Verhaltensweisen und wie man sie im Leben verwirklichen
kann. Ebenso darüber, wie wir lernen, Verantwortung in der Gesellschaft
zu übernehmen.
Nach den Bombenangriffen ist unsere Arbeit wesentlich schwieriger
geworden. Es ist schwer, mit Menschen über Demokratie zu reden, wenn
ihre nackte Existenz bedroht ist.
Haben Sie Je von einem sehr armen Land gehört mit funktionierender
Demokratie?
Ich bin überzeugt davon: hätten die Regierungen des NATO-Bündnisses die
für die Bombardierungen 29 Milliarden Dollar ausgegeben haben, diese
Menge Geld dahin investiert, den Lebensstandard im Kosovo zu verbessern
und Versöhnungsarbeit zu fördern, dann sähe das Zusammenleben von Serben
und Kosovo-Albanern heute ganz anders aus. Gruppen, die dort arbeiteten,
waren miserabel ausgestattet.
Unsere Gruppe unterstützt jetzt mit humanitären Programmen Flüchtlinge,
Vertriebene innerhalb des Landes, vor allem aus dem Kosovo, und die
verarmte Bevölkerung vor Ort.
Gleichzeitig versuchen wir in unserem "Club zur Förderung der
Zivilgesellschaft" Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu motivieren,
aktiv zu werden in ihren Gemeinschaften.
Auch geben wir den Leuten mit unserer Arbeit in der Friedensbewegung ein
Beispiel. Wir sind eine Gruppe unter den Initiatoren bei der Gründung
des Netzwerks von 70 Nicht-Regierungsorganisationen, welches
"Jugoslawische Aktion" genannt wird.
Besonders wichtig ist dabei der Block gegen Gewalt, wo auf allen Ebenen
für friedliche Veränderungen gearbeitet wird im Rahmen des Zieles:
Vorgezogene Wahlen.
Wir betreiben viel Lobby-Arbeit zusammen mit den Bürgervereinigungen,
die sich während des Bombardements neu gründeten zusammen mit Kommitees
für Menschenrechte und mit der studentischen Bewegung, die sich einfach
kurz "Widerstand" nennt.
Wir wissen genau, daß der Aufbau einer demokratischen Gesellschaft
unsere eigene Aufgabe ist; wir wollen nicht, daß sie uns von außen
aufgedrückt wird.
Was ich noch betonen möchte: Wenn wir als Gruppe Menschen helfen, legen
wir ganz großen Wert darauf, daß alle Menschen gleich und gleich
wertvoll sind. Wir glauben daran, daß unsere Leute über genügend
Kapazitäten verfügen, um ihre Probleme zu lösen. Und wenn wir ihnen
helfen, verlassen wir uns auf ihre Fähigkeiten.
Diese Einstellung wünschen wir und erwarten wir auch von Menschen
außerhalb unseres Landes. Glauben Sie an unsere Potentiale und
Fähigkeiten! Geben Sie uns Chancen, das auch zu zeigen. Für den Anfang
sollte z.B. das Embargo sofort aufgehoben werden.
Zum Schluß möchte ich Ihnen noch etwas sagen: Ich selbst bin Flüchtling
und habe die Bombenangriffe erlebt: Wenn Sie in einem Lande leben, wo
die politisch Mächtigen Krieg machen und Sie Ihr Dach über dem Kopf, die
nächsten Angehörigen und Ihre Freunde verlieren, dann ist es ganz
gleich, ob das Land Kosovo, Serbien, Albanien oder ein NATO-Land ist ~
Sie haben alles verloren,
Laßt uns einstehen für den Frieden - er ist so kostbar.
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