Krieg darf kein Mittel der Politik sein!
Rede von Lühr Henken beim Berliner Ostermarsch 2012
Liebe Ostermarschiererinnen, liebe Ostermarschierer, liebe Berlinerinnen, liebe Berliner!
Die Meldungen aus Afghanistan über die Folgen von Koranverbrennungen und Massaker an Zivilpersonen machen immer deutlicher, wie verheerend sich Militärinterventionen auf die Lösung von Konflikten auswirken. Seit Beginn der US-geführten Militärintervention vor über zehn Jahren hat der Krieg in Afghanistan und Pakistan mehr als 160.000 Menschen das Leben gekostet. Eine weitere Fortsetzung des Krieges bis 2014 und darüber hinaus, muss verhindert werden. Ich möchte noch einmal die Forderung nach einem sofortigen Abzug von Bundeswehr und NATO aus Afghanistan bekräftigen. Diese Forderung meint nicht, einen Teilabzug und eine Stationierung von Soldaten bis zum Sanktnimmerleinstag, wie die NATO es vorhat, sondern den vollständigen Abzug. Erst der vollständige Abzug schafft die Voraussetzung für einen Frieden in Afghanistan.
Liebe Friedensfreundinnen, liebe Friedensfreunde,
die israelische Regierung droht mit einem Angriff auf iranische Atomanlagen. Der Bau iranischer Atomwaffen soll damit bekämpft werden.
Stellen wir uns für einen Augenblick vor, der Iran hätte eine Atomwaffe und entsprechende Trägermittel. Würde er diese gegen Israel in einem Erstschlag einsetzen? Falls ja, was hätte das zur Folge? Sicher ein zerstörtes Israel. Und für den Iran? Der Selbstmord, denn das würde zu atomaren Gegenangriffen des Westens führen und den Iran auslöschen. Würde der Iran Israel atomar angreifen? Ich denke: Nein!
Weshalb regt sich dann die israelische Regierung so auf? Ihre Antwort: Sie befürchtet eine Kettenreaktion. Dergestalt, dass Saudi-Arabien, der erbitterte sunnitische Rivale des Iran, seine Drohung tatsächlich wahr macht, sich im Falle einer iranischen Atombombe, auch atomar zu bewaffnen. Gleiches wird Ägypten und der Türkei unterstellt.
Die Folge wäre, Israel würde sich von islamischen Atommächten eingekreist und seiner Alleinstellung als Atomwaffenmacht im Nahen und Mittleren Ostens beraubt sehen. Israel fürchtet den islamischen Druck auf seine völkerrechtswidrige Siedlungs- und Besatzungspolitik gegenüber Palästina und Syrien. Mit einem Krieg gegen den Iran könnte sich Tel Aviv seine Träume von einem Großisrael bewahren.
Ich sage: Krieg darf kein Mittel der Politik sein! Der israelisch-palästinensische Konflikt muss auf dem Verhandlungsweg gelöst werden. Das Ziel muss eine Zweistaatenlösung und eine atomwaffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten sein.
Ins selbe Horn wie Israel stoßen die USA und die EU. Durch den Ausbau iranischer Raketen seien Europa und die USA selbst atomar bedroht. Mittels eines Raketenabwehrsystems und massiven Handels- und Finanzembargos soll der Iran gefügig gemacht werden. US-Präsident Obama droht dem Iran Krieg spätestens für den Tag an, an dem er über Atomwaffen verfügt. Er bezeichnet das nicht als Bluff. Es besteht also eine sehr ernste Kriegsgefahr.
Der Iran sieht sich bereits militärisch eingekreist. Israel ist Atomwaffenstaat mit Trägermitteln, die den Iran erreichen können. US-Truppen befinden sich in allen arabischen Golfstaaten, in Bahrain ist das Hauptquartier der 5. US-Flotte, in Katar das US-Luftwaffenkommando für die Zentralregion, das für den Iran zuständig ist. Die USA verstärken ihre Marineeinheiten im Persischen Golf. Irans Nachbar Türkei ist NATO-Land, der Nachbar Afghanistan beherbergt NATO-Truppen. Die USA rüsten die arabischen Golfstaaten mit Waffen für 120 Milliarden Dollar auf, während der Iran jährlich nur etwa 10 Milliarden Dollar für das Militär ausgibt. Die Frage stellt sich: Wer bedroht eigentlich wen?
Der Iran ist ein an Rohstoffen sehr reiches Land. Das Regime verfügt über die drittgrößten nachgewiesenen Erdöl- und die zweitgrößten Erdgasreserven der Welt. Der Iran und Pakistan sind sehr daran interessiert, eine Gaspipeline nach China, dem epochalen Herausforderer des Westens, zu bauen. Das ist ganz und gar nicht im US-Interesse. Die EU hat Interesse an iranischem Gas, um das 15 Mrd. Euro teure Projekt der Nabucco-Pipeline zu retten. Aber aus Sicht der EU ist das mit dem derzeitigen Regime in Teheran unmöglich. Das sind gewichtige Gründe für das Interesse an einem Regimewechsel im Iran.
Deshalb ist leider ein Szenario zu befürchten, wie wir es bereits sattsam vom Irak her kennen. Wir erinnern uns, dass nach strangulierenden Sanktionen, die Hunderttausende das Leben gekostet haben, auf Grundlage falscher Anschuldigungen 2003 der mörderische Überfall erfolgte. Anders als im Fall Irak, ist die Teilnahme der Bundeswehr an einem Irankrieg jedoch nicht ausgeschlossen. Denn die Bundesregierung dreht aktiv an der Sanktionsschraube und betont ihre Verantwortung für die Sicherheit Israels als deutsche Staatsräson. Bedeutsamer noch: Zwischenzeitlich ist die Bundeswehr besser für den Angriffskrieg ausgerüstet.
Liebe Freundinnen und Freunde,
zu einem Irankrieg darf es nicht kommen! Er hätte einen Flächenbrand an der Tankstelle der Welt zur Folge, den nicht nur wir hier zu spüren bekämen. Ich fordere: Verhandeln! Verhandeln! Verhandeln! Hände weg vom Iran!
Der einzige Freund des Iran in der arabischen Welt, das autoritäre Assad-Regime in Syrien, sieht sich seit über einem Jahr einem Aufstand gegenüber. Die anfangs friedlichen Demonstrationen wurden rasch durch Militarisierung an den Rand gedrängt. Das Assad-Regime verspricht sich vom Gewalteinsatz den Sieg, weil es sich haushoch überlegen fühlt. Die Regimegegner lehnen Verhandlungen mit Assad ab und setzen auf eine Militärintervention von außen. Einseitige Berichterstattung katarischer und saudischer Sender erzeugt ein Zerrbild der Situation, auf dessen Grundlage Syrien politisch, wirtschaftlich und finanziell mehr und mehr isoliert wird. Waffenlieferungen und immense Geldsummen aus Saudi-Arabien und aus anderen despotischen Regimen vom Golf an die Opposition heizen den Konflikt weiter an. Geradezu grotesk ist die Vorstellung, dem repressiven Saudi-Arabien ginge es um die Demokratisierung Syriens. Sie wollen Assad stürzen, um den Iran zu schwächen. Denn ein im Bürgerkrieg verstricktes Syrien kann dem Iran keine Hilfe sein.
In Syrien ist ein langer blutiger Bürgerkrieg zu befürchten, weil beide Seiten sich noch einen Sieg erhoffen. Das würde Flüchtlingsströme auslösen und zumindest Libanon direkt mit in den Konflikt hineinziehen.
Ich fordere alle Konfliktparteien auf:
Ergreifen Sie die Chancen des Annan-Plans! Legen Sie die Waffen nieder und verhandeln Sie über die demokratische Zukunft Syriens. Ich fordere einen umfassenden Stopp von Waffenlieferungen an alle Seiten!
Und Deutschland? Was macht die Bundesregierung? Sie stärkt die Fähigkeiten der Bundeswehr, weltweit militärisch eingreifen zu können. Die Luftwaffe verfügt über betonbrechende Marschflugkörper. Die Marine soll mit Marschflugkörpern an Land schießen können. Weitreichende Transportflugzeuge sollen Infanteristen und Schützenpanzer an entlegene Einsatzorte bringen. Zuvor sorgen Radarsatelliten und Großdrohnen für die weltweite Aufklärung. Weshalb? Um Interessenpolitik durchzusetzen. In den Richtlinien heißt es: „Zu den deutschen Sicherheitsinteressen gehört, (...) einen freien Zugang (...) zu natürlichen Rohstoffen zu ermöglichen.“
Ich sage: Krieg darf kein Mittel der Politik sein! Deshalb muss die Umrüstung der Bundeswehr in eine weltweit einsatzfähige Armee gestoppt werden!
Deutschland hat sich in den letzten Jahren zum drittgrößten Waffenexporteur der Welt und zum größten in der EU entwickelt. 2010 war ein Rekordjahr für den deutschen Rüstungsexport. Günter Grass spricht zu recht von einer Schande. Rüstungsexporte führen nicht zur Stabilisierung einer Region, sondern fördern die Kriegsgefahr.
Das repressive Saudi-Arabien wünscht von Deutschland 270 Leopard-Kampfpanzer, mit denen schiitische Aufständische niedergeschlagen werden können – das insbesondere im Krieg mit dem schiitischen Iran. Die Bundesregierung darf dem nicht zuzustimmen! Eine Lieferung der Kampfpanzer würde die Kriegsgefahr gegen den Iran erhöhen.
Deutschland hat bereits drei nuklearwaffenfähige U-Boote an Israel geliefert, zwei weitere sind in Bau, eins in Planung. Die drei ersten taktischen U-Boote verschaffen Israel eine atomare Zweitschlagfähigkeit. Die drei neuesten U-Boote verfügen darüber hinaus über einen neuartigen Brennstoffzellenantrieb. Er ermöglicht ihnen, unbemerkt nahe vor die iranische Küste zu fahren, um mit den 1.500 km weit fliegenden Raketen auch den Süden Irans treffen zu können. Anders als der Iran, ist Israel dem Atomwaffensperrvertrag nie beigetreten und entzieht sich so einer internationalen Aufsicht. Seine Regierung droht mit einem Präventivschlag gegen den Iran. Ich begrüße es sehr, dass der Nobelpreisträger Günter Grass den Mut hatte, auf die friedensgefährdende Politik der israelischen Regierung hinzuweisen.
Ich fordere die Bundesregierung auf: Stoppen Sie diesen Rüstungsexport!
Noch ist es nicht zu spät.
Stoppen Sie nicht nur diesen, sondern alle Rüstungsexporte! Richten Sie einen Konversionsfond ein, aus dem Gelder für die Umstellung auf zivile Produkte gefördert werden! Ein Verzicht auf Rüstungsproduktion ist wirtschaftlich und gesellschaftlich leicht verkraftbar – das Töten von
Menschen dagegen nicht!
Liebe Ostermarschiererinnen, liebe Ostermarschierer!
Zum Abschluss eine Bitte: Unterstützt die „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ Sie setzt sich für die Aufnahme eines generellen Verbots des Waffenexports ins Grundgesetz ein.
* Abschlusskundgebung auf dem Pariser Platz, 7. April 2012;
Lühr Henken, Berlin, ist Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag.
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