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Ostermarsch 2000 in Düsseldorf

"Rüstungsoffensive" - Rede von Lühr Henken (Hamburger Forum)

Bei der Abschlusskundgebung des Ostermarsches Rheinland hielt Lühr Henken (Hamburger Forum und Mitglied im Bundesausschuss Friedensratschlag) eine Rede, die sich vor allem mit den Umrüstungsplänen der Bundeswehr auseinandersetzte.

Die größte Militärmacht der Welt, die NATO, hat mit ihrem völkerrechtswidrigen Angriffskriegrieg gegen Jugoslawien etwas völlig Neues in der Menschheitsgeschichte bewiesen: Sie verfügt über eine einzigartige Technologie, die es ihr gestattet, ein Land zu besiegen ohne je einen Fußbreit dieses Landes betreten und ohne einen Einzigen ihrer Soldaten verloren zu haben.

Bereits seit 1991 bastelt die NATO an einer plausiblen Legitimation für ihre Existenz, nachdem ihnen der Rivale abhanden gekommen ist. Sie beschwört allerorten Risiken, denen vor allem militärisch zu begegnen sei. Dafür werden mobile, flexible Krisenreaktionskräfte aufgestellt.

Deshalb ist das öffentliche Geschwätz von ehemals friedensbewegten Spitzenpolitikerinnen der Grünen wie Angelika Beer und Antje Radcke außerordentlich irreführend und verantwortungslos, wenn sie ihre Hoffnung ausdrücken, dass dieser Krieg gegen Jugoslawien eine Ausnahme bleiben möge und dass sich so etwas nicht wiederholen dürfe. Die Frage ist vielmehr, was tun sie, an verantwortlicher Stelle, konkret dagegen?

In Deutschland werden in diesem Jahr offiziell die Weichen auf Militärinterventionismus gestellt. Das versteckt sich hinter den markigen Aussagen von Scharping und Schröder, wenn sie die Neuausrichtung der Bundeswehr "out of area", in ihrer Bedeutung mit der Wiederbewaffnung Deutschlands vergleichen.

Die Kosten dieser Militarisierung sind seit dem Bundeswehrplan 1997 in Etwa erfassbar. Die Herstellung neuer Waffen kostet uns Bürgerinnen und Bürger mindestens 225 Mrd. DM die Nutzung zusätzlich rd. 320 Mrd. DM. Die Summen allein reichen schon, um zu sagen: Schluss damit!

Die folgenden Ausführungen über die Rüstungsoffensive erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Aber die dargestellten neuen Entwicklungen von Kriegswaffen für Heer, Luftwaffe und Marine belegen die Herausbildung einer strukturellen Angriffsfähigkeit der Bundeswehr.

(Das Heer)

Im Heer wird daran gearbeitet, eine sogenannte "Deep-Battle-Kapazität" herauszubilden. Zentrale Kriegswaffen hierfür sind die neuen Kampfhubschrauber TIGER, von denen zunächst 80 beim größten Hubschrauberhersteller der Welt, Eurocopter in Bayern, bestellt sind. Insgesamt sollen es 212 TIGER für die Bundeswehr werden. Ein TIGER ist 23 mal so teuer wie einer seiner Vorgänger.

Ebenfalls für die "Krisenreaktionskräfte" sind zunächst 185 Panzerhaubitzen 2000 im Bau. Die Planung sieht vor, 594 von diesen - laut Eigenwerbung - "besten Geschützen der Welt" anzuschaffen.

Die wichtigste Waffe der deutschen Artillerie, die 154 Mehrfachraketenwerfer MARS, also deutsche Stalinorgeln, sollen eine Verdoppelung der Reichweite von jetzt 35 auf 70 km erhalten.

STN-Atlas Elektronik in Bremen, übrigens eine Tochter des hier in Düsseldorf ansässigen Rheinmetall-Konzerns, arbeitet intensiv an der Entwicklung neuartiger Kampfdrohnen, die TAIFUN heißen. Sie sind Marschflugkörper mit einer sehr geringen Zielabweichung von nur 70 cm bei einer Reichweite bis zu 170 km. Die Planung sieht eine Einführung von 108 dieser neuartigen Präzisionswaffen ab 2004 vor. Die Kampfdrohnen TAIFUN sollen in Schwärmen abgefeuert werden. Ihr RADAR-Suchkopf soll selbständig LKWs von Panzern und Gefechtsständen unterscheiden können, um sie im Sturzflug zu zerstören. Diese Kriegswaffen können gegen Länder des Südens von kriegsentscheidender Bedeutung sein.

Zeitgleich wird die Arbeit an einem noch präziseren, direkt manuell lenkbaren, Flugkörper bei der DASA-Tochter LFK in Ulm fortgesetzt. Diese über ein dünnes Kabel lenkbaren Flugkörper mit Video-Suchkopf heißen POLYPHEM. Sie sollen fähig sein, eine 25 kg-Bombe in bis zu 100 km Entfernung noch durch ein Fenster zu befördern. DASA meldet, dass die Entwicklung dieses in der Welt einzigartigen Mordinstruments bis 2006 abgeschlossen sein wird. Mit diesem Artilleriesystem sollen auch neue Korvetten der Deutschen Marine ausgerüstet werden.

(Die Marine)

Die Deutsche Marine wendet sich in der Einsatzplanung schwerpunktmäßig der Überwasserseekriegführung in fremden Küstengewässern zu, um auch auf fremdes Land schießen zu können. Für den Überwasserseekrieg entsteht derzeit auf der Hamburger Blohm+Voss-Werft, übrigens eine Tochterfirma des Düsseldorfer Thyssen-Krupp-Konzerns, das Typschiff einer neuen Fregattenklasse. Es wird Ende 2003 der Bundeswehr übergeben und ist mit etwa 1,3 Mrd. DM die teuerste deutsche Kriegswaffe aller Zeiten. Zwei weitere dieser Fregatten sollen in Kiel und Emden entstehen. Zusammen mit neuartigen, speziell für den Einsatz in flachen Küstengewässern konzipierten sogenannten Korvetten, sollen sie den Verbund des Überwasserseekrieges von der Hohen See bis in die Küste hinein ermöglichen. So der offizielle Militärjargon. Die Beratung über den Bau der ersten 5 (von insgesamt 15) Korvetten wird im Bundestag noch vor der Sommerpause erwartet.

Für den Unterwasserseekrieg entsteht derzeit bei HDW in Kiel das erste von zwölf neuen U-Booten. Diese U-212 setzen mit der Brennstoffzellentechnik einen neuen Weltmaßstab im U-Boot-Antrieb. Zusammen mit den Schwergewichtstorpedos SEEHECHT werden sie die kampfstärksten konventionellen U-Boote der Welt sein.

Auch die U-Boote sollen mit POLYPHEM ausgerüstet werden, damit von ihnen aus Hubschrauber vom Himmel geholt werden können.

Zur Luftwaffe

Kum bekannt ist, dass für die TORNADOS und EUROFIGHTER Marschflugkörper gegen gehärtete Ziele erprobt werden. TAURUS soll vier Meter dicken Beton durchschlagen und speziell Brücken zerstören können. Diese maßgeblich vom Daimler-Chrysler-Konzern konzipierten strategischen Waffen sollen bereits ab 2003 der Bundeswehr zur Verfügung stehen. Bis 2011 sollen 685 dieser Marschflugkörper angeschafft werden.

Für den Langstreckentransport von Soldaten und Kriegswaffen geht es weiterhin um die Anschaffung von insgesamt 75 Strategischen Transportflugzeugen, welche in der Luft betankbar sein sollen. Airbus wird wohl in diesem Jahr noch diesen 14 Mrd. DM- Auftrag bekommen.

Der Weltraum

Für die Führung der sogenannten "Krisenreaktionskräfte" von Heer, Luftwaffe und Marine wird an der Satellitenkommunikationstechnik gearbeitet. Langfristiges Ziel ist es, eine weltweite und vor allem, von den USA unabhängige, Führungsfähigkeit der Kampfverbände zu erreichen. Voraussetzung dafür ist eine unabhängige sogenannte "strategische Aufklärung". Deshalb wird das Projekt eines europäischen Militärsatellitensystems belebt. Die Gründung des deutsch-französisch-britischen Raumfahrtkonzerns Astrium, an dem die deutsche DASA einen 50 %-Anteil hält, dient genau dieser Absicht.

Zusätzlich zu dieser Rüstungsoffensive startete Deutschland eine Kriegswaffenexportoffensive: Der Kongress der USA stellte für 1998 fest, dass Deutschland beim Abschluss von Neuverträgen von Kriegswaffenexporten mit einem nie dagewesenen Weltmarktanteil von 25 Prozent auf Platz zwei in der Welt emporgeschossen ist.

Nicht nur bei der Produktion von Kampfpanzern nehmen deutsche Firmen weltweit den Spitzenplatz ein, siehe den Leopard 2-Deal mit der Türkei, sondern auch im Kriegsschiffbau. Deutschland ist schon jetzt der weltgrößte Exporteur von Fregatten, Schnellbooten und konventionellen U-Booten. Die größte Kriegsschiffwerft der Welt, Howaldtswerke Deutsche Werft in Kiel, geht davon aus, dass sie achtzig Prozent des Welt-U-Boot-Exports in den nächsten zehn Jahren tätigen wird.

Diese Entwicklungen sind alles andere als beruhigend.

Aber im Kampf gegen die NATO-Kriegspolitik stehen wir nicht allein.

Vor knapp zwei Wochen trafen sich die Regierungen der 133 Blockfreien Staaten in Havanna. Immerhin repräsentieren sie fünf der sechs Milliarden Erdenbürger. Ihnen ist die globale Bedrohung durch die neue NATO-Kriegspolitik sehr bewusst: Der "Südgipfel" "verurteilte entschieden" die sogenannten "humanitären Interventionen," die nicht von der UNO gebilligt sind." Das sollte uns in unserem Kampf um Frieden und Abrüstung nachdrücklich bestärken.

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