Bremer Friedenspreis an Kriegsbefürworter?
Streit um einen britischen Germanisten. Ein Brief von Heinrich Hannover
Ende vergangenen Jahres hatten die Freunde und Förderer der Villa Ichon beschlossen, dem in Bremen lebenden britischen Germanisten Martin Rooney den Friedenspreis zu verleihen - für seine Arbeiten über die Unterdrückung Armeniens. Dann hatte Rooney die Bremer Friedensbewegung massiv angegriffen. In Leserbriefen beschuldigt er die Demonstranten eines "hyperemotionalen Amerikanismus", einer "völligen inneren Beziehungslosigkeit zu Israel" und der "Überheblichkeit und Ignoranz" . Später setzte er noch eins drauf: Er wirft den Initiatoren der Bremer Friedensdemo vom 8.2. - dem Friedensforum um Ekkehard Lentz - kommunistische Hintergründe vor, weil die von Lentz einst angeführte Deutsche Friedensunion (DFU) zu großen Teilen von der DDR finanziert wurde. Ralph Giordano wirft dann (siehe taz vom 1./2.3.) Rooney-Kritiker Hannover in denselben Topf und beschuldigt die Leute von der Villa Ichon, sie wollten einen "Frieden um jeden Preis", der eine "Zementierung von Gewaltherrschaft" bedeute - für Giordano dieselbe Strategie, die einst die Alliierten mit ihrer Beschwichtigungspolitik gegenüber Hitler gefahren seien. Damit wirft er der Villa Ichon indirekt Ignoranz gegenüber der Bedrohung Israels vor.
Nicht der Kommunismus-Vorwurf, sondern die Diffamierung der Friedensdemonstranten sei es gewesen, die den Vorstand der Villa Ichon zu ihrer Absage einer öffentlichen Feier für Rooney gebracht habe, erklärt Klaus Hübotter, "übrigens einstimmig."
Martin Rooney wittert derweil "einen Mangel an demokratischer Streitkultur", man ertrage seine Meinung offenbar nicht. "Ich halte das sehr wohl aus", entgegnet darauf Hübotter, "man kann bloß nicht verlangen, dass die Leute, die den Preis erfunden haben, diesem Mann auch noch eine Laudatio halten." Der Preis sei vergeben - "man kann das eine nicht wieder gut zu machende Fehlentscheidung nennen" - und dabei bleibe es, auch dabei, dass Rooney das Preisgeld bekomme, "er gehört ja nicht zu den Reichsten."
Dieser Auszug aus der taz-Bremen (04.03.2003) beleuchtet ziemlich exakt den unangenehmen und etwas peinlichen Vorgang um die Bremer Preisverleihung. Im Folgenden dokumentieren wir den Brief, den der streitbare und immer aufrechte Demokrat, Anwalt und Kinderbuchtautor Heinrich Hannover in der Angelegenheit an Ralf Giordano geschrieben hat. Ralf Giordano hatte sich vor kurzem durch seine Unterschrift unter einen
"Offenen Brief" mit der Friedensbewegung angelegt. Die Berliner Großdemonstration vom 15. Februar sei "antiamerikanisch" und "antisemitisch" gewesen und hätte sich schützend vor den Diktator Saddam Hussein gestellt, lautete der Hauptvorwurf.
"Ich weise die Polemik der Herren Rooney und Giordano gegen
Pazifisten mit Nachdruck zurück"
Stellungnahme von Heinrich Hannover
"Dass der Widerruf einer bereits angekündigten öffentlichen Ehrung des
diesjährigen Kultur- und Friedenspreisträgers der Villa Ichon peinlich ist,
steht außer Frage. Der Beschluss des Vorstandes, den Preis an Dr. Martin
Rooney zu verleihen, hätte von vornherein unterbleiben müssen. Er konnte nur
in Unkenntnis seiner an den Weser-Kurier, die taz und den Weser-Report
gerichteten Leserbriefe zustande kommen. In diesen hatte er die Menschen,
die in Bremen und in aller Welt auf die Straße gegangen waren, um gegen den
von Bush und seinen Hintermännern geplanten Krieg zu protestieren, der
Parteinahme für den Diktator Saddam Hussein verdächtigt und ihnen Naivität,
selbsternannte Tugendwächterei, Überheblichkeit und Ignoranz vorgeworfen.
Sie hätten nicht begriffen, was zwischen 1933 und 1945 in Deutschland und
Europa geschehen ist und welche Konsequenzen daraus hätten gezogen werden
sollen.
Ich habe mir erlaubt, den Vorstand der Freunde und Förderer der Villa Ichon
auf diese Veröffentlichung aufmerksam zu machen und in einem Schreiben an
Luise Scherf die Meinung vertreten, dass der Kultur- und Friedenspreis
nachhaltig beschädigt würde, wenn er an jemand verliehen würde, der den
weltweiten Widerstand gegen den Irak-Krieg in dieser Weise verdächtigt und
abqualifiziert hat.
Das hat mir heftige, auch auf mich als politischen Menschen zielende
Angriffe von Seiten Ralph Giordanos, eines Freundes des Preisträgers,
eingetragen (taz, 1.3.03) www.taz.de/pt/2003/03/01/a0243.nf/textdruck, auf
die ich antworten möchte.
Herr Giordano, der Martin Rooney als einen „Anwalt der Menschlichkeit“
rühmt, der nichts zu verheimlichen habe, fragt nach meiner Vita. Er kann sie
in meinen veröffentlichten Memoiren („Die Republik vor Gericht“) nachlesen
und dort erfahren, was ich „im nämlichen Jahr“ (aus der gekürzten Wiedergabe
seines Briefes in der taz ergibt sich nicht, welches Jahr gemeint ist) getan
habe. Auch ich habe nichts zu verheimlichen. Dass ich nicht nur von der
Bremer Universität, sondern auch von der Berliner Humboldt-Universität mit
einem Doktortitel ausgezeichnet worden bin (übrigens 1986 und nicht „zu
frühen DDR-Zeiten“, was wohl heißen soll: zu Stalins Zeit), sollte Herrn
Giordano nicht beunruhigen. Es hing damit zusammen, dass ich als
Nebenklagevertreter der Tochter des im KZ Buchenwald ermordeten
KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann die Verurteilung des angeklagten SS-Täters
herbeigeführt und auch sonst einiges gegen die an den Untaten des
Hitler-Staats Beteiligten vor Gericht getan habe.
Übergangslos kommt Herr Giordano auf die DKP, den „Wurmfortsatz der SED“ und
auf die „DKP-isten“ zu sprechen. Er kann mich wohl nicht gemeint haben. Wenn
ich je Mitglied einer kommunistischen Partei gewesen wäre, hätte es allzu
oft Gelegenheit gegeben, mich wegen abweichender Meinung auszuschließen.
Allerdings habe ich Kommunisten kennen gelernt, vor denen ich größere
Hochachtung hatte als vor manchen Richtern, die über sie zu Gericht saßen.
Ich erinnere z.B. an den in Bremen seinerzeit sehr populären
Bürgerschaftsabgeordneten Willi Meyer-Buer, der viele Jahre in Hitlers
Zuchthäusern und Konzentrationslagern verbringen musste und nach dem Krieg
erneut verurteilt wurde, weil er sich auch nach dem KPD-Verbot als Kommunist
bekannte.
Vor allem eines sollte Herr Giordano, wenn er nach meiner Vita fragt,
wissen: Ich bin als entschiedener Pazifist aus dem Krieg zurückgekommen, an
dem ich als Soldat der Hitler-Wehrmacht teilnehmen musste. Dazu bekenne ich
mich auch heute und weise die Polemik der Herren Rooney und Giordano gegen
Pazifisten mit Nachdruck zurück. Es hat auch in der Geschichte des
Hitler-Faschismus eine Zeit gegeben, zu der Hitler mit nichtkriegerischen
Mitteln in seine Schranken hätte verwiesen werden können. Es darf wohl
vorausgesetzt werden, dass das Führungspersonal der zivilisierten Staaten
Hitlers „Mein Kampf“ kannte und demnach wusste, was auf Deutschland und die
Welt zukam. Gleichwohl hat man diesen Staatsterroristen von Anfang an
hofiert (Victor Klemperer notierte es schon 1933 voll Verzweiflung), statt
ihn zur Einhaltung internationaler Verträge zu zwingen. Hätten 1936, als
Hitler unter Bruch des Versailler Friedensvertrages seine Wehrmacht im
entmilitarisierten Rheinland einmarschieren ließ, internationale Inspektoren
ihre Arbeit aufgenommen und eine wachsame Diplomatie der zivilisierten
Staaten die weitere Aufrüstung seines Terrorstaats verhindert, wäre der Welt
ein furchtbarer Krieg mit 50 Millionen Toten und der Zerstörung unzähliger
Städte und Kulturgüter erspart geblieben. Ja, man kann noch weiter
zurückgehen und beklagen, dass schon in der Weimarer Republik die
pazifistischen Stimmen mit justiziellen Mitteln zum Schweigen gebracht
worden sind (ich nenne nur Berthold Jacob und Carl von Ossietzky), die vor
einer deutschen Aufrüstung und dem aufkommenden Hitler-Faschismus gewarnt
haben. Es ist daher unredlich, Pazifisten vorzuhalten, dass schließlich ein
Krieg nötig gewesen sei, um Hitler zu schlagen.
Auch heute wollen die Kriegswilligen nicht hören, was die „naiven
Friedensfreunde“ ihnen zurufen. Man sagt uns, Saddam sei ein zweiter Hitler,
um den Schluss nahe zu legen, dass man mit ihm umgehen müsse, wie mit
Hitler. Und will uns glauben machen, dass ein Krieg nötig und ein geeignetes
Mittel zur Abwehr der von Saddam Hussein ausgehenden Gefahren sei. Man
sollte uns nicht unterstellen, dass wir, die wir gegen die Vorbereitung
eines Angriffskrieges auf die Straße gehen, die Gefahr verkennen, in der
Israel steht, wenn Saddam Hussein frühere Drohungen wahrmacht und, wie schon
im Golfkrieg von 1990, die ihm nicht nur von der DDR, sondern von Firmen der
westlichen Welt, auch von der BRD, gelieferten Waffen und Gifte auf Israel
abschießt. Gibt es ein besseres Mittel zur Verhinderung eines solchen
Verbrechens als die von internationalen Inspektoren kontrollierte Abrüstung
des Irak? Wird nicht die Gefahr eines irakischen Angriffs auf Israel erhöht,
wenn ein Militärschlag gegen den Irak geführt wird, bevor die Inspektoren
ihre Arbeit in der dafür erforderlichen Zeit abgeschlossen haben? Gerade aus
Sorge um die Existenz Israels, des einzigen Staates, der für Juden eine
sichere Zuflucht bieten soll, muss doch nachdrücklich davor gewarnt werden,
vor Abschluss der Kontrollen einen Krieg gegen einen Staat zu eröffnen, dem
noch der Besitz von bisher nicht entdeckten Massenvernichtungsmitteln und
deren Anwendung gegen Israel zugetraut wird.
Es muss anscheinend auch daran erinnert werden, dass die Nazis ihr
Massenmordprogramm an Juden und anderen missliebigen Minderheiten wie
Zigeunern und Zeugen Jehovas trotz und gerade während des Krieges
durchführen konnten. Ralph Giordano gehörte zu den relativ wenigen Juden,
die den Holocaust im Versteck überlebt haben und tatsächlich durch den
militärischen Einmarsch der Alliierten befreit worden sind. Aber das ändert
nichts daran, dass der Großteil der Verfolgten nicht durch den Krieg
gerettet worden ist. Nur eine konsequentere internationale
Anti-Hitler-Koalition schon zu Friedenszeiten und eine menschlichere Haltung
gegenüber Flüchtlingen und Asylsuchenden hätte sie vor Entrechtung,
Freiheitsberaubung und Vernichtung schützen können. Das, und nicht voreilige
Kriegsbereitschaft, ist aus der Geschichte zu lernen.
Es ist für mich, der ich die Arbeiten Martin Rooneys um die Aufklärung des
Massenmords an den Armeniern, eines in vielen gängigen Geschichtsbüchern
verschwiegenen türkischen Staatsverbrechens von 1915, kenne, schwer
verständlich, dass ausgerechnet er den Protest gegen eine Kriegsplanung
diskreditiert, an der die Türkei aktiv auf Seiten der USA beteiligt ist.
Heute geht es nicht mehr um die armenische, aber um die kurdische
Minderheit, die nicht nur im Irak, sondern auch in der Türkei schweren
Pressionen ausgesetzt ist. Das kann einem Anwalt der Menschlichkeit doch
nicht gleichgültig sein. Hat Rooney die Unterdrückung und Verfolgung der
kurdischen Minderheit nur im Irak, nicht aber in der Türkei zur Kenntnis
genommen? Und ist ihm die Sorge der irakischen Kurden vor einer
amerikanischen oder gar einer türkischen Besatzung ihres Landes entgangen?
Es wäre noch viel zu sagen über die voraussehbaren verheerenden Folgen des
Krieges in der Region aber auch in Europa und der Welt. Es wäre über
Völkerrecht und das verfassungsrechtliche Verbot des Angriffskrieges zu
sprechen. Fragen über Fragen, die eine sachliche Diskussion erfordern. Wer
sich stattdessen so äußert, wie es Herr Rooney getan hat und die vielen
tausend Teilnehmer von Antikriegsdemonstrationen als Parteigänger des
Diktators Saddam Hussein verdächtigt und als naiv und ignorant abkanzelt,
hat einen Friedenspreis nicht verdient."
Zur Seite "Friedensbewegung"
Zur Seite "Friedenspreise"
Zurück zur Homepage