Kriege sind das Eingeständnis einer verlorenen Menschlichkeit
Eine Rede von Eugen Drewermann *
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Liebe Freundinnen und Freunde des Friedens!
Von ganzen Herzen danke ich Ihnen für Ihr Engagement am heutigen Mittag, sich einzusetzen für den Frieden und Nein zu sagen gegen den Krieg in jedweder Form, die uns von den Mainstream-Medien präsentiert wird. Es sind drei Forderungen, die wir seid langem erheben und die gar nicht deutlich genug betont werden können:
-
Das ist zum ersten: Endlich raus aus Afghanistan!
- Zweitens - in logischer Konsequenz - Raus aus der Nato!
- Und Drittens: Ein eindeutiges Nein zur Umformung der Bundeswehr in eine Berufsarmee von vielen Spezialisten unter besonderem Training zu global operierenden offensiven, aggressiven Einheiten.
Selbst wenn die Zeitungen berichten werden, dass die Teilnahme an den Friedensdemonstrationen quantitativ zurückgehen würden: Wir vertreten nach wie vor den größten Teil der deutschen Bevölkerung. Nach über zehn Jahren der Dauerpropaganda, wir verteidigten die Bundesrepublik ausgerechnet am Hindukusch, glauben diesen Unfug 70 Prozent der Bevölkerung nach wie vor nicht. Im Gegenteil: Wir sehen, wie viele Zehntausende von Menschen dieser aberwitzige Krieg inzwischen gekostet hat. Der so genannte Friedensnobelpreisträger Obama geht inzwischen dazu über, verdeckte Drohnen, technisch automatisierte Hochleistungswaffen, in Auftrag zu geben, sodass in 10.000 km Entfernung von Tucson/Arizona aus in Pakistan gezielt getötet werden kann und soll. Der Amerikanische Justizminister lässt uns wissen, dass diese Art des Mordens absolut legal sei - im Sinne der „Selbstverteidigung“. Also: Du kennst deinen Nachbarn und hegst den Verdacht, er könnte gegen dich gewalttätig vorgehen; dann gibt diese Rechtslogik dir das Recht, ihn präventiv, ihn „präemptiv“ zu erschießen.
I
Internationales Recht wird flagrant gebeugt. Aber die US–Armee macht weltweit, was sie will. Und gibt das dann als Rechtsanspruch, auch bei der UNO und zunehmend in den Mainstream–Medien, in Auftrag. Deutsche Soldaten haben noch nie etwas verloren gehabt in Afghanistan, amerikanische nicht, französische nicht, die NATO nicht. Die bekämpfen in Afghanistan nicht den Terror. Und die Taliban, gegen die da vorgegangen wird, waren bis 2001 im Juli die Verbündeten der Vereinigten Staaten von Amerika. Sie hörten auf es zu sein, als in den Verhandlungen im Sommer 2001 den Amerikanern verweigert wurde, zwei Pipelines vom Kaspischen Meer hinüber zu legen zum Persischen Golf. Dann hatte Dick Cheney seinen Angriffsplan fertig in der Tasche. Und 9/11 war der Vorwand, gegen Afghanistan vorzugehen.
Der Weg dahin allerdings war lang. Und der begann mit einer Serie von Lügen. Es waren die Partei der Grünen und die SPD, die den Deutschen anlässlich des Kriegs auf dem Balkan erklärten, dass es nunmehr - in Ex–Jugoslawien - darum ginge, Auschwitz zu vermeiden. Was man uns nie gesagt hat, war, dass das Desaster auf dem Balkan begonnen hatte mit den Planspielen von Klaus Kinkel, damals noch im Bundesnachrichtendienst, ehe er später Außenminister wurde. Man müsste die ethnische Frage auf dem Balkan nach dem Ende des Tito–Regimes ausnützen zur Destabilisierung des Landes. Das war der Grund, warum Herr Genscher als erstes Kroatien anerkannte und damit die Lunte an das Pulverfass legte. Selbst die Verhandlungen in Rambouillet 1999 um das Kosovo hätte man friedlich lösen können, hätte nicht Frau Madeleine Albright unbedingt ihren Krieg auf dem Balkan haben müssen. Nicht um irgendetwas dort zu befrieden, sondern um die Südflanke des Balkans zu arrondieren. Und Außenminister Fischer war verlogen genug, uns zu erzählen, dass der Hufeisenplan fertig läge zu einem völkerkriegsähnlichen Genozid.
Lauter Lügen, die die Deutschen umstimmen sollten, wieder in Reih und Glied mitzumarschieren. Sie tun es bis heute nicht, Gott sei Dank. und deren Sprachrohr sind wir heute Mittag. Ich bin deswegen dankbar und froh, dass daran erinnert wird, was dieser Krieg immer noch für Opfer kostet. Abgereichertes Uran, als Material in Panzergranaten verwandt, lagert seit zwei Kriegen im Irak, verstrahlt die Bevölkerung und diejenigen, die es dahingeschossen haben. Die US–Army hat keinen Finger krumm gemacht die Altfolgen ihrer Kriegführung zu entsorgen. Ganz im Gegenteil! Nicht einmal die Rücksicht auf ihre eigene Soldateska nötigte sie zu irgendwelchen Wiedergutmachungen.
1991 beispielsweise wurden, in Vermutung furchtbarer „Cocktails“ der irakischen Armee auf dem Gebiet von Giftgas und bakterieller Kriegführung, die amerikanischen und britischen Soldaten gegen alle möglichen Gefahren geimpft. Die Folge war die sogenannte Golfkriegskrankheit. Sie ist bis heute nicht anerkannt. Und wenn eine amerikanische Frau darüber klagt, dass ihr Mann impotent sei, dass ihr Mann geistig verwirrt sei, dass er Krebs hat, leugnet das Pentagon seit 20 Jahren, dass das irgendetwas zu tun hat mit dem zweiten Golfkrieg unter Bush, dem Älteren. Nicht einmal die Rücksicht auf die eigenen Soldaten veranlasst die Kriegsführer auf irgendein Argument der Humanität einzuschwenken. Umso wichtiger ist, dass wir laut und deutlich sagen: Krieg ist niemals ein Instrument, menschliche Zielsetzungen durchzusetzen.
Praxis des Krieges ist das Morden von Menschen, nicht das Retten von Menschen. Eben deswegen verweigern wir uns den Planspielen zum möglichen Eingreifen in Syrien. Es ist absurd zu argumentieren, wir wollten dort Menschen retten, indem wir militärisch hineingehen, wenn sämtliche Verhandlungen so geführt werden, dass man der Rebellenarmee mit militärischer, elektronischer Logistik und mit riesigen Geldzuwendungen eine Aufrüstung bis zum Bürgerkriegseinsatz ermöglicht, gleichzeitig aber vom Assad–Regime Rückzug aus den Großstädten verlangt. Verhandlungen, wie sie Lawrow führen möchte seit Wochen, bestünden darin, beide, Regierung wie Rebellen, dazu zu bringen, sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Und das ist die einzige Art, überall zwischen Menschen Frieden zu bewahren oder wieder zu ermöglichen. Miteinander zu reden und die absurde Logik der Gewalt mit Waffen hintan zu stellen.
Es mag leider so erscheinen in der Evolutionstheorie, als hätte die menschliche Spezies die Keule ein paar hunderttausend Jahre vor der Sprache erfunden. Aber das ist kein Grund für Regierenden, heute noch immer eine Politik zu betreiben, als säßen wir in einer Stammeskultur mitten in der Steinzeit unter Kannibalen. Wir befinden uns in einer Zivilisation, und an deren Rändern dulden wir nicht den Krieg als eine Krake, die uns sämtliche humanitären Zielsetzungen absaugt. Das ist die Perversion dessen, was wir eigentlich wollen. Frieden wird nicht erreicht durch Gewalt und Krieg - so wenig wie die Wahrheit durch einen Sack von Lügen.
Wir haben miterlebt, was die Rettung von Menschen bedeuten kann, als die NATO es für nötig fand, unter Federführung von Sarkozy in Frankreich, sieben Monate lang Libyen, übrigens einen Ex - Verbündeten der westlichen Staatengemeinschaft, zum Regime Change zu bombardieren, mit Tausenden von Toten. Die Bürgerkriegsgefahr in Libyen ist immer noch nicht gebannt, und jeder sieht, dass es sehr wesentlich um das Erdöl ging. Um die Menschen geht es den Kriegsherren nie und nimmer. Es geht um den Zugriff auf Ressourcen in jedweder Form, und zwar nach der Logik: Wir wissen, was man damit macht. Wir brauchen sie, also gehören sie uns.
Ich sehe noch einen Guttenberg auf der Regierungsbank sitzen beim Verhandlungsmarathon im Deutschen Bundestag, als ihm vorgehalten wurde, wir verteidigten in Wirklichkeit nicht den Freiheitsanspruch oder den Frieden, sondern vielmehr wirtschaftliche Interessen. Er grinste dabei die Fragenden breit an und erklärte, dass dies in den fünfziger Jahren schon im Parteiprogramm der CDU/CSU nachzulesen stünde. Allerdings: Man hat den Köhler in die Wüste geschickt, weil er unbedachtermaßen beim Rückflug von Afghanistan davon redete, die deutsche Bevölkerung müsse sich eben daran gewöhnen, Krieg sei vielleicht auch nötig zur Sicherung von Wirtschaftsinteressen. Heute kann unser Verteidigungsminister de Maizière das ganz laut sagen. Und schon 2001 wusste Herr Schröder, als wir nach Afghanistan gehen sollten, sich genauso auszudrücken: „Wir verteidigen unsere Werte.“ So sollten wir denken, es ginge um Moral. Es ging Herrn Schröder aber ganz simpel um Wirtschaft. Um Erdöl, um Geostrategie, um lauter Dinge, die mit den Menschen, die wir retten wollen, nichts zu tun haben. Deswegen können wir nur sagen: Ihr könnt Lügen, so viel ihr wollt, ihr könnt die Springer–Konzerne und die Medien bei der Hand haben, dass sie jeder Art von Wahrheitsfälschung ausspucken. Wir werden diesen Wahn nicht glauben, dass Krieg imstande sei, irgendetwas menschlich–nützliches zu erreichen. Krieg ist im Prinzip sowohl in der Durchführung als auch in der Zielsetzung das Töten von Menschen und damit das Gegenteil von Humanität und Frieden. Eben deshalb sagen wir Nein zu all denen, die uns erklären, es sei unsere politische internationale Verantwortung, global kriegsfähig zu sein.
Desgleichen muss davon gesprochen werden, dass wir es leid sind, alle paar Tage zu hören, dass notfalls auch ein Angriff auf Teheran und den Iran nötig sei. 2005 schon ging das Gerede, dass in spätestens 3 Monaten, 6 Monaten der Iran über eine Atombombe verfüge. Das tut er bis heute nicht. Er hat den Atomwaffensperrvertrag unterschrieben und erklärt, dass er keine herstellen wolle. Anders als Israel, das im Besitz von 200 bis 400 Atombomben ist und keinerlei Rechenschaft darüber ablegt, was damit anzufangen sei. Obama hat einmal erklärt, wir sollten global die Atomwaffen abschaffen. Genau das ist es, was wir meinen. Ihr seid nicht groß in der Maximierung der Tötungskapazitäten mit Atomwaffen, Wasserstoffbomben, Neutronenbomben, was immer es sei. Schafft den ganzen Krempel ab!
Der Iran käme nicht einmal auf den Wunsch Atomwaffen herzustellen, wäre er nicht umgeben im Persischen Golf von amerikanischen Flugzeugträgern mit Atombomben und wäre er nicht erreichbar von Atombomben auch aus Israel. Und wäre nicht die NATO in Afghanistan im Besitz von Atombomben; an jeder Grenze - vom Irak, im Norden, im Westen, und im Süden - ist der Iran umgeben von Atomwaffen. Würde diese Bedrohung nicht sein, hätte man nicht nötig, in wahnsinniger Weise nach dem Besitz von Massenvernichtungswaffen zu streben. Und wieder zeigt sich, dass Abrüstung der beste Weg zum Frieden ist. Das war aber nicht die Parole von George W. Bush: „Frieden kommt aus dem Diktat der Stärke.“ Genau das tut er niemals. Und wären nicht die Ostertage, dürfte ich nicht daran erinnern.
Dass der Mann, den das römische Militär ermordet hatte, am Karfreitag genauso sagte: „Glücklich nenne ich auf dieser Welt die Menschen, die es wagen wehrlos zu sein“, will sagen: abzurüsten. Denn nur die schaffen den Frieden auf dieser Erde und nicht die Gepanzerten, nicht die mit eisernen Stiefeln durch Blut Watenden. Nicht die skrupellos Gewordenen und Seelenabgestorbenen. Die sind zynisch genug über Leichen zu gehen. In jeder Hekatomben Größe. Die schaffen nicht den Frieden, sie sind die verkörperte Unnatur des Krieges.
Solche Leute sollten nicht die Macht haben uns zu regieren. Und wir sollten dementsprechend wählen. Keine Partei im deutschen Bundestag will vorbehaltlos den Frieden, außer der Linkspartei. Und wir sollten den Mut haben, daraus politisch die Konsequenzen zu ziehen bei der nächsten Wahl in Nord-Rhein-Westfalen.
II
Desgleichen sagen wir zum zweiten: Raus aus der NATO.
Man macht sich schwer klar, wie selbstverständlich diese Forderung hätte sein können 1989. Nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes bot damals Gorbatschow dem Westen an, parallel dazu die NATO aufzulösen. Das hätte bedeuted, dass wir seit über 20 Jahren zwischen dem Ural und dem Atlantik eine militär- und waffenfreie Zone hätten.
Deutschland könnte seit 20 Jahren 35 Milliarden Euro, die es jährlich für Rüstung verplempert, endlich in die Ziele stecken, die an den Wurzeln der Kriege sich befinden und soziale Spannungen erzeugen. Darüber hinaus könnte man sich den wichtigen Dingen zuwenden wie der Alterssicherung, der Krankenversorgung, den Kindergärten, der Ausbildung - all den Dingen, für die wir scheinbar immer zu wenig Geld haben.
Zwanzigmal 35 Milliarden Euro ist allerdings nur das Salär, das in God`s Own Country die Vereinigten Staaten von Amerika in einem einzigen Jahr verplempern für die Weiterrüstung. Mehr als der Rest der Welt gibt alleine die US-Armee für Rüstung aus! Für Entwicklungshilfe ist niemals Geld da, für das Massenelend von Flüchtlingen ist niemals Geld da. Gegen die Schwarzafrikaner, die auf der Flucht vor dem Hunger streben nach Europa, wo sich die Balken biegen vor Nahrungsmitteln, richten wir elektronische Zäune ein und gehen mit Waffen gegen sie vor. FRONTEX sitzt in Warschau, bezahlt in Berlin, um sie abzufangen, militärisch, damit sie europäischen Boden gar nicht erst erreichen, denn wir haben für sie kein Geld. Aber für Militär, für Rüstung, für Material zum Töten in jeder Form verplempern wir ungeheure Summen. Nicht einmal 0,3 Prozent zahlt Deutschland für Entwicklungshilfe, aber wir stehen an dritter Stelle der Waffenexporte. Noch weit vor China, Indien, Frankreich, Großbritannien. Wir, die Deutschen, exportieren an dritter Stelle, weltweit. Und am schlimmsten dabei sind die Kleinkalibergewehre von Heckler & Koch. Massenvernichtungsmittel in den Händen von Rebellenarmeen, vor allem in Schwarzafrika. Dann aber sind wir völlig unschuldig am Ende, wenn wir die Folgen unserer Taten sehen?! Ein U-Boot – ausgerechnet! -, atomar bestückbar, nach Israel zu liefern in diesen Tagen ist nicht nur eine Schande, es ist ein klarer Verstoß gegen das Außenhandelsgesetz. Den Spannungszonen liefert man keine Atombomben!
Und das alles hat mit der NATO zu tun. Denn die beschloss 1989 statt abzurüsten und sich selber aufzulösen genau das Gegenteil. George Bush, der Ältere proklamierte die Osterweiterung der NATO. Und Kohl stimmte unbedingt diesem Plan zu. Seitdem haben wir neue Kriegsgefahr, weiteres Aufrüsten, und die NATO steht überall da, wo sie nicht hingehört. Inzwischen in Georgien, in Kasachstan, in Usbekistan, sie mischt mit in der Ukraine, sie baut Raketenschirme, dicht an der Grenze der Russischen Föderation.
Und so geht es an jeder Stelle weiter. Global versucht die NATO, geostrategisch den Fuß zu bekommen zwischen Indien und China und die Weltkontrolle vor allem über die Handelswege und den Zugriff auf die Ressourcen zu erhalten. Dabei mitzumachen bedeutet, dass wir uns einem Angriffssystem unterordnen und assoziieren. Alles Gerede darüber, wir müssten etwas verteidigen, verwandelt sich in eine blanke Lüge.
Die NATO verteidigt nicht, sie hat allein in den letzten 20 Jahren Kriege geführt im Irak, auf dem Balkan, in Afghanistan, gegen Libyen. Ein Krieg nach dem anderen. Sie hat mitgemischt in Georgien. Es gibt einen einzigen Staat, der weltweit alle paar Jahre neue Kriege braucht, um seine Minister und Präsidenten für stark zu erklären: Das sind die Vereinigten Staaten von Amerika und ihre Helfer in der NATO auf europäischem Boden. Umso absurder, das sich die EU anstrengt, dem gegenüber eine Parallelarmee aufzubauen, um auf ihre Weise groß zu werden. Wir sagen eindeutig: Derjenige, der glaubt Größe zu bewahren, indem er sich in den Stand setzt, möglichst viele Menschen töten zu können, ist so niedrig und verachtenswert, wie ein Mensch nur irgend sein kann.
Groß sind Menschen, die am Frieden arbeiten, und nicht diejenigen, die immer scheußlichere Mittel finden um Menschen zu töten. Sagen wir es also deutlich: Atomwaffen sind keine Waffen, es sind Mordinstrumente.
Es gibt keine biologischen Waffen, es gibt Volksseuchen zum Ausrotten von hunderttausenden und Millionen Menschen. Wer ernsthaft glaubt, damit irgendeinen Krieg führen zu können, befindet sich selber in einem Zustand, den man psychiatrisch kaum anders denn als wahnsinnig bezeichnen könnte. Solche Leute sollten nicht die Macht haben, zu regieren.
Sie müssen nur einmal sehen wer in der Zeit des sogenannten „Kalten Krieges“ bereits die Regierenden mit dem Instrument, atomare Einsätze in Kriege zu spielen, gedachten. Sie lesen nach in dem Buch „Yalu“ von Jörg Friedrich, wie Harry Truman dasitzt und in Sorge um seine Wiederwahl in sein Tagebuch notiert, wie viele Bomben man brauchen würde, um die kommunistische Hydra der Sowjetunion zu beseitigen. Ungefähr so: Zwei Bomben auf Petersburg, drei Bomben auf Moskau, vier auf Semipalatinsk, fünf auf Magnitogorsk und so weiter. Den so genannten Kalten Krieg geben wir vor gewonnen zu haben. Wir sollten uns stattdessen eingestehen, dass wir über 35 Jahre lang dabei waren, Regierungen zu dulden, die beim Start eines sogenannten 3. Weltkrieges mit dem Tod von vielen Millionen Menschen zynisch gespielt haben. Und die die Bevölkerung glauben machten, es sei akzeptabel, je nach Winddrehung, mit 100 Millionen Toten oder 150 Millionen Toten die Ouvertüre zum nächsten, militärischen Wahnsinn in die Weltgeschichte einzuführen. Menschen, die solche Pläne real für möglich halten, haben jedes Maß der Menschlichkeit verloren, und sie gehören kontrolliert von ihren Bevölkerungen, wenn denn der Name „Demokratie“ noch irgendeinen Sinn macht.
Seit 1989 hat die NATO auch aufgehört, die Tarnung einer Verteidigungsarmee weiter zu tragen, und sie hat sich offen in eine Angriffsarmee umgewandelt. Wenn ein Bündnis seine Zielsetzung ändert, kann man es nicht nur verlassen, man muss es verlassen, wenn die Änderung darin besteht, kriminelle Ziele zu organisieren. Auch das hat Günter Grass vor zehn Jahren bereits gesagt, die NATO sei eine mafiose Veranstaltung. Genau darin hatte er schon damals Recht.
III
Und wir müssen uns zum dritten dagegen wehren, dass man die Bundeswehr transformiert in eine Berufsarmee. In den Tagen des sogenannten Kalten Krieges konnte man den Soldaten erklären, sie lernten all die Furchtbarkeiten bis zum Einsatz von Atomwaffen nur um „abzuschrecken“. Mit anderen Worten: Wir spielten Soldaten, um nicht Soldaten sein zu müssen. Seit 1989 müssen wir genau das tun, was wir in den Übungen auf den Kasernenhöfen lernen, und die Realität holt uns in vollem Umfang ein. Das ist in Afghanistan leider Gottes für Hunderte von Soldaten die Lebenswirklichkeit geworden. Wir lernen nicht nur Menschen zu töten, wir werden Menschen töten, auf Befehl. Genau das bedeutet es in Deutschland seit 1989, Soldat zu sein. Immer noch aber konnte man sagen, im Notfall töte ich halt, um mein eigenes Leben zu retten. Ein Berufssoldat kann nur sagen, ich lerne zu töten, um vom Töten selber zu leben. Da ist das Wort „Soldat“ ganz ernst zu nehmen. Bezahltes Töten - unter Sold - auf Befehl.
Dass darin ein moralisches Problem liegt, wird in Deutschland überhaupt nicht ernsthaft diskutiert, ganz im Gegenteil, man richtet die Bevölkerung darauf ein, dass sie da Berufskiller ans Werk lässt, aus deren Praktiken am Ende Freiheit und Sicherheit geboren werden sollen. Das ist ungefähr so, wie wenn die Reklame uns beibringt, dass wir am Metzgertisch uns überhaupt nicht interessieren müssten für die Produktionsbedingungen der Massentierhaltung, wenn man uns das Kotelett und die Wurst schön verpackt über die Theke schiebt.
Auf diese Weise, herausgepresst aus dem Blut der Schlachtfelder der Welt, werden wir Freiheit und Frieden niemals uns über die Theke der Politiker schieben lassen. Wir lehnen es ab, auf diese Weise Frieden zu definieren, Freiheit verteidigen zu lassen oder sogar Menschlichkeit als schutzbedürftig auszugeben. Alle diese Werte werden geschützt mit dem Mut für den Frieden, der Verweigerung des Kriegs, und der unmittelbaren Hilfsbereitschaft gegenüber den Bedürftigen - in allen Punkten mit dem Gegenteil zum Krieg.
Aber es wird eine Frage an die kommende Generation. Sie sind schon dabei, einzudringen in die Universitäten und uns beizubringen, dass man ja auch forschen kann für die Waffenlobby und für die Rüstungsfabriken, und dass das genauso sei, als wenn wir forschen würden für die Verbesserung von Computertechnik. Sie werden in die Schulen eindringen und den Schülern beibringen, dass es wieder ehrenvoll sei, für das Vaterland zu sterben oder zumindest in die Schlacht zu ziehen und heroisch den Kampfeswillen zu trainieren. Wir sagen den Leuten von der Bundeswehr: Sie gehören nicht in irgendein Erziehungssystem, denn Sie sind das Gegenteil von dem, wozu wir unsere Kinder erzogen sehen wollen.
Es ist schlechterdings absurd, dass wir den 14-Jährigen in den Tagen vor Weihnachten erklären, dass der heilige Franziskus ein wunderbarer Mann gewesen sei, weil er laut Legende den „Wolf von Gubbio“ umarmt habe, und sogar ein Raubtier verwandelt habe in einen bettelnden Hund in den Straßen. Vier Jahre später wollen wir den gleichen Jungen beibringen, dass das mit Franziskus wohl eine schöne Sache gewesen sei, aber jetzt, liebe Leute, seid ihr erwachsen, und jetzt gilt es:
Verantwortung weltweit zu haben. Jetzt müsst ihr lernen auf Wölfe zu schießen. Denn das sind Raubtiere und man muss das Böse ausrotten auf dieser Welt. In solchen „Erziehungsprogrammen“ sind wir befangen von der Steinzeit bis zur Gegenwart. Und immer glauben wir, entsprechend den eigenen Gründungsmythen, es ließe sich das Böse ausrotten, in dem wir nur „die Richtigen“ treffen. Auf diese Art vermehren wir das Böse, indem wir selber uns in seine Handlanger verwandeln.
Wir tun so, als sei der Krieg just das richtige Mittel den Teufel zu treffen. Die Wahrheit ist: Wir verwandeln die ganze Welt in eine Hölle, solange wir den Krieg akzeptieren. Er muss entfernt werden aus den Köpfen, aus den Schulen, aus den Kindern. Er muss entfernt werden aus unseren Herzen. Deswegen gilt, dass Frieden gefunden wird einzig an den Verhandlungstischen Und dann ist die Beseitigung des Militärs kein blanker Traum mehr. Der Krieg entspricht der Logik der gesamten Geschichte im Verlaufe der letzten acht bis zehntausend Jahre. Man hat begonnen, mit der Bildung der Stadtstaaten so etwas einzurichten wie ein Gewaltmonopol des Staates. Die Bürger wurden befriedet, aber an den Rändern erlaubten die Regierenden sich, die Furie des Krieges in immer schrecklicherer Form von der Leine zu lassen. Nach dieser Logik wurden die Militärpakte immer größer, die Bevölkerungen immer friedfertiger. Und der Zustand ist jetzt, dass die Bevölkerung den Regierenden sagen: Die Option des Krieges hat ein Ende, denn es ist stets der Schleichweg und die Hintertür in den nächsten Krieg. Wir verriegeln diese Option, wir schließen euch die Schleichtüren in den nächsten Krieg zu. Wir wollen ihn nicht mehr.
Und wir stehen damit an der Spitze der geschichtlichen Entwicklung. Frieden ist die einzige Art der Zukunft, die wir haben. Und sie sollte nicht länger verspielt werden, durch atavistische Politikprogramme.
Nach der Logik, das die Bürger zu entwaffnen sind zugunsten eines Gewaltmonopols, das für Ordnung sorgt, hätten alle Nationalstaaten die Pflicht, ihre Armeen abzuschaffen und einen einzigen, justiziablen Organisationspunkt zuzulassen - der vermutlich in der UNO läge -, um lokal nicht lösbare Konflikte vor ein verbindliches Forum der Rechtssprechung zu stellen. Dann aber müsste die UNO aufhören, zum Spielball der amerikanischen Erpressung zu gehören und nichts weiter zu sein als die Sprechbühne zur Durchsetzung der globalen US–Interessen. Dann müsste vor allem die Vollversammlung der UNO rechtsentscheidend sein - und nicht eine korrupte Clique von so genannten Großmächten, die nichts weiter tun, als ihren eigenen Egoismus der Menschheit vorzuschreiben.
Es ist absurd zu glauben, das ausgerechnet die US-Armee - parallel dazu die NATO oder womöglich die Bundeswehr - im Stande wäre, für internationales Recht zu sorgen. Das kann nur sein, wenn die Interessenabhängigkeit der Rechtssprechung international ein für alle mal abgegeben wird zugunsten einer wirklichen Rechtsneutralität; und das bedeutet: Abschaffung aller Nationalarmeen.
Wie anders könnte die Welt aussehen, wenn wir ihre Zukunft etwas in diese Richtung beschleunigen würden, anstatt wieder durch ein Meer aus Blut die Menschen glauben zu machen, dass am Ende all des Kriegswahnsinns die Friedenstaube herbeikäme. Sie ist millionenfach ermordet worden und sie kann nicht kommen unter solchen Prämissen, denn immer wird der Krieg wieder - allein schon aus Gründen der Revanche und der Angst - zum Weiterrüsten und zum Weitermachen zwingen. Am Ende dürfen all die Opfer nicht sinnlos gebracht werden, und dann muss man wie jetzt in Afghanistan weiter machen - weiter machen, bloß weil man nicht verloren haben darf.
Kriege sind das Eingeständnis einer verlorenen Menschlichkeit. Wir sollten sie nie beginnen, wir sollten sie immer verweigern. Und wenn wieder davon die Rede geht, sie sei nötig, sollten wir all den Lügen nicht glauben, die da aufgetischt werden.
Sie stimmen samt und sondern nicht. Als 1947 in Basel ein deutscher Dichter darüber nachdachte, wie er nach allem, was er über den Krieg und gegen den Krieg geschrieben hatte, so etwas formulieren könnte wie ein Testament an die Menschheit, meinte Wolfgang Borchert es nicht besser tun zu können als in den Sätzen, die ein Fanal sind - im Abstand jetzt von mehr als einem halben Jahrhundert: Gültig für das kommende mindestens halbe Jahrhundert, bis wir es geschafft haben, das die Soldateska dahin gegangen ist, wo sie hingehört: ins Niemandsland des nie mehr Wiederkommens.
Wolfgang Borchert schrieb damals:
„Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen - sondern Stahlhelme und Maschinengewehre, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!
Du. Mutter in der Normandie und Mutter in der Ukraine, du, Mutter in Frisko und London, du, am Hoangho und am Mississippi, du, Mutter in Neapel und Hamburg und Kairo und Oslo - Mütter in allen Erdteilen, Mütter in der Welt, wenn sie morgen befehlen, ihr sollt Kinder gebären, Krankenschwestern für Kriegslazarette und neue Soldaten für neue Schlachten, Mütter in der Welt, dann gibt es nur eins: Sagt NEIN!
Du. Forscher im Laboratorium. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst einen neuen Tod erfinden gegen das alte Leben, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!
Du. Pfarrer auf der Kanzel. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst den Mord segnen und den Krieg heilig sprechen, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!“
Wir hier sagen nicht zuletzt auch den Kirchen, sie tun unrecht daran, Militärgeistliche einzusetzen bei der Begleitung der Soldaten. Sie sollten Nein sagen zum Krieg und für das Ende der Soldateska eintreten. Dann genügt es nicht, wenn seine Heiligkeit erklärt, es sollte Frieden sein, auch im Nahen Osten. Er sollte konkret sagen, die Landnahme-Politik gegen die Palästinenser muss ein Ende haben.
Er sollte konkret sagen: Austritt aus der NATO.
Er hat Gott sei Dank einmal angedeutet, vor ein paar Wochen, es müssten die Landminen verboten werden. Ja, bitte schön, es liegen allein im Boden von Afghanistan Millionen von Landminen; die zu entsorgen hätten wir jahrelang zu tun. Es liegen Landminen genügend herum in Afrika. Aber alleine das Verbot der Weitergabe von Landminen - an dritter Stelle dabei: Deutschland - scheint nicht möglich, weil immer wieder Amerika, Israel und die Großmächte Russland und China ihr Veto dagegen einlegen. Nicht einmal die Massenverwundung unschuldiger Kinder ist zu stoppen in einer Welt, in der der Krieg als Option offen gehalten wird. Eben deshalb sagen wir: Der Krieg ist keine Wünschbarkeit, er ist der Fluch einer Menschheit, die an ihrer eigenen Angst zu ersticken droht.
Der Friede aber kommt aus dem Mut von Menschen, die Ja sagen zum Frieden und Nein zum Krieg. Und dass sie es heute Morgen tun und hier stehen, dafür danke ich ihnen von Herzen.
Einen schönen, zweiten Ostertag.
* Die Rede wurde gehalten beim Ostermarsch 2012 in Kassel am 9. April 2012. Erstellung des Manuskripts nach einer Tonaufnahme. Etwaige Fehler sind der mangelnden Qualität der Aufnahme geschuldet.
Hier geht es zu einer
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Die Rede von Eugen Drewermann wird herausgegeben vom
Kasseler Friedensforum und vom Bundesausschuss Friedensratschlag
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Tel: 0561-93717974
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