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"Martin Niemöller - der mich geprägt hat, mit dem ich eng zusammen gearbeitet habe - verdanken wir viel"

"Jungfernrede" des Friedensaktivisten Willi van Ooyen bei der Eröffnung des Hessischen Landtags (Wortlaut)

Dass wir auf unseren Seiten Bundestagsreden, ja, ganze Bundestagsdebatten dokumentieren, versteht sich von selbst. Denn im Bundestag werden die großen Themen der Internationalen Politik, des Friedens und der Abrüstung behandelt, die auch uns am Herzen liegen.
Eine Rede aus einem Landtag haben wir dagegen noch nie dokumentiert. Wenn wir heute eine Ausnahme machen und an dieser Stelle die Rede des Fraktionsvorsitzenden der LINKEN bei der konstituierenden Sitzung des Hessischen Landtags veröffentlichen, dann deshalb, weil dem Redner eine seltene Verbindung von Landespolitik, antifaschistischem Auftrag und friedenspolitischer Verantwortung gelungen ist, die uns so noch nicht unter gekommen ist. Willi van Ooyen gehört in Hessen zu den Friedensaktivisten "der ersten Stunde" und hat vermutlich schon mehr Ostermärsche in seinem Leben organisiert als der amtierende Ministerpräsident Parteitage seiner Partei.
Im Folgenden also die Mitschrift der "Jungfernrede" Willi van Ooyens bei der Eröffnung des Hessischen Landtags am 5. April 2008.



Rede von Willi van Ooyen, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE im Hessischen Landtag, zur konstituierenden Sitzung des Hessischen Landtages:

Sehr geehrte Damen und Herren,

die geschäftsführende Landesregierung steht in Opposition zur Mehrheit der Wähler in Hessen.

Die hessischen Wähler haben den Landtag unabhängiger und souveräner gemacht. Der hessische Landtag wird nicht mehr aus den Kabinettsesseln und der Staatskanzlei dirigiert.

Diese Souveränität sollten wir im Parlament gemeinsam nutzen. Wir sollten uns zuhören und streitig diskutieren und die für die Menschen in Hessen beste Lösung finden.

Mit Interesse habe ich zur Kenntnis genommen, dass Sie, Herr Ministerpräsident Koch, gestern in ihrer Rede sowohl an den ehemaligen Ministerpräsidenten Ernst August Zinn als auch den Antifaschisten Eugen Kogon erinnert haben.

Eugen Kogon, ehemaliger Häftling im KZ Buchenwald, steht für mich und die damals sich politisch einmischende Gewerkschaftsjugend für einen antifaschistischen Geist und eine Tradition in diesem Land, an die es sich in der Tat lohnt zu erinnern und mehr noch, die auch über Parteigrenzen hinweg bewahrt werden muss.

Außerdem möchte ich heute an den Wiesbadener Martin Niemöller erinnern. Niemöller nahm heute vor 50 Jahren an dem Ostermarsch von London nach Aldermasten teil. Er trug danach maßgeblich dazu bei, dass es heute in der Bundesrepublik eine gute Tradition ist, Ostermärsche für Abrüstung und gegen Krieg durchzuführen. Martin Niemöller - der mich geprägt hat, mit dem ich eng zusammen gearbeitet habe - und natürlich noch einigen anderen, die sich in der beschrieben Weise engagierten, verdanken wir viel: Es gibt in diesem Land eine übergroße Mehrheit in der Bevölkerung, die sich klar gegen Kriege, gegen Gewalt, für nicht-militärische Formen der Konfliktaustragung einsetzen.

Nach diesem Blick zurück, möchte ich nun noch ein paar Anmerkungen zu der vor uns liegenden Tagespolitik machen: Von der Geschäftsführenden Landesregierung erwarten wir, dass sie die Parlamentsentscheidungen nicht behindert und verzögert, sondern die Entscheidungen respektiert und mithilft, diese schnell umzusetzen.

Wir wollen - und dies sehen wir als Chance dieses Parlaments - dass die Debatten öffentlich werden und auch von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Dies zumindest war ein positives Signal, das auch die Medien in den Wochen vor der heutigen konstituierenden Sitzung vermittelt haben.

Wir als Linke sind in diesen Landtag gewählt worden, weil wir uns von allen Parteien im vorherigen Landtag deutlich unterscheiden. Wir wollen einen Politikwechsel und nicht den sozialpolitischen Stillstand mitverwalten.

Wir verstehen uns nicht als Stellvertreter der sozialen Initiativen, sondern sind Bestandteil der außerparlamentarischen Aktionen und werden denjenigen eine Stimme geben, die in der Vergangenheit zu wenig Gehör gefunden haben und mit ihren Anliegen bei anderen Parteien leider allzu oft auf taube Ohren gestoßen sind.

Wir sind eindeutig gegen die neoliberalen Politikkonzepte von CDU, FDP, Grünen und SPD. Unsere Wähler wollen keine Agenda 2010 und Hartz IV, mit denen die soziale Schieflage nur weiter verschlimmernden Ein-Euro-Jobs. Die Menschen in Hessen wollen soziale Gerechtigkeit und keine Kinderarmut. Sie wollen eine gerechte Steuerpolitik, die die bisherige gesellschaftliche Umverteilung beendet und die Reichen wirklich besteuert. Wir wenden uns gegen jede Privatisierung und wollen Güter der öffentlichen Daseinsvorsorge (wie Wasser, Strom, Bildung, Gesundheit) in öffentliches Eigentum zurückholen. Dies ist auch das Gebot der Hessischen Verfassung, die im Artikel 38 fordert, dass „die Wirtschaft des Landes die Aufgabe (hat), dem Wohle des ganzen Volkes und der Befriedigung seines Bedarfes zu dienen“.

Deshalb müssen soziale Ungerechtigkeit, Armut und Not bekämpft werden, das ist unser Verfassungsauftrag.

Themen, die für uns in den nächsten Wochen und Monaten wichtig sind:
  • Abschaffung der Studiengebühren
  • Rückkehr in die Tarifgemeinschaft der Länder,
  • Für eine andere, auf Chancengleichheit setzende Bildungspolitik
  • Gegen Kriegseinsätze (Keine Installation des US-Head-Quarters in Wiesbaden-Erbenheim, das mitverantwortlich für Kriegsverbrechen ist, z.B. für die Folter in Abu Graib).
Dafür treten wir hier im Parlament ein, um unsere Vision von Freiheit, Gleichheit und Solidarität – die Ziele der französischen Revolution - auf den Weg zu bringen. Selbstverständlich nicht nur im Parlament, sondern auch in unserem außerparlamentarischen Engagement, zusammen mit der Friedensbewegung und den anderen sozialen Bewegungen.

Quelle: Redemanuskript, verbreitet von der Homepage der LINKEN Hessen; www.die-linke-hessen.de


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