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Gerechter Friede statt "gerechter" Krieg

Diskussionspapier der Gustav-Heinemann-Initiative

Im Folgenden dokumentieren wir ein Papier, das der Vorstand der Gustav-Heinemann-Initiative am 2. Februar 2005 beschlossen und vor kurzem veröffentlicht hat.


Gerechter Friede statt "gerechter" Krieg

„Nicht der Krieg, sondern der Friede ist der Ernstfall, in dem wir uns alle zu bewähren haben.“
(G. Heinemann, Ansprache vor Bundestag und Bundesrat am 1. Juli 1969)

Krieg gilt wieder als legitimes Mittel der Politik.

Hatten die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges und die Gefährdungen im Kalten Krieg insbesondere in Europa die Hoffnung genährt, dass auf die kriegerische Lösung von Konflikten verzichtet werde, so hat sich seit dem Ende des Kalten Krieges, insbesondere aber seit dem 11. 9. 2001 in der Weltpolitik ein Denken durchgesetzt, das den Krieg als akzeptables Instrument der Politik begreift und die Vorstellung gerechter Kriege propagiert. Für diesen Wandel stehen insbesondere die USA, die selbst Präventivkriege als Mittel zur Lösung von Konflikten befürworten; in ihrem Gefolge propagieren auch andere Staaten der NATO diese Vorstellungen; bezeichnenderweise schließt sich die EU dem an; daher sieht sich auch die Bundesrepublik Deutschland gezwungen, diese neue Sicherheitspolitik zumindest teilweise zu unterstützen.

Die GHI geht demgegenüber vom Friedensgebot des Grundgesetzes (Präambel, Art. 24, 25, 26 GG) aus. Der insbesondere von der derzeitigen Regierung der Vereinigten Staaten vertretene Wandel in der Politik der Krisenbewältigung ist ein schwerer Rückschlag für das Ziel, ein weltweites Sicherheitssystem aufzubauen, das bei Konflikten friedliche Formen der Auseinandersetzung an die Stelle kriegerischer setzt. Tatsächlich ist die Welt in den letzten Jahren unsicherer geworden. In der „Friedensdenkschrift“ der EKD von 1981 war festgestellt worden: „Krieg bedeutet, prägnant und ohne Abstriche, das Scheitern von Politik.“

Die GHI fordert für die deutsche Außenpolitik eine konsequente Beachtung des Friedensgebotes des GG, den Vorrang des Internationalen Rechts und der Beschlüsse der UN vor Bündnispflichten, die Ächtung aller atomaren, biologischen und chemischen Waffen, eine konsequente Abrüstungspolitik sowie eine Politik der gerechten Verteilung und gemeinsamen Sicherheit. Als Instrument zur Durchsetzung des internationalen Rechts ist baldmöglichst eine Internationale Polizei aufzubauen.

I. Das Friedensgebot des Grundgesetzes

In der Diskussion über bewaffnete Einsätze der Bundeswehr out of area kommt – unbeschadet einer eventuellen Beauftragung durch den UN-Sicherheitsrat – die entscheidende Frage zu kurz: Sind solche Einsätze mit dem Friedensgebot des Grundgesetzes vereinbar? „Statt klare verfassungsrechtliche Regelungen für Recht und Grenzen von Krisenreaktionseinsätzen zu schaffen, sind entgegenstehende Verfassungsnormen bis zur Bedeutungslosigkeit verdünnt worden, insbesondere die ungewöhnlich klare Vorschrift des Art.87 Abs.2, wonach Streitkräfte außer zur Verteidigung nur eingesetzt werden dürfen, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt“ (Helmut Simon). Spätestens seit der Selbstmandatierung der NATO für den Krieg im Kosovo ist dieser verfassungsgemäße Einsatz der Bundeswehr nicht mehr gewährleistet. Inzwischen geht es für die Bundesrepublik um die weltweite Beteiligung an militärischen Interventionen in Drittländern. Obwohl es sich dabei um eine tiefgreifende und folgenreiche Veränderung der deutschen Politik handelt, ist diese erweiterte Aufgabe und ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit in der Öffentlichkeit kaum diskutiert worden. Für deutsche Politik muss aber der furchtbare Missbrauch militärischer Macht durch Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jh. immer ein Menetekel sein.

Da auf absehbare Zeit nicht zu befürchten ist, dass die Bundesrepublik von außen angegriffen wird, hat die der Landesverteidigung verpflichtete Bundeswehr (Art. 87a, GG) heute keine klar zu erkennende Aufgabe mehr. Die derzeitigen Bemühungen der Bundesregierung, die Bundeswehr zu einer "Armee im Einsatz" umzubauen, deren "mögliches Einsatzgebiet die ganze Welt" ist (Verteidigungspolitische Richtlinien des Bundesministers für Verteidigung, Mai 2003), sind ein gefährlicher Weg. Mit dieser als "Weiterentwicklung" verharmlosten Neuorientierung von Aufgaben, Struktur und Ausrüstung der deutschen Streitkräfte wird ein fragwürdiges, für militärische Interventionen und Angriffskriege einzusetzendes Instrumentarium geschaffen, das eine latente Friedensgefährdung bedeutet und der Zielvorgabe einer aktiven Friedenspolitik zuwiderläuft.

Bei diesen Auslandseinsätzen soll die Bundeswehr z.T. Aufgaben erfüllen, die zivile Kräfte genauso gut oder sogar besser bewältigen können: Katastrophenhilfe, Aufbau und Betreuung von Flüchtlingslagern, Überwachungsmissionen, ... Insbesondere gilt dies für friedenserhaltende oder - wiederherstellende Aufgaben wie den Aufbau zivilgesellschaftlicher Einrichtungen und Aufbau bzw. Unterstützung basisdemokratischer Gruppen. Es ist deshalb erforderlich, einen deutlichen Anteil der für das Militär vorgesehenen Ausgaben umzuwidmen und für die Ausbildung und den Einsatz der notwendigen Anzahl von Fachkräften ziviler Friedensdienste vorzusehen. Das derzeitige große Ungleichgewicht zwischen den Aufwendungen für die Bundeswehr und den für Konfliktprävention und zivile Friedensdienste bereitgestellten Mitteln verhindert eine Umorientierung auf Konfliktlösungen mit zivilen statt mit militärischen Mitteln.

Die Bundesrepublik kann sich Verpflichtungen, die sich aus der NATO- und EU-Mitgliedschaft ergeben, nicht völlig entziehen. Die Bundesregierung sollte aber die weltweite militärische Orientierung der Bündnisse nicht unterstützen. Die Bundeswehr ist deshalb nur als kleine Armee zu führen, Voraussetzungen und Grenzen ihres Einsatzes müssen eindeutig bestimmt werden.

Die GHI fordert eine öffentliche Diskussion über die Rückwirkungen militärischer Festlegungen durch eine EU-Verfassung auf das deutsche Verfassungsrecht sowie über die neuen Aufgaben der Bundeswehr. Dazu sollte eine Evaluierung der Bundeswehr-Auslandseinsätze in den letzten Jahren erfolgen. Insbesondere dort, wo es um Einsatzfelder geht, die auch von zivilen Friedensfachkräften übernommen werden könnten bzw. wo schon Erfahrungen mit dem Wirken von zivilen Gruppen vorliegen, ist das Verhältnis von Aufwand und Nutzen bei militärischem und zivilem Einsatz offenzulegen.

Im Ergebnis einer solchen Diskussion wird das Grundgesetz zu ändern sein: die Möglichkeiten und Grenzen sowie die Bedingungen eines weltweiten Einsatzes der Bundeswehr sind im Einklang mit dem UN-Recht festzulegen. Dafür muss das Friedensgebot des Grundgesetzes Grundlage sein. Friedliche Konfliktbeilegungen müssen unbedingten Vorrang vor gewaltsamen Lösungen haben. Die dafür notwendigen zivilen Friedensdienste müssen aufgebaut und ausgebildet werden.

Langfristig ist anstelle militärischer Interventionen der Einsatz einer internationalen Polizei zur Beilegung gewaltsamer zwischen- und innerstaatlicher Konflikte anzustreben.

II. Friede zwischen Staaten als Aufgabe des Völkerrechts und der UN

Für den Interessenausgleich zwischen Staaten und über Staatsgrenzen hinweg wurden in Europa seit 1648 als Antwort auf den 30jährigen Krieg völkerrechtliche Regeln vereinbart. Ausgehend vom Prinzip der Souveränität der Staaten wurden zunehmend Bestimmungen zum Umgang miteinander in Konventionen und Verträgen festgelegt. Hinzu kamen im 20. Jh. eine internationale Schiedsgerichtsbarkeit, internationale Organisationen sowie regionale Institutionen und themenspezifische Abkommen, die friedlichen Konfliktregelungen dienen. Ihre Schwäche ist, dass sie auf das freiwillige Mitmachen der Staaten angewiesen sind.

Im wesentlichen ist es heute die Aufgabe des Sicherheitsrates der UN, bei Friedensgefährdungen einzugreifen. Ihm sind aber die Hände gebunden, sobald eines der ständigen Mitglieder ein Veto einlegt. Wenn keine handlungsfähige Mehrheit zustande kommt, ist der Sicherheitsrat machtlos. Die Staatenwelt ist daher aufgefordert, gemeinsam eine Reform der UN vorzunehmen, die insbesondere den Sicherheitsrat in die Lage versetzt, seiner Aufgabe als internationale Schieds- und Schlichtungsinstanz gerecht zu werden, indem das Recht der fünf Veto- Staaten, Abstimmungen des Sicherheitsrats zu blockieren, in einem ersten Reformschritt auf Entscheidungen eingeschränkt wird, von denen sie direkt betroffen sind; langfristig muss das Vetorecht abgeschafft werden.

Die wichtigste Aufgabe zur Erhaltung des Friedens ist derzeit die Stärkung des Völkerrechts durch Unterstützung der UN, ihrer Unterorganisationen und der regionalen Organisationen gemeinsamer Sicherheit (wie der OSZE) sowie durch Achtung der internationalen Verträge mitsamt der dafür geschaffenen Schiedsgerichtsbarkeit.

Die GHI unterstützt die Bundesregierung, wenn sie die Zuständigkeit der UN einfordert. Ein Ziel der deutschen UN-Politik muss es sein, das Vetorecht der sog. Großmächte einzuschränken. Alle Schritte müssen unterstützt werden, die die Fähigkeit der UN zur Krisenprävention stärken, z.B. die Schaffung einer Kommission für Frieden und Krisenprävention bei den UN (UNCOPAC).

III Internationaler Strafgerichtshof

„Wer den Krieg wirklich abschaffen will, muss mit Entschiedenheit dafür eintreten, dass der eigene Staat zugunsten internationaler Institutionen auf einen Teil seiner Souveränität verzichtet; er muss bereit sein, den eigenen Staat im Falle irgendeines Konfliktes dem Schiedsspruch eines internationalen Gerichtes zu unterwerfen.“ (A. Einstein 1932)

Eine am Friedensziel orientierte Politik muss sich um die Stärkung des Rechts und seiner Institutionen bemühen, denen sich alle Staaten und Menschen in gleicher Weise unterzuordnen haben. Eine Ausnahme für bestimmte Staaten oder Personengruppen führt zu einem Verfall des Rechtsverständnisses und zerstört die Basis für ein friedlich geregeltes Zusammenleben der Menschen. In Ländern, deren Regierungen für sich Sonderrechte beanspruchen, sind die Kräfte zu unterstützen, die für eine Änderung dieser Regierungspolitik eintreten.

Die GHI fordert daher die Bundesregierung auf, in ihrer Außenpolitik konsequent für die Anerkennung des Internationalen Strafgerichtshofes durch alle Staaten, insbesondere die USA, einzutreten. Die Bundesregierung soll die EU dafür gewinnen, dass sie diese Forderung mit allem Nachdruck zu einem Grundpfeiler ihrer Außen- und Sicherheitspolitik macht.

IV. Gemeinsame Sicherheit und Gerechte Verteilung

In Deutschland, das während des Kalten Krieges an der Trennlinie zwischen den Blocksystemen geteilt war, haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Konzeption der gemeinsamen Sicherheit Kriege vermieden und zum Abbau von Spannungen geführt hat. Die Vorstellung, Sicherheit durch möglichst große und einem etwaigen Gegner überlegene Stärke zu erlangen, führt dazu, dass gewaltige Mittel verschlungen und die Gewaltpotentiale der einander gegenüberstehenden Seiten vergrößert werden. Entscheidend zur Bewältigung von Konflikten ist die Erkenntnis, dass Sicherheit nicht gegeneinander, sondern nur miteinander möglich ist, Sicherheit also nur gemeinsame Sicherheit sein kann. Deshalb ist von den Staaten, die über außergewöhnliche militärische oder wirtschaftliche Macht verfügen, zu verlangen, dass sie ihre Macht nicht missbrauchen, sondern in den Dienst des gemeinsamen Wohls und eines gerechten Friedens im Rahmen der UN stellen. Auf Dauer ist dies auch für die Staaten am besten, die im Augenblick eine hegemoniale Stellung einnehmen und deshalb nicht zum Mitmachen gezwungen werden können; die Erfahrung zeigt, dass eine andere Politik sie binnen kurzem überfordert und damit ihrerseits zu schweren friedensgefährdenden Verwerfungen führt.

Die Mittel und die geistigen Potentiale, die bisher für die Erreichung eigener militärischer Überlegenheit (und vermeintlicher Unverwundbarkeit) eingesetzt werden, dienen dem Frieden besser, wenn sie zu einer gleicheren und gerechteren Verteilung von Lebensgütern und -chancen für alle Menschen nutzbar gemacht und dabei die unterschiedlichen Kulturen und Traditionen in den verschiedenen Regionen der Erde geachtet werden.

Wenn solche Ziele allzu offensichtlich verletzt werden, wenn die Weltwirtschaftsordnung die Entstehung neuer Ungerechtigkeit fördert anstatt Mittel zum Abbau der schon bestehenden bereitzustellen, wenn die internationale Rechtsordnung keine Instrumente zur Änderung dieser Lage bietet, wird ein Nährboden für die Ausbreitung von Gewalt, Terror und Krieg geschaffen. Auf gerechten Frieden gerichtetes politisches Handeln wird dazu beitragen, dass die Anwendung von Gewalt als vermeintlichem Ausweg aus politischer oder wirtschaftlicher Benachteiligung an Unterstützung verlieren kann.

Die GHI fordert von der Bundesregierung, die Konzeption der gemeinsamen Sicherheit zur Richtschnur ihrer Politik in Spannungsgebieten zu machen und sie für den Umgang zwischen militärisch überlegenen Staaten und kleinen Staaten weiterzuentwickeln.
Die GHI fordert von der Bundesregierung, die Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit, wie schon vor über 30 Jahren international vereinbart, in den nächsten drei Jahren auf 0.7% des BSP zu steigern, den Schuldenerlass für die ärmsten Länder zu verbessern und in der Welthandelsorganisation zusammen mit den EU-Staaten für eine konsequente Stärkung der Handelsmöglichkeiten der Entwicklungsländer, insbesondere auf dem Agrarsektor, einzutreten.


V. Ächtung von Atomwaffen

1996 hat der Internationale Gerichtshof den Einsatz von Atomwaffen und die Androhung eines solchen Einsatzes als Verstoß gegen das Völkerrecht gewertet. Auch biologische und 45 chemische Kampfmittel stellen eine ungeheure Gefahr für alle Menschen dar, ihre Herstellung und Verwendung müssen daher als völkerrechtswidrig eingestuft werden. Wenn einige Staaten, die Atomwaffen besitzen oder über biologische und chemische Waffenarsenale verfügen, das Recht zur Weiterentwicklung dieser Waffen sowie das Recht zum Einsatz, sogar zum Ersteinsatz für sich beanspruchen, demonstrieren sie, dass Stärke und nicht das für alle gleichermaßen verbindliche Recht die Politik bestimmt. Ihre Politik erschwert es, eine weitere Zunahme der Zahl der ABCWaffen besitzenden Staaten zu verhindern. Eine kontrollierte Abrüstung aller ABC-Waffen und gleiche Bindungen für alle Staaten muss das Ziel der internationalen Politik bleiben. Die darauf gerichteten Anstrengungen aus der Zeit der Ost-West-Konfrontation müssen fortgeführt werden, anstatt bestehende Vereinbarungen aufzukündigen.

Die GHI fordert die Bundesregierung auf, zusammen mit den anderen EU-Staaten in der UN gegenüber allen Staaten eine Politik des Verbotes der Weiterentwicklung wie der Weiterverbreitung von atomaren, biologischen und chemischen Waffen zu verfolgen.

VI. Friede und Menschenrechte

Seit der Bill of Rights, der Menschenrechtserklärung der französischen Revolution und der Aufnahme der Menschenrechte in die Charta der UN sowie in besondere Pakte und regionale Erklärungen hat die Achtung der Rechte der einzelnen Menschen auch international an Bedeutung gewonnen. In friedlichen Verhältnissen können die Menschenrechte in aller Regel am besten geschützt werden. Allerdings kommt es immer wieder vor, dass Staaten grundlegende Menschenrechte ihrer Bürger massenhaft verletzen, ohne dass dadurch der Frieden zwischen den Staaten gefährdet wird. Eine auf Frieden zielende Politik kann schwere Menschenrechtsverletzungen mit dem Verweis auf das Verbot der Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates nicht hinnehmen. Aber die Regeln für das Eingreifen in solchen Fällen müssen völkerrechtlich verankert werden und es muss Aufgabe des Sicherheitsrates der UN bleiben, festzustellen, wann die Missachtung von Menschenrechten ein unerträgliches Ausmaß annimmt und welche Wege eingeschlagen werden sollten, um diesem Missstand abzuhelfen. Das Handeln einzelner Staaten oder Staatengruppen außerhalb der bisherigen Normen des Völkerrechts wie bei den Interventionen im Kosovo, in Afghanistan oder dem Irak gefährdet auf Dauer den Frieden der Welt, zerrüttet das internationale Recht und schadet auch den Menschenrechten.

In vielen Teilen der Erde werden Interessengegensätze und Rivalitäten um Macht und Einfluss verschiedener Ethnien, Religionen, Machtgruppen oder anderer Bevölkerungsteile durch Bürgerkriege ausgetragen; teilweise haben sich Militärapparate auch verselbstständigt und unterdrücken die Bevölkerung. Bürgerkriege sind oft die Kriege mit den schlimmsten Auswirkungen für die Menschen, weil die Menschenrechte mit Füßen getreten werden und häufig auch Terroraktionen zu den Kampfformen solcher Kriege gehören.

Die Beendigung von Bürgerkriegen gehört zur Aufgabe der UN. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass die UN bei dieser Aufgabe vielfach versagen, weil ihr Auftreten als Eingriff von außen verstanden wird. Es ist daher in jedem Fall zu prüfen, ob eher militärische oder eher polizeiliche internationale Einsätze bei der Beendigung eines Bürgerkrieges hilfreich sein können. Vor allem aber ist die internationale Staatengemeinschaft aufgefordert, vorbeugend auf den Abbau von Spannungen hinzuwirken, so dass sie sich nicht zu einem Bürgerkrieg aufschaukeln können. Der deutschen Politik sollte dafür der ‚Aktionsplan Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung’ der Bundesregierung zugrunde gelegt werden, wobei die dort propagierte zivil-militärische Zusammenarbeit wegen ihrer schädlichen Auswirkungen auf die Tätigkeiten ziviler Organisationen allerdings nur in Ausnahmefällen angebracht sein kann.

Die GHI hält die Verhinderung oder Beendigung von Bürgerkriegen für eine der vordringlichen Aufgaben der UN. Sie fordert die Bundesregierung auf, in den Gremien der UN eine Politik der Prävention von Bürgerkriegen zu vertreten.

Die GHI plädiert insbesondere für eine Politik der zivilen Hilfen, eine Politik der vorausschauenden Deeskalation und der friedlichen Vermittlung bei Konflikten. Der Aufbau und Einsatz einer Internationalen Polizei ist vordringlich.


VII Friedens- oder Militärmacht Europa? - Die Rolle Deutschlands

Die Regierungskonferenz der EU hat im Juni 2004 eine Verfassung verabschiedet, die in den kommenden Monaten und Jahren von den Mitgliedstaaten ratifiziert werden muss. In der öffentlichen Diskussion ist bisher zu recht das Demokratiedefizit der EU festgestellt worden; dass die Bundesrepublik bis heute kein Plebiszit für grundlegende politische Entscheidungen kennt, verschärft für Deutschland diese Kritik. In der allgemeinen öffentlichen Diskussion wird ein Element der Verfassung übersehen, nämlich die wachsende Bedeutung der Militärpolitik für alle Staaten der EU. Wie immer der Ratifizierungsprozess ausgeht, die GHI erwartet von der Bundesregierung und dem Bundestag, dass sie in der EU darauf drängen, dass die militärpolitischen Aspekte der Verfassung im Sinne der folgenden Überlegungen korrigiert werden.

Der jetzt beschlossene Verfassungstext für Europa sowie flankierende Dokumente wie das sog. „Solana-Papier“ vom Herbst 2003 und die Beschlüsse auf dem Brüsseler EU–Gipfel zur Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS) im Dezember 2003 zeigen, dass die EU ihre politische Position auch mit militärischen Mitteln ausbauen will. Zwar erklärt die Union in Artikel 3, Abs. 4 ihren Friedenswillen und bekennt sich zur Wahrung der Grundsätze der UN. Aber die ‚Besonderen Bestimmungen für die Durchführung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP)’ besagen: „Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern. Es wird ein Europäisches Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten eingerichtet.“ (Art.40, Abs. 3) Die ESS öffnet darüber hinaus unter dem neutral erscheinenden Begriff „vorbeugendes Engagement“ die Tür zur Präventionsdoktrin der US-Regierung. Zwar sieht die Verfassung in den Artikeln 218 bis 223 auch Regelungen für Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe vor; verglichen mit Umfang, Tendenz und Anzahl der Vorschriften über militärische Zusammenarbeit und der noch vor der Charta der Grundrechte der Union rangierenden Bestimmungen der „Solidaritätsklausel“ gegen terroristische Bedrohungen in Artikel 42 wird klar, dass der Aufbau von Instrumenten ziviler Krisenprävention und nichtmilitärischer Konfliktbearbeitung nachrangig ist. Ein Amt für zivile Konfliktlösung ist nicht vorgesehen. Dementsprechend fehlt ein ausdrücklicher Hinweis auf das Verbot der Androhung und Anwendung von Gewalt in den internationalen Beziehungen. Das Fehlen einer solchen Regelung ist nicht trivial, wie die Tatsache belegt, dass seit Ende des Ost-West-Konflikts die westlichen Demokratien mindestens fünf mal Krieg geführt haben, ohne die nach der UN–Charta gesetzte Bedingung der Selbstverteidigung zu erfüllen: Somalia 1992, Bosnien 1994/95, Irak 1998, Kosovo 1999 und Irak 2003. Artikel 10 Abs.1 darf in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden: „Die Verfassung und das von den Organen in Ausübung der ihnen zugewiesenen Zuständigkeiten gesetzte Recht haben Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten.“

Tritt diese Verfassung in Kraft, bleibt zwar Interpretationsspielraum im Detail, im Grundsatz jedoch wird die bisherige noch weitgehend defensive Militärpolitik Deutschlands wie der EU irreversibel aufgegeben. Zwar kann und soll Deutschland nicht als die allein bestimmende Macht in der EU auftreten, es muss die Geschichte und Positionen seiner Nachbarn respektieren. Dennoch kann zu recht verlangt werden, dass Deutschland seine spezifischen Erfahrungen des Missbrauches politischer und militärischer Macht in die Gestaltung der EU einbringt.

Die GHI erhebt daher nachfolgende Forderungen:
  1. Die Bundesregierung muss bei den EU-Partnern darauf dringen, die zivile Konfliktregelung in der Verfassung vorrangig gegenüber dem Ausbau des militärischen Sektors zu verankern. Daher ist in der EU-Verfassung eine mit entsprechenden Mitteln ausgestattete Institution zur Weiterentwicklung der zivilen Konfliktlösungsmethoden vorzusehen.
  2. Parlament und Regierung sollten unmissverständlich klarstellen, dass auch in Zukunft deutsche Streitkräfte nicht für völkerrechtlich zweifelhafte oder völkerrechtswidrige militärische Interventionen eingesetzt werden.
  3. Statt einer interventionsorientierten Aufrüstung der Bundeswehr sollte die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den dazu bereiten zivilen Organisationen für eine wesentlich verstärkte Orientierung der nationalen und europäischen Politik auf den Aufbau von Regelungen und Instrumenten ziviler Krisenbewältigung und aktiv für den Abbau militärischer Bedrohungspotentiale eintreten, wie es der zitierte ‚Aktionsplan’ der Bundesregierung vorsieht.
  4. In Anknüpfung an die bisher erfolgreiche Einigungspolitik der EU muss die EU für Krisengebiete eine Politik der wirtschaftlichen und politischen Kooperation entwickeln.

VIII. Internationale Polizei

„Alles Übel kommt daher, dass wir keine mächtige internationale Polizei haben und keine internationale schiedsrichterliche Instanz, deren Entscheidungen sicher durchgeführt werden.“ (A. Einstein 11. 9. 1933)

Nicht nur Handlungen und Politik von Staaten, sondern auch nicht an Staaten gebundene politische, militärische und kriminelle Gewalt einschließlich terroristischer Akte erschüttern unsere immer stärker vernetzte Welt. Diese Gefahren lassen sich nicht mit Krieg und seinen an Auseinandersetzung zwischen Staaten orientierten Vorgehensweisen abwehren, sondern nur mit den Mitteln, die auch innerstaatlich zur Bekämpfung nicht legitimierter Gewalt mit Hilfe von Polizeikräften eingesetzt werden. Bis jetzt gibt es aber keine Vereinbarungen über Polizeieinsätze auf der internationalen Ebene. Daher wird der Ruf nach einer ordnenden Gewalt auf der überstaatlichen Ebene schnell zu einer Frage nach dem Einsatz von Militär und seinen Handlungsformen. Differenzierung und Gewaltenteilung, wie wir sie innerstaatlich haben, um ein friedliches Miteinander zu schaffen, gehen dabei verloren.

Es wird nötig sein, Regeln für internationale Einsätze polizeilicher Art zu vereinbaren. Eine klare Unterscheidung zwischen Krieg (Militäreinsatz) einerseits, polizeilichem Handeln und ‘peacekeeping’ andererseits ist dafür nötig. Eine einfache ‘Umbenennung’ oder Vermischung der Aufgaben (das Militär übernimmt polizeiliche Aufgaben) wird dem nicht gerecht, weil dabei die spezifischen Bedingungen, die für die Schaffung von Recht, Ordnung und Frieden mit polizeilichen Mitteln bestehen, aus dem Blick geraten. Eine fehlende klare Abgrenzung zu militärischem Vorgehen würde die Akzeptanz solcher Polizeieinsätze erschweren oder verhindern und letztlich auch ihre Wirkung in Frage stellen.

Für den Polizeieinsatz muss gelten:
  • Verhältnismäßigkeit der Mittel,
  • rechtliche Einbindung,
  • Ausrichtung auf den Schutz der Menschen (einschließlich der Rechtsbrecher; das Tötungsverbot gilt auch hier zumindest im Prinzip),
  • Ausrichtung auf Sicherheit und Ordnung,
  • deeskalierender Charakter des Einsatzes,
  • Verurteilung bzw. Bestrafung der Verursacher des Unrechts,
  • Effektivität und Schadensbegrenzung.
Die Mittel für den Aufbau und Ausbau entsprechender Polizeikräfte könnten durch die Reduzierung der im derzeitigen Umfang nicht benötigten Armee gewonnen werden.

Die GHI fordert von der Bundesregierung ein Umdenken. Eine Politik der militärischen Intervention ist der falsche Weg zur Lösung von Konflikten. Statt dessen soll sich die Bundesregierung für die Schaffung einer Internationalen Polizei einsetzen. In Kooperation mit anderen EU-Partnern soll sie dafür von deutschen und ausländischen Friedensinstituten ein den genannten Prinzipien genügendes Konzept ausarbeiten lassen und spätestens im Jahre 2006 auf der Grundlage eines solchen Gutachtens eine entsprechende politische Initiative in der EU und der UN starten.

IX. Friedens- und Konfliktforschung

„Hilfreich wäre es, wenn auch wir der Friedensforschung, das heißt einer wissenschaftlichen Ermittlung nicht nur der militärischen Zusammenhänge zwischen Rüstung, Abrüstung und Friedenssicherung, sondern zwischen allen Faktoren, also z.B. auch den sozialen, den wirtschaftlichen und den psychologischen, die gebührende Achtung zuwenden würden.“ (Gustav Heinemann 1969)

Frieden schaffen ist ein mühevoller, oft auch langwieriger Prozess, der je nach Situation besondere Ausbildung und Kenntnisse erfordert. Die dabei eingesetzten Mittel müssen vom Ziel her angemessen sein. Eine am Friedensziel orientierte Politik muss deshalb die Mittel für Friedens- und Konfliktforschung, für die Entwicklung von Konzepten gewaltfreier Konfliktlösungen und für die Ausbildung von in diesen Methoden geschulten Friedensfachkräften stärken. Vordringlich ist aus Sicht der GHI
  • die Auswertung der bisherigen Auslandseinsätze der Bundeswehr, insbesondere im Hinblick auf die Erreichung der gesetzten Ziele, den Umgang mit der Öffentlichkeit sowie die mittel- und langfristigen Folgen für das jeweilige Land, aber auch
  • die Untersuchung erfolgreicher Beilegungen bürgerkriegsträchtiger Konflikte mit friedlichen Mitteln sowie der friedlichen Überwindung diktatorischer Regime.
Die GHI fordert Bundes- und Landesregierungen auf, die finanziellen Aufwendungen für die Friedens- und Konfliktforschung und die Ausbildung von Friedensfachkräften auch in Zeiten finanzieller Engpässe auszubauen. In einem Stufenplan ist für die kommenden Jahre eine Verdoppelung der Mittel vorzusehen.

X. Krieg ist Unrecht

Da Politik wie alles menschliche Handeln fehlbar ist, wird es trotz aller Bemühungen um nichtmilitärische Konfliktlösungen zu Situationen kommen, in denen Regierungen Militär zur Durchsetzung ihrer Ziele einsetzen, sei es aus Eigeninteresse oder als ‘ultima ratio’. In der GHI werden in Bezug auf den Einsatz von Militär zur Konfliktregelung zwei unterschiedliche Auffassungen vertreten:

Ein Teil der Mitglieder hält Militäreinsätze unter bestimmten Bedingungen bei schweren Verstößen gegen Menschen- und Bürgerrechte als ultima ratio der Politik für vertretbar, wissend um das Dilemma, dass diese Rechte durch die Kriegführung selbst verletzt und mißachtet werden, zumal beim Stand der heutigen Waffentechnik. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat für humanitär begründete Kriege fünf Kriterien benannt, die das Dilemma verdeutlichen:
  • eine Militärintervention muss der letzte geeignete Weg sein,
  • ihr muss ein vorrangig humanitäres Motiv zugrunde liegen,
  • sie wird so ausgeführt, dass sie internationalen Menschenrechten gerecht wird,
  • sie muss so durchgeführt werden, dass sie mehr Gutes bewirkt als sie Schaden anrichtet,
  • der UN-Sicherheitsrat muß zugestimmt haben.
Der andere Teil der Mitgliedschaft lehnt Kriege generell ab und befürchtet, dass durch die Festlegung auf Kriterien für humanitär begründete Kriege die den Kriegen inhärenten Folgen verdrängt und die notwendige Ausrichtung der Politik auf nichtmilitärische Konfliktlösung unterlaufen werden könnte.

Das Problem des Handelns wird weder durch die prinzipielle Ablehnung des Krieges noch durch die Befürwortung von Kriegen in akzeptabler Weise gelöst. Die Diskussion beider Seiten darüber, was im konkreten Fall richtig oder falsch, zulässig oder abzulehnen ist, ist weiter notwendig, diese Auseinandersetzung schärft das Problembewußtsein und beugt der Gefahr, einseitig zu urteilen, vor.

Die beiden Gruppen sind sich einig in der Ablehnung der Lehre vom gerechten Krieg: Krieg schafft nicht Recht und Ordnung, bestenfalls wird damit ein Zustand erreicht, von dem aus die Schaffung von Recht und Ordnung wieder beginnen kann. Jeder Krieg führt zu Mord, Vergewaltigung und Elend. Das gilt auch dann, wenn der Krieg mit der Begründung geführt wird, nur auf diesem Weg Massenverbrechen Einhalt gebieten zu können.

Die genannten Kriterien von Human Rights Watch, sind bei den kriegerischen Interventionen im ehemaligen Jugoslawien, in Afghanistan und im Irak, selbst wenn man die fehlende Zustimmung des Sicherheitsrates unberücksichtigt lässt, nicht oder nur mangelhaft erfüllt worden. Sie haben so wenig Frieden gebracht wie der russische Krieg in Tschetschenien oder die Kampfeinsätze der israelischen Armee in den Palästinenser-Gebieten. Der Zivilbevölkerung brachten die Kriege schwere Schäden und Verluste an Menschenleben. Da die meisten Interventionen mit Lügen begründet wurden, war die Glaubwürdigkeit der Handelnden beeinträchtigt, und das Rechtsverständnis wurde beschädigt.

In der Diskussion um gerechte Kriege wird darauf verwiesen, dass Hitler-Deutschland und die mit ihm verbündeten Staaten nur militärisch zu besiegen waren. Dies muss uns Deutschen, deren Land soviel Unheil und Leid über die Welt gebracht hat, immer bewusst sein, gerade auch im Gespräch mit Menschen aus Ländern, die Opfer dieses von den Deutschen begonnenen Eroberungs- und Völkervernichtungskrieges waren. Die Erinnerung daran muß unser Bemühen bestärken, den Frieden extrem bedrohende Entwicklungen schon im Vorfeld zu verhindern, da anderenfalls die Bekämpfung des Unrechts nur noch mit Mitteln möglich ist, die die Achtung vor Menschenleben und Menschenrechten nicht mehr gestatten.

Einen Krieg als gerecht zu bezeichnen, täuscht über den Charakter militärischer Gewalt. Es waren die schlimmen Erfahrungen mit ‘gerechten’ Kriegen in vergangenen Jahrhunderten, die dazu geführt haben, dieses Denkmodell zu verlassen. Auch die derzeitigen Kriege geben keinen Anlass, diese Einschätzung zu revidieren.

Literaturhinweise:
  • Kenneth Roth (Executive Director Human Rights Watch): Der Irak-Krieg war keine humanitäre Intervention (Die ZEIT 22.1.2004)
  • Kenneth Roth: The Law of War in the War on Terror (Foreign Affairs, Jan./Febr. 2004)
  • Horst Scheffler (Militärdekan und Leitender Wissenschaftlicher Direktor am Militärgeschichtlichen Forschungsamt Potsdam): Die Lehre vom gerechten Frieden - Friedensethik angesichts neuer Kriege, in: Verantwortung Heft 31 (Zeitschrift des Dietrich-Bonhoeffer-Vereins), S. 5-6


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