Guy Fawkes trifft Karl Marx
Berliner Bundestag und Frankfurter Banken umzingelt: Zehntausende gingen gegen die Macht der Kapitalmärkte auf die Straße
Von Velten Schäfer *
Zuletzt waren die Occupy-Proteste in Deutschland abgeflaut, doch der Wieder-Einstieg der etablierten zivilgesellschaftlichen Linken in die Protestbewegung gegen die Macht der Kapitalmärkte könnte zu neuen, kraftvolleren Konstellationen führen. Am Samstag (12. Nov.) protestierten 20.000 in Frankfurt und Berlin. Der Berliner Bundestag und die Frankfurter Bankzentralen waren umstellt. Eine Nachlese.
Es ist nicht schwer, an diesem Samstagnachmittag vor dem Brandenburger Tor auf Guy Fawkes zu treffen. Die Maske des englischen Früh-Anarchisten, der in den Wirren der langen englischen Revolution einst plante, das britische Parlament in die Luft zu jagen und dafür vor einer wütenden Menge hingerichtet wurde, ist nicht nur das Symbol des politischen Hackernetzwerks Anonymous; auch in der seit einigen Wochen anhaltenden »Occupy«-Bewegung taucht sie immer wieder auf. Jetzt grüßt sie vom Hinterkopf eines Mannes um die 40, der mit laut Veranstalter 8000 anderen Menschen die Abschlusskundgebung des Berliner Arms der Demonstration gegen die Macht der »Finanzmärkte« verfolgt.
Berlin, wo die Occupy-Aktionen zuletzt spürbar nachgelassen hatten, sei damit wieder zurück in der Phalanx des weltweiten Widerstands, verkündet in diesem Moment auf der Bühne Christoph Bautz vom Kampagnennetzwerk Campact, das in Zusammenarbeit mit Organisationen wie Attac, Parteien und Gewerkschaften in nur zwei Wochen die Proteste organisiert hat. Das grinsende Guy-Fawkes-Gesicht, das 2005 durch die Verfilmung eines orwellesken Comic-Romans über ein faschistisches England der nahen Zukunft zu einer »Ikone« der Popkultur geworden ist, ist an diesem Nachmittag nicht der einzige Botschafter aus dem tatsächlich weltweiten Protestzusammenhang. Eine Reminiszenz an die Platzbesetzungen von Ägypten über Spanien über Israel bis in die USA, die vielerorts das Gesicht des Jahres 2011 bestimmt haben, sind auch die leichten Bergsteigerzelte, die eine Gruppe von Demonstranten unter großem Beifall in Richtung Bundestag reckt.
Andere Occupy-Spezialitäten wie das häppchenweise kollektive Nachsprechen von Redebeiträgen, das in New York aus der Not eines Megaphonverbotes geboren wurde, finden hingegen nicht so viel Resonanz unter den Bankenkritikern am Brandenburger Tor. Der Grund für diese Zurückhaltung manifestiert sich vielleicht in dem zweiten Porträt, das jemand ganz in der Nähe des grinsenden Comichelden in den Berliner Himmel reckt: Karl Marx, den man im Facebook-Account der Occupy-Netzwerker vergebens suchen wird.
Das mittlerweile traditionelle Protestspektrum, das sich im vergangenen Jahrzehnt in der Dauer-Defensive gegen Sozialabbau, Privatisierung, »Heuschrecken« und Krisenkosten herausgebilet hat, mag dem via Facebook in Mitte installierten Occupy-Lager bislang ein wenig reserviert gegenübergestanden haben. Dabei könnte ein gewisser politischer Fruist eine Rolle gespielt haben: Vor fast genau einem Jahr hatte das jetzige Aufruferbündnis zum Letzten Mal versucht, den Bundestag aus Protest gegen das sogenannte Sparpaket der Bundesregierung zu umzingeln, das die Krisenkosten im Wesentlichen nach unten weiterreichte. Doch die Aktion geriet mangels Resonanz zu einem Fiasko. Danach war erst einmal wenig zu hören aus dieser Ecke. Und andere Organisatoren mit ausreichendem Gewicht haben sich in den letzten Monaten offenbar nicht gefunden.
Mit der Aktion an diesem Samstag, bei dem knapp 20.000 Demonstranten in Frankfurt das Bankenviertel und Berlin die politische Schaltzentrale »umzingelten«, zeichnen sich nun neue Konstellationen ab. Trifft jetzt das erfrischende Momentum eines globalen, formell hypermodernen und für die Mainstream-Medien (noch) nicht dämonisierbaren Phänomens auf die organisatorische Kraft und entwickelten Diskussionen der eigentlich bestens eingespielten Bündnisse gegen Neoliberalismus und Börsenwertgesellschaft?
Während Fawkes für das gewisse Etwas sorgen mag, trägt die Traditionsecke Substanzielles zum Inhalt bei: Über den schmalen Mainstream der transnationalen »Okkupisten«, den Mitinitiator Kalle Lasn mit einer »Robin-Hood-Tax« auf alle Finanztransaktionen, der Trennung von Kunden- und Investmentbanking, einem Verbot des Computer-Hochgeschwindigkeitshandels und konsequenterer Korruptionsbekämfung umrissen hat, kommt das Berlin-Frankfurter Krisenbündnis allemal hinaus. Im Aufruf zur Samstags-Aktion war darüber hinaus immerhin von einer demokratischen Kontrolle des gesamten Bankensektors die Rede.
* Aus: neues deutschland, 14. November 2011
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