Streitfrage: Kann Iran ein Bündnispartner für linke Bewegungen sein?
Es debattieren: Prof. Dr. Mohssen Massarrat, Politikwissenschaftler, Uni Osnabrück, und Knut Mellenthin, Journalist, Hamburg
Das Recht auf seiner Seite
Von Knut Mellenthin *
Am Jahresende läuft eine »Deadline« aus, die US-Präsident Barack Obama Iran schon vor Monaten gesetzt hatte. Sollte die Regierung in Teheran bis dahin nicht grundsätzliche Bereitschaft zum Eingehen auf die Forderung nach Einstellung der Uran-Anreicherung gezeigt haben, plant Washington mit Unterstützung der EU eine qualitativ neue Stufe wirtschaftlicher Strafmaßnahmen -- nötigenfalls auch ohne die Zustimmung Russlands und Chinas. Da Iran sich dem Druck aller Voraussicht nach nicht unterwerfen wird und da Israel permanent mit einem militärischen Alleingang droht, sind verschärfte Sanktionen nur ein kleiner, fragwürdiger und letztlich nutzloser Zeitgewinn auf dem Weg zur Eröffnung eines weiteren Kriegsschauplatzes im Mittleren Osten.
Einige frühere Linke, die sich hauptsächlich in der deutsch-österreichischen Kampagne »Stop the Bomb« zusammengeschlossen haben, versuchen mit ihren freilich nicht hoch einzuschätzenden Mitteln und Möglichkeiten, zur internationalen Isolierung der Regierung in Teheran und zur Zerstörung der europäischen Wirtschaftsbeziehungen mit Iran beizutragen. In diesem Sinn kritisieren sie die Bundesregierung von rechts und werfen ihr »Beschwichtigungspolitik« vor. In Gestalt des Bundesarbeitskreises (BAK) Shalom und einiger gut platzierter Einzelpersonen hat die Kampagne gegen Iran auch in der Partei DIE LINKE ihre Stützpunkte.
Die deutsche Linke im weiteren Sinn tut sich verständlicherweise schwer mit Iran. Das stark von religiöser Engstirnigkeit und falscher Moral geprägte System des Landes hat zwar eine nicht zu ignorierende Basis in erheblichen Teilen der Bevölkerung. Es wird aber von vielen Menschen, vor allem in der Metropole Teheran, als unerträgliche Unterdrückung empfunden. Das gilt auch für nahezu alle Exil-Iraner. Für die politische, soziale und wirtschaftliche Entwicklung dieser großen Nation stellt das halb-theokratische System eine schwere Belastung dar.
Auf der anderen Seite verkennen die iranische Opposition und viele ihrer Unterstützer im Ausland, dass die Bevölkerung des Landes in zwei Hälften gespalten ist, die vielleicht annähernd gleich groß und jedenfalls für die künftige Entwicklung gleich bedeutend sind. Die Opposition ist entgegen ihrem Selbstverständnis nicht »die« einzige authentische Stimme Irans, ebenso wenig wie die politische und religiöse Führung des Landes dies für sich beanspruchen kann. Die Perspektive kann nur in Annäherung, Aussöhnung und Dialog liegen, nicht in einer Verschärfung der inneren Konfrontation. Die Sympathien hiesiger Linken werden dabei naturgemäß eher auf Seiten der Opposition (oder bestimmter Teile der Opposition) liegen als bei den Herrschenden.
Eine hiervon vollständig zu trennende Frage ist die Haltung der Linken zum Streit um das iranische Atomprogramm. Iran verdient in dieser Konfrontation aus mehreren Gründen unsere volle Solidarität.
Zunächst: Iran hat in dieser Auseinandersetzung im Wesentlichen das Recht auf seiner Seite. Als Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags darf Iran ohne Einschränkung Nukleartechnologie zu zivilen Zwecken nutzen und entwickeln. Und mehr noch: Die auf diesem Gebiet fortgeschritteneren Staaten, insbesondere die Atomwaffenmächte, sind laut Vertrag dazu verpflichtet, andere Länder bei ihren Bemühungen zu unterstützen. Voraussetzung ist, dass die Unterzeichnerstaaten ihre Anlagen durch die Internationale Atomenergie-Behörde (IAEA) überwachen lassen. Das tut Iran.
Die Forderung nach Einstellung der Uran-Anreicherung bedeutet also den Versuch, ein ausschließlich auf dieses eine Land zugeschnittenes Sonderrecht durchzusetzen. Iran müsste damit für unabsehbar lange Zeit einen weltweit einmaligen Status als Pariah-Staat akzeptieren und würde sich einem Rattenschwanz nachgeschobener Zusatzforderungen, beispielsweise in Bezug auf seine außenpolitischen Beziehungen, ausliefern.
Ein weiterer Hauptgrund für die Linke, in diesem Streit mit dem Iran aktiv solidarisch zu sein, ist die Ablehnung der US-amerikanischen Kriegsstrategie, in der wir uns unabhängig von unserer Beurteilung der inneren Verhältnisses des Landes einig sein sollten. Krieg wäre für die iranische Bevölkerung das denkbar größte Unglück. Das sollte im Vordergrund unserer Überlegungen und unserer Argumentation stehen. Ein weiterer nicht zu vernachlässigender Gesichtspunkt sind die grundsätzlich absehbaren, aber im Einzelnen nicht kontrollierbaren Folgen, die eine US-amerikanische oder israelische Aggression gegen Iran für die gesamte Region und vermutlich auch für das Verhältnis der muslimischen Welt zum Westen hätte.
Iran in seiner derzeitigen Verfasstheit ist kein Bündnispartner der westlichen Linken, kann und will es auch gar nicht sein. Aber umgekehrt hat die Linke eine Verpflichtung und zugleich ein eigenes Interesse, zum Streit zwischen den USA und ihren Verbündeten einerseits, Iran andererseits, klar Position zu beziehen. Verpflichtung auch deshalb, weil die feindselige Politik der Bundesregierung gegen Iran uns keine Neutralität und keine Halbherzigkeit erlaubt.
Anders stellt sich die Sache im größeren internationalen Maßstab dar. Iran ist sehr wohl ein wichtiger, unumstritten anerkannter Bündnispartner aller Länder, die unter Führung von mehr oder weniger »antiimperialistischen« Regierungen darum kämpfen, ihre außenpolitische und wirtschaftliche Unabhängigkeit gegen die Ansprüche und Einmischungsversuche der USA zu behaupten. In der Bewegung der Bündnisfreien (Non-Aligned-Movement, NAM) spielt Iran eine wesentliche, grundsätzlich positiv zu bewertende Rolle. Dieser Gruppe gehören mindestens 120 Staaten an, also die Mehrheit aller Mitglieder der Vereinten Nationen.
Vor diesem Hintergrund ist auch eindeutig festzustellen, dass die Behauptung, Iran habe im Atomstreit »die gesamte internationale Gemeinschaft« gegen sich, bestenfalls westlicher Borniertheit und Kurzsichtigkeit entspringt -- und schlimmerenfalls einfach eine böswillige Propagandalüge ist.
* Knut Mellenthin, Jahrgang 1946, ist Journalist und arbeitet vorwiegend zum Nahen und Mittleren Osten, zur US-amerikanischen Außenpolitik und zum Bürgerkrieg in Somalia. Er war Mitglied des 1991 aufgelösten Kommunistischen Bundes und Mitarbeiter der PDS-Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke. Knut Mellenthin hat außerdem eine Chronologie des Holocaust erarbeitet, für die er vor zwei Jahren mit dem Alternativen Medienpreis ausgezeichnet wurde.
Auf die Spitze getrieben
Von Mohssen Massarrat **
Welcher Iran und welche linken Bewegungen? Ist da die theokratische Herrschaft von Ali Khamenei und Mahmud Ahmadinedschad gemeint, der sich nur noch mit offener Gewalt an der Macht halten kann, wie wir dies erneut am 7. Dezember, dem Tag der Studenten, in Iran gesehen haben? Oder ist ein Iran gemeint, der gegenwärtig dabei ist, den Weg der Überwindung dieser Herrschaft zu gehen und den begonnenen Demokratisierungsprozess weiterzuentwickeln. Sind mit linken Bewegungen diejenigen gemeint, die ihre Identität durch das Ziel eines abstrakten Sozialismus definieren und ihre Bündnispolitik in der Dritten Welt entlang des antiimperialistischen Feindbildes nach der Devise »Der Feind meines Feindes ist mein Freund« bestimmen? Oder sind jene linken Bewegungen gemeint, die aus historischen Erfahrungen gelernt haben und das Ziel einer gerechten Gesellschaft, für die sie streiten, vom Weg und von den Methoden zur Erreichung des Ziels nicht trennen und davon überzeugt sind, dass Gerechtigkeit, Emanzipation und eine andere Welt nicht mit Staatsgewalt à la Lenin, Stalin, Mao etc., sondern nur auf demokratischem Wege zu erreichen ist.
Die neue Bewegung in Iran mit grüner Farbe ist eine antitheokratische Demokratiebewegung. Sie entstand anlässlich des Wahlbetrugs bei den letzten Präsidentschaftswahlen im Juni dieses Jahres. Die Frage der Solidarität mit ihr spaltete die internationale Linke und die Friedensbewegung, die bis dato gegen den drohenden Krieg der USA an einem Strang zogen.
Linke, die ich als »eindimensional antikapitalistische Linke« charakterisiere, schlugen sich auf die Seite von Ahmadinedschad und diskreditierten die Grüne Bewegung wider besseres Wissen als eine Bewegung, die durch die USA ferngesteuert sei, um eine antiimperialistische und die armen Schichten Irans repräsentierende Regierung zu stürzen. Für diese internationale Linke reichte Ahmadineschads Rhetorik gegen reiche Iraner und gegen die aggressive US-Politik offensichtlich völlig aus, um sich als potenzieller Bündnispartner mit ihm und der islamischen Theokratie in Szene zu setzen. Die Unterstützung durch Hugo Chávez und andere linke Führungspersönlichkeiten in Lateinamerika für Ahmadinedschad ermutigt diese Linken zusätzlich, sich in ihrem Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus auf der vermeintlich richtigen Seite zu wähnen.
Für die zweite Strömung der internationalen Linken, die ihre Bündnispolitik nach inhaltlichen Kriterien von sozialer Gerechtigkeit, individueller Freiheit, Gleichstellung der Geschlechter, ökonomischer und politischer Autonomie und Schutz nationaler Minderheiten ausrichten, können nur jene Kräfte als Bündnispartner in Frage kommen, die die notwendigen Voraussetzungen für Demokratieentwicklung und emanzipatorische Ziele herstellen können. Die Grüne Bewegung Irans ist sozial und politisch sehr heterogen, sie ist aber die einzige Kraft, die für Demokratisierung in Iran steht.
Die Theokratie und ganz besonders ihr Präsident blockierten dagegen jegliche Veränderung mit emanzipatorischer Ausrichtung. Die islamische Revolution endete in einem theokratischen Herrschaftssystem, in dem diverse Machtcliquen um Einfluss und Zugang zu den Öleinnahmen wetteifern, um ihre eigene Machtbasis klientelistisch auszuweiten. Diese haben selten das Gemeinwohl, fast immer jedoch das Wohl ihrer Klientel im Auge. Ihre Politik dient der Machtvermehrung und ist genauso kurzfristig angelegt wie die Politik kapitalistischer Konzerne zur Profitmaximierung.
Irans gegenwärtiger Präsident Ahmadinedschad trieb dieses System zur Vermehrung der eigenen Macht auf die Spitze. Trotz der historisch einmaligen Öleinnahmen von etwa 300 Milliarden US-Dollar während seiner ersten Amtszeit (2005 bis 2009) weist sein Haushalt zu Beginn seiner zweiten Amtszeit ein gigantisches Loch auf. Er gewann 2005 die Wahl mit dem Versprechen, die Öleinnahmen auf die Essenstische der Bevölkerung zu bringen. Er bereiste alle Provinzen und verteilte tatsächlich einen Teil der Öleinnahmen, allerdings planlos für alle möglichen Projekte, um sein Wahlversprechen zu erfüllen und seine Popularität in der Provinz zu steigern. In den letzten Monaten vor seiner Wiederwahl erhöhte der Präsident die Gehälter aller Lehrer um das Zweifache, er verschickte Geschenkpakete in die Dörfer des Landes und verschaffte vor allen Dingen den Revolutionswächtern (Pasdaran) und der Miliz (Bassijis) modernste Infrastruktur und Ausrüstung, Macht und Privilegien.
Zur Durchsetzung dieser klientelistischen Politik wurden die 300 Milliarden Petro-Dollar in den nationalen Geldkreislauf gepumpt. Daraus folgte die ökonomisch vollkommen irrationale Aufblähung des Geldvolumens und somit ein hohes Inflationspotenzial. Um die Inflationsrate zu bremsen, die zu allererst die armen Bevölkerungsschichten in das soziale Abseits treibt, öffnete seine Regierung dem Import sämtlicher Waren, vor allem aus China, Tür und Tor. Durch diese lediglich der eigenen Wiederwahl des Präsidenten dienende Maßnahme wurden jedoch abertausende nationaler Betriebe in der Landwirtschaft und in der Konsumindustrie ruiniert und hunderttausende Menschen in die Arbeitslosigkeit getrieben. Die Inflationsrate bewegt sich trotzdem über 30 Prozent und macht die Armen noch ärmer und die Reichen noch reicher. An diesem Beispiel ist leicht erkennbar, welche Kettenreaktionen eine klientelistische Politik hervorrufen kann, die in erster Linie der Machterhaltung und -vermehrung dient, und wie leichtfertig mittel- und langfristige Folgen wie Massenarmut und -arbeitslosigkeit in Kauf genommen werden. Kurz: Um dem klientelistischen Regen zu entrinnen, fiel das System Ahmadinedschad in die neoliberale Traufe.
Auch außenpolitisch mag Ahmadinedschad durch seine antiisraelische und antiamerikanische Rhetorik in der islamischen Welt und in Teilen der Dritten Welt Punkte gemacht haben. Seine Politik, den Atomstreit mit dem Westen eskalieren zu lassen, ist jedoch nicht im Geringsten ein Zeichen der nationalen Souveränität, sie hat vielmehr den Kriegstreibern in den USA und Israel in die Hände gearbeitet, das Feindbild Iran gestärkt und dem militär-industriellen Komplex neue Nahrung geliefert.
** Prof. Dr. Mohssen Massarrat, 1942 in Teheran/Iran geboren, lehrte Politikwissenschaft an der Universität Osnabrück. Seine Arbeitsschwerpunkte sind der Mittlere und Nahe Osten, der Nord-Süd-Konflikt und die Friedens- und Konfliktforschung. Seit 1961 lebt Mohssen Massarrat in der Bundesrepublik Deutschland.
Beide Beiträge aus: Neues Deutschland, 18. Dezember 2009 ("Debatte")
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