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Warnung vor neuen Kriegen

Über Ostern finden Demonstrationen und Kundgebungen in mehr als 70 Orten der Bundesrepublik statt

Von Reimar Paul *

Die Ostermarschbewegung ist nicht kleinzukriegen. In vielen Ecken Deutschlands wird in den kommenden Tagen für den Frieden demonstriert.In ganz Deutschland protestieren Menschen am Osterwochenende gegen Kriege, Atomwaffen und Rüstungsexporte. In mehr als 70 Städten sind zwischen dem 5. und 9. April Kundgebungen und Demonstrationen angekündigt, wie das in Bonn ansässige Netzwerk Friedenskooperative mitteilte.

Im Mittelpunkt vieler Aufrufe steht die Forderung nach einem Waffenstillstand und dem Abzug der westlichen Truppen aus Afghanistan. Gerade die jüngsten Ereignisse - Koranverbrennung, Amoklauf und die Reaktionen in der afghanischen Bevölkerung - hätten deutlich gemacht, dass dieser Krieg weder militärisch noch politisch für die Interventionsmächte zu gewinnen sei, so der Bundesausschuss Friedensratschlag. Viele Regierungen dächten inzwischen darüber nach, die Truppen noch vor dem versprochenen Abzugstermin 2014 zurückzuholen.

So oder so sei die Bilanz des nun elfeinhalb Jahre dauernden Krieges derart desaströs, dass die Kriegsallianz nur noch darüber nachsinne, wie sie aus diesem Konflikt wieder herauskommt, ohne das Gesicht zu verlieren. »Dabei sollte sich der Westen eher darum sorgen, überhaupt erst ein freundliches Gesicht zu bekommen: durch das Eingeständnis, der Krieg sei ein Fehler gewesen, und durch den sofortigen Beginn des Abzugs der Truppen.«

Die Ostermarschierer fordern weiterhin den Stopp aller Rüstungsexporte, die Abschaffung der Atomwaffen, die Verschrottung aller Atomanlagen sowie eine beschleunigte Energiewende hin zu den Erneuerbaren und mehr Energieeffizienz. Die Friedensgruppen unterstützten die gewaltfreien Aufstände gegen autoritäre Regimes in Arabien, wendeten sich aber gegen Kriegsvorbereitungen gegen Iran und Syrien, erklärt das Netzwerk Friedenskooperative.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag steht fest, dass der Westen die Urananreicherung in Iran akzeptieren muss - »auch wenn wir die nicht-militärische Nutzung der Kernenergie ablehnen«. Im Gegenzug müsse sich Teheran verpflichten, zusätzliche internationale Kontrollen der iranischen Atomanlagen zuzulassen. Mit Blick auf Syrien wird eine »klare Absage an alle Gedankenspiele über eine militärische Intervention« verlangt - sowie ein sofortiges Ende aller Waffenlieferungen in die Staaten des Nahen und Mittleren Ostens.

Etliche Ostermarsch-Aufrufe thematisieren auch den Rüstungsexport. Deutschland ist längst in die Spitzengruppe der größten Waffenexporteure der Welt aufgestiegen und belegt hinter den USA und Russland den dritten Platz. Geliefert wird in mehr als 80 Staaten - teilweise setzen deren Regierungen die Waffen gegen die eigene Bevölkerung ein.

Der traditionelle Ostermarsch Ruhr führt in drei Tagen von Duisburg nach Dortmund. In Thüringen wollen die Demonstranten zum Truppenübungsplatz Ohrdruf ziehen, in Leipzig zur Olbricht-Kaserne radeln, deren Soldaten teilweise in Afghanistan Krieg führen. Der Ostermarsch in Hannover hat das Thema »Wirtschaft, Krise und Krieg«. In Gifhorn protestieren die Ostermarschierer unter dem Motto »Bunt statt Braun« auch gegen den Rechtsextremismus. In Osnabrück ist eine »Friedliche Radfahrt zu kriegerischen Erinnerungsorten« angekündigt. Beim Eichsfelder Ostermarsch wollen sich die Teilnehmer aus Niedersachsen und Thüringen an der früheren deutsch-deutschen Grenze zu einer Kundgebung treffen.

Ostermärsche gibt es in der Bundesrepublik Deutschland seit 1960. Damals protestierten mehrere hundert Menschen am Truppenübungsplatz Bergen-Hohne in der Lüneburger Heide gegen neue Trägerraketen für Atomwaffen. Ende der 60er Jahre stieg die Teilnehmerzahl auf mehrere hunderttausend an. In den vergangenen Jahren beteiligten sich nach Veranstalterangaben jeweils einige zehntausend Demonstranten an den Aktionen.

Die zahlenmäßig größten Aktionen gab es dabei in der Kyritz-Ruppiner Heide in Nordbrandenburg. Dort protestierten viele tausend Menschen gegen die Nutzung eines ehemaligen Truppenübungsplatzes der sowjetischen Armee als Bombenabwurfplatz der Bundeswehr. Die Proteste zeigten Wirkung. Nach mehreren verlorenen Gerichtsverfahren verzichtete die Bundesregierung im Sommer 2009 endgültig auf die militärische Nutzung des Areals.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 5. April 2012


Politische Konflikte werden mit der Bundeswehr ausgetragen

In Berlin wollen die Ostermarschierer gegen Krieg, Todesstrafe, Rüstungslobby und Militärinterventionen protestieren **

Laura v. Wimmersperg organisiert den Berliner Ostermarsch seit 1982 nunmehr zum 30. Mal mit.


nd: Auf der Welt werden gegenwärtig so viele Kriege geführt wie seit 1945 nicht mehr. Als Organisatorin des Berliner Ostermarsches müsste Ihnen das die AktivistInnen in Scharen zutreiben?

v. Wimmersperg: Das ist nicht so. Viele Menschen sind gegen den Krieg - in der Bundesrepublik sind es um die 70 Prozent. Doch zugleich gibt es eine große Ermattung, und der Zorn wird nicht auf die Straße getragen. Dass es Wut gibt, kriegen wir jedoch immer wieder zu spüren, etwa wenn wir Material verteilen.

Im vergangenen Jahr kamen zum Berliner Ostermarsch über 5000 Teilnehmer, vor allem wegen der Atomkatastrophe in Fukushima. In diesem Jahr spielt Anti-Atom-Politik eine untergeordnete Rolle. Was planen Sie für den kommenden Sonnabend?

Punktuell wird die Zusammenarbeit weitergeführt, aber die Anti-Atombewegung wird dieses Mal nicht so groß mit auf die Straße gehen. Unser Motto ist »Krieg darf kein Mittel der Politik sein«. Das ist ein bekannter und einfacher Satz, der jedoch ganz grundsätzlicher Natur ist. In dieser kriegerischen Zeit muss dies in aller Deutlichkeit gesagt werden.

Auf einem Werbeflyer wird das Bundeswehrzeichen mit einem Dreieck durchbohrt.

Obwohl es so aussieht, dass die Wehrpflicht abgeschafft und die Bundeswehr verkleinert wird, stimmt das nicht. Wir machen in unserem Flugblatt deutlich, dass es um Aufrüstung geht, dass es um Umrüstung der Bundeswehr in eine Interventionsarmee geht. Das ist ein starker Trend, eine Armee zu haben, mit der man dann die politischen Konflikte austrägt.

Neben der Beendigung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan fordern Sie auch ein Ende der Konflikte in Nahost. Gleichzeitig sammeln in Berlin linke Gruppen für den Aufstand in Syrien. Sie sagen dagegen »Hände weg von Damaskus und Teheran«.

Es geht um das »Zündeln an einer Tankstelle«. Dieses Gebiet ist so sensibel, und es ist absolut notwendig, dass alle Kräfte aufgerufen werden, konfliktlösende Mittel einzusetzen und zwar zeitig. Stattdessen läuft seit Monaten eine Kriegshetze, die nicht zu verstehen ist. Das kann man nur verantwortungslos nennen.

Das heißt, Sie wünschen sich, dass die Menschen vor Ort selber die Konflikte lösen, ohne dass sich äußere Mächte einmischen?

Es heizt sich nicht so hoch, als wenn von außen Kräfte die überall vorhandenen Konflikte nutzen. Es ist noch nicht zu spät für eine Politik, die Krieg nicht zulässt, sondern die alles tut, dass beispielsweise der Nahe Osten ein befriedeter Bereich wird. Wir sagen deshalb auch, dass die Forderung der UNO nach einer atomwaffenfreien Zone in Nahost eine wichtige Lösung ist, die keinen Staat bevorteilt, sondern ein Mittel wäre, mit dem die Kriegsgefahr zurückgedrängt werden könnte.

Viele Waffen kommen aus Deutschland. Welche Rolle spielt das für Ihren Friedensmarsch?

Wir werden, wie vor zwei Jahren, wieder an den Dependancen der Rüstungslobbyisten im Zentrum der Hauptstadt vorbeiziehen und über deren ungutes Handeln aufklären. Denn durch keine Waffen kommen derzeit so viele Menschen um wie durch die sogenannten Kleinwaffen von Heckler & Koch. Deren Export muss die Politik unterbinden.

Der Ostermarsch hat ein Altersproblem. Bietet das Anti-Rüstungsthema Anschluss für Jüngere?

Die Leute, die ständig in der Friedensbewegung arbeiten, das sind nach wie vor Ältere. Doch durch Kampagnen wie »Schule gegen Militär« werden auch Jüngere angesprochen. In diesem Jahr gibt es darüber hinaus eine Zwischenkundgebung vor der US-amerikanischen Botschaft am Brandenburger Tor, bei der wir diese symbolisch mit Transparenten umzingeln wollen - in Solidarität mit Mumia Abu Jamal und generell gegen die Todesstrafe weltweit. Auch diese Aktion wird jüngere Menschen ansprechen.

Mit vielen Teilnehmern rechnen Sie?

Das kann man nicht vorhersehen. Wir sind nur wenige Leute und es gibt kaum Geld für Plakate und Werbung. Wir machen das alles selbst.

Fragen: Martin Kröger

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 5. April 2012


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