Linksfraktion empört Friedensbewegung
Die LINKE sorgt mit einem Antrag zur Verbesserung der Situation von Soldaten im Kriegseinsatz für Aufregung *
Von Ines Wallrodt *
Die Linksfraktion fordert von der Bundesregierung kostenloses Internet für deutsche Soldaten in Auslandseinsätzen und irritiert damit Bündnispartner und Abgeordnete in den eigenen Reihen. Die kritisieren den Vorschlag als »Wohlfühlbonus«, der den Einsatz angenehmer mache und damit den Krieg verlängere.
Soll sich eine Antikriegspartei um die Situation der Soldaten im Kriegseinsatz sorgen? Die Mehrheit der Linksfraktion findet ja und fordert deshalb in einem
Antrag kostenfreies Internet und Telefonieren für im Ausland eingesetzte Soldaten. Dies sei wichtig für die »psychische Gesundheit«. Die Friedensbewegung ist entsetzt, und auch in der Fraktion selbst wollten mehrere Abgeordnete dem Antrag, der gestern im Bundestag auf der Tagesordnung stand, die Zustimmung verweigern.
Aus Sicht des linken Außenpolitikers Wolfgang Gehrcke passt das Anliegen durchaus zu einer Friedenspartei. Soldaten sind für ihn nicht nur Täter, sondern auch »Opfer von Propaganda oder Abenteuerlust«. Zum anderen glaubt er, dass ein funktionierender Draht zu den Liebsten in der Heimat Exzesse verhüten helfen kann. »Wenn Soldaten immer nur unter sich sind, wächst der Hang zur Gewalt, geht die Verrohung schneller, greift die militärische Entmenschlichung stärker um sich«, so Gehrcke gegenüber »nd«.
Der
Antrag der LINKEN ist fast wortgleich zu einem interfraktionellen Antrag von Union, FDP, SPD, Grünen, der gestern beschlossen werden sollte. Anders als Gehrcke, bauen sie aber darauf, dass die Verbesserung der »Betreuungskommunikation im Einsatz entscheidend für die Motivation und Einsatzbereitschaft« der Soldaten sei. Weil die LINKE bei der Ausarbeitung außen vor blieb, habe man einen eigenen Antrag eingebracht, hieß es in der Fraktion.
Das Unverständnis in der Friedensbewegung ist groß. Protestmails von empörten Friedensaktivisten füllen die Posteingänge der Linksfraktionsabgeordneten. Der Geschäftsführer der Friedenorganisation DFG-VK, Monty Schädel, forderte in einem Brief an die Fraktion die Rücknahme des »Krieg verlängernden Antrags«. Für Schädel sind kostenlose Flatrates ein unnötiger »Wohlfühlbonus« für Soldaten, die eher zum Durchhalten ermuntern.
Die LINKE wollte den Antrag jedoch mehrheitlich nicht absetzen lassen, wie es auch in den eigenen Reihen gefordert wurde. Eine strömungsübergreifende Koalition hat sich gegen den Antrag verbündet. Sie reicht von Parteilinken wie Ulla Jelpke bis zu Realos wie Raju Sharma. Mehr als ein Dutzend LINKE-Parlamentarier wollten gestern gegen den Antrag ihrer Fraktion stimmen und ihre Ablehnung überdies in einer schriftlichen Erklärung zu Protokoll geben. Sie sehen in der Gebührenbefreiung eine ungerechtfertigte Besserstellung von Soldaten, die ohnehin täglich 110 Euro Auslandszulage bekämen. Zudem fürchten sie, dass die anderen Parteien Recht haben: »Was da gefordert wird, schafft Anreize zum Kriegsdienst, und nicht Anreize zum Verweigern«, heißt es.
Zugleich bemühen sich die Kritiker, den Konflikt nicht hochzukochen. So betonen die Abgeordneten in ihrer Erklärung, dass sich über die Forderung nach Abzug aus Afghanistan alle Fraktionsmitglieder weiterhin einig sind. Der Dissenz bestehe ausschließlich in der Frage, wie man mit den eingesetzten Soldaten umgeht. Genauso äußert sich auch die »Kümmerer«-Seite. Sie scheint schon bei der Antragsformulierung geahnt zu haben, dass es Ärger geben könnte. »Ein besserer Schutz« der Soldaten, heißt es nämlich darin, »wäre jedoch die sofortige Beendigung aller Bundeswehrkriegseinsätze. Im Übrigen würde dies auch die Anstrengungen zur Verbesserung der Betreuungskommunikation überflüssig machen.«
* Aus: neues deutschland, 23. März 2012
Dokumentiert: Zwei Erklärungen aus der Linskfraktion
Für das Recht, unkontrolliert über den Krieg reden zu dürfen
Eine Stellungnahme von Christine Buchholz und Inge Höger, Fraktion DIE LINKE.
Die Linksfraktion hat heute einen
Antrag in den Bundestag eingebracht, der sich für eine „kostenfreie und umfassende Betreuungskommunikation“ für Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz ausspricht. Dies hat zu erheblicher Kritik von Teilen der Friedensbewegung geführt. Frank Brendle spricht in der „jungen Welt“ von einem „Wohlfühlprogramm für Interventionstruppen“. Monty Schädel sieht in dem Antrag sogar einen Beitrag „zur Verlängerung des Krieges“ in Afghanistan.
Diese Kritik geht völlig am Inhalt des Antrages vorbei. Im Kern fordert die LINKE darin, „sicherzustellen, dass die Soldatinnen und Soldaten offen und sicher über ihre Erlebnisse im Einsatz berichten können und dabei im Einklang mit dem Brief-, Post-und Fernmeldegeheimnis aus Artikel 10 des Grundgesetzes keiner Überwachung unterliegen.“
Das Recht, frei und unüberwacht aus dem Kriegsgebiet zu berichten, darf weder durch Repressionsmaßnahmen oder Zensur eingeschränkt werden. Genausowenig sollte der freie Austausch in die Heimat über die Situation vor Ort durch finanzielle Belastungen unterbunden werden.
Genau dies ist aber derzeit die Situation. Pro Tag stehen einem Soldaten weniger als 5 Freiminuten für Telefonate nach Deutschland zu. Darüber hinaus fallen teure Gebühren an. Desweiteren existieren praktisch keine Möglichkeiten, ungestört zu telefonieren, denn stets hören andere Soldaten oder der militärische Geheimdienst MAD zu, wenn sie mit engen Verwandten oder anderen in der Heimat reden. Um diese Praxis zu beenden, fordert die Linke in dem Antrag praktische Maßnahmen wie einen kostenlosen Internetzugang.
Die Forderung nach kostenlosen Internetverbindungen deckt sich nicht mit den Interessen der Bundeswehrführung. Im Gegenteil. Militärische Apparate leben davon, dass sie Menschen isolieren. Das ermöglicht die Kontrolle von Informationen und Bildern, die nach draußen gehen.
Gewöhnlicherweise sind es immer nur „Lecks“, die die Kriegswirklichkeit an den Tag bringen. Manche Soldaten bezahlen einen sehr hohen Preis dafür. Der Soldat Bradley Manning spielte der Plattform WikiLeaks 2010 dank seines Zugangs zu Informationen und Internet Zehntausende geheime US-Dokumente zu. Seitdem wird er in den USA in Isolationsfolter gehalten.
Aber auch in Deutschland kam die Bundeswehr schwer in Verlegenheit, als Gräuelbilder aus Afghanistan wie die Schändung von Leichen in Deutschland verbreitet wurden. Alle Zeitungen, und speziell die „junge Welt“ würde von einer Situation profitieren, in der sie ungehindert Kontakt mit einzelnen Soldaten im Kriegseinsatz aufnehmen könnten. Unser Antrag fordert überdies die Gewährung eines „ungehinderten und vollständigen Zugang zu Rundfunk-, Presse- und Onlineberichterstattung“. Das ist eine Voraussetzung dafür, dass die Soldaten nicht ausschließlich auf die Propaganda des Verteidigungsministeriums und ihrer Vorgesetzten angewiesen sind.
Die Abschirmung der Soldaten hat einen weiteren wichtigen Grund. Sie soll den Korpsgeist stärken. Der ist nötig, damit sich Menschen unmenschlich verhalten, sprich auf andere schießen. Wer am Abend mit seiner Familie, mit seiner Partnerin und seinen Kindern telefoniert, der hat am nächsten Morgen meist nicht ganz so schnell vergessen, dass schießen und töten NICHT normal ist. Es gibt zwar Soldaten, die Erfahrungswelten abspalten können – die sich abends mit ihren eigenen Kindern unterhalten, und am nächsten Tag auf andere schießen können. Aber es steht außer Frage, dass der Kontakt zur eigenen Familie diesem Prozess entgegenwirkt.
Wer von seinem Sohn jeden Abend am Telefon gefragt wird: „Wann kommst du endlich nach Hause?“, der wird die Heimkehr noch sehnlicher herbeiwünschen und sich häufiger die Frage nach dem Sinn und Unsinn dieses Krieges stellen. Er wird seinen Auslandseinsatz eher in Frage stellen, als derjenige, der die Stimmung zu Hause gar nicht mitbekommt. Der freie und ungestörte Internetzugang fördert nicht die Kampfmoral, er dämpft diese.
Genau, weil der Kontakt mit Alltagsnormalität den militärischen Ablauf stört, wird er in JEDER Armee streng kontrolliert.
Freier Internetzugang im Auslandseinsatz ist kein Privileg. Jeder deutsche Mitarbeiter einer Durchführungsorganisation der Entwicklungszusammenarbeit hat ihn. Die hohen Offiziere haben ihn. Warum wird dieses Recht ausgerechnet jenen verweigert, die ganz unten in der Hierarchieebene stehen?
Der freie Internetzugang ist auch kein „Wohlfühlprogramm“. Der Krieg wird nicht einen Deut leichter gemacht, wenn man mit seinen Nächsten in der fernen Heimat spricht. Es gibt jedoch durchaus einen Zusammenhang zwischen unbewältigter Gewalterfahrung und Gewalt in der Familie nach Rückkehr aus dem Krieg. Das freie Gespräch ist eine Hilfe gegen Verrohung und gegen Gewalt in der Familie.
Wenn es nach dem Willen der Kriegsparteien im Bundestag oder der Generalität geht, sollen aus Soldaten Mörder gemacht werden. Viele von ihnen sind völlig naiv, bevor sie sich auf den Auslandseinsatz einlassen. Aber der Krieg verändert sie. Deshalb sind Soldaten auch potentielle Verweigerer, Deserteure und Kronzeugen gegen den Wahnsinn des Krieges.
Hier setzt die Linke an. Widerstand und Verweigerung setzen Reflektionsprozesse beim einzelnen Soldaten voraus. Sie setzen voraus, dass sie sich nicht nur isoliert in der Militärmaschinerie aufhalten. Sondern, dass sich mit anderen Soldaten unterhalten, aber auch und vor allem mit Menschen, denen sie ihre Zweifel und Unsicherheiten erzählen können. Das können Ehepartner oder die eigenen Eltern sein. Wer seinen Nächsten über die ungeschönte Realität berichten kann, trägt selten zur Glorifizierung eines Krieges bei.
Darum geht es im Kern in unserem Antrag. Wir vergessen darüber nicht, dass die Hauptlast des Krieges nicht die einfachen deutschen Soldaten, sondern die afghanischen Familien tragen. Deshalb waren wir bei den Opfern des Kundus-Bombardements im Jahr 2009 und haben über deren Schicksal auf ungezählten Veranstaltungen gesprochen. Wir haben 2010 im Bundestag die Namen der afghanischen Opfer hochgehalten und wurden deshalb aus dem Saal verwiesen. Wir haben dazu die Proteste gegen die Afghanistankonferenz in Bonn im Dezember 2011 mit organisiert. Und wir haben stets gegen die Verlängerung des ISAF-Mandats gestimmt, in dessen Rahmen die Bundeswehr sich am Krieg in Afghanistan beteiligt. Ebenfalls haben wir alle anderen Mandate, in deren Rahmen die Bundeswehr im Ausland eingesetzt wird, abgelehnt und werden das auch in Zukunft tun. Der Antrag für das Recht auf eine umfassende, unkontrollierte und kostenlose Betreuungskommunikation fügt sich ein in diese Aktivitäten, die allesamt gegen den Krieg und seine Logik gerichtet sind.
Berlin, 22. März 2012
Inhaltliche Differenz
Schriftliche Erklärung der Linke-Abgeordneten Ulla Jelpke, Heidrun Dittrich, Raju Sharma, Kathrin Vogler, Halina Wawzyniak, Heike Hänsel, Luc Jochimsen, Sabine Stüber, Richard Pitterle, Katja Kipping, Dorothée Menzner, Alexander Süssmair und Karin Binder zur "Betreuungskommunikation für Soldaten im Einsatz":
Alle Mitglieder der Fraktion Die Linke haben sich ohne Abstriche für den sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan engagiert. Dabei bleibt es. Die anderen Fraktionen des Bundestages haben mehrheitlich immer wieder die Mandate der Bundeswehr in Afghanistan verlängert. Zu ihnen stehen wir im Widerspruch. Eine inhaltliche Differenz gibt es in der Fraktion Die Linke, wie mit den eingesetzten Soldaten umgegangen wird. Den vorliegenden Anträgen können wir daher nicht unsere Zustimmung geben.
Den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr stehen die gleichen Rechte zu wie allen Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes. Die Gewährleistung umfassender, kostenloser Telefon- und Internetverbindungen stellt aber eine Besserstellung dar, die nicht berechtigt ist.
Wir verkennen nicht, daß viele Menschen aus sozialer Not und Unwissenheit zur Bundeswehr gehen. Dennoch tun sie dies freiwillig. Zugleich gibt es in Deutschland zahlreiche Menschen, die unter erheblich stärkerem Armutsdruck stehen als Angehörige der Bundeswehr, und die sich dennoch nicht zum Kriegsdienst melden. Vom Grundsatz her würden wir die Gewährleistung kostenloser Telekommunikations-Dienstleistungen als Grundrecht durchaus begrüßen – aber wenn, dann muß man damit bei jenen anfangen, die bereits jetzt eine Existenz unterhalb der Armutsgrenze fristen müssen. Soldaten, die 110 Euro Auslandsverwendungszulage pro Tag erhalten, gehören nicht dazu. Zudem hindert uns der offensichtliche Zusammenhang zwischen der geforderten Telekommunikationsbetreuung und der Kriegführungsfähigkeit der Bundeswehr an einer Zustimmung. Im Antrag 17/8895 formulieren Union/FDP/SPD/Grünen die Erwartung, die Verbesserung der »Betreuungskommunikation im Einsatz« sei »entscheidend für die Motivation und Einsatzbereitschaft der Einsatzkontingente«. Diese Erwartung ist leider berechtigt. Was da gefordert wird, schafft Anreize zum Kriegsdienst und nicht Anreize zum Verweigern. In Zukunft können die Werbestrategen der Bundeswehr dann gegenüber Jugendlichen noch mit dem »Argument« punkten, der Arbeitgeber Bundeswehr biete eine telekommunikationstechnische Rundumversorgung.
Wir leugnen nicht unsere Verantwortung, die wir als Abgeordnete des Deutschen Bundestages gegenüber den Angehörigen der Bundeswehr, auch jenen im Kriegseinsatz, haben. Wir werden dieser Verantwortung gerecht, indem wir die Beendigung der Auslandseinsätze fordern. Wir lehnen es aber ab, sie für die »eigene« Seite angenehmer zu machen und damit zu ihrer Verlängerung beizutragen. Denn die größte Belastung durch den Krieg müssen die Afghaninnen und Afghanen tragen. Auch ihnen ist am meisten gedient, wenn die Bundeswehr abzieht und die Kriegskosten dafür in den zivilen Aufbau fließen. Das Problem ist der Krieg und nicht die instabilen Internetverbindungen in den deutschen Feldlagern.
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