"Sanktionen fördern Konflikte, anstatt sie zu lösen"
Karin Leukefeld beim Ostermarsch Rhein-Ruhr *
Liebe Freundinnen und Freunde!
Wir leben in einer gefährlichen Zeit. Kriegstrommeln werden gerührt.
Stimmen für Dialog und Frieden werden denunziert und niedergemacht. Das internationale Völkerrecht wird missachtet und verkommt. Kriegstreiber und Waffenhändler haben das Sagen und werden gestärkt von Medien, der so genannten "4. Macht", anstatt die politische Macht und ihren Apparat zu kontrollieren.
Anstatt Unrecht, Heuchelei und Lüge aufzuzeigen und alle Seiten zu Wort kommen zu lassen, damit die Öffentlichkeit sich ein Bild machen und verstehen kann, begleiten Medien wie die Kriegstrommler und Trompeter früherer Heere die neuen Beutezüge der westlichen Welt.
Im Wettlauf mit den so genannten "sozialen Medien` feuern herkömmliche Medien - nicht alle, aber zu viele - Konflikte an, anstatt sie zu hinterfragen. Mit einseitiger Berichterstattung, ungeprüften angeblichen Fakten und dem Verschweigen bekannter Tatsachen drängen sie zum Handeln, anstatt Ereignisse transparent zu machen.
Medien kontrollieren nicht mehr die politische Macht, sie sind Teil dieses Machtapparats geworden.
Sie trommelten zum Krieg gegen Afghanistan.
Sie trommelten zum Krieg gegen den Irak.
Sie trommelten zum Krieg gegen Libyen
und heute trommeln sie zum Krieg gegen Syrien und gegen Iran.
Der westliche Blick auf die Geschehnisse im Mittleren Osten ist häufig getrübt. In der arabischen Welt selbst, wo ich als Korrespondentin arbeite, in Asien, Afrika und Lateinamerika ist der Blick anders, vielfältig und vor allem offen.
Man erinnert sich daran, dass Juden, Christen und Muslime dort Tür an Tür lebten und gemeinsam eine einzigartige Kultur formten. Man erinnert sich an die Kreuzzüge des Mittelalters, an Jahrhunderte osmanischer Besatzung der arabisch-islamischen Welt. Man erinnert sich an Jahrzehnte von Bevormundung und Unterdrückung durch Frankreich und Großbritannien, die nach dem Ende des 1. Weltkrieges den Irak, Syrien und das historische Palästina unter sich aufteilten und ungefragt neue Grenzen zogen. Man weiß, dass die arabischen Staaten die Gründung des Staates Israel ablehnten. Man spricht über die Besatzungsmacht Israel, die unfähig und unwillig ist, Frieden mit ihren Nachbarn zu schließen, bewaffnet ist bis an die Zähne, die das Völkerrecht verhöhnt.
Und man sieht die energiehungrigen Industriestaaten in Ost und West, die gierig nach den Rohstoffen der Region greifen. Während Russland, China und Indien ihre Bedürfnisse durch Handelsabkommen sichern wollen, greifen die USA und ihre Bündnispartner in der NATO militärisch durch, um Rohstoffe und ihre geostrategischen Interessen abzusichern.
Unter dem Vorwand von Menschenrechten wurde der Sudan zerteilt, Somalia zerstört, Jemen zu einem Schlachtfeld mit Al Khaida aufgerüstet. Der Irak wurde unter falschen Vorwänden überfallen und zerstört, wie Libyen im vergangenen Jahr.
Wie heute Syrien und morgen der Iran?
Syrien, das in seiner langen Geschichte für Hunderttausende Flüchtlinge - Tscherkessen, Armenier, Palästinenser, Sudanesen, Iraker - zu einer neuen Heimat wurde. Das Frieden mit seinen Nachbarn sucht, doch auf seinem Recht beharrt, die von Israel annektierten Golanhöhen zurückzubekommen.
Ja, es gibt berechtigte Forderungen der Syrer nach Demokratie und Bürgerrechten. Sie wollen ihr Land friedlich verändern, wie mir unzählige Gesprächspartner in Syrien versicherten. Sie lehnen bewaffnete Gewalt ab, egal von welcher Seite. Doch werden diese Stimmen kaum gehört in dem Getöse, das westliche Politik und Medien veranstalten.
Es ist noch nicht lange her, da war West-Deutschland Frontstaat in einer bipolaren Weltordnung gegen den Osten. Nach dem Zerfall des so genannten Ostblocks und der deutschen Wiedervereinigung vor mehr als 20 Jahren stand Deutschland mit den USA auf dem Siegerpodest. Heute ist Deutschland mit 11 Prozent Anteil am Weltmarkt nicht nur der drittgrößte Waffenexporteur weltweit, mit der Waffe der Sanktionen führt Deutschland Wirtschaftskriege in aller Welt. Auf die betroffenen Staaten wirken Sanktionen wie die Belagerung einer Stadt im Mittelalter. Sie schnüren dem Land wirtschaftlich, politisch und sozial die Luft ab. Ziel ist nicht, der Bevölkerung zu helfen, Ziel ist immer, eine nicht genehme politische Führung zu zwingen, den Willen derjenigen zu erfüllen, die die Sanktionen verhängen.
31 Länder stehen auf der Liste der EU Sanktionen, selbst gegen Al Khaida wurde ein "Waffenembargo, Einreiseverbote und die Beschlagnahme der Finanzen verhängt", wie die SZ kürzlich berichtete.
In weniger als einem Jahr verschärfte die EU 13 Mal die Sanktionen gegen Syrien. Das Ölembargo führte direkt zu einem Mangel an Heizöl, was die Syrer im Winter schmerzlich vermissten. Selbst Länder, die syrisches Erdöl kaufen oder Firmen, die Öltransporte ausführen und versichern, sollen bestraft werden.
Sanktionen treffen immer die Bevölkerung, sie zerstören die wirtschaftliche und soziale Struktur eines Landes, was im Irak nach 13 Jahren UN-Sanktionen gut zu sehen war. Irak, einst Vorbild im Mittleren Osten für Bildung und Gesundheitsversorgung, ist heute ein hochkorrupter Staat. Sanktionen fördern Korruption und Schwarzhandel. Somalia, Myanmar, Afghanistan und Irak sind nach Transparency International die korruptesten von 178 gelisteten Staaten, gegen alle vier Staaten haben die Westmächte Sanktionen verhängt.
Es gibt keinen völkerrechtlich anerkannten Mechanismus, sich gegen Sanktionen zu wehren. Umgekehrt aber können Staaten und Firmen, die Sanktionen missachten, wirtschaftlich ebenfalls bestraft werden. Dieses bösartige Kampfmittel wird zumeist gegen Entwicklungsstaaten angewandt, die ohnehin wirtschaftliche Probleme haben und auf Im- und Export angewiesen sind.
Sanktionen fördern Konflikte, anstatt sie zu lösen. Sanktionen bereiten Kriege vor und müssen - wie Waffenexporte - hier gestoppt werden, in Deutschland und Europa, von wo sie ausgehen!
Wie alle Menschen auf der Welt haben auch die Syrer ein Recht auf Demokratie und Entwicklung, auf Bürgerrechte und Freiheit. Und sie haben das Recht, ihre Zukunft selber zu bestimmen. Mit der Militarisierung ihres inneren Konflikts, mit der Aufrüstung zweifelhafter Aufständischer durch Saudi Arabien und Katar, die selbst Oppositionelle bedrohen, wird den Syrern dieses Recht aus den Händen genommen.
Und wer sagt, dass politische Veränderungen nicht auch langsam und allmählich erreicht werden können, wenn ein Volk es wirklich will? Die Demokratisierung Europas hat Jahrhunderte gedauert und ist längst nicht abgeschlossen!
Ich möchte zum Schluss an den Schwur von Buchenwald erinnern, der auch 67 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs hoch aktuell ist. Am 19. April 1945 schworen die überlebenden Gefangenen des Konzentrationslagers Buchenwald:
Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Fast 70 Jahre nach diesem Schwur sind wir weit von diesem Ziel entfernt.
Alle Friedensbewegten müssen weiterhin - und nicht nur an Ostern - aufstehen und streiten für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit. Damit auch Deutschland dort ankommt, wo der einzige Platz für Deutschland ist, wenn es die Lehren aus zwei Weltkriegen gelernt hat: in den Reihen einer weltweiten Friedensbewegung. Ohne Militarisierung, ohne Heuchelei und ohne Bevormundung.
Im Sinne des Völkerrechts und der Selbstbestimmung der Völker gilt damals wie heute:
Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!
* Am 7. April in Düsseldorf
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