Die Gefahr geht von unserem Land aus
Ulrich Sander beim Ostermarsch Rhein-Ruhr *
Die Gefahr geht von unserem Land aus
Ulrich Sander beim Ostermarsch Rhein-Ruhr in Düsseldorf
Liebe Ostermarschiererinnen und Ostermarschierer, verehrte Anwesende,
Angela Merkel, die CDU-Vorsitzende, sagte in ihrer Rede auf der sog. Münchener Sicherheitskonferenz 2004: “Um die Politik anderer Nationen zu beeinflussen, um den Interessen und Werten der eigenen Nation zu dienen, müssen alle Mittel in Betracht gezogen werden, von freundlichen Worten bis zu Marschflugkörpern.“
Und die von ihrer Regierung abgesegneten Verteidigungspolitischen Richtlinien bezeichnen die Streitkräfte als notwendig für die Gewährleistung der außenpolitischen Handlungsfähigkeit Deutschlands“. Da sind Leute am Werk, die sich Außenpolitik fast nur noch militärisch vorstellen können.
Die Außenpolitik unseres Landes weicht erheblich ab vom Grundgesetz unseres Landes. Dies verbietet Angriffskriege und erlaubt nur Streitkräfte zur Verteidigung. Doch weit und breit gibt es keine Gefahr, dass unser Land angegriffen werden könnte und verteidigt werden müsste. Die Gefahr geht von unserem Land aus, das sich an Angriffskriegen beteiligt und weitere vorbereitet. So in Afghanistan seit 2001 – und ein Ende ist nicht in Sicht.
Bundeswehrreform macht Bundeswehr noch gefährlicher
Daran ändert auch die Bundeswehrreform nichts – im Gegenteil, diese dient dazu, die Truppe immer effektiver zu machen. Sie wird nicht billiger und nicht kleiner. Anstelle der Wehrpflichtigen stehen hunderttausende Reservisten bereit, die im Rahmen einer Militärisch-zivilen Zusammenarbeit jederzeit die Truppen zum Einsatz im Inneren und Äußeren auffüllen können. Ja auch im Innern, zum Streikbruch zum Beispiel im öffentlichen Dienst und zum Vorgehen gegen Demonstranten wie wir es in Heiligendamm im Jahr 2007 erleben mussten.
Zugleich geht von unserem Land auch die Kriegsgefahr durch immer weiter um sich greifende Rüstungsproduktion und die Ausfuhr dieser Mordinstrumente aus.
Und diese Gefahr geht auch von Nordrhein-Westfalen aus. Hier befinden sich die großen Rüstungsschmieden Thyssen/Krupp und Rheinmetall. Hier befindet sich die Zentrale der Zivilmilitärischen Zusammenarbeit in Köln und hier ist in diesem Jahr das Luftwaffen-Führungshauptquartier in Kalkar in Dienst gestellt worden, von wo aus künftig die Luftkriege der Nato geführt werden können, solche wie in Libyen, wo die Nato half, das eine Gewaltregime gegen ein anderes auszutauschen, auf dass der Zugang des Westens zum libyschen Öl bestehen bleibt. Unzählige Opfer sind zu beklagen.
Zur Landtagswahl die Kriegsgefahr thematisieren
Wir stehen vor Landtagswahl in NRW. Wir als Friedensbewegung sind aufgefordert, auch mit friedenspolitischen Themen in die politische Auseinandersetzung in unserem größten und bevölkerungsreichsten Bundesland einzugreifen.
Hunderttausendfacher Protest hat einst in Kalkar am Niederrhein dafür gesorgt, daß dort keine atomarer Schneller Brüter entstand. Es gibt Grund, wieder in großer Zahl dort zu protestieren.
Bundeswehrführung und NATO haben in Kalkar – ohne viel Aufsehen zu erregen – das Hauptquartier für Luftkriegsoperationen aufgebaut. Eingreiftruppen in aller Welt können von nun an von der von-Seydlitz-Kaserne aus kommandiert werden. Es wäre ein Krieg von deutschem Boden aus, ein Krieg, der auch unser Land zum Kriegsschauplatz macht.
Wir Ostermarschierer vom Rhein und von der Ruhr brachten es in unserem Aufruf für die diesjährigen Aktionen auf den Punkt: „Durch das ungehemmte Vorgehen der NATO werden das Völkerrecht und die weltweite Friedensordnung verletzt. Die Gefahr von Kriegen steigt, die Welt wird unsicherer. NATO-Kriegseinsätze werden auch von Nordrhein-Westfalen aus gesteuert, so durch das der NATO unterstellte Luftwaffen-Führungshauptquartier in Kalkar.“ Raus aus der NATO muss daher die Forderung lauten.
Eine neue Raketennachrüstung – und neuer Verfassungsbruch
Von Kalkar aus wird zunächst der Luftraum nördlich der Alpen observiert. Auch das Kommando für den neuen NATO-Raketenabwehrschild wird in Deutschland errichtet: Auf dem NATO-Stützpunkt im rheinland-pfälzischen Ramstein, 380 Kilometer von Kalkar entfernt. Dann wird die NATO-Truppe vom deutschen Ramstein aus den Raketenschild gegen neue Mittelstreckenraketen kommandieren. Kommt einem das nicht irgendwie bekannt vor? Ja, die Wiederholung der Kriegsrhetorik aus der Zeit von Helmut Schmidt und Helmut Kohl ist keine beruhigende Sprache etwa für Rußland. Kalkar und später Ramstein werden sich im Fadenkreuz der angeblich „uns bedrohenden Mittelstreckenraketen“ befinden. In Wirklichkeit soll von hier aus der ganze Nahe Osten und die ehemalige Sowjetunion bedroht werden.
Die NATO spielt Krieg, und in Kalkar wird er auf dem Reißbrett geplant und gesteuert. Es bedurfte der aufmerksamen Lektüre der Lokalseite aus Kalkar der Neuen Rhein/Ruhrzeitung aus der WAZ-Gruppe, um zu erfahren, was auf der von dort aus gesteuerten NATO-Herbstübung geschah: In einem Bericht des kommandierenden Generals hieß es: „Eine gestohlene, mit Sprengstoff beladene Cessna hatte Kurs auf die Hauptstadt genommen.“ Und er kommt nach einigen Erklärungen über „Abdrängversuche“ und „Warnschüsse“ auf den Punkt. „Wir haben sie abgeschossen. Letztlich habe ich den Befehl dazu gegeben.“
Es war ein illegaler Befehl, ein Verfassungsbruch. Über solche Übungen ist zu sagen: Die Piloten müssen wissen: Ein Befehl zum Abschuss ist der Befehl zu einem Verbrechen, zum rechtswidrigen Totschlag. Der einem solchen Befehl folgende Pilot sollte sich anschließend vor einem Schwurgericht wiederfinden. Es gibt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz mit der Bekräftigung des Artikels 1 des Grundgesetzes, zum Recht auf Leben und zum Verbot von Abschüssen von Zivilflugzeugen durch Kampfjets.
Doch zu oft verweigerte die Bundeswehr schon den Gehorsam gegenüber der Verfassung. Wir sind zur Wachsamkeit gegenüber der Nato und der Bundeswehr aufgefordert. Wir sagen Nein zur Raketenabwehrnachrüstung und zum Luftwaffen-Führungshauptquartier, wie auch zum Einsatzführungskommando für die Zivilmilitärische Zusammenarbeit.
Große Aufregung herrscht hierzulande über die dramatische Warnung von Günter Grass vor einem Atomkrieg. Er sieht die Gefahr dafür in der Politik der gegenwärtigen israelischen Regierung gegeben, die über Atomwaffen verfügt, anders als die Regierung des Iran. Die sich eskalierende Kriegsdrohung gegen den Iran kann dazu führen, dass diese in einen atomaren Erstschlag, in das Inferno, in die Vernichtung von Millionen Menschen einmündet. Der Schriftsteller und Vorsitzende des P.E.N.-Zentrums Deutschland Johano Strasser hat dazu in einer Erklärung, die sich angenehm abhebt vor den wütenden Angriffen von Medien und Politikern gegen Grass, das folgende ausgesagt:
Der P.E.N.-Zentrumspräsident zu Günter Grass
„Kritik an der Politik der israelischen Regierung ist natürlich kein Antisemitismus. Dann müsste man ja mehr als die Hälfte der israelischen Bürger zu Antisemiten erklären. Ich wünsche dringend, dass der Staat Israel ein historischer Erfolg wird. Ich bin aber besorgt darüber, dass die Politik, die die jetzige Regierung macht, nie zu einem Frieden führen wird. Zu glauben, es gäbe ein Recht auf präventiven Krieg, weil vermutet wird, dass der Iran an der Entwicklung einer Atombombe arbeitet, halte ich für abenteuerlich. Ich bin mit der amerikanischen und der deutschen Regierung und mit Günter Grass der Meinung, dass ein Präventivschlag nicht zulässig ist.“
Ich stimme dieser Erklärung des Vorsitzenden des P.E.N.-Zentrums zu - mit einer Einschränkung. Die deutsche Regierung hat die israelische Regierung zwar kürzlich wissen lassen, dass sie in der Auseinandersetzung mit dem Iran diplomatische Bemühungen einem Krieg derzeit vorzieht. Sie hat aber auch angekündigt, Israel weiter mit U-Booten zu beliefern, die einem Krieg in der Nahostregion dienen. Günter Grass hat zwei Punkte ausgesprochen, die hier zu unterstreichen sind:
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soll ein weiteres U-Boot nach Israel geliefert werden, dessen Spezialität darin besteht, alles vernichtende Sprengköpfe dorthin lenken zu können, wo die Existenz einer einzigen Atombombe unbewiesen ist.“
Und
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2. fordert Günter Grass etwas sehr vernünftiges, „daß eine unbehinderte und permanente Kontrolle des israelischen atomaren Potentials und der iranischen Atomanlagen durch eine internationale Instanz von den Regierungen beider Länder zugelassen wird.“
Warum wird nur die Überprüfung der Atomanlagen des Iran von den Regierungen verklangt, warum nicht auch die Kontrolle des israelischen Atomwaffenarsenals? Warum verlangt man nicht den Beitritt Israels zum Atomwaffensperrvertrag, dem der Iran beigetreten ist? Und warum wird nicht endlich eine Konferenz zur Schaffung eines atomwaffenfreien Nahen Ostens einberufen? Warum tritt unser Land nicht ein für den Abschluss eines Nichtangriffspakts zwischen Iran und Israel?
Und schließlich: Warum sichert die Bundesregierung nicht endlich zu, den Abzug der Atombomben zu verlangen und zu erreichen, die auf deutschem Boden lagern? Für eine atomwaffenfreie Welt. Das ist nach wie vor die Losung des Ostermarsches.
Kein neues U-Boot für Israel – Stoppt den Rüstungsexport
Zu den U-Booten-Produktionen und der Rüstungsproduktion in unserem Land möchte ich noch näher eingehen. Auch hier ist der Stopp zu verlangen.
Ich weise darauf hin:
Der Rüstungskonzern Rheinmetall AG mit Sitz in Düsseldorf ist das achtgrößte europäische Rüstungsunternehmen. Im zivilen Bereich ist er auch Zulieferer für den Automobilbau – wenngleich auch Automobile für die Rüstung gebaut werden. Rheinmetall hat in zwei Weltkriegen am Rüsten und Morden verdient. Während des Zweiten Weltkriegs arbeiteten zahlreiche Zwangsarbeiter in den Rheinmetall-Betrieben. Heute ist Rheinmetall wieder führend bei der Schaffung von Tötungsmaschinen. Über 3 Mio. Aktien von Rheinmetall wurden ausgegeben, hunderttausende Aktienbesitzer profitieren vom kriegerischen Handwerk des Konzerns. An der Stellung Deutschlands als führender Waffenexporteur weltweit hat Rheinmetall einen großen Anteil.
Dies kann auch von den Thyssen- und Krupp-Nachfolgern gesagt werden. Thyssen und Krupp waren führend in der Finanzierung der Nazis und bei der Rüstung Deutschlands in zwei Weltkriegen. Mit dem heutigen Nachfolger ThyssenKrupp entstand ein neuer Rüstungsgigant, der die verhängnisvolle Tradition seiner Vorläufer fortsetzt, obgleich z.B. die Herren Alfried Krupp und Berthold Beitz dereinst zusicherten, nie mehr für den Krieg produzieren zu wollen. Seine Spezialitäten: U-Boote und Marine-Überwasserschiffe.
Zusammen mit Krauss-Maffei Wegmann, zuständig für die Panzerproduktion, und anderen Rüstungskonzernen hat sich die Bundesrepublik den zwielichtigen Ruhm erworben, im Rüstungsexport an dritter Stelle in der Welt zu stehen. Hemmungslos werden die todbringenden Waffen auch an Diktaturen zur Unterdrückung der eigenen und der Nachbarvölker sowie in Spannungsgebiete geliefert.
Aufruf an die Gewerkschaften: Stoppt die Rüstungsproduktion
Der Schwur der Überlebenden in den Zwangsarbeiterlagern von Rheinmetall, Thyssen und Krupp nach ihrer Befreiung war eindeutig: Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus. Das war auch die Losung der Gewerkschaften. In sie setzen wir große Erwartungen. Sie sollen sich gegen Rüstungsproduktion und für die Umwandlung dieser Produktion in eine Friedensproduktion einsetzen.
Sie mögen sich der Forderung nach einem strikten Waffenembargo gegen alle Staaten der Krisenregion Naher und Mittlerer Osten anschließen. Die geplante Lieferung von 270 Kampfpanzern Leopard II an Saudi-Arabien und atomwaffenfähigen U-Booten an Israel muss gestoppt werden. Mit der Kampagne „Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“ sollen Aktionen am Standort der Rüstungsindustrie – also auch in Düsseldorf – durchgeführt werden. Wir rufen besonders die IG Metall zum Mithandeln auf.
Keine Naziaufmärsche mehr zulassen – NPD verbieten
Zugleich engagieren wir uns entschieden, wenn Neonazis den 1. Mai der Gewerkschaftsbewegung angreifen oder den Antikriegstag 1. September stören. Sie erweisen sich wie in der Geschichte als die größten Gewerkschaftsfeinde. Sie gehen am 1. September unter der Losung „Nie wieder Krieg“ – aber sie fügen hinzu „nach unserem Sieg!“ Wir sind sehr empört, wenn uns der NRW-Innenminister die Losung „Faschismus ist keine Meinung – Faschismus ist ein Verbrechen“ verbieten will, weil er den Nazis das Recht auf ihre Hasspropaganda zugestehen und uns das Recht auf unsere antifaschistische und antimilitaristische Aufklärungsarbeit verweigern möchte. Zugleich setzt er die Beobachtung der Linken – nicht nur der Partei dieses Namens – durch den Verfassungsschutz fort. Das ist derselbe Verfassungsschutz der große Mitschuld an den Morden des faschistischen mörderischen NSU trägt. Wir fordern: Stopp die Nazis, verbietet die NPD und löst den Verfassungsschutz auf. Auch darüber ist in diesem Wahlkampf zu sprechen.
Frau Merkel will mit Marschflugkörpern ihre Politik durchsetzen.
Bundeskanzler Gerhard Schröder tönte am Silvestertag 2003 in die deutschen Wohnzimmer hinein: „Manchmal können wir mit Spenden helfen, manchmal müssen wir Soldaten einsetzen“.
Willy Brandt hat gesagt: Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist nichts ohne Frieden. Wir halten es mit Willy Brandt.
* Rede beim Ostermarsch Rhein-Ruhr am 7. April in Düsseldorf;
Ulrich Sander ist einer der Sprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der AntifaschistInnen (VVN-BdA) und Mitglied im Bundesausschuss Friedensratschlag.
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