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Räumungsdrohung und Hetze

Occupy Frankfurt muss um sein Protestcamp bangen

Von Hans-Gerd Öfinger *

Dem Occupy-Camp vor dem Gebäude der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main droht die Räumung. Aktivisten wehren sich und setzen auf Solidarität.

In den letzten Tagen hatte der Ordnungsdezernent von Frankfurt ma Main, Markus Frank (CDU), ultimativ die Beendigung des Occupy-Zeltlagers bis zum 31. Juli verlangt und die Räumung angedroht. Als Grund wird unter anderem mangelnde Sauberkeit genannt.

Das Frankfurter Camp war Oktober letzten Jahres entstanden. Lediglich im Rahmen des mehrtägigen Verbots der Blockupy-Aktionstage im Mai dieses Jahres war es zu einer vorübergehenden Räumung durch die Bereitschaftspolizei gekommen. Während die meisten Camps in den nordamerikanischen Metropolen längst durch polizeiliche Räumungen oder Rückzug der Akteure beendet wurden, hat in der Bankenmetropole am Main ein harter Kern von Aktivisten in den Zelten und Hütten selbst bitterkalte Winternächte überstanden. Allerdings hat mit der monatelangen Duldung durch die Behörden auch eine Gewöhnung eingesetzt und das öffentliche Interesse am Camp abgenommen.

Die Occupy-Aktivisten setzen nun auf Solidarisierung und Mobilisierung ihrer Sympathisanten. Sie wollen an die Aufbruchstimmung ihrer Anfangszeit anknüpfen, als wochenlang mehrere tausend Unterstützer zu Solidaritätsdemonstrationen kamen. Jetzt rufen die Aktivisten für Sonnabend unter dem Motto »Für Demonstrationsfreiheit! Gegen Finanzdiktatur« wieder zu einer bunten und lautstarken Protestdemonstration durch die Innenstadt auf. Zu den angekündigten Rednern gehört der Theologe Gregor Böckelmann, ein bekannter Aktivist der Frankfurter Bankenproteste. Die Demonstration am Sonnabend dürfte die heiße Phase der Auseinandersetzungen um die drohende Räumung einleiten und einen Hinweis liefern, wie stark der öffentliche Rückhalt für das Occupy-Camp noch ist.

Aus Protest gegen die aus ihrer Sicht inakzeptable und einseitige Berichterstattung der Frankfurter Ausgabe der BILD hatten am Montag Occupy-Aktivisten vor den örtlichen Redaktionsräumen der Boulevardzeitung protestiert. Nach Ansicht der Aktivisten sollen die teilweise rassistischen Schlagzeilen der Zeitung dazu dienen, öffentlich Stimmung für eine Räumung des Camps zu machen.

Darüber hinaus sei es eine Lüge, wenn der Ordnungsdezernent behaupte, Occupy Frankfurt habe die angebotene Hilfe in Sachen Schädlingsbekämpfung »nicht angenommen«, heißt es in einer Veröffentlichung. Tatsächlich hätten Aktivisten Vertreter des Frankfurter Grünflächenamts mit einem von der Stadt bestellten Kammerjäger bei der Begehung des Camps begleitet. Zudem habe die Stadt vor wenigen Wochen gegenüber Occupy-Vertretern sogar ein Konzept für die menschenwürdige Umsiedlung von im Camp lebenden Obdachlosen in Aussicht gestellt.

Am Dienstag trat ein Aktivist von Occupy Frankfurt auf dem Campgelände in den Hungerstreik. Er will damit auf »die wichtigsten bedenklichen Entwicklungen unserer heutigen Zeit« hinweisen, »für deren Lösungen und Benennung ihrer Ursachen das Occupy Frankfurt Camp von Anfang an ein Symbol war«, heißt es in einer Presseerklärung. Damit solle direkt vor der EZB »ein Zeichen für den friedlichen, kreativen, globalen Widerstand« sowie »den Willen und die Opferbereitschaft der aufstehenden globalen Zivilgesellschaft« gesetzt werden.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 26. Juli 2012


Ernste Botschaft

Von Hans-Gerd Öfinger **

Dass der Frankfurter Ordnungsdezernent Markus Frank (CDU) gerade jetzt die Räumung des Occupy-Camps vor der Europäischen Zentralbank (EZB) vorbereitet, dürfte kein Zufall sein. Er setzt offenbar auf die Ablenkung einer breiten Öffentlichkeit durch Sommerpause und Olympische Spiele, aber auch auf eine Ermüdung der Akteure. Doch das Camp hat auch ein generelles Problem mit dem nachlassenden öffentlichen Interesse. Anders als bei der amerikanischen Parallelbewegung im kalifornischen Oakland, wo Gewerkschafter die Camper heftig gegen eine Räumung verteidigten, war der Schulterschluss zwischen den Occupy-Aktivisten, Bankbelegschaften und Gewerkschaften in der Mainmetropole Frankfurt stets weniger intensiv.

Selbst wer Dauercamping vor Großbanken gegen Bankenmacht und Krisendiktate für eine effektive Kampfmethode hält, muss sich zudem eingestehen, dass nach einem Dreivierteljahr Protest ein Kurswechsel von EZB und Griechenland-Troika so fern ist wie zuvor und das schwere Los der griechischen Bevölkerung ungelindert bleibt. Dennoch: Die Occupy-Bewegung kann sich zugute halten, dass sie als Symbol eines breiten gesellschaftlichen Unbehagens über die Zustände im real existierenden Kapitalismus Diskussionen entfacht und viele Menschen zum Aufmucken ermuntert hat. Und obwohl sie bisher keinen umfassenden gesellschaftlichen Gegenentwurf geliefert hat, sollte man sie als Vorboten bevorstehender gesellschaftlicher Beben ernst nehmen, die sich jetzt in Spanien und europaweit abzeichnen.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 26. Juli 2012 (Kommentar)


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