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"Hier wird ziviler Ungehorsam kriminalisiert"

Friedensaktivistin wegen Protestes gegen Atomsprengköpfe und Marschflugkörper vor Gericht. Ein Gespräch mit Marion Küpker

"Hier wird ziviler Ungehorsam kriminalisiert" Friedensaktivistin wegen Protestes gegen Atomsprengköpfe und Marschflugkörper vor Gericht. Ein Gespräch mit Marion Küpker Marion Küpker ist Koordinatorin der Gewaltfreien Aktion Atomwaffen Abschaffen.

Sie sind vor dem Amtsgericht Leonberg bei Stuttgart angeklagt, öffentlich zu Straftaten aufgerufen zu haben. Was ist passiert?

Im Sommer 2009 gab es ein Camp gegen Atomwaffen auf dem Luftwaffenstützpunkt im rheinland-pfälzischen Büchel (Eifel). Von dort gingen gewaltfreie Aktionen gegen die eingelagerten Atombomben und die uranhaltigen Taurus-Marschflugkörper aus. Ich soll öffentlich über unsere Internet­seite zum Hausfriedensbruch aufgerufen haben. Die Staatsanwaltschaft fordert eine Geldstrafe von 2000 Euro, obwohl ich nicht vorbestraft bin. Außerdem hat man mir in zwei Gerichtsinstanzen verweigert, meinen Anwalt zum Pflichtverteidiger zu bestellen – was sehr ungewöhnlich ist. Mit dem Verfahren wird meiner Meinung nach ziviler Ungehorsam kriminalisiert. Auch die an der direkten Aktion Beteiligten wollen die Strafprozesse durchfechten – notfalls bis zur letzten Instanz. Schließlich wollen wir uns auch in Zukunft nicht verbieten lassen, unsere Proteste öffentlich bekanntzumachen.

Welche Waffen werden von der Bundesluftwaffe genau bereitgehalten?

Es handelt sich zum einen um 20 US-Atomsprengköpfe, die der Explosionsstärke von 150 Hiroshima-Bomben entsprechen. Außerdem besitzt die Bundeswehr 600 bunkerbrechende Marschflugkörper Taurus, die mit gehärtetem, vermutlich uranhaltigem Material selbstgesteuert unterirdische Ziele zerstören können. Einige davon lagern in Büchel, vielleicht sogar alle. Wie wir aus dem Jugoslawien-Krieg und den Golfkriegen wissen, ist das enthaltene abgereicherte Uran extrem gesundheitsschädlich – für Zivilisten noch Jahre, nachdem die Munition abgefeuert wurde. Die Bundesregierung weigert sich aber, zum Besitz dieser Waffensysteme Stellung zu nehmen. Erst nach jahrzehntelangen Protesten hat sie überhaupt die Stationierung der Atombomben eingestanden.

Und warum riskieren Sie regelmäßig, von der Strafjustiz verfolgt zu werden?

So können wir Öffentlichkeit schaffen. Nicht unsere Aktionen sind rechtswidrig. Vielmehr ist es illegal, daß die Bundesrepublik Massenvernichtungswaffen besitzt und sie einsatzbereit hält. Hier ist das internationale Recht dem nationalen übergeordnet. Das müßten die Richter in den Strafprozessen berücksichtigen. Leider geschieht das nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat sich dem entzogen und es abgelehnt, sich mit dieser Frage zu befassen. Wenn aber ein illegaler Zustand herrscht, sind wir als Bürger verpflichtet, gewaltfreien Widerstand zu leisten.

Was ist denn konkret illegal?

Die Bundesrepublik hat den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet und darf Atombomben weder mittelbar noch unmittelbar besitzen oder annehmen. Zwar handelt es sich in Büchel um NATO-Waffen unter US-Kommando. Aber die Bundeswehr muß diese im Ernstfall auf NATO-Befehl ins Ziel bringen und trainiert das auch. Nicht nur der Einsatz ist für Nicht-Atomwaffenstaaten verboten, sondern auch die Drohung damit. Und die ständigen Übungsflüge sind nichts anderes als eine Drohung – ebenso die NATO-Doktrin, die die Option eines Erstschlags enthält. Auch die nukleare Abrüstung wird durch die NATO verhindert. Sie modernisiert ihr atomares Potential und ist für 75 Prozent aller Rüstungsausgaben der Welt verantwortlich.

Sie kritisieren auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP), der bei seinem Amtsantritt den Abzug der Atomwaffen aus der BRD gefordert hat.

Dafür haben sogar alle Bundestagsparteien gestimmt. Eine europäische Initiative ist aber an der US-Regierung gescheitert. Westerwelle hält das Thema damit offensichtlich für erledigt. Wir werden mit unseren Bündnispartnern aber weiter Druck machen. Obwohl ein Großteil der Atombomben nach dem Kalten Krieg abgezogen wurde, ist der Weltfrieden nach wie vor bedroht. Das müssen wir wieder ins Bewußtsein der Menschen rücken.

Wie glaubwürdig ist dann der deutsche Druck auf den Iran, sein Atomprogramm einzustellen?

Das ist reine Doppelmoral. Die BRD reichert selbst Uran in Gronau an und hat atomwaffenfähiges Material im Garchinger Reaktor. Von der zivilen Komponente ganz abgesehen.

Der Prozeß findet statt am 28. Januar um 13 Uhr vor dem Amtsgericht Leonberg (Schloßhof 7)

Interview: Mirko Knoche

* Aus: junge Welt, 15. Januar 2011


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