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"Gerichte nicht immer auf der Seite der Verfassung"

Das Main-Echo (Aschaffenburg) berichtet über eine Friedens- und Gewerkschaftsveranstaltung

Es kommt nicht alle Tage vor, dass eine Tageszeitung über Veranstaltungen oder andere Aktionen der Friedensbewegung berichtet. Noch weniger kommt es vor, dass sich die Zeitungen bemühen, wesentliche Inhalte solcher Veranstaltungen wiederzugeben. Letzteres ist anlässlich einer Veranstaltung im unterfränkischen Aschaffenburg (Bayern), die am 10. Januar stattfand, in der dortigen Regionalpresse vorgekommen. Das Beispiel zeigt, dass es sich für die Friedens- und Gewerkschaftsbewegung lohnt, mit inhaltlichen Angeboten an die Öffentlichkeit zu gehen.

Aschaffenburg. Auf Einladung des Fördervereins Friedensarbeit, des Friedenskomitees und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Aschaffenburg-Miltenberg sprach Dr. Peter Strutynski, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Gesamthochschule Kassel und Initiator des dort ansässigen »Friedensratschlags«, im Aschaffenburger DGB-Haus.

Strutynski folgte in seinem gut einstündigen Referat vier Leitfragen der Veranstalter, die die Rechtsgrundlagen für die Entscheidung zur Anwendung militärischer Gewalt, die Hinterfragung der Kriegsgründe, den derzeitigen Stand der Friedensbewegung und das Verhältnis von Globalisierung zum Weltfrieden betrafen. Einen großen Raum nahm dabei die Frage der Rechtmäßigkeit der von ihm als historisch gewerteten Regierungsbeschlüsse ein, mit der ausgerechnet eine rot-grüne Koalition als erste deutsche Nachkriegsregierung den Krieg als Mittel der Außenpolitik salonfähig gemacht habe. Sowohl VN-Charta als auch NATO-Vertrag hielten einer völkerrechtlichen Überprüfung als Rechtsgrundlage für diesen Krieg nicht stand. Während die Grundgesetz-Artikel 87, 25 und 26 auf dem Papier eine gute Grundlage ergäben, ausdrücklich alle Handlungen zu verbieten, die geeignet sind, die »Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten«, sei die politische Praxis der Bundesregierung eine andere. »Leider stehen die Gerichte, die diese Praxis überprüfen sollten, auch nicht immer auf der Seite des Verfassungsrechts, sondern handeln mitunter höchst politisch«, so Strutynski.

Während die offizielle Begründung für den Afghanistan-Krieg »Kampf gegen Terror« lautet, legte Dr. Strutynski andere Hinter- und Beweggründe offen. Auch hier hob er zunächst die völkerrechtliche Bedeutung der Begriffsunterscheidung von »Terrorismus« und »Krieg« hervor und wies darauf hin, dass Präsident Bush bei seiner ersten Pressekonferenz nach den Ereignissen des 11. September noch von »Terroranschlag«, erst nach Beratung mit Außenminister Powell von »act of war«, also von Krieg sprach. Da ein Kampf gegen Terror auch gar nicht mit Krieg, sondern nur mit investigativen polizeilichen Mitteln möglich sei, seien andere Motivationen hinter diesem Sinneswandel zu suchen und auch zu finden. Wo es für die Bundesregierung um eine Mischung aus Bündnissolidarität und Wahrnehmung eigener »nationaler Interessen« in der Welt gegangen sei und nach innen die Menschen an Militäreinsätze gewöhnt und Militärinterventionen zum Normalzustand erklärt werden sollten, nannte Strutynski für die USA eine Reihe geostrategischer und ökonomischer Interessen. Auffallend sei, dass der Konflikt US-amerikanischer und saudi-arabischer Ölkonzerne um die Ressourcen aus dem zentralasiatischen Raum im Sommer 2001 einen Höhepunkt erfahren habe. Es sei inzwischen auch bekannt, dass es bereits vor dem 11. September Kriegsdrohungen gegen die Taliban-Regierung gegeben habe.

Bushs Ankündigung eines jahrzehnte- langen und gegen viele Länder gerichteten »new war« sei nicht reine Rhetorik, sondern für die Friedensbewegung sehr ernst zu nehmen. Die nächsten Ziele der »Anti-Terror-Allianz« zeigten, dass die Friedensbewegung sich auf einen Widerstand mit langem Atem einstellen müsse. Während sie von vielen bereits tot gesagt war, bewiesen ihre verschiedenen zentralen wie dezentralen Aktionen seit Oktober doch, wie stark und lebendig sie noch sei. Natürlich seien die Bündnispartner nicht mehr nur die alten. Strutynski wies darauf hin, dass nicht die Grünen die Friedensbewegung gründeten, sondern umgekehrt. Gerade das Aschaffenburger Beispiel eines Friedenskomitees mache deutlich, auf welch breiter Basis die Bewegung stehe.

Als größte Hürde für die Friedensbewegung bezeichnete Strutynski die Tatsache, dass viele Menschen, die den Krieg ablehnten, im Moment nicht mobilisierbar seien. »Das ist das Ergebnis jahrzehntelanger Erfahrung der politischen Ohmacht. 16 Jahre Kohl haben das politische Klima versaut. Und in drei Jahren Schröder–Fischer wurde demonstriert, dass sich so gut wie nichts zum Guten wendet.«

Für die Zukunft zeichnete Strutynski ein eher düsteres Bild. Während in den letzten Jahren der Eindruck erweckt wurde, als sei mit den neuen Kommunikationstechnologien die Welt zu einem »globalen Dorf« zusammengerückt und man müsse die Globalisierung nur konsequent vorantreiben, um den Weltfrieden zu erreichen, so habe die tatsächliche internationale Entwicklung dies als Mythos entlarvt: Bushs »new war« sei noch lange nicht zu Ende. In den Regionen sei eine allgemein fortschreitende Militarisierung zu erkennen. Es stünden wieder Aufrüstungsrunden auf der Tagesordnung.

Aus: Main-Echo (Aschaffenburg), 15. Januar 2001; Ein Dankeschön an Reinhard Frankl für die Übermittlung!


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