Mit Pizza und Luftballons gegen Truppenübungsplätze
Der Kampf um eine zivile Nutzung der Heide(n) in Ostdeutschland geht weiter
Die Bürgerinitiativen "FREIeHEIDe" und "OFFENe HEIDe" lassen nicht locker: Am Neujahrstag 2006 setzten sie ihre Proteste gegen die militärische Nutzung zweier Heiden - der Kyritz-Ruppiner Heide in Brandenburg/Mecklenburg-Vorpommern und der Colbitz-Letzlinger Heide in Sachsen-Anhalt - fort.
Der Bürgerinitiative "FREIeHEIDe" war noch vor kurzem eine große Ehre zu teil geworden: Am 5.12.2005 wurde ihr im Katholischen Liebfrauen Gymnasium in Berlin der erste Preis des Ökumenischen Umweltpreises 2005 der Evangilischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz und des Erzbistum Berlin verliehen. In der Begründung der Jury wurde das dauerhafte Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung der Menschen, die sich für eine friedliche Nutzung der geschundenen Kyritz-Ruppiner Heide seit 13 Jahren einsetzen, gewürdigt.
Wir dokumentieren im Folgenden Pressereaktionen.
99 Luftballons und der Traum von freien Heiden*
Zwischen Hoffnung und Unverzagtheit: Hunderte protestieren am Neujahrstag gegen Militärübungsplätze im Osten
»Hast du etwas Zeit für mich / Dann singe ich ein Lied für dich / Von neunundneunzig Luftballons / Auf ihrem Weg zum Horizont.« Als Nena 1983 den Antikriegs-Song »99 Luftballons« veröffentlichte, waren es sowjetische Bomben und Artillerie-Geschosse, die auf die Kyritz-Ruppiner Heide niedergingen. Heute will dort die Luftwaffe der Bundeswehr trainieren. Gerichte haben eine militärische Nutzung des 12 000 Hektar großen Geländes bisher verhindert. Den wohl wichtigsten Anteil am fragilen Frieden über dem Himmel Brandenburgs und Mecklenburg-Vorpommerns dürfte aber die Bürgerinitiative »FREIe HEIDe« haben. Seit 1992 wandern Anwohner und Militärgegner gegen das Bombodrom – am gestrigen Neujahrstag bereits zum 99. Mal. Schon zum 150. Mal veranstaltete gestern die Bürgerinitiative »OFFENe HEIDe« ihren Friedensweg gegen die militärische Nutzung der Colbitz-Letzlinger Heide in Sachsen-Anhalt. Seit gut zwölf Jahren ziehen die Anhänger der Bürgerinitiative Monat für Monat gegen den Gefechtsübungsplatz der Bundeswehr, die sich wie andere militärische Nutzer zuvor heute auf einem Drittel der Heide breit gemacht hat. Wo für Kriege geübt wird, heißt es bei beiden Initiativen, wird es auch Kriege geben. Oder wie Nena 1983 sang: »Denkst du vielleicht grad an mich / Singe ich ein Lied für dich / Von neunundneunzig Luftballons / Und dass sowas von sowas kommt.«
Tom Strohschneider
* Aus: Neues Deutschland, 2. Januar 2006
Mit Pizza gegen Panzer
"Offene Heide" veranstaltete 150. Friedensweg am Colbitz-Letzlinger Schießplatzgelände
Von Hendrik Lasch, Letzlingen**
Seit 70 Jahren übt in der Colbitz-Letzlinger Heide das Militär den Ernstfall. Eine Bürgerinitiative will eine friedliche Nutzung durchsetzen. Die »Offene Heide« lud am Neujahrstag zum 150. monatlichen Sonntagsspaziergang.
Wie ein Feldherr steht Bernd Luge auf dem »Kurgan« und schaut ins Land. Karger Sandboden, von Gestrüpp und niedrigen Kiefern bestanden, streckt sich bis zum Horizont. »All das gehört dem Militär«, sagt er. Zwar ist an diesem Tag nichts zu sehen von den Nutzern außer einer Funkstation auf einem weiteren »Kurgan«, wie die kleinen Hügel heißen, seit die Rote Armee hier den Krieg übte. Doch die Panzer, Jeeps und Lastwagen setzen der Natur zu, sagt Luge: Auf einem bleichen Streifen, der in der Ferne zu sehen ist, »wächst gar nichts mehr«, sagt er.
Der Vergleich mit einem Feldherren tut Luge Unrecht. Nichts liegt dem stillen Mann, der in einem Dorf am Ostrand der Colbitz-Letzlinger Heide aufgewachsen ist, ferner als militärisches Gehabe. Als Kind ist er mit dem Klirren von Panzerketten und dem Grollen von Geschützen aufgewachsen – und hat es verachten gelernt. Im Juni 1953, sagt er, hätten sowjetische Panzer, um Stärke zu demonstrieren, direkt am Dorfrand geschossen. Das Erlebnis des Jungen prägt den Mann bis heute: »Das Militär«, sagt Luge, »muss aus der Heide verschwinden.«
Der Abzug würde eine lange und fragwürdige Tradition beenden. Seit 70 Jahren wird das Areal im Norden von Magdeburg, das zu umfahren ein Vormittag gerade ausreicht, von Armeen für Übungszwecke genutzt. Zunächst richtete Hitlers Wehrmacht 1935 eine 30 Kilometer lange Schießbahn ein, um Geschütze wie die »Dicke Bertha« zu testen. Danach kamen sowjetische Truppen. Viel ließen die Militärs von dem einstigen Wald aus Eichen und Buchen nicht übrig. Das Jahr 1989 brachte keine Wende. Nachdem NATO-Beobachter schon bei Großübungen wie dem Manöver »Völkerfreundschaft« den Platz kennen gelernt hatten, griff die Bundeswehr bereitwillig zu.
Der Widerstand gegen eine fortgesetzte militärische Nutzung der Heide war zunächst groß. Er regte sich in umliegenden Gemeinden ebenso wie im Landtag. CDU-Minister plädierten für eine zivile Nutzung, die SPD lud zu Demonstrationen. Freilich: An Bundeswehr und Bundesregierung prallten die Wünsche ab. 1997 stimmte die rot-grüne Regierung dann dem »Heide-Kompromiss« zu, in dem lediglich für den Südteil der Heide ein Abzug des Militärs festgelegt wurde – ab 2006.
Selbst davon rückte das Land seither wieder ab. Auf absehbare Zeit wird daher nördlich einer Verbindungsstraße, die kürzlich in der Heide eröffnet wurde, mit Lasergeräten das Panzerschießen geübt; im Süden trainieren Spezialkommandos den Umgang mit Terroristen und Demonstranten, bevor sie in den Kosovo oder nach Afghanistan fliegen.
Alle vier Wochen bietet sich vor dem Tor praxisnaher »Unterricht«. Jeden ersten Sonntag im Monat treffen sich ein paar Unentwegte in einem der umliegenden Orte zum Protestspaziergang. Sie passieren die Sperrschilder und lassen sich dann im Militärgelände zum Picknick nieder. »Wir wollen den Platz mit friedlichem Leben erfüllen«, sagt Luge, der seit neun Jahren an den Aktionen teilnimmt. Die Eigentümer sind nicht amüsiert. Feldjäger und der zivile Sicherheitsdienst, berichtet Luge, suchten die Demonstranten einzuschüchtern.
Zum Erliegen gekommen ist der Protest der Initiative »Offene Heide« bisher indes nicht: Am Neujahrstag traf man sich zum 150. »Friedensweg«. Das Jubiläum zeugt von beachtlichem Stehvermögen – auch wenn der Kreis der Unterstützer arg geschrumpft ist. Auf etwa 100 Menschen schätzt Luge den harten Kern. Politischen Rückhalt gibt es nur noch bei der Kirche und der Linkspartei. Selbst in den Heidedörfern, die von Lärm und dem angeblich immer trockeneren Klima rund um das abgeholzte Gelände betroffen sind, regt sich kaum noch Widerstand.
Billigen kann Luge das nicht. Zwar unterscheide sich die Bundeswehr durch eine offene Informationspolitik und fehlenden Geschützdonner von früheren Nutzern. Auch Militärs, die in der Kommunalpolitik aktiv seien, hätten die Stimmung verändert. Versprochene Arbeitsplätze aber seien kaum entstanden; angekündigten 2000 Stellen stehen laut Luge nur 120 Jobs gegenüber, die der private Betreiber des »Gefechtsübungszentrums« geschaffen habe. Zudem blieben prinzipielle Einwände – etwa gegen die aggressive Einsatzkonzeption der Bundeswehr und ihrer europäischen Verbündeten, »für die in der Heide geübt wird«.
Auf diese Tatsache wollen die Aktivisten der »Offenen Heide« weiter aufmerksam machen – auch wenn ihr Engagement, anders als bei der »Freien Heide« bei Wittstock, von der örtlichen Wirtschaft kaum unterstützt und von der bundesweiten Öffentlichkeit selten wahrgenommen wird. Es werde weiter Friedenswege geben, sagt Luge, genauso wie unorthodoxen Protest mit Schwejkschem Humor.
Berichtet wird etwa vom Zeltlager einiger Friedensaktivisten in einem aufgelassenen Dorf auf dem Übungsplatz. Spät in der Nacht habe ein Platzbesetzer Hunger bekommen – und den Pizzaservice gerufen. Ziviler Ungehorsam kann auch schmackhaft sein.
** Aus: Neues Deutschland, 3. Januar 2006
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