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Kampf um das Herzblut

Krieg gegen Irak als Vorspiel neuer Hegemonie am Golf. Die "Logik" der US-Ölstrategie.

Von Jürgen Wagner*

In den vergangenen Wochen gingen Militärs und ehemalige Offizielle mit ihrer Kritik an den US-Angriffsplänen auf den Irak an die Öffentlichkeit. Es bestehe die Gefahr, daß der gesamte Persische Golf destabilisiert und aufgrund der fehlenden internationalen Akzeptanz die US-Führungsrolle in der Welt untergraben werden könnte, so die wichtigsten Kritikpunke.

Als Reaktion hierauf meldete sich US-Vizepräsident Dick Cheney zu Wort. Indem er die Gründe für einen Regimewechsel – ein Euphemismus für den kommenden Irak-Krieg – als »zwingend« bezeichnete, unterstrich er die Entschlossenheit der Bush-Administration, Saddam Hussein zu stürzen.

Vordergründig versucht die US-Regierung aus den Anschlägen des 11. September eine Begründung abzuleiten. Angesichts der Gefahr des »internationalen Terrorismus« könne keine Rücksicht auf regionale oder internationale Befindlichkeiten genommen werden, heißt es in Washington. Tatsächlich geht es aber darum, daß die kapitalistischen Ökonomien billiges und sicheres Öl benötigen und der »Kampf gegen den Terror« lediglich einen Vorwand liefern soll, dies auch langfristig zu gewährleisten.

Von zahlreichen Regierungsmitgliedern wurde ein Angriff auf Irak schon seit Jahren gefordert. Bereits 1998 betonten fast alle heutigen Bush-Offiziellen in einem offenen Brief, daß ein neuerlicher Waffengang gegen Bagdad unbedingt erforderlich sei, da Saddam Husseins Versuche, an Massenvernichtungsmittel zu gelangen, die Ölvorkommen am Golf gefährden würden. Damals wurde klar ausgesprochen, daß sich die USA nicht durch die abschreckende Wirkung dieser Waffen von Interventionen in der Region und damit der Aufrechterhaltung ihres Kontrollanspruches zur Ölsicherung abhalten lassen wollen.

Da es aber selbst nach Amtsantritt von US-Präsident George W. Bush nicht den Anschein hatte, daß ein Irak-Krieg mit dieser Argumentation zu erreichen war, wird der Sturz Saddam Husseins seit den Anschlägen des 11. September mit einer neuen Begründung gefordert.

»Alte Sicherheitsdoktrinen gelten nicht mehr«, erklärt Cheney, »Eindämmung ist nicht möglich, wenn Diktatoren Massenvernichtungsmittel erwerben und bereit sind, diese mit Terroristen zu teilen, die beabsichtigen, den Vereinigten Staaten katastrophale Verluste zuzufügen.« Zwar betonen sowohl die US-Geheimdienste wie auch zahlreiche Militärexperten, daß dieses Szenario nahezu völlig ausgeschlossen ist, trotzdem soll es den Vorwand für die US-Angriffe liefern. Die Plausibilität ist hierbei nicht das entscheidende, eben weil es nicht um den Schutz von US-Bürgern geht. Die Anschläge des 11. September boten so in Form der inzwischen formulierten Bush-Doktrin – Präventivkriege gegen Staaten, die den bloßen Versuch unternehmen, an Massenvernichtungsmittel zu gelangen – die Möglichkeit, alte Ziele mit einer neuen Argumentation zu erreichen.

Ein Angriff auf den Irak soll nicht nur die gewaltigen Ölvorkommen des Landes – nach neueren Untersuchungen wahrscheinlich sogar die größten der Welt – unter die Kontrolle der US-Regierung bringen, er dient auch dazu, ein Exempel zu statuieren, um den restlichen Ländern in der Region zu beweisen, daß Washington es mit seinem Kontrollanspruch absolut ernst meint.

Dies ist aus US-Sicht umso notwendiger, da die Spannungen mit dem bisher wichtigsten Verbündeten in der Region inzwischen bedrohliche Ausmaße angenommen haben. Zahlreiche Kommentare in Bush-nahen Zeitungen betonten deshalb in jüngster Zeit die Notwendigkeit einer deutlich verschärften US-Politik gegenüber Saudi-Arabien angesichts dessen Unterstützung islamistischer Terrorgruppen. Der deutlichste Ausdruck dieses Strategiewandels war ein weit beachtetes Briefing des Defense Policy Board. Die Pentagon-Berater forderten, daß die saudischen Ölquellen besetzt werden müßten, falls Riad die kritisierte Unterstützung nicht einstelle.

Was anscheinend im Zusammenhang mit dem 11. September steht, könnte eher eine vorbeugende Maßnahme bezüglich einer künftigen Auseinandersetzung mit der OPEC sein. Bisher war Saudi-Arabien als wichtigstes Ölförderland, das den Ölfluß hoch und damit die Preise niedrig hielt, der Garant für die Befriedigung der Bedürfnisse der kapitalistischen Ökonomien.

Allerdings stoßen diese auf zunehmenden Widerstand innerhalb der Bevölkerung wie auch der Eliten Saudi-Arabiens. Es droht aus Sicht der USA nicht nur ein Umsturz durch radikale islamische Gruppen, sondern auch, daß die US-kritische Fraktion innerhalb der saudischen Eliten die Oberhand gewinnt. Die angedrohte Schließung der US-Militärbasen im Land, sowie Aussagen, die darauf hindeuten, daß Saudi-Arabien inzwischen die Möglichkeit in Betracht zieht, die Organisation Erdöl exportierender Staaten (OPEC) wieder als Waffe gegen die US-Politik einzusetzen, sind für die Strategen in Washington alarmierende Zeichen, daß ihnen das Land zu entgleiten droht.

Auch scheinen sich die Rivalitäten zwischen den führenden Regionalmächten und wichtigen Förderländern zu verringern, womit eine einheitliche Ölpreispolitik wahrscheinlicher wird. Die Entwicklungen in Saudi-Arabien könnten so am Anfang eines Prozesses stehen, der zu deutlich höheren Ölpreisen führen wird. Bisher wurde dies hauptsächlich wegen der saudischen Politik verhindert.

Um dem vorzubeugen soll das Land nun vor die Alternative gestellt werden: Unterwerfung unter die US-Interessen oder Regimewechsel. Für dieses Szenario ist aber ein vorheriger Angriff auf den Irak unerläßlich. Zwar besitzt das Land große Ölmengen, derzeit landet davon aber nur wenig dem Weltmarkt. Das Ausbleiben dieser Lieferungen nach einem Angriff wäre problemlos aus anderen Quellen zu kompensieren. Ist der Irak erst einmal unter US-Kontrolle – ein Sachverständiger gab im US-Senat an, man werde nach einem Angriff 75000 Soldaten für fünf bis zehn Jahre im Land stationieren – könnte man schnell dazu übergehen, das irakische Potenzial voll auszuschöpfen. Die Zeit schreibt hierzu hellsichtig: »Den Falken in den USA liefert das irakische Öl zusätzliche Argumente. Ein neues Regime in Bagdad, so ihr Kalkül, wird den Irak in den wichtigsten Lieferanten verwandeln und die Abhängigkeit vom saudischen Öl verringern.« Damit werden jegliche Versuche, die OPEC gegen die USA einzusetzen, im Keim erstickt und eine Konfrontation mit Saudi-Arabien ermöglicht, da der Irak den drohenden Ausfall saudischer Lieferungen kompensieren könnte. Ansonsten würde sich diese Strategie mit einer zwangsläufig daraus resultierenden dramatischen Erhöhung der Ölpreise katastrophal auf die kapitalistischen Ökonomien auswirken. Ein Angriff auf den Irak ist somit notwendige Bedingung, um auch künftig das »Herzblut des Westens« billig fließen zu lassen.

* Jürgen Wagner ist im Vorstand der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. (www.imi-online.de). Er veröffentlichte vor kurzem ein Buch zur US-Hegemonialpolitik vor und nach dem 11. September: Das ewige Imperium – Die US-Außenpolitik als Krisenfaktor, VSA-Verlag, Hamburg 2002


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