atomwaffenfrei.jetzt
Rede von Regina Hagen beim Ostermarsch Odenwald (Michelstadt) *
Vergangenes Jahr fanden am Ostermontag in ganz Deutschland große Demonstrationen an
sämtlichen Atomkraftstandorten statt. Dort wurde der Katastrophe in Japan und dem Super-
GAU in Fukushima wenige Wochen zuvor sowie dem 25. Jahrestag des Super-GAUs von
Tschernobyl gedacht. Es wurde die Abschaltung aller Atomkraftwerke gefordert, und diese
Forderung steht bis heute. Schaltet alle Atomkraft werke ab, das Risiko des Betriebs ist
viel zu groß!
Bei den gemeinsamen Protesten von Anti-Atom- und Friedensbewegung wurde neben dem
nicht tragbaren Risiko des Betriebs ein weiterer Aspekt von Atomenergie thematisiert. Der ist
mit folgendem Slogan gut umschrieben: „Nuclear Power Powers the Bomb.“ Der
Zusammenhang wird auch deutlich am japanischen Sprachgebrauch: hibakusha ist nämlich
das japanische Wort für die »Opfer der Atombombe[n]« von Hiroshima und Nagasaki und für
»strahlenverseuchte Person«.
Vor einem Jahr schrieben neun TrägerInnen des Nobelpreises für Frieden die Staats- und
Regierungschefs der 31 Staaten an, in denen nukleare Leistungsreaktoren betrieben werden
oder entsprechende Pläne bestehen. Sie schreiben: „Die Befürworter von Atomenergie müssen
der Tatsache ins Auge sehen, dass Programme zur Erzeugung von Atomenergie die Zutaten
liefern, die für den Bau von Atomwaffen benötigt werden.“[1] Und sie weisen darauf hin, dass
es im Konflikt um das Atomprogramm im Iran genau um diesen Zusammenhang geht.
Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die nukleare Kette zur Erzeugung von Brennstoff für
Atomkraftwerke unterscheidet sich nur wenig von der nuklearen Kette zur Erzeugung des
Stoffs für die Bombe. Beide Produktionsketten beginnen beim Uranabbau, bei beiden spielt
die Urananreicherung eine Schlüsselrolle. Das ist nicht nur bei der iranischen
Urananreicherung in Natanz so, sondern auch bei der Urananreicherungsanlage in Gronau in
Nordrhein-Westfalen. Daher fordern wir die Stilllegung der Urananreicherung in
Deutschland! Die Anlage in Gronau muss ebenso wie die AKWs stillgelegt werden!
Dieses Dual-Use-Potential von Kernenergie wird in unseren Medien allerdings nie mit
unseren eigenen Fähigkeiten in Verbindung gebracht, sondern immer nur mit denen im Iran. Ja, das dortige Atomprogramm schafft das Potential für den Atomwaffenbau, das liegt in der
Natur der dafür erforderlichen Technik. Und nein, natürlich gefällt uns das nicht – wir wollen
einen Iran ohne Atomwaffen – und ohne Atomenergie!
Die Debatte in Deutschland unterstellt allerdings, es gäbe für Atomwaffen »falsche« und
somit auch »richtige« Hände. Das stimmt aber nicht! Atomwaffen gehören in gar keine
Hände, weder im Iran noch anderswo – Atomwaffen gehören einfach abgeschafft!
In den letzten Tagen ereiferten sich die Medien bei uns über das Gedicht »Was gesagt werden
muss« von Günter Grass, das am Mittwoch in der Süddeutschen Zeitung abgedruckt wurde.[2]
Fast reflexhaft wird Grass der Vorwurf »Antisemitismus« entgegengeschleudert. Ob sein
Gedicht in einigen Jahren oder Jahrzehnten als große Literatur angesehen wird, das wage ich
zu bezweifeln. Eines aber hat Grass unzweifelhaft geschafft: Er hat das sonst vornehm
verschwiegene oder in einen kurzen Nebensatz verpackte israelische Atomwaffenarsenal auf
die Titelseiten der Zeitungen gebracht. Auch die Lieferung deutscher U-Boote, die Israel mit
Cruise Missiles und Atomsprengköpfen ausstatten kann, wird endlich nicht mehr nur in
Insiderkreisen und der Friedensbewegung angesprochen. Das Beispiel Israel zeigt: Wir
müssen endlich über die Arsenale aller Atomwaffenländer reden. Und die »Aktion Aufschrei«
kommt mit der Forderung nach einem Ende des Waffenexports aus Deutschland gerade zur
rechten Zeit: Stoppt den Waffenhandel!
Für Atomwaffen gibt es keine richtigen Hände, und vor 42 Jahren haben die
Atomwaffenstaaten im Atomwaffensperrvertrag unterschrieben, dass sie
Abrüstungsgespräche führen und alle Atomwaffen abschaffen werden. Dennoch gibt es laut
SIPRI noch immer 20.000 dieser Massenvernichtenden Waffen. 20.000 Sprengköpfe, viele
mit der vielfachen Zerstörungskraft der Bombe von Hiroshima. Etliche tausend davon sind
auf Knopfdruck jederzeit startbereit. Damit nicht genug: Alle Atomwaffenstaaten planen
umfangreiche Modernisierungsprogramme oder führen diese schon durch.
Das gilt auch für die Atomwaffen der USA, die im Rahmen der »nuklearen Teilhabe« noch
immer bei uns in Deutschland und vier weiteren NATO-Ländern stationiert sind. Die B61-
Bombe in Büchel soll nach Plänen der USA für die nächsten Jahrzehnte fit gemacht werden.
Die NATO hat in ihrem neuen Strategischen Konzept die so genannte »nukleare
Abschreckung« fortgeschrieben. Und beim nächsten NATO-Gipfel im Chicago Mitte Mai
dieses Jahres soll ein weiteres Papier verabschiedet werden, das Ergebnis des seit Monaten
laufenden »Defense and Deterrence Posture Review«. Kernpunkt des neuen Beschlusses soll
die Beibehaltung der Atomwaffen in der NATO-Doktrin sein sowie die Umsetzung der
amerikanischen Pläne für eine ganz Europa einbindende Raketenabwehr. Werden diese Pläne
umgesetzt, dann wird Russland niemals Verhandlungen über weitere Abrüstung zustimmen.
Wir fordern die Aufgabe der nuklearen Teilhabe in der NATO und die Aufgabe der
Raketenabwehrpläne!
Die Friedensbewegung muss sich in die Debatte um Atomwaffen eindeutig mehr einmischen
als bisher. Daher wurde vor zwei Wochen die Kampagne »atomwaffenfrei.jetzt« gestartet.
Informationen dazu finden Sie auf der Website atomwaffenfrei.de. Die Forderungen der
Kampagne müssen wir alle uns zu eigen machen:
-
Verbot und Vernichtung aller Atomwaffen – weltweit!
- Keine Modernisierung von Atomwaffen!
- Abzug der Atomwaffen aus Deutschland!
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
[1] Open Letter to World Leaders, April 26, 2011; from Nobel Peace Laureates Betty Williams, Ireland (1976), Mairead Maguire, Ireland (1976), Rigoberta Menchu Tum, Guatemala (1992), Jody Williams, USA (1997), Shirin Ebadi, Iran (2003), Wangari Maathai, Kenya (2004), Archbishop Desmond Tutu, South Africa (1984), Adolfo Perez Esquivel, Argentina (1980), President Jose Ramos Horta, East Timor (1996).
Übersetzung des Zitats durch R.H.
[2] sueddeutsche.de/kultur/gedicht-zum-konflikt-zwischen-israel-und-iran-was-gesagt-werden-muss-1.1325809
* Am 7. April 2012; Regina Hagen ist Redakteurin der Zeitschrift Wissenschaft & Frieden
Zurück zur Seite "Ostermarsch 2012"
Zur Seite "Friedensbewegung"
Zurück zur Homepage